Axel Zenger Atmosphärische Ausbreitungsmodellierung Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH Axel Zenger Atmosphärische Ausbreitungsmodellierung Grundlagen und Praxis Mit 87 Abbildungen und 23 Tabellen Springer PROF. DR. RER. NAT. AXEL ZENGER Werderstraße 6a 69120 Heidelberg e-mail: [email protected] ISBN 978-3-642-63811-4 ISBN 978-3-642-58978-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-58979-9 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Zenger, Axel: Atmosphärische Ausbreitungsmodellierung: Grundlagen und Praxis / Axel Zenger. - Berlin; Heidel berg; New York; Barcelona; Budapest; Hong Kong; London; Mailand; Paris; Singapur; Tokio: Springer 1998 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. 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Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von je dermann benutzt werden dürften. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1998 SPIN: 10645674 30/3136 - 543210 Vorwort Atmospharische Ausbreitungsrechnungen und Immissionsprognosen werden heut zutage im Rahmen von Umweltvertraglichkeitspriifungen, Genehmigungsverfah ren, Risikoabschatzungen oder im :Bereich der Umweltplanung nicht mehr aus schlieBlich von Meteorologen durchgefiihrt. Viele Berufszweige wie z. B. Stadt-, Landes- oder Verkehrsplaner, Bauingenieure, Umwelt- und Verfahrensingenieure oder Architekten setzen mittlerweile vermehrt auch atmospharische Ausbrei tungsmodelle ein, um mogliche lufthygienische oder klimatische Auswirkungen ihrer Planungen schon im V orfeld abschatzen zu konnen. Hierbei ist es fUr den Anwender jedoch oft schwierig, sich das notwendige methodische und fachliche Basiswissen zur Durchfiihrung einer Immissionsprognose anzueignen. Dies ist jedoch notwendig, da es nicht ausreicht, atmospharische Ausbreitungsmodelle ,,nur bedienen" zu konnen. Der Anwender muB zur Interpretation und Bewertung der erhaltenen Resultate verstehen, wie die Modelle arbeiten bzw. wie sensitiv diese auf unterschiedliche Eingabeparameter reagieren. Fachbticher tiber Meteo rologie, Ausbreitungsmodellierung und numerische Mathematik decken diesen Bereich nur teilweise ab, da sie selten den notwendigen Praxisbezug herstellen, oft sehr theoretisch aufgebaut sind und meist ein sehr groBes V orwisse.n voraussetzen. Hier setzt das vorliegende Buch an. Es beschreibt die wesentlichen physikali schen, meteorologischen und numerischen Grundlagen der atmospharischen Aus breitungsmodellierung und zeigt anhand von Beispielen, wie eine Immissionspro gnose durchgefiihrt werden kann. Es wurde dabei bis auf die Beschreibung der numerischen Behandlung von Differenzialgleichungen im Kap. 3 bewuBt auf tiefgehende mathematische Zusammenhange verzichtet, um statt dessen den Pra xisbezug und das Verstandnis fUr die methodischen Verfahren und Schwierigkei ten zu erhohen. Zielgruppe des Buches sind Ingenieure und Wissenschaftler, die sich im Rah men ihrer Ausbildung und beruflichen Praxis mit den Aspekten der atmosphari schen Schadstoffausbreitung bei umweltrelevanten Frageste11ungen beschaftigen. Dieses Buch ist aus einer einsemestrigen Vorlesung hervorgegangen, die ich seit einigen Jahren im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen zu dem Themenbe reich Umweltschutz im Bauwesen an der Fachhochschule Mainz halte. Das Buch sol1 zum einen als Lehrbuch einen Einstieg in die Themenbereiche numerische Modellierung, Umweltmeteorologie und atmospharische Ausbreitungsmodellie rung ermoglichen, zum anderen aber auch Praktikem die Moglichkeiten und Grenzen !fer praxisorientierten Ausbreitungsmodellierung aufzeigen. VI Vorwort Diesem Buch liegen mehrere Programme bei, mit deren Hilfe komplexe Zusam menhiinge veranschaulicht werden· konnen. Zwei Programmsysteme ermoglichen dariiber hinaus die Durchfiihrung einer atmosphiirischen Ausbreitungsmodellie rung in ebenem und bebautem Geliinde. Es mu13 jedoch erwahnt werden, daB das Gau13-Fahnenmodell TA-GAUS und das prognostische Stromungs- und Ausbrei tungsmodell MISKAM Studienversionen sind, die eingeschriinkte Funktionen aufweisen und sich nicht zur Durchfiihrung von Gutachten eignen. Zur Ausfiihrung der Programme wird ein PC mit mindestens einem 80386er Prozessor, 4MB RAM, DOS 5.0 oder hOher und Windows 3.1 oder Windows 95 benotigt. Bedanken mochte ich mich an dieser Stelle bei allen, die zum Zustandekom men dieses Buches beigetragen haben. Ich danke Dr. Eichhorn, daB er die Demo version des Programmsystems MlSKAM zur Verfiigung gestellt hat und Dipl. Meteorologen A. Riihling, Dr. G. Schadler, Dr. T. Flassak und Dr. F. Finocchi fUr das inhaltliche Korrekturlesen. Ganz besonders danke ich meiner Frau fUr die Riicksichtnahme auf meinen erhOhten Arbeitsaufwand und die vielen kleinen und groBen Hilfen bei der Erstellung dieses Buches. Inhaltsverzeichnis 1 EIN"LEITUNG ............................................................................................... 