Uwe H. Bittlingmayer Askese in der Erlebnisgesellschaft? Uwe H. Bittlingmayer Askese in der Erlebnisgesellschaft? Eine kultursoziologische Untersuchung zum Konzept der "nachhaltigen Entwicklung" am Beispiel des Car-Sharing Westdeutscher Verlag Die Deutsche Hibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fur diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhaltlich 1. Auflage August 2000 Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000 Lektorat: Dr. Tatjana Rollnik-Manke Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsverlagsgruppe BertelsmannSpringer. Das Werk einschlie61ich aller semer Tcile ist urheberrcchtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Obersetzun gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.westdeutschervlg.de Hochste inhaltliche und technische Qualitat unserer Produkte ist unser Zie!. Bei der Produktion und Verbreitung unserer Bucher wollen wir die Umwelt schonen. Dieses Buch ist auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiB folie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt ISBN 978-3-531-13510-6 ISBN 978-3-322-92496-4 (eBook) ISBN 10.1007/978-3-322-92496-4 Fur Bettina Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................................... 9 Einleitung ..................................................................................................... 11 1. 'Nachhaltige Entwicklung': Zur Karriere eines Schlagworts .......... 15 2. Operationalisierungsversuche: Nachhaltigkeitsstrategien im Vergleich ............................................................................................ 25 2.1 Nachhaltigkeit durch Produktivitatssteigerung: Die Effizienzstrategie .................................................................. 26 2.2 Nachhaltigkeit durch Stoffstrommanagement: Die Konsistenzstrategie ............................................................... 30 2.3 Nachhaltigkeit durch "kluge Selbstbeschrankung": Die Suffizienzstrategie ................................................................ 33 3. Nachhaltige Mobilitat ........................................................................ 45 3.1 Abschied vom Automobil? .......................................................... 51 3.2 Determinanten der Verkehrsmittelwahl ........................................ 56 E'xkurs: Mobilittitsleitbilder und Verkehrsverhalten ..................... 64 3.3 "Nutzen statt Besitzen": Die Idee des Car-Sharing ....................... 66 4. Suffizicnz als Alltagspraxis: Handlungstheoretische Konzepte ........ 73 4. I Yom Nutzen des Verzichts: Rational-Choice-Theorien ................. 73 4.1.1 Suffizienzals 'geplantes Verhalten' .................................... 76 4.1.2 Ocr Homo Okonomicus und die Kosten dcr Selbstbeschrankung ....................................................... 79 4.2 Alltagspraxis jenseits bewuBter Profitmaximierung ...................... 82 Exkurs: A16glichkeitsrtiume und suffizientes Verhalten nach der ipsativen Handlungstheorie ........................................... 83 4.2.1 Habitus als 'System von Grenzen': opus operatum .............. 86 4.2.2 Habitus als Erzeugungssystem: modus operandi .................. 90 4.2.3 Habitus und sozialer Raurn .................................................. 96 4.3 Zwischcnbetrachtung ................................................................. 106 5. Geschmack, Klassenhabitus und suffiziente Lebensstile ................ 