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Armut und soziale Ungleichheit bei Kindern PDF

317 Pages·1998·11.988 MB·German
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Armut und soziale Ungleichheit bei Kindern Reihe Kindheitsforschung Im Auftrag des Zentrums für Kindheits- und Jugendforschung, Universität Bielefeld, herausgegeben von Wolfgang Melzer Georg Neubauer Uwe Sander Klaus-Peter Treumann Ingrid Volkmer Band 9 Jürgen Manse} Georg Neubauer (Hrsg.) Armut und soziale Ungleichheit bei Kindern Leske + Budrich, Opladen 1998 Gedruckt auf säurefreiem und alters beständigem Papier. ISBN 978-3-322-93276-1 ISBN 978-3-322-93275-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93275-4 © 1998 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Seite Jürgen Mansel und Georg Neubauer: Kinderarmut -Armutsrisiko Kinder 7 Ausmaß und Formen von Armut und sozialer Ungleichheit Magdalena Joos und Wolfgang Meyer: Die Entwicklung der relativen Einkommensarmut von Kindern in Deutschland 1990 bis 1995 19 Audrey Hoffmann: Die soziale Lage ostdeutscher Familien mit Kindern in den Jahren 1990 bis 1993 34 Dieter Kirchhöfer: Soziale Differenzwahrnehmungen ostdeutscher Kinder 54 Jutta Ecarius: Aufwachsen in Zeiten gesellschaftlicher Umstrukturierung sozialer Räume. Ostdeutsche Bruchbiographien von Heranwachsenden im Kontext von Familie, Freizeit und sozialem Milieu 67 Wolfgang Ortlepp: Zur Sozialisation von Kindern und Jugendlichen der Stadt Magdeburg unter den Bedingungen sozialer und gesellschaftlicher Veränderungen. Der Anteil an Sozialhilfeempfängern und Reaktionen von Vertretern 90 öffentlicher Einrichtungen Auswirkungen auf die familiale und schulische Sozialisation Wolfgang Lauterbach und Andreas Lange: Aufwachsen in materieller Armut und sorgenbelastetem Familienklima. Konsequenzen für den Schuletfolg von Kindern am Beispiel des Über- gangs in die Sekundarstufe I 106 Elisabeth Schlemmer: Risikolagen von Familien und ihre Auswirkungen auf Schulkinder 129 Fritz-Ulrich Kolbe: Die Verschärfung der Reproduktion sozialer Ungleichheit durch Schule. Auswirkungen der Deregulierung des Schulsystems am Beispiel Englands und der USA 147 6 Inha/t Auswirkungen auf die Leben.qualität und die Gesundheit Ho/ger Spieckermann und Herbert Schubert: Verkehrssicherheit von Kindern in Abhängigkeit vom sozialen Umfeld 164 Johann Bacher: Einkommensannut von Kindern und subjektives Wohlbefinden. Bestandsaufuahme und weiterfilhrende Analysen 173 Georg Neubauer: Armut macht krank -Reichtum erhält gesund? 190 Folgerungen für pädagogisches und sozialpolitisches Handeln Christiane Diene/: Armut von Kindern im ew-opäischen Vergleich. Strategien zu ihrer Bekämpfung 200 Jens Qvortrup: Kinder in der intergenerationalen Ressow-cenverteilung. Gerechtigkeit und Berechtigung 214 Thomas Olk und Johanna Mierendoiff: Kinderannut und Sozialpolitik Zw-politischen Regulierung von Kindheit im modernen Wohlfahrtsstaat 230 Angelika Enge/bert: Wer wird erreicht und wem geholfen? Bedingungen der Inanspruchnahme sozialpolitischer Leistungen am Beispiel von Familien mit behinderten Kindern 258 Wolfgang Spanier: Notwendige Maßnahmen des Gesetzgebers Zlll" Sicherung des Existenz- minimums. Lösungsstrategien Zlll" Bekämpfung von Armut 274 Literatill" 286 Anschriften der Autorinnen und Autoren 314 Inhaltsverzeichnis des Bandes "Armut im Jugendalter. Soziale Ungleich heit, Gettoisierung und psychosoziale Folgen, hrsg. von Jürgen Mansei und Klaus-Peter Brinkhoff 316 Kinderarmut -Armutsririlw Kinder Kinderarmut - Annutsrisiko Kinder Jürgen Mansei und Georg Neubauer 1. Soziale Differenzierung: Neue Spaltungen? Nach der Wiedervereinigung und den mit ihr einhergegangenen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen hat die Diskussion um Armut und soziale Ungleich heit in den Sozialwissenschaften einen neuen Auftrieb erhalten, denn in Zeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs ist ein Verteilungskampf ausge brochen, der insbesondere Transferleistungen für die Alten (Rentenreform, Pflege versichen.mg), Kranken (Krankenkassenreform), Familien mit Kindern (Lastenaus gleich/Steuerreform), Ost-West-Transfer usw. neu regeln soll. In der Bundesre publik Deutschland fmden, wie in vielen westlichen Ländern, derzeit einschnei dende Veränderungen im System sozialer