1 2 DEFIN"ITIONEN UND EINHEITEN .......................................................... 5 2.1 BEGRIFFSBESTIMMUNG ............................................................................ 5 2.1.1 Emission .......................................................................................... 5 2.1.2 Immission. ........................................................................................ 6 2.1.3 Deposition und Sedimentation ......................................................... 6 2.2 V OLUMEN-UND MASSENKONZENTRATION .............................................. 6 2.3 BEURTEILUNGSGROBEN ............................................................................ 7 2.3.1 Mittelwerte ....................................................................................... 8 2.3.2 Perzentilwerte .................................................................................. 8 2.3.3 Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung ................................................ 9 2.4 GRENZ-, RICHT- UND VORSORGEWERTE ................................................ 10 3 TRANSPORT UND MIS CHUNG ............................................................. 13 3.1 PHYSIKALISCHE GRUNDLAGEN .............................................................. 15 3.1.1 Advektion ....................................................................................... 15 3.1.2 Diffusion und Turbulenz ................................................................ 16 3.2 NUMERISCHE BEHANDLUNG .................................................................. 27 3.2.1 Finite DiJferenzen-Approximationen ............................................. 27 3.2.2 Diskretisierungsfehler ................................................................... 29 3.2.3 Diskretisierungsgitter .................................................................... 30 3.2.4 FD-Approximation der Advektionsgleichung ................................ 31 3.2.5 FD-Approximation der Diffosionsgleichung ................................. 34 3.2.6 FD-Approximation der Advektions-Diffusionsgleichung .............. 35 3.2.7 Stabilitiit der Finiten Differenzenverfahren. .................................. 37 3.2.8 Numerische Diffusion .................................................................... 40 3.2.9 Moglichkeiten zur Minimierung der numerischen Diffusion ......... 42 3.3 TEILCHENSIMULATIONSMODELLE .......................................................... 45 4 METEOROLOGISCHE EIN"FLU8GR08EN .......................................... 49 4.1 WINDRICHTUNG ..................................................................................... 49 4.1.1 Regionale Variabilitiit der Windrichtung ...................................... 51 4.1.2 Moglichkeit zur Obertragung benachbarter Windrosen ................ 53 4.1.3 Hohenabhiingigkeit der Windrichtung .......................................... 53 VITI Inhaltsverzeichnis 4.2 WINDGESCHWINDIGKEIT ........................................................................ 55 4.2.1 Hohenabhiingigkeit der Windgeschwindigkeit .............................. 57 4.2.2 Standort eines Windgebers ............................................................ 59 4.3 'fURBULENZ ........................................................................................... 60 4.3.1 Isotropie ........................................................................................ 61 4.4 STA BILITAT DER ATMOSPHARE .............................................................. 62 4.4.1 Statische Stabilitiit ......................................................................... 62 4.4.2 Dynamische Stabilitiit .................................................................... 67 4.4.3 Ausbreitungsklassen ...................................................................... 69 4.4.4 Unterschiede verschiedener Einteilungsschemata ........................ 71 4.4.5 Stabilitiit und Ausbreitung ............................................................. 