109 8 lnhaltsverzeichnis 6. Verzicht in einer Kultur des Genusses? Gerhard Schulzes Konzept der 'Erlebnisgesellschaft' .................... 121 7. Suff'lZienz und Distinktion: Schulze und Bourdieu im Dialog ........ 135 SchluO: Askese in der Erlebnisgesellschaft? .............................................. 147 Literatur ..................................................................................................... 155 Vorwort Die hier vorgelegte Untersuchung basiert auf einer im September 1998 einge reichten Magisterarbeit, die zurn Zwecke der Publikation leicht uberarbeitet und aktualisiert wurde. Die zugrundeliegende Idee der Arbeit war eine Kritik der haufig populiirwissensehaftlich gemhrten Debatte urn das Konzept einer "naeh haltigen Entwieklung", insbesondere um den sog. Suffizienz- oder Verzichtsan satz, aus der Perspektive der Kultursoziologie Pierre Bourdieus. Dabei galt es einerseits, den kaum noch iiberschaubaren Diskurs um eine "nachha1tige Ent wicklung" in Hinblick auf die vorgesehene kultursoziologische Bearbeitung handhabbar zu machen, andererseits meine spezifische Lesart Bourdieus, die sich zum Teil vom Mainstream der deutschen Rezeption unterscheidet, zu do kumentieren und sehlieBlich die Ubertragbarkeit der Bourdieuschen Befunde auf 'bundesdeutsche Verhaltnisse' sicherzustellen. Ein solches Anliegen setzt sich sozusagen freiwillig einer Reihe von Gefahren aus, was die Aktualitat der gewonnenen Erkenntnisse betrifft. Eine geanderte (Umwelt-)Gesetzgebung in folge eines politischen Machtweehsels konnte bspw. eine enorme Verkiirzung der Halbwertzeit der theoretischen Erkenntnisse mit sieh bringen. Die Entsehei dung zur Publikation ist allerdings mit der Hoffnung verbunden, daB sich in ihr Einsichten befinden, die tiber eine Legislaturperiode hinausreichen. Bei der Erstellung der Arbeit bin ich so umfangreich unterstutzt worden, daB der Platz nicht hinreicht, allen namentlich zu danken, die mir geholfen ha ben. Sehr herzlich bedanken mochte ieh mich bei Prof. Eickelpasch mr die au Bergewohnliche Betreuung und bei den Mitgliedem des von ilun geleiteten For schungskolloquiums "Gesellschaftstheorie und Zeitdiagnose". Dr. Klaus Krae mer und Dr. Claudia Rademacher haben durch ihre Anregungen und 'sanften Notigungen' zum Gelingen der Arbeit entseheidend beigetragen. Besonders be danken moehte ich mieh bei Ullrich Bauer, der nieht nur diese Arbeit, sondem mein ganzes Studium mit konstruktiven Ideen, Geduld und tiefer Freundsehaft begleitet hat. Ebenfalls moehte ieh meinen Eltem und meinem Bruder Urs Bitt lingmayer fur ihre langjahrige und umfassende Unterstiitzung sowie Lars Hei nemann, Raphael Beer und Dirk DierBen, die auf ganz unterschiedliche Weise zu meinem soziologischen Verstandnis beigetragen haben und bis heute beitra gen, danken. Widmen mochte ich das Buch Bettina Suthues, die mir mit ihrer Zuneigung und Spontaneitat nieht nur dann zur Seite stand, wenn die Sinnhaf tigkeit des Un terfangens verschwamm. Uwe H. Bittlingmayer Munster, im April 2000 "Das ganze Ungliick der Menschheit ruht da her, daB sie nicht still in einem Zimmer sitzen konnen." Blaise Pascal Einleitung Der Zweifel am Treibhauseffekt ist ebenso geschwunden wie das Ozon in der Stratosphare, das die flir Menschen krebserregende UV-Strahlung abhaIt. Ver wiistung, nurre, Abnahrne der Biodiversitiit, Obemutzung der natiirlichen Sen ken, Oberschwemmungen - so oder ahnlich lauten die Meldungen, die taglich iiber den Ather fluten und das 'Ende der Natur' (Bill McKibben) ankiindigen. Trotz der massenmedial verbreiteten Katastrophenszenarien bat