Arthur Ewert (1890-1959) Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Kommunisten auf drei Kontinenten Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie (Dr. phil.) vorgelegt an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam von Ronald Friedmann Potsdam 2015 Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Lizenzvertrag lizenziert: Namensnennung – Keine kommerzielle Nutzung – Keine Bearbeitung 4.0 International Um die Bedingungen der Lizenz einzusehen, folgen Sie bitte dem Hyperlink: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Online veröffentlicht auf dem Publikationsserver der Universität Potsdam: URL http://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/index/index/docId/7302 URN urn:nbn:de:kobv:517-opus4-73024 http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus4-73024 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung ........................................................................................................................................ 5 Kapitel 1: Kindheit und Jugend.................................................................................................. 20 Kapitel 2: In Kanada und den USA ........................................................................................... 27 Kapitel 3: Zurück in Deutschland.............................................................................................. 37 Kapitel 4: Das Jahr 1923 ............................................................................................................. 53 Kapitel 5: Der Triumph der Ultralinken ................................................................................... 71 Kapitel 6: Das »leninistische« Zentralkomitee.......................................................................... 84 Kapitel 7: In der Führung der Partei ......................................................................................... 99 Kapitel 8: In internationaler Mission ....................................................................................... 120 Norwegen ................................................................................................................................ 120 Großbritannien ....................................................................................................................... 123 USA .......................................................................................................................................... 133 Kapitel 9: Im Sächsischen Landtag .......................................................................................... 145 Kapitel 10: Kehrtwende nach ultralinks .................................................................................. 157 Kapitel 11: Der VI. Weltkongreß ............................................................................................. 168 Kapitel 12: Die Wittorf-Affäre ................................................................................................. 180 Kapitel 13: Das Ende der »Versöhnler« .................................................................................. 198 Kapitel 14: Der Paragraph 175 – ein Exkurs.......................................................................... 213 Kapitel 15: Die letzten Monate in Deutschland ..................................................................... 220 Kapitel 16: Jan Valtin – ein Exkurs ......................................................................................... 226 Kapitel 17: Für die Komintern in Südamerika ....................................................................... 232 Kapitel 18: Der »Ritter der Hoffnung« ................................................................................... 252 Kapitel 19: Zwischenspiel in China ......................................................................................... 