Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathematik- unterrichts Band 15 Herausgegeben von S. Hußmann, M. Nührenbörger, S. Prediger, C. Selter, Dortmund, Deutschland Eines der zentralen Anliegen der Entwicklung und Erforschung des Mathematik- unterrichts stellt die Verbindung von konstruktiven Entwicklungsarbeiten und rekonstruktiven empirischen Analysen der Besonderheiten, Voraussetzungen und Strukturen von Lehr- und Lernprozessen dar. Dieses Wechselspiel fi ndet Ausdruck in der sorgsamen Konzeption von mathematischen Aufgabenformaten und Unter- richtsszenarien und der genauen Analyse dadurch initiierter Lernprozesse. Die Reihe „Dortmunder Beiträge zur Entwicklung und Erforschung des Mathe- matikunterrichts“ trägt dazu bei, ausgewählte Th emen und Charakteristika des Lehrens und Lernens von Mathematik – von der Kita bis zur Hochschule – unter theoretisch vielfältigen Perspektiven besser zu verstehen. Herausgegeben von Prof. Dr. Stephan Hußmann, Prof. Dr. Marcus Nührenbörger, Prof. Dr. Susanne Prediger, Prof. Dr. Christoph Selter, Technische Universität Dortmund, Deutschland Maike Schindler Auf dem Weg zum Begriff der negativen Zahl Empirische Studie zur Ordnungsrelation für ganze Zahlen aus inferentieller Perspektive Maike Schindler Technische Universität Dortmund Deutschland Dissertation Technische Universität Dortmund, 2013 Tag der Disputation: 26.06.2013 Erstgutachter: Prof. Dr. Stephan Hußmann Zweitgutachterin: Prof. Dr. Susanne Prediger ISBN 978-3-658-04374-2 ISBN 978-3-658-04375-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-04375-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer Spektrum © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Spektrum ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-spektrum.de Geleitwort Um zu verstehen, wie Schülerinnen und Schüler in Lehr-/Lernarrangements gegebene Situationen deuten und im Sinne eines konstruktiven Verstehenspro- zesses diese Deutungen in ihre je eigenen Wissens- und Könnensschemata in- tegrieren, ist es bedeutsam, die Konstruktionsprozesse von Wissen mit der fach- lichen Strukturierung des Lerngegenstandes in Beziehung zu setzen. Die indivi- duellen Konstruktionsprozesse von Wissen beziehen sich in ihrem Entstehen immer schon auf vorhandene Strukturen – das neue Wissen schließt sich daran an und wird weiterentwickelt. Jeder Konstruktionsprozess legt das Individuum aber auch auf eine bestimmte Art fest, Dinge zu sehen und zukünftige Wissens- konstruktionsprozesse auszugestalten. Die einzelnen Bausteine dieses individu- ell verfügbaren Wissensnetzes sind Annahmen über die wahrgenommenen Din- ge – diese sind gekennzeichnet durch die Art und Weise, auf diese Dinge zu schauen. Verknüpft sind die Annahmen durch eine Rationalität menschlichen Denkens und Handelns, die sich durch eine diskursive Fähigkeit auszeichnet, nämlich die Annahmen begründen und Schlussfolgerungen für das weitere Den- ken und Handeln benennen zu können. Diese individuellen Annahmen sind leitend bei der Strukturierung der wahrgenommenen Welt: Individuen legen sich gemäß der eigenen Struktur mit jeder Annahme auf bestimmte weitere Annah- men und Sichtweisen fest. Insofern sind diese Fokussierungen und Festlegungen zentrale Aspekte, um Wissenskonstruktionsprozesse zu beschreiben und zu verstehen. Diese genannten theoretischen Grundannahmen sind für die vorlie- gende Arbeit grundlegend. Ein zentrales Erkenntnisinteresse der Arbeit von Frau Schindler besteht da- rin, individuelle Begriffsbildung in ihrem Wechselspiel mit gegebenen Lernsitu- ationen zu verstehen. Im Zentrum dieses Interesses steht – ausgehend von der Betrachtung fachlicher Strukturierungen – das Anliegen, die von Schülern und Schülerinnen vorgenommenen individuellen Strukturierungen der Lernsituatio- nen und ihre Entwicklung nachzuvollziehen. Jenseits dieser Perspektive auf die Lernenden nimmt Frau Schindler die (Re-)Strukturierung des Lerngegenstandes – in diesem Fall die ganzen Zahlen – in den Blick, da der verwendete Theorie- ansatz dieselbe Sprache für beide Perspektiven verwendet. Als dritte – in diesem Fall – konstruktive Perspektive, ermöglicht die Verknüpfung von Lernendenper- spektive und fachlicher Strukturierung es, Hinweise für die Entwicklungsfelder von Lernumgebungen zu ganzen Zahlen zu erschließen, so dass die fachlichen Aspekte näher an die individuellen Erschließungsmöglichkeiten gerückt werden. Dabei steht insbesondere die situative Differenzierung des Lerngegenstandes im Fokus, welche der Strukturierung durch die Lernenden gegenübergestellt und hiermit verglichen werden kann. Mit diesen Schwerpunktsetzungen widmet sich die Arbeit dem höchst inte- ressanten und relevanten Bereich der Mathematikdidaktik, Grundmuster von VI Geleitwort Begriffsbildungsprozessen einer Beschreibung und Analyse zugänglich zu ma- chen. Dabei wird aber nicht nur die Perspektive der Lernenden wahrgenommen, sondern sie wird in ein konstruktives Verhältnis zur fachlichen Strukturierung gesetzt. In einer qualitativ angelegten Studie nutzt Frau Schindler den genannten Theorierahmen, entwickelt ihn weiter, gibt Einsichten in vielfältige Lernprozes- se und zeigt das Potential für die Restrukturierung der Theorie der ganzen Zah- len. Hierbei ist insbesondere das von Frau Schindler entwickelte Analyseschema zu erwähnen, mit dem es gelingt, das komplexe und komplizierte Zusammen- spiel von individuellen Zugängen zu den Lernsituationen, der fachlichen Struk- turierung dieser Situationen und den situativen Facetten der Lernprozesse in sehr feinen und detaillierten Festlegungsnetzen zu beschreiben. Dabei gibt die Auswahl der Beispiele einen Einblick in den Gewinn, den das Auffinden indivi- dueller Zugänge für das Nachvollziehen individueller und subjektiver Sinnkon- struktionen in sich birgt: Wenn beispielsweise Schüler und Schülerinnen inner- halb einer fachlich strukturierten Klasse von Situationen unterschiedliche Her- angehensweisen wählen, sich auf Unterschiedliches festlegen und verschieden- artig begründen, so kann anhand der inferentiellen Netze von Festlegungen und Begründungen gezeigt werden, welche systematische und – aus individueller Perspektive – inhaltlich wohlbegründete Vorgehensweise die Schülerinnen und Schüler nutzen. Besonders eindrucksvoll ist das Ergebnis der vorliegenden Ar- beit, welches auf einen starken Zusammenhang von individuellen Situations- klassen, Fokussierungen und Urteilen hinweist. So konnte Frau Schindler zei- gen, dass Modifikationen von Situationsklassen und Fokussierungen als kon- struktive Impulse zu einer nachhaltigen Begriffsbildung beitragen können. Auf der Ebene des konkreten Lerngegenstandes hat Frau Schindler exemp- larisch im Bereich der ganzen Zahlen geforscht. Dabei konnte sie drei Klassen von Situationen identifizieren, die sich zur Analyse von Lernendenvorstellungen als äußerst bedeutsam erwiesen und mit denen ein differenziertes Bild gezeich- net werden konnte, warum beispielsweise Probleme beim Vergleich zweier ganzer Zahlen mit einer Orientierung an verschiedenen Bereichen der Zahlenge- raden einhergehen. Die rekonstruierten Begriffsnetze ermöglichen eine Restruk- turierung des Gegenstandsbereiches und anschließend auch der entsprechenden Lehr-/Lernumgebungen. Die Ergebnisse von Frau Schindlers Arbeit geben be- rechtigten Anlass zur Hoffnung, dass auch für andere inhaltliche Bereiche Fo- kussierungen und Urteilsnetze rekonstruiert werden können, die eine fachliche (Re-)Strukturierung des jeweiligen Gegenstandsbereiches vereinfachen. Stephan Hußmann Danksagung Das Fertigstellen einer Arbeit wie dieser bietet die Chance, inne zu halten und zurück zu blicken auf die vergangenen Jahre, die sehr intensiv, arbeitsreich und zugleich sehr lehrreich waren. Ich danke Prof. Dr. Stephan Hußmann, der mir in dieser Zeit in der Beglei- tung meines Projektes stets zur Seite stand. Durch seine außerordentliche Fach- kompetenz und sein enormes Interesse und Engagement war er in den letzten Jahren stets ein unterstützender Begleiter. In der produktiven Zusammenarbeit mit ihm sind viele Ideen entstanden und haben sich ausgeschärft. Ich danke ihm für die vielen ausgesprochen durchdachten Denkanstöße, die stets zu einer Wei- terentwicklung meines Projektes beigetragen haben. Auch seine Tätigkeit als Forschender und Lehrender war für mich ungemein inspirierend und lehrreich. Auch hierfür danke ich ihm. Ich danke zudem Prof. Dr. Susanne Prediger, die mir mit ihrem enormen Überblickswissen und ihrem großen Interesse in den letzten Jahren sehr viele gewinnbringende Rückmeldungen und Ratschläge gegeben hat. Ich danke ihr für ihre Hilfsbereitschaft und für ihr großes Engagement im Zusammenhang mit meiner Arbeit. Darüber hinaus möchte ich mich bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern am IEEM bedanken: Für die vielen Anregungen und Impulse, die Rück- meldungen und guten Fragen, die meine Arbeit stets begleitet und sie weiter entwickelt haben. Gerade die vielschichtigen und konstruktiven Diskussionen in der Arbeitsgruppe Hußmann/Prediger und im Doktorandenseminar haben dazu beigetragen, meine Arbeit in ihren unterschiedlichen Facetten im Detail zu be- leuchten und sie hierdurch auszuschärfen. Ich bedanke mich insbesondere bei Dr. Florian Schacht, Vanessa Richter und Dr. Andrea Schink für die vielen produktiven Gespräche und die inhaltliche und freundschaftliche Unterstützung bei der Anfertigung dieser Arbeit. Daneben bedanke ich mich bei allen Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern des IEEM, die mich gerade in der Endphase mei- ner Promotion auf vielfältige Weise so gut unterstützt, mir geholfen und mich entlastet haben. Ein besonderer Dank gilt auch Lena Wolters, die mich in den letzten Jah- ren in verschiedenen Belangen der Datenanalyse ausgesprochen gewissenhaft und tatkräftig unterstützt hat. Schön, dass sie mir zur Seite stand. An dieser Stelle möchte ich mich zudem bei der an der empirischen Unter- suchung beteiligten Schule bedanken: Ein herzlichen Dankeschön gilt der Schulleitung, den beteiligten Lehrerinnen und Lehrern sowie den Schülerinnen und Schülern, die bei diesem Projekt bereitwillig und engagiert mitgemacht haben. Schließlich möchte ich mich bei meinem privaten Umfeld bedanken: Bei meinen Freunden und bei meiner Familie, die mir in den letzten Jahren zu jeder VIII Danksagung Zeit unterstützend und zugleich nachsichtig zur Seite standen. Mein Dank gilt insbesondere meinen lieben Eltern, Eva und Peter Schindler, die mich (nicht nur) in der Zeit meiner Promotion nach Kräften unterstützt haben, die mir im- mer geholfen haben, wenn ich sie brauchte, und die mir bei allen Vorhaben und Plänen stets zur Seite stehen. Auf sie kann ich immer bauen – dafür danke ich ihnen. Mein größter Dank gilt schließlich meinem Ehemann Flo – dafür, dass er mich in ruhigen wie in turbulenten Zeiten meiner Arbeit unterstützt hat, dass er stets ein großes Interesse für meine Arbeit gezeigt und mir geduldig zugehört hat. Er gibt mir unschätzbar viel Kraft, dadurch dass er immer für mich da ist und dadurch, dass er einfach so ist, wie er ist. Lieber Flo, ich danke dir. Maike Schindler Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................ 1(cid:1) Theoretischer Teil .............................................................................................. 7(cid:1) 1(cid:1) Begriffe, Urteile und die Welt – aus philosophischer Perspektive ........... 9(cid:1) 1.1(cid:1) Begriffliches im menschlichen Handeln .............................................. 11(cid:1) 1.2(cid:1) Prioritäten zwischen dem Begrifflichen und der Welt ......................... 15(cid:1) 1.3(cid:1) Implizites und Explizites ...................................................................... 17(cid:1) 1.4(cid:1) Die Welt und ihre Repräsentation ........................................................ 18(cid:1) 1.5(cid:1) Pragmatismus – Sprachpraxis als Gegenstand der Betrachtung ........... 20(cid:1) 1.6(cid:1) Das Sprachspiel und Züge darin ........................................................... 21(cid:1) 1.7(cid:1) Die Explizierung von Urteilen als Behauptungen im Sprachspiel ....... 22(cid:1) 1.8(cid:1) Verantwortlichkeit im Sprachspiel und das Geben-Können von Gründen ................................................................................................ 25(cid:1) 1.9(cid:1) Begriffliche Gehalte und die Rolle der Logik ...................................... 27(cid:1) 1.10(cid:1)Festlegungen, Berechtigungen und inferentielle Relationen in der diskursiven Praxis ................................................................................ 30(cid:1) 1.11(cid:1)Kompatibilitäten und Festlegungsstrukturen ........................................ 36(cid:1) 1.12(cid:1)Begriffe im Sinne von inferentiellen Netzen ........................................ 38(cid:1) 2(cid:1) Begriffe im Kontext des Mathematiklernens – aus (entwicklungs-) psychologischer Perspektive ...................................................................... 41(cid:1) 2.1(cid:1) Inferentielle Netze ................................................................................ 48(cid:1) 2.2(cid:1) Die Entwicklung inferentieller Netze – in lokaler Perspektive ............ 50(cid:1) 2.3(cid:1) Situationen, Klassen von Situationen und ihre Entwicklung ............... 52(cid:1) 2.3.1(cid:1) Situationen, inferentielle Netze und die Bedeutung von Fokussierungen ......................................................................... 52(cid:1) 2.3.2(cid:1) Gemeinsamkeiten von Situationen und Klassen von Situationen ................................................................................ 57(cid:1) 2.3.3(cid:1) Assimilation und Akkommodation im Zusammenhang mit individuellen Klassen von Situationen ............................... 63(cid:1) 2.4(cid:1) Inferentielle Netze, Schemata, Begriffe und ihre Entwicklung ............ 66(cid:1) 2.4.1(cid:1) Inferentielle Netze und Schemata ............................................. 66(cid:1) 2.4.2(cid:1) Das Verfügen über mathematische Begriffe ............................. 67(cid:1) 3(cid:1) Zum Begriff der negativen Zahl ................................................................ 71(cid:1) 3.1(cid:1) Negative Zahlen als Gegenstandsbereich ............................................. 71(cid:1) 3.1.1(cid:1) Wissenschaftshistorische und fachliche Perspektive auf negative Zahlen ......................................................................... 73(cid:1)