Sicherung statt. Viele Menschen be fürchten, daß sie Zeugen eines Prozesses sind, der die Gesellschaft in zwei Drittel Besitzende und ein Drittel Ausgegrenzte spalten wird. Mit etwas Verzögerung hat das Problem der zunehmenden Armut und wach senden Ungleichheit jetzt auch Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden. Die Debatte wurde dabei entscheidend durch die verschiedenen Armutsberichte, die in den letzten Jahren publiziert wurden (z.B. Leisering/Voges 1992; Hauser/ Hübinger 1993; Hanesch u.a. 1994; Hübinger 1995; BiebacklMilz 1995), ange regt und gefördert. Das Thema "Kinder und Armut" wird aber in den Berichten nicht systema tisch aufgearbeitet, sondern eher am Rande mit dem Verweis auf eine steigende Armutsbetroffenheit gerade junger Menschen und mit den Schlagwörtern, wie der "Infantilisierung der Armut", abgespeist. Dies hat z.B. Jens Dangschat (1996) veraniaßt, von einem "weißen Fleck" in der wissenschaftlichen Aufinerksamkeit gegenüber der Armut der heranwachsenden Generation zu sprechen. Offene Fragen ergeben sich nicht nur hinsichtlich des konkreten Ausmaßes der Betroffenheit von Kindern durch Armut, sondern auch dahingehend, * wie sich Armut und soziale Ungleichheit im Kindesalter äußern, * wie sie von Kindern wahrgenommen und verarbeitet werden, * welche Folgen die Verarmung einer Familie z.B. infolge von Arbeitlosigkeit des Haushaltsvorstandes und/oder des "Mitverdieners" für die Qualität der Lebensbedingungen und die Lebensführung, die Lebensplanung und die Lebensentwürfe, die Anspruche an die Zukunft und die tatsächliche Entwicklung, die Motivation und die Leistungsbereitschaft, 8 Jürgen ManseI und Georg Neubauer auf die Werthaltungen und Orientierungsmuster, das psychische Wohlbefmden und die Gesundheit der betroffenen Kinder haben, * welchen Einfluß die Erfahrung von sozialer Deprivation auf die BeWältigung von Entwicklungsaufgaben und Anforderungen, die Beziehungen und die Art der Interaktion zwischen den Generationen einer Familie, die gegenseitigen Anspruche und Erwartungen der Familienmitglieder, aber auch auf die Beziehungen der Kinder zu ihren Freundinnen und Freunden, den Klassenkameradinnen und Klassenkameraden, * welche Folgen die Betroffenheit von Annut auf die Einschätzung durch Gleichaltrige und auch auf die durch die Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, deren Urteil und Anspruche hinsichtlich der Begabung und des Leistungsvermögens von unter verarmten Verhältnissen aufwachsenden Schülerinnen und Schü lern etc. nehmen. Da nur wenig über die intergenerationale Verteilung von Ressourcen innerhalb einer Familie bekannt ist, besteht letztendlich Unklarheit bereits bei der Einschät zung, ob ein Kind von armen Eltern ebenfalls als arm anzusehen bzw. einzustufen ist, d.h. ob dieses Kind einerseits objektiv über weniger Güter (z.B. Kleidung, Taschengeld) verfUgen kann als ein Kind aus relativ begüterten Verhältnissen, und andererseits ob es sich im Vergleich zu anderen oder infolge der eigenen An spruche subjektiv als arm ftihlt. Entsprechend weiß man aufgrund von Alltags beobachtungen, daß häufig gerade arme Eltern ihren letzten Pfennig opfern, um ihren Kindern teure Markenkleidung oder andere Statusgüter zu kaufen, damit diese sich nicht gegenüber Klassenkameraden und Freunden zurückgesetzt ftihlen, sie 'mithalten' können, während in relativ begüterten Familien, insbesondere wenn langfristig ein kostspieliges Ziel angestrebt wird (z.B. der Bau eines Eigenheimes oder die Bestandssicherung des Zweitwagens), von den Kindern erwartet wird, daß sie sich mit ihren Anspruchen zurückhalten, so daß letztere im Endeffekt über weniger und/oder weniger teure Güter verfugen können als Kinder aus einem armen Elternhaus. Unsicherheiten in der Einschätzung der Situation von Kindern im Hinblick auf Annut ergeben sich nicht zuletzt auch daraus, daß sich mit den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen in modernen Industriegesellschaften auch der main stream sowohl in der Sozialstrukturanalyse und Ungleichheitforschung als auch in der Annutsforschung zumindest im deutschsprachigen Raum verändert hat -die Befunde entsprechender Forschungsarbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren fUr heutige Verhältnisse also keine Gültigkeit mehr beanspruchen können. