Karin Sanders · Hans-Ulrich Weth (Hrsg.) Armut und Teilhabe Karin Sanders Hans-Ulrich Weth (Hrsg.) Armut und Teilhabe Analysen und Impulse zum Diskurs um Armut und Gerechtigkeit Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten ©VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15762-7 Inhalt 5 Inhalt Inhalt Einleitung...............................................................................................................7 Karin Sanders Armut und soziale Gerechtigkeit – Gedanken zum Umbau des Sozialstaates....11 Hans-Ulrich Weth Neoliberaler Fundamentalismus und die Erosion des Sozialen..........................27 Jürgen Volkert Die Wiederentdeckung des Reichtums................................................................43 Eva Münster und Stefan Letzel Sozial-gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland..........................................61 Gerda Holz Armut verhindert Bildung – Lebenslagen und Zukunftschancen von Kindern..69 Christine Alsmann Überschuldung privater Haushalte – das Verbraucherinsolvenzrecht in Deutschland.....................................................................................................97 Martin Maier Das PAT-Modell – ein Ansatz im Rahmen der Beschäftigungsförderung Langzeitarbeitsloser...........................................................................................123 Frieder Claus Hartz IV – Strategie zur Armutsbekämpfung?..................................................147 6 Inhalt Christian Rose „Euer Überfluss diene ihrem Mangel“ – Biblisch-theologische Gedanken zu Armut und Solidarität...................................................................................183 Lidia de Paz Bildung als Weg aus der Armut in der kolumbianischen Küstenstadt Barranquilla: Entstehung, Durchführung und Perspektiven..............................207 Einleitung 7 Einleitung Einleitung „Wir haben alles – sogar Arme.“ Dieser Slogan eines Wohlfahrtsverbandes sollte Anfang der 1990er Jahre die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen sozi- alpolitisch skandalösen Tatbestand lenken: Armut im Wohlstand, Armut trotz Wohlstand. Die lange Zeit praktizierte Tabuisierung von Armut in einer reichen Gesellschaft ist inzwischen überwunden. Die Notwendigkeit, auf verschiedenen Politikfeldern das Ziel der Vermeidung und Überwindung von Armut miteinzu- beziehen, wurde anerkannt. Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Begriff, Erscheinungsformen, Ausmaß und Ursachen von Armut und die empiri- sche Erforschung von Armut wurden intensiviert. Die beiden Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung von 2001 und 2005 dokumentieren den Erkenntnisstand und das Spektrum der politischen Aktivitäten. Gleichwohl bleibt festzustellen: Die Betroffenheit von Armut hat nicht ab- genommen, sondern zugenommen. Die Armutsquote ist von 12,1 % (1998) auf 13,5 % (2003) und aktuell (2007) auf 17,8 % gestiegen. Armut ist nicht lediglich ein Randphänomen, sondern greift in die Mitte der Gesellschaft über. Und: Die Kluft zwischen arm und reich vertieft sich in Deutschland. In keinem anderen westlichen Industrieland driften die Einkommen von NiedriglohnbezieherInnen und Spitzenverdienern so schnell auseinander. Spitzenmanager verdienten 2006 mit durchschnittlich 4,3 Mio Euro brutto Jahresgehalt im Durchschnitt 126-mal so viel wie ein Arbeiter im produzierenden Gewerbe (34.000 Euro/Jahr). Bei den Vermögen verfestigt sich Ungleichheit: Die oberen 10 % der Bevölkerung besit- zen in Deutschland die Hälfte des gesamten Privatvermögens; den unteren 50 % gehören demgegenüber gerade einmal 4 % des Vermögens. Diese Einkommens- und Vermögensverteilung wird von der überwältigenden Mehrheit der Bevölke- rung (82 %) als ungerecht empfunden. Das Thema soziale Gerechtigkeit hat im öffentlichen, im politischen wie privaten Diskurs einen hohen Stellenwert. Dabei geht es gegenwärtig vornehm- lich um das Spannungsverhältnis und die richtige Gewichtung der beiden Pole Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Im Kern spitzt sich die Kontro- verse