72 4.5 PRAXISORIENTIERTE WIND-UND AUSBREITUNGSSTATISTIK .................. 73 4.5.1 TA-Luft-Format ............................................................................. 74 4.5.2 DWD-(altes)-Format ..................................................................... 75 4.5.3 Austal-Format ............................................................................... 75 4.5.4 Visualisierung von Wind- und Ausbreitungsklassenstatistiken. ..... 76 4.5.5 Ubertragung von Ausbreitungsklassenstatistiken .......................... 79 4.6 HORE DER MISCHUNGSSCHICHT ..................•.......................................... 82 5 GAU8-FAHNENMODELLE ..................................................................... 83 5.1 GRUNDLAGEN ........................................................................................ 84 5.1.1 Gauj3-Puff-Modelle ........................................................................ 84 5.1.2 Gauj3-Fahnenmodelle .................................................................... 85 5.2 ANNAHMEN DES GAUB-F AHNENMODELLS ............................................. 88 5.2.1 Zeitliche Konstanz der Sigma-Parameter ...................................... 88 5.2.2 Riiumliche Variation der Sigma-Parameter .................................. 88 5.2.3 Riiumliche Konstanz des Windleldes ............................................ 89 5.2.4 Vernachliissigte Diffosion in Ausbreitungsrichtung ...................... 89 5.2.5 Mittelungszeiten. ............................................................................ 90 5.3 SIGMA-WERTE ....................................................................................... 90 5.3.1 Parametrisierung. .......................................................................... 91 5.3.2 Abhiingigkeit von der aerodynamischen Rauhigkeit ..................... 92 5.3.3 Repriisentativitiit der Sigma-Parameter ........................................ 93 5.4 ANwENDUNGSVORAUSSETZUNGEN ........................................................ 94 5.5 TA-LUFT KONFORMES GAUB-FA HNENMODELL. ..................................... 94 5.5.1 Sigma-Werte .................................................................................. 95 5.5.2 Mittlere Windgeschwindigkeit ....................................................... 96 5.5.3 Effektive Quellhohe ....................................................................... 96 5.5.4 Analyse ausgewiihlter Ausbreitungsbedingungen ......................... 97 5.5.5 Berechnung von Jahresmittel- und Perzentilwerten ...................... 98 5.6 GAUB-MoDELL NACH TA-LUFT (1986) ............................................... 100 5.7 BERUCKSICHTIGUNG EINER GERING AUSGEPRAGTEN TOPOGRAPHIE ... 105 5.8 GAUB-MoDELL NACH VDI 37821 BLATT 1 .......................................... 106 5.9 GENAUIGKEIT VON GAUB-F AHNENMODELLEN ..................................... 107 Inhaltsverzeichnis IX 6 GEKOPPELTE WINDFELD-AUSBREITUNGSMODELLE. ............. lll 6.1 WINDFELDMODELLE ............................................................................ 112 6.1.1 Diagnostische Slromungsmodelle ................................................ 112 6.1.2 Prognostische SlrOmungsmodelle ................................................ 117 6.1.3 Vertikale Bewegungsgleichung ................................................... 119 6.2 'fuRBULENZSCHLIEBUNG ...................................................................... 121 6.2.1 . Schlieftung erster Ordnung. .................................................. ;. ..... 122 6.2.2 Schlieftung hoherer Ordnung ...................................................... 123 6.3 BESTIMMUNG DER AUST AUSCHKOEFFIZIENTEN ................................... 123 6.4 EINGANGSGROBEN DER LAGRANGE-MODELLE ..................................... 125 6.5 GENAUIGKEIT VON GEKOPPELTEN WIND-UND AUSBRElTUNGSMODELLEN ................................................................... 125 6.5.1 Standards ituation in ebenem Geliinde ......................................... 126 6.5.2 Topographisch moderat gegliedertes Geliinde ............................ 126 6.5.3 Bebautes Geliinde ........................................................................ 127 7 MISKAM -BEISPIEL EINES PROGNOSTISCHEN AUSBREITUNGSMODELLS .................................................................. 129 7.1 VORBEMERKUNG ................................................................................. 