die Ausein andersctzung mit den okologischen Gefahrdungslagen in der OfIentlichkeit in den letzten Jahren viel an Aufmerksamkeit eingebiiBt. Die Angst vor dem oko logischen Kollaps wird - so scheint es - von der Angst urn den Verlust des Ar beitsplatzes tibertroffen. (Vgl. BMU 1998; Preisendorfer 1999: Kap.2) Die da mit verbundenen okonomischen und psychischen Probleme stehen im Vorder grund des Bewu.6tscins der sozialen Akteure. Dartiber hinaus scheinen die Pro zesse dcr Internationalisierung, die unter dem Label Globalisierung firmieren, den Handlungsspielraurn von Nationalstaaten durch 'Sachzwange' so einzu grenzen, da6 die Moglichkeit eines umfassenden 6kologischen Umbaus moder ncr Gcsellschaften zunehmend als schlechte Utopie erscheinl. Obwohl die Diagnose, da6 die gegenwartige Menschheit - allen voran die westlichen Industrienationen - die okologische Tragekapazitat der Erde iiber schreitet, wcltweit auf grofie Zustimmung stofit, verhallen die Warnungen der Naturwissenschaftler. (Vgl. etwa Hennicke 1998) Dieses MifiverhaItnis verweist auf ein grundsatzliches Dilemma im wisscnschaftlichen Umgang mit der okolo gischcn Frage~tcllung. Das Problem einer Verrnittlung zwischen naturwissen schaftlichem Expertenwissen und Alltagswissen erzwingt deshalb zunehmend die Aufmerksamkeit soziologischer Beohachter: Unter der Agide der Naturwis senschaftler laBt sich zwar einwandfrei der Nachweis eines globalen Tempera turanstiegs erhringen, flir den AI/tag der sozialen Akteure baben diese Erkennt nisse aber kaum Relevanz. An diesem Dilemma setzt die vorliegende Untersu- 12 Einleitung chung an. Erklarungsbedurftig ist, warum mit der Einsicht in den okologischen GeJahrdungszusammenhang keine radikale Veranderung der individuellen All tagsorganisation einhergeht. Empirisch gesichert ist dennoch, dafi das Wissen tiber okologische Gefahr dungslagen in der offentlichen Diskussion in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Seine breitenwirksame Steigerung ist u.a. darauf zurUckzufiihren, daB die Diskussion der okologischen Problematik seit etwa einem Jahrzehnt in der Auseinandersetzung urn das Konzept einer .. nachhaltigen Entwicklung" ge btindelt wird.) Mit Hilfe dieses Konzepts soli versucht werden, aus den natur wissenschaftlichen Erkenntnissen konkretere Konzepfualisierungen fur gesell schaftliche Institutionen, das politische System und schlieBlich fur soziale Ak teure zu ermitteln. Den noch immer umfassendsten Versuch einer Konkretisierung des Kon zepts einer "nachhaltigen Entwicklung" sowie einer Bearbeitung der okologi schen Frage innerhalb der Bundesrepublik Deutschland liefert die bereits 1996 erschienene umfangreiche Studie 'Zukunftsfahiges Deutschland'. (Vgl. BUNDI Misereor 1996) Diese Studie bildet den Ausgangspunkt meiner Auseinanderset zung mit dem Konzept der "nachhaltigen Entwicklung". 1m Vordergrund der Analyse steht dabei die Frage nach der Reichweite des sogenannten SujJizienz oder Verzichtsansatzes als einem zentralen Baustein des Nachhaltigkeitskon zepts. (Vgl. auch UBA 1997; Hennicke 1998) Dabei soli der Aspekt genauer vcrfolgt werden, inwieweit sich die Forderung nach individuellen Verzichtslei stungen. die mit dem Nachhaltigkeitskonzept verbunden sind, aus einer soziolo gischen Perspektive als tragfahig und urnsetzbar erweist. Fiir die historische Einordnung und Beurteilung des Konzepts einer "nach haltigen Entwicklung" werde ich in einem ersten Kapitel zunachst einen kurzen Uberblick tiber die Vorlauferdebatten geben, die die Grundlage fUr