auf die Frage zu: Welches Ausmaß an sozialer Spaltung, welche Spreizung zwischen arm und reich wird mehrheitlich in einer Gesellschaft für angemessen bzw. noch hinnehmbar gehalten, die sich an den Leitzielen und dem Wertegefü- ge des Grundgesetzes orientiert? Endgültige, von allen akzeptierte Antworten auf 8 Einleitung die Frage sind nicht zu erwarten. Das Thema bleibt in Bewegung. Der „Streit um die Gerechtigkeit“ (Möhring-Hesse 2005) dauert an. Die Beiträge in diesem Band bringen sich aus unterschiedlichen fachwis- senschaftlichen oder praktischen Blickwinkeln in diesen Diskurs ein und analy- sieren unterschiedliche Aspekte der Lebenslage Armut. Armut wird hier als Komplex multipler sozialer Deprivation verstanden. Benachteiligung beschränkt sich nicht auf die – grundlegende – Kategorie der fehlenden monetären Ressour- cen, sondern erstreckt sich auf Defizite, Unterversorgung, Ausgrenzung und fehlende Teilhabe in mehreren Lebenslagedimensionen: Bildung/Ausbildung, Gesundheit, Ernährung, Erwerbsbeteiligung, Wohnraumversorgung, soziale und politische Partizipation. In Anlehnung an Amartya Sen’s Konzept der Verwirkli- chungschancen (vgl. dazu den Beitrag von Volkert) liegt Armut im Sinne sozia- ler Ausgrenzung und nicht mehr gewährleisteter Teilhabe vor, wenn die Hand- lungsspielräume von Personen in gravierender Weise eingeschränkt und gleich- berechtigte Teilhabechancen an den Aktivitäten und Lebensbedingungen der Gesellschaft ausgeschlossen sind (so auch die Armutsdefinition im Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung). Das Ziel sozialer Gerech- tigkeit erfordert demzufolge geeignete und wirksame Maßnahmen, um ihre Handlungsspielräume zu erweitern und ihre Teilhabe- und Verwirklichungs- chancen im Sinne von Inklusion zu verbessern. Es ist unabdingbar, dass für die Verbesserung der Teilhabechancen auch die notwendigen ökonomischen und strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. „Ohne materielle Vertei- lungsgerechtigkeit läuft Chancengleichheit ins Leere“ (Bischof Wolfgang Huber im Vorwort zur EKD-Denkschrift „Gerechte Teilhabe – Befähigung zu Eigen- verantwortung und Solidarität, 2006, S. 8). Der vorliegende Band verbindet in multidisziplinärer Perspektive Analysen und Impulse zum Diskurs um Armut, Ausgrenzung und Teilhabe. Einleitend setzen sich die Beiträge von Karin Sanders, Hans-Ulrich Weth und Jürgen Vol- kert aus volkswirtschaftlicher und politikwissenschaftlicher Sicht mit den maß- gebenden ökonomischen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen und Grund- annahmen auseinander. Stichworte sind hier: Umbau oder Abbau des Sozial- staats, Neoliberalismus, Reichtumsforschung. Die folgenden Beiträge nehmen einige besonders problematische prekäre Lebenslagen in den Blick, sie befassen sich mit der sozialen Situation der Betrof- fenen und den Wirkungen der jeweiligen politischen Maßnahmen. Die Untersu- chung von Gerda Holz über Armut von Kindern basiert auf einer breit angeleg- ten empirischen Längsschnittstudie im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt, in der vor allem mit dem Fokus auf Bildung und Gesundheit die ungleichen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern in Abhängigkeit vom sozialen Status ihrer Eltern deutlich werden. Die Gesundheitswissenschaftlerin Eva Münster Einleitung 9 thematisiert die Wirkungen von Armut auf die gesundheitliche Situation benach- teiligter Personengruppen. Die Umstrukturierung des Gesundheitssystems und die Abkehr vom Solidarprinzip, Selbstbeteiligungen und Gebühren führt zu einer erschwerten gesundheitlichen Versorgung und Beratung und nicht selten zu einem vernachlässigten Gesundheitsverhalten. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht beschreibt Christine Alsmann die Problematik der zunehmenden Über- schuldung privater Haushalte und stellt das Verbraucherinsolvenzrecht vor. Das Insolvenzrecht eröffnet zahlungsunfähigen Personen die Möglichkeit einer Rest- schuldbefreiung, ihre Schulden also in einem vereinfachten Verfahren nach einer bestimmten Tilgungs- und Wohlverhaltensphase auch ohne Zustimmung aller Gläubiger erlassen zu bekommen. Frieder Claus analysiert auf dem Hintergrund seiner praktischen Erfahrun- gen in der Arbeitslosen- und Wohnungslosenberatung eines Wohlfahrtsverban- des Zielsetzungen und Instrumentarium der sog. Hartz IV-Reform. Nach seinen Erkenntnissen erfüllt dieses Herzstück des „aktivierenden Sozialstaates“ die Anforderungen an ein bedarfsorientiertes Grundsicherungssystem in keiner Wei- se und führt zu schwerwiegenden Negativfolgen für die Betroffenen und für den gesamten gesellschaftlichen Zusammenhalt. Über einen sozialpolitischen Impuls zur Schaffung von Beschäftigung auf existenzsicherndem Niveau berichtet Mar- tin Maier. Er und andere Mitarbeiter diakonischer Träger haben ein Finanzie- rungsmodell entwickelt, das die für Maßnahmen nach dem SGB II zur Verfü- gung stehenden Mittel zusammenfasst, um damit Langzeitarbeitslosen Beschäf- tigung für gesellschaftlich notwendige Arbeiten bei tariflicher Entlohnung anzu- bieten. Der Weg dieser Initiative bis hin zu den politischen Entscheidungsebenen zeigt Handlungsspielräume für politische Einmischung auf. Warum gerade die christlichen Kirchen das Thema Armut und soziale Ge- rechtigkeit immer wieder in die Öffentlichkeit bringen und den gesellschaftli- chen Skandal der „Armut im Reichtum“ anprangern, will der biblisch- theologische Beitrag von Christian Rose aufzeigen, der die jüdisch-christlichen Wurzeln der Option „Vorrang für die Armen“ herausarbeitet. Im abschliessenden Text weitet Lidia de Paz den Blick über die Grenzen der deutschen Wohlstands- gesellschaft und ihres Armutproblems hinaus auf die Lebensbedingungen von Strassenkindern und Kindersoldaten in Kolumbien. Die Beobachtungen der ab- soluten Armut, die sie während eines Studienaufenthalts dort machte, gaben den Anstoß für ein längerfristiges Unterstützungsprojekt, das den Kindern mit Schul- und Berufsausbildung eine Lebensperspektive jenseits der Armut eröffnen will. Neben der Würdigung eines solchen ehrenamtlichen Engagements und der darin liegenden Potenziale kann aus diesem Bericht auch die Erkenntnis abgeleitet werden, welch hoher Stellenwert für das gesellschaftliche Zusammenleben ei- 10 Einleitung nem sozialen Sicherungsnetz zukommt, das Inklusion und Teilhabe für alle, auch für die Armen, verwirklicht. Literatur Bundesregierung (2005): Lebenslagen in Deutschland – Zweiter Armuts- und Reichtums- bericht. Bundestagsdrucksache 15/5015. Lessenich, Stephan/Nullmeier, Frank (Hrsg.)(2006): Deutschland – eine gespaltene Ge- sellschaft. Frankfurt/New York. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.)(2006): Gerechte Teilhabe – Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Denkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland. Gütersloh. Möhring-Hesse, Matthias (Hrsg.)(2005): Streit um die Gerechtigkeit. Schwalbach/Ts. Sen, Amartya (2000): Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidari- tät in der Marktwirtschaft. München/Wien. Armut und soziale Gerechtigkeit – Gedanken zum Umbau des Sozialstaates 11 Armut und soziale Gerechtigkeit – Gedanken zum Umbau des Sozialstaates Karin Sanders 1 Einleitung.....................................................................................................12 2 Das Phänomen Armut..................................................................................12 3 Traditionelle Aufgaben des Wohlfahrtsstaates............................................13 4 Gerechtigkeit und soziale Ungleichheit.......................................................14 5 Gerechtigkeitsdimensionen..........................................................................16 6 Gerechtigkeitsvorstellungen und der Umbau des Sozialstaates..................17 7 Umbau von Leistungssystemen und Institutionen.......................................18 8 Das neue Verhältnis zwischen Staat und Bürgern.......................................19 9 Resümee.......................................................................................................23
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