129 7.2 PHYSIKALISCHE UND NUMERISCHE GRUNDLAGEN ............................... 130 7.2.1 Bewegungsgleichungen ............................................................... 130 7.2.2 Austauschkoeffizienten ................................................................ 131 7.2.3 Ausbreitungsmodell ..................................................................... 131 7.2.4 Sedimentation und Deposition ..................................................... 131 7.3 KENNGROBEN ....................................................................................... 132 7.4 BEDIENUNGVONMISKAM ................................................................. 132 7.4.1 Aujbau der Eingabedateien fur MISKAM ................................... 133 7.4.2 Durchfii.hrung der Rechnung und Ergebnisausgabe ................... 138 7.4.3 Steuer-, Eingabe-und Ergebnisdateien ....................................... 143 7.4.4 Groftere Rechengebiete und geschachtelte Gitter ....................... 144 7.4.5 Berechnung statistischer Kenngroften ......................................... 146 8 ANHANG ................................................................................................... 147 8.1 lNSTA LLAT ION DER DEMONSTRATIONSSOFTWA RE ............................... 147 8.2 START DER DEMONSTRATIONSPROGRAMME ........................................ 149 8.3 START VON MISKAM. ......................................................................... 149 9 LITERATUR ....... ;. .................................................................................... 151 1 Einleitung "Sobald ich die schwere Luft von Rom verlassen hatte und den Gestank der qual menden Kamine, die bei Betrieb alle moglichen Dampfe und RuB ausstiefien, ver spfute ich einen angenehmen Wandel meines Befmdens". Diese Aussage von Pli nius dem Alteren (zitiert in Stem et aI., 1984) stammt aus dem Jahr 61 n.ehr. und zeigt, daB luftgetragene Schadstoffe schon vor nahezu zwei Jahrtausenden zu einer Belastung der Umwelt und des menschlichen Befindens fiihrten. Mit zunehmen dem Verbrauch fossiler Energietrager hauften sich ab Mitte unseres Jahrtausends die Beschwerden tiber eine zunehmende anthropogene Luftbelastung. Der Brite J. Evelyn auBerte sich z.B. 1664 tiber Kohlefeuerungen in Haushalten und Manu fakturen: ,,Dieser schreckliche Rauch schwiirzt unsere Kirchen, ruiniert unsere Kleider, verdirbt das Wasser und selbst mit dem Regen fallt dieser Schmutz herab, der schwarz und klebrig alles verschmutzt und verunreinigt" (zitiert in Miersch, 1994). Dennoch wurden rauchende Schomsteine noch bis ins spate 19. Jahrhundert meist nur als Inbegriff des technischen Fortschritts und damit als positive Errun genschaft betrachtet. Das Wachstum der Stadte, die Auswirkungen industrieller und technischer Neuerungen und der exponentiell zunehmende Primarenergieverbrauch verscharf ten die Umweltproblematik zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Unverbrannte Kohlenwasserstoffe und Stickoxide aus Autoabgasen fiihrten z.B. schon in den 40er Jahren in Los Angeles zu Phasen mit Sommer-bzw. Photo smog. In den euro paischen Zentren des Kohleverbrauches kam es fiber Jahre hinweg imtner wieder zu Episoden des beruchtigten, sogenannten London-Smogs, der auf einer Anrei cherung von Schwefeldioxid und Schwebstaub wahrend austauscharmer Wetterla gen beruht. 1m Dezember des Jahres 1952 trat eine der gravierendsten Smogperi oden auf. Innerhalb von nur 4 Tagen verzeichnete man in London durch die hohe Luftbelastung nahezu 4000 zusatzliche Todesfalle aufgrund von Lungen- und Herzerkrankungen. Die stetig zunehmende Luftbelastung in den meisten Ballungs-und Industriege bieten und die wachsende Sensibilisierung der Bevolkerung fiihrten Mitte dieses Jahrhunderts zur Einleitung einer Umweltpolitik und der Verabschiedung von Gesetzen zur Luftreinhaltung. In Deutschland trat die erste Fassung der allgemei nen Verwaltungsvorschrift Technischen AnIeitung Luft im J ahr 1964 in Kraft, das Bundesimmissonsschutzgesetz wurde 1974 verabschiedet. 1983 erfolgte eine teil weise NoveIIierung der TA-Luft, die 1986 mit zusatzlichen Anforderungen ver vollstandigt wurde. Mittlerweile mtissen bei der Planung von emissionsrelevanten Industrie- und Energieversorgungsanlagen, aber auch der Projektierung von BundesautobaImen, A. Zenger, Atmosphärische Ausbreitungsmodellierung © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1998