274 Kapitel 20: Roger Hollis – ein Exkurs..................................................................................... 302 Kapitel 21: Zurück nach Südamerika ...................................................................................... 310 Kapitel 22: Schauplatz Brasilien ............................................................................................... 324 Kapitel 23: Das Jahr 1935 ......................................................................................................... 335 Kapitel 24: In der Gewalt des Vargas-Regimes ...................................................................... 360 Kapitel 25: Moskau 1937 – ein Exkurs ................................................................................... 374 Kapitel 26: Der Verteidiger ....................................................................................................... 379 Kapitel 27: Die treueste aller Schwestern ............................................................................... 391 Kapitel 28: Sabo ......................................................................................................................... 407 Kapitel 29: Befreiung ................................................................................................................. 425 Kapitel 30: Die letzten Jahre ..................................................................................................... 433 4 Editorische Hinweise ................................................................................................................ 441 Biographische Daten ................................................................................................................. 442 Decknamen und Pseudonyme ................................................................................................. 450 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................. 454 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................................................... 456 1. Archive ............................................................................................................................... 456 2. Offizielle Dokumente der Komintern und ihrer Sektionen ........................................ 457 3. Gedruckte Quellen und Quellensammlungen, Einzeldokumente .............................. 458 4. Quellensammlungen im Internet .................................................................................... 460 5. Monographien und Sammelbände, auch Erinnerungsliteratur ................................... 460 6. Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern ........................................ 460 7. Zeitungen und Zeitschriften ............................................................................................ 475 8. Filme und Videos .............................................................................................................. 475 Personenverzeichnis .................................................................................................................. 476 5 Einleitung »Werdet Ihr alle nicht besonders gefügigen, aber klugen Leute wegjagen und Euch nur die gehorsa- men Dummköpfe lassen, so werdet Ihr die Partei bestimmt zugrunde richten.« (Lenin an Bucharin und Sinowjew)1 Das Leben des deutschen Kommunisten und Internationalisten Arthur Ewert (1890- 1959) war selbst nach den Maßstäben des »Zeitalters der Extreme«, wie der britische Historiker Eric Hobsbawm das 20. Jahrhundert nannte, außergewöhnlich.2 Arthur Ewert gehörte – um eine Überlegung von Antonio Gramsci in den »Gefäng- nisheften« aufzugreifen – zu jener Gruppe von »organischen Intellektuellen«, die der Arbeiterbewegung entstammten und als Teil dieser Bewegung fähig und in der Lage waren, deren Ziele und Interessen zu artikulieren und eine Führungsrolle, also eine »organisierende Funktion«, zu