das Konzept einer "nachhaltigen Entwicklung" bildeten, urn im AnschluB daran das Nach haltigkeitskonzept selbst detaillierter zu diskutieren. Das Kapitel zwei setzt sich genauer mit den Operationalisierungs- und Konkretisierungsversuchen einer "nachhaltigen Entwicklung" mit dem Ziel auseinander, die zentrale Bedeutung des Suffizienz- bzw. Verzichtsansatzes fUr die Umsetzung des Nachhaltigkeits konzepts aufzuzeigen. So stellt denn auch nachhaltige Entwicklung rur die Soziologen Ulrich Beck. Anthony Giddens und Scott Lash eine von drei entscheidenden Konfliktsemantiken fur moderne Industriegesell schaften des beginnenden 21. Jahrhundcrts dar. (Vgl. Beck et a!. 1995: 7-8; vgl. auch Brand 1997) Einleitung 13 Die in Kapitel I und 2 gewonnenen Einsichten werden in Kapitei 3 am Bei spiel des Verkehrsbereiches exemplifiziert. Gerade im Bereich Verkehr - der Urnweltprobleme 'ersten Ranges' induziert und alle Versuche der Bundesregie rungen, ihre internationalen Zusagen zur Emissionsreduktion einzuhalten, zu torpedieren scheint - Hillt sich die Diskrepanz zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und alltagsweltlicher Urnsetzung verdeutlichen. Den besonderen Fokus meiner Untersuchung bilden die Mitglieder von Car-Sharing-Organisa tionen. Car-Sharer stellen eine Gruppe von sozialen Akteuren dar, die den For derungen ciner "nachhaltigen Entwicklung", insbesondere den Forderungen ei ner nachhaltigen Mobilitat, am ehesten entsprechen. Was Verzichtshandlungen fur die sozialen Akteure bedeuten, liillt sich nur irn Kontext einer allgemeinen Handlungstheorie (Kap. 4) erortern. Hierbei zeigt sich, daB die innerhalb der Umweltsoziologie dorninante Handlungstheorie der rationalen Wahl nicht in der Lage ist, suffiziente Alltagspraktiken angemessen zu erklaren. Das komplexe Phanornen von Verzichtsverhalten in spatindustriel len Gesellschaften erfordert eine Handlungstheorie, deren Abstraktionsniveau fur den sensiblen Bereich kultureller Praktiken theoretisch tiber Nutzenmaxi rnierung bzw. Kostenminimierung hinausgelangt. Die Perspektive auf einzelne soziale Akteure mufi in einern sich anschlieBenden Schritt aus der Subjektzen trierung wieder herausgefuhrt werden, urn die akteursspezifischen Priiferenzen sozialstrukturell einzubetten. Die Habitus- und Klassentheorie Pierre Bourdieus liefert fur die doppeJte Fragestellung einer Handlungstheorie jenseits von Pro fitrnaximierung und diesseits einer sozialstrukturellen Erkla.nmg von gruppen und klassenspezifischen Verhaltensweisen die fur diese Arbeit entscheidenden theoretischen Instrurnente. Weil der theoretische Rekurs auf Bourdieu den grundlegenden Argurnentationsgang der Untersuchung absichert, wird diesern ausfuhrlich Raurn gewidrnet. In Kapitel;5 und Kapitel6 bilden die kultursoziologischen Studien von Pier re Bourdieu und Gerhard Schulze den empirischen Hintergrund fur die Benen nung von Gruppen, bei welchen sich suffiziente Verhaltensweisen feststellen lassen. Weitgehend unberiicksichtigt bleiben die inzwischen zahlreichen urn weltsoziologischen crnpirischen Studien, die sich in Typologisierungen der bun desdeutschen Bevolkerung erschOpfen und zu deskriptiven Unterscheidungen bspw. zwischen "Umweltignoranten" und "Urnweltrhetorikern" gelangen. Zurn einen, weil es mir urn eine immanente Kritik des Verzichtsansatzes im Konzept der "nachhaltigen Entwicklung" gebt, zurn anderen, weil diese Studien in aller Regel keine hinreichende theoretische Vorstellung von den syrnbolischen Karnpfen urn Anerkennung irn Alltag entwickeln.