übernehmen, um diese Ziele und Interessen zum Ge- genstand praktischen politischen Handelns zu machen.3 Geboren und aufgewachsen als Sohn eines Kleinbauern in der tiefsten ostpreußischen Provinz, fehlte Arthur Ewert jeder bildungsbürgerliche Hintergrund. Doch er erwarb sich im Verlaufe seines Lebens durch harte Arbeit – im Selbststudium – eine umfas- sende Bildung, die ihn deutlich von anderen Funktionären der kommunistischen Be- wegung, so zum Beispiel Ernst Thälmann, unterschied. Und anders als eine Ruth Fi- scher, die ihre kleinbürgerliche Herkunft niemals überwinden konnte und regelmäßig durch ein betont »populistisches Auftreten«4 zu kompensieren versuchte, benötigte Arthur Ewert keinen »proletarischen Habitus«, um seine Verbundenheit mit der Klas- se, der er diente, oder richtiger: der zu dienen er überzeugt war, unter Beweis zu stel- len. Durch seine Welterfahrenheit und seine Sprachkenntnisse, Ergebnis eines fast fünf- jährigen Aufenthaltes in Kanada und den USA zwischen 1914 und 1919, besaß Arthur Ewert bereits in den frühen zwanziger Jahren ein sehr eigenes Profil als Funk- tionär der kommunistischen Bewegung. Denn er war nicht nur bereit und in der Lage, 1 In seinem Schlußwort auf dem VI. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im Sommer 1928, seinem letzten Auftreten als Vorsitzender der Komintern, stellte Nikolai Bucharin fest: »Diszi- plin ist unser höchstes Gebot. Ich möchte aber, Genossen, einen unveröffentlichten Brief des Ge- nossen Lenin erwähnen, den er an mich und Sinowjew richtete. Genosse Lenin schrieb uns: ›Werdet Ihr alle nicht besonders gefügigen, aber klugen Leute wegjagen und Euch nur die gehorsamen Dummköpfe lassen, so werdet Ihr die Partei bestimmt zugrunde richten.‹ Ich glaube, daß die Auf- fassung des Genossen Lenin durchaus richtig ist. Wir brauchen eine starke Hand in den führenden Organen unserer Partei, eine Hand, die nicht davor zurückschrecken wird, jeden ›Streikbrecher‹ aus unserer Bewegung herauszuwerfen. Gleichzeitig brauchen wir aber in den führenden Parteiorganen Leute - und wir hoffen, daß wir solche Leute haben -, die, durchaus unter Wahrung des notwendigen Taktes, für jedes ›aufgeweckte‹ Mitglied der Partei kämpfen werden, um es zur richtigen Linie der Partei und der Kommunistischen Internationale zurückzubringen.« Schlußwort des Genossen Bucharin, in: Protokoll. VI. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale. Moskau, 17. Juli - 1. September 1928, Hamburg und Berlin 1928 (Reprint Milano 1967), Erster Band, S. 552 f. 2 Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München und Wien 1995. 3 Vgl. dazu: Antonio Gramsci, Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, Band 7 (Heft 12-15), Ham- burg 1996, S. 1500 ff. 4 Mario Keßler, Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895-1961), Köln 2013, S. 239. 6 vielfältige Aufgaben und Funktionen in der Kommunistischen Partei Deutschlands zu übernehmen. Er brachte – wie nur wenige andere Vertreter seiner Partei – einzigartige Voraussetzungen mit, um im Auftrag der Kommunistischen Internationale auch in anderen »Sektionen« der »Weltpartei« tätig zu werden. Doch was Arthur Ewert vor allem von der Mehrzahl der Funktionäre der kommuni- stischen Bewegung seiner Zeit unterschied, waren sein Wille und seine intellektuelle Fähigkeit, einen eigenen schöpferischen Beitrag zur Entwicklung der politischen Pra- xis der KPD und der Komintern zu leisten. Trotz unbestreitbarer Fehler und Irrtü- mer war er dabei stets bemüht, den Blick für die gesellschaftlichen Realitäten seiner Zeit zu bewahren. Phrasendrescherei und linker Verbalradikalismus waren ihm fremd. Daß er mit diesem Verständnis von kommunistischer Parteipolitik zwangsläufig in einen unauflöslichen Konflikt mit dem Führungsanspruch einer mächtigen und machtversessenen Gruppe, auf der Ebene der Komintern und der KPdSU (B) reprä- sentiert durch Josef Stalin, auf der Ebene der KPD repräsentiert durch Ernst Thäl- mann, geraten mußte und daß er sich diesem Konflikt – nach einem mehrjährigen erfolglosen Kampf – nur durch eine vollständige Unterwerfung und das öffentliche Eingeständnis einer vernichtenden politischen Niederlage entziehen konnte, gehört zur großen Tragik seines Lebens. Doch für Arthur Ewert war – Ergebnis und Konsequenz seines gesamten selbstge- wählten Lebensweges – ein Leben außerhalb der von »Moskau« geführten kommuni- stischen Bewegung undenkbar. Arthur Ewert war im Frühjahr 1906, mit gerade 15 Jahren, nach Berlin gekommen, um bei seinem Onkel eine Sattlerlehre zu absolvieren. Unter dem unmittelbaren Einfluß von Frida Rubiner wurde er bereits als junger Mann Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, auf deren linkem Flü- gel er zunächst seine politische Heimat fand. Im Alter von 23 Jahren, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges, verließ er Deutsch- land, um gemeinsam mit Elise Saborowski, seiner langjährigen Lebensgefährtin und späteren Ehefrau, nach Nordamerika zu gehen. Auch dort schloß er sich sofort der linken sozialistischen Bewegung an. Mit gerade 28 Jahren war er einer der maßgebli- chen Protagonisten bei der Formierung der ersten Kommunistischen Partei Kanadas. Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Sommer 1919 wurde Arthur Ewert Mitglied der wenige Monate zuvor von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands. Er gehörte zu jenen zahlreichen Kommunisten, die – ungeachtet der zunächst sektie- rerischen Haltung ihrer Parteiführung – während des Kapp-Putsches 1920 sofort dem Aufruf zum Generalstreik folgten, um die Weimarer Republik zu retten. Im April 1921, wenige Wochen nach der gescheiterten »Märzaktion«, wurde Arthur Ewert im mitteldeutschen Raum verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Sein Prozeß vor dem Reichsgericht in Leipzig endete nach sechsmonatiger Untersuchungshaft – nicht nur zur Überraschung des Angeklagten – mit einem Frei- spruch aus Mangel an Beweisen. Auf dem Leipziger Parteitag Anfang 1923 rückte er als neugewähltes Mitglied der zwanzigköpfigen Zentrale in den engeren Führungszirkel der KPD auf. Bis Ende 7 1928 gehörte Arthur Ewert nun – mit einer Unterbrechung zwischen April 1924 und August 1925 – zu den wichtigsten und einflußreichsten Funktionären der KPD. Im Konflikt zwischen Parteilinken und Parteirechten suchte er ab dem Frühjahr 1923 mit Gleichgesinnten aktiv nach einem tragfähigen Kompromiß, um die auseinander- strebenden Flügel der Partei nicht nur auf ein gemeinsames (strategisches) Ziel, son- dern auch auf ein gemeinsames (taktisches) Handeln zu verpflichten. Nach der gescheiterten »Deutschen Oktoberrevolution« im Herbst 1923 kämpfte er gemeinsam mit Ernst Meyer, Hugo Eberlein, Wilhelm Pieck und anderen um das Überleben der KPD, doch gelang es nicht, den Sieg der Linken und Ultralinken im parteiinternen Machtkampf zu verhindern. Ruth Fischer, die nach dem Frankfurter Parteitag 1924 gemeinsam mit Arkadi Maslow an der Spitze der KPD stand, nutzte ihren neu gewonnenen Einfluß, um alle tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gegenspieler, unter ihnen selbstverständ- lich Arthur Ewert, politisch kaltzustellen. In der Folge war Arthur Ewert für mehr als ein Jahr von allen wichtigen Entwicklungen in der KPD ausgeschlossen. In dieser Zeit erfüllte Arthur Ewert seine ersten internationalen Aufträge: Als offi- zieller Vertreter der Komintern arbeitete er unter den Bedingungen strengster Kon- spiration wiederholt in Großbritannien. Im Spätsommer 1927 führte ihn eine geheime Mission mehrere Monate in die USA. Ab Mitte 1925 war Arthur Ewert entscheidend an den Bestrebungen beteiligt, den ultralinken Kurs der KPD zu überwinden, dessen wichtigste Protagonisten Ruth Fi- scher und Arkadi Maslow waren. Unter seinem maßgeblichen Einfluß fand die junge deutsche Partei, die seit August 1925 unter der Führung Ernst Thälmanns stand, in den Jahren bis 1928 zu realistischen Politikansätzen, durch die sie ihre Verankerung und ihren Einfluß in den proletarischen Massen zeitweise deutlich erhöhen konnte. Arthur Ewert war ein konsequenter Verfechter der »Politik der Konzentration«, wie sie auf dem Essener Parteitag der KPD im März 1927 beschlossen und verkündet wurde. Im Sinne dieser »Konzentration« war er ein engagierter und zuverlässiger Ver- bündeter Thälmanns. Doch er war auch und vor allem dessen Kritiker und Gegen- spieler, wenn es um die weitere »Bolschewisierung« der KPD ging, die tatsächlich eine Auslieferung der Partei an Stalin und dessen Herrschaftsinteressen war.5 In den Wochen und Monaten nach der berüchtigten Wittorf-Affäre im Herbst 1928 wurde Arthur Ewert schrittweise aus allen Parteifunktionen entfernt, weil er als soge- nannter Versöhnler den Widerstand gegen den von Stalin und dessen Moskauer Ge- folgsleuten verordneten »neuen« ultralinken Kurs der KPD organisiert und geführt hatte. Mit der Auflösung des Reichstags und dem daraus resultierenden Verlust seines Reichstagsmandates im Juli 1930 schied Arthur Ewert endgültig aus der deutschen Parteiarbeit aus. Im Dezember 1930 verließ er Berlin und ging zunächst nach Moskau. Er kehrte erst im Juli 1947, nach fast 17 Jahren, geistig unheilbar krank, in ein durch den Krieg zerstörtes und politisch völlig verändertes Deutschland zurück. 5 Letztlich bedeutete das aber auch, daß Arthur Ewert mehr für Ernst Thälmann tat als dessen vor- gebliche Freunde, die Thälmann mit kritikloser Lobhudelei begleiteten. 8 In den Jahren 1931 und 1932 erfüllte Arthur Ewert seine erste Mission als Repräsen- tant der Kommunistischen Internationale in Lateinamerika. Von Montevideo aus, der Hauptstadt Uruguays, galt sein Wirken den Kommunistischen Parteien im südlichen Teil des Halbkontinents. Vom Herbst 1932 bis zum Sommer 1934 arbeitete Arthur Ewert als Vertreter des Exekutivkomitees und Sekretär des Fernostbüros der Kommunistischen Internationa- le konspirativ in China. Dabei handelte es sich um eine der wichtigsten, aber auch gefährlichsten Auslandsaufgaben, die die Komintern in jener Zeit zu vergeben hatte. Ab Spätherbst 1934 folgte eine zweite Mission in Lateinamerika. Als Leiter des Süd- amerikanischen Büros der Komintern mit Verantwortung für die Kommunistischen Parteien in Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Peru und Uruguay arbeitete er zunächst einige Monate in Montevideo, dann in Buenos Aires. Im März 1935 wurde der Sitz des Südamerikanischen Büros nach Rio de Janeiro ver- legt. Die Zusammenarbeit mit Luiz Carlos Prestes, dem legendären »Ritter der Hoff- nung«, und der Führung der Kommunistischen Partei Brasiliens wurde nun zur wich- tigsten Aufgabe Arthur Ewerts. Ein langfristig angelegter Plan zur Übernahme der politischen Macht durch die »Ali- ança Nacional Libertadora«, der »Nationalen Befreiungsallianz«, einem breiten anti- imperialistischen und antifaschistischen Bündnis, scheiterte im November 1935 ange- sichts einer dramatischen Fehleinschätzung der Lage in der brasilianischen Gesell- schaft, aber auch wegen des Fortbestehens putschistischer Tendenzen innerhalb der Kommunistischen Partei des Landes. Der brasilianische Staatspräsident Getúlio Vargas nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit, um durch Terror und Demagogie seine eigene Diktatur zu festigen und im November 1937 den »Estado Novo«, den »Neuen Staat«, nach faschistischem Vorbild zu errichten. Bereits Ende Dezember 1935 fielen auch Arthur Ewert und seine Frau Elise der Ver- folgungswelle zum Opfer, die ganz Brasilien mit voller Wucht überrollte. Sie wurden verhaftet und in den folgenden Wochen und Monaten bestialisch gefoltert. Elise Ewert wurde im Oktober 1936 nach Deutschland ausgeliefert und der Gestapo über- geben. Sie starb im Juli 1939, erst 52 Jahre alt, im Frauenkonzentrationslager Ravens- brück an den Folgen der unmenschlichen Haftbedingungen. Jorge Amado, der große brasilianische Romancier, schrieb in jener Zeit über Arthur Ewert: »Niemals ist ein Mensch in ähnlicher Weise gemartert worden wie er.«6 Und weiter: »Ewert [… gab] mehr als sein Leben, [... er gab] seinen Verstand für das Wohl Brasiliens.«7 Tatsächlich versank Arthur Ewert im Ergebnis der barbarischen Miß- handlungen in geistiger Umnachtung. Trotzdem mußte er fast zehn Jahre in brasilia- nischer Haft verbringen, ehe er im Mai 1945 im Ergebnis einer Amnestie freikam. Im Juli 1947 gelang es seiner Schwester Minna Ewert, die mehr als zehn Jahre uner- müdlich um das Leben ihres Bruders gekämpft hatte, Arthur Ewert aus Brasilien in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands zu holen. Doch die Ärzte dort konnten nur noch feststellen, daß es für seine Krankheit keine Heilung gab. 6 Jorge Amado, Der Ritter der Hoffnung. Das Leben von Luiz Carlos Prestes, Berlin (DDR) 1953, S. 351. 7 Ebenda, S. 328. 9 Am 2. Juli 1959 starb Arthur Ewert in einem Pflegeheim in Eberswalde, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Die Urne Arthur Ewerts wurde in der inneren Ringmauer auf dem Friedhof der So- zialisten in Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt, einem Ort, den die Führung der DDR ihren höchsten Repräsentanten vorbehalten hatte. Doch eine wirkliche Rehabilitie- rung Arthur Ewerts, der noch in den fünfziger Jahren öffentlich als »Versöhnler« und »Agent der Bourgeoisie« stigmatisiert worden war, und eine Würdigung seiner Ver- dienste um die kommunistische Bewegung erfolgten nicht. Die hier nun vorliegende Biographie Arthur Ewerts hat eine lange Vorgeschichte. Durch meine Tätigkeit als Diplomat an der Botschaft der DDR in Brasilia hatte ich das Glück, zwei der großen brasilianischen Persönlichkeiten kennenzulernen, die im Leben von Arthur Ewert eine entscheidende Rolle spielten. Luiz Carlos Prestes, der damals bereits 89 Jahre alt war, traf ich zum ersten Mal im Juli 1987 in seinem kleinen Büro in der Nähe von »Cinelândia« im Zentrum von Rio de Janeiro. Weitere Gespräche folgten, auch in seiner Wohnung im Stadtteil Laran- jeiras. Allerdings ging es bei diesen Gesprächen niemals um die Geschichte Brasiliens und seiner Kommunistischen Partei, sondern ausschließlich um die damaligen Gegen- wartsprobleme des Landes. Ebenfalls im Juli 1987 traf ich mit Heráclito Fontoura Sobral Pinto zusammen, der Ende 1936 als Pflichtverteidiger von Arthur Ewert und Luiz Carlos Prestes bestellt worden war und der in den folgenden Jahren und Jahrzehnten ein enger persönlicher Freund von Luiz Carlos Prestes wurde. Sobral Pinto, das »Gewissen Brasiliens«8, wie ihn ein Biograph nannte, war ein großer und eleganter Mann, der seit dem Tod seiner Tochter Mitte der fünfziger Jahre nur noch tiefschwarze Anzüge trug. Er war damals bereits 93 Jahre alt, doch er arbeitete immer noch täglich einige Stunden. Mein Interesse am Leben und Wirken Arthur Ewerts wurde trotzdem erst viele Jahre später geweckt, als ich bei den Recherchen für eine Gerhart-Eisler-Biographie, die im Jahre 2007 erschien, immer wieder auf seinen Namen stieß.9 Was ich an Literatur über Arthur Ewert fand, war vollkommen unbefriedigend. Bis- her sind weltweit lediglich zwei Bücher erschienen, die man mit einigem guten Willen als Biographien Arthur Ewerts bezeichnen kann. Im Jahre 1987 veröffentlichte der brasilianische Journalist José Joffily das in seinem Land hochgelobte Buch »Harry Berger«, das sich vor allem in politisch-moralisie- render Weise mit den Ereignissen in Brasilien in den Jahren 1935 und 1936 befaßt, aber kaum Informationen über den Lebensweg von Arthur Ewert enthält.10 So kann man bei Joffily über den postzaristischen russischen Ministerpräsidenten Alexander Kerenski lesen oder die Hinrichtung der beiden sowjetischen Marschälle Michail Tu- chatschewski und Wassili Blücher. Auch über den Abschuß einer US-amerikanischen U-2 über dem sowjetischen Swerdlowsk am 1. Mai 1960 wird berichtet. Doch das Geburtsdatum von Arthur Ewert, für den Joffily durchgehend dessen Decknamen 8 John W. F. Dulles, Sobral Pinto - the conscience of Brazil. Leading the attack against Vargas (1930- 1945), Austin 2002. 9 Ronald Friedmann, Ulbrichts Rundfunkmann. Eine Gerhart-Eisler-Biographie, Berlin 2007. 10 José Joffily, Harry Berger, Rio de Janeiro 1987. 10 Harry Berger verwendete, erfährt der Leser nur aus einer Chronologie im Anhang, in der unmittelbar vor dem ersten Eintrag zu Arthur Ewert die Gründung der II. Inter- nationale vermerkt ist. Den Mangel an eigenen Forschungsergebnissen versuchte Joffily durch die Veröffent- lichung von zahlreichen Fotos sowie faksimilierten Dokumenten und Zeitungsaus- schnitten zu kompensieren, die aber in ihrer Mehrzahl in keinem wirklichen Zusam- menhang mit dem Leben und Wirken von Arthur Ewert standen. So finden sich in dem Buch von Joffily zum Beispiel ein Foto der in den fünfziger Jahren errichteten Zentrale des US-Geheimdienstes CIA im US-Bundesstaat Virginia und ein Foto der russischen Stadt Sankt Petersburg aus der Zeit vor der Oktoberrevolution. Allerdings ist Joffily zuzugestehen, daß seine Bemühungen, weitergehende Informa- tionen über Arthur Ewert zu beschaffen, im (sozialistischen) Ausland nur wenig oder keine Unterstützung fanden. Vom Leiter des damaligen Zentralen Parteiarchivs der SED zum Beispiel wurde ihm am 9. Oktober 1986 wider besseres Wissen mitgeteilt, daß »im Zentralen Parteiarchiv des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED keine Materialien vorhanden sind, die weitere Informationen enthalten als die, die bereits im Biographischen Lexikon zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewe- gung11 veröffentlicht wurden.«12 1993 brachte David P. Hornstein, ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIA, ein Buch mit dem Titel »A Life for the Comintern« heraus, das er selbstbewußt als »Biographie« Arthur Ewerts bezeichnete.13 Allerdings hatte Hornstein keinerlei eigene Forschungen unternommen. Er hatte vielmehr ungeprüft alles verwendet, was er in englischsprachigen Büchern und in den Akten der US-Bundespolizei FBI fand, die zu lesen er nicht umhin kam. Hornstein lieferte zwar ein mehrseitiges Literatur- verzeichnis, doch im Buch selbst verzichtete er auf jede Quellenangabe. Viele Schilde- rungen sind zudem frei erfunden. So gab Hornstein, um nur ein Beispiel zu nennen, einen ausführlichen Bericht über eine Reise Arthur Ewerts Ende 1934 in die USA, obwohl sich Arthur Ewert zu dieser Zeit nachweislich in Uruguay aufhielt. Seitenlang beschäftigte Hornstein sich mit Themen ohne jede Relevanz, so zum Bei- spiel den von Farben abgeleiteten Decknamen (»Grey«, »Green« und »Brown«), die Vertreter der Komintern bei ihren Auslandsmissionen seiner Ansicht nach vorzugs- weise benutzten. Fehlerhafte Angaben aus den (FBI-) Akten, beispielsweise das Da- tum der Eheschließung von Arthur und Elise Ewert, wurden als selbstverständlich korrekt übernommen. Kurioserweise stellte sogar sein Enkel Nick Hornstein am 28. Juli 2000 in einer priva- ten Meinungsäußerung für den Internetbuchhändler »amazon.com« fest: »[Mein 11 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Geschichte der deutschen Arbeiterbewe- gung. Biographisches Lexikon, Berlin (DDR) 1970. 12 Faksimile des Briefes in: José Joffily, a.a.O., S. 167. Ironie des Schicksals: Ich habe am 23. Oktober 1986 meine Tätigkeit an der Botschaft der DDR in Brasilia aufgenommen. Möglicherweise habe ich diesen Brief in der Kurierpost, die ich wie jeder ausreisende Diplomat von Berlin mitnahm, selbst nach Brasilien gebracht. 13 David P. Hornstein, Arthur Ewert. A Life for the Comintern, New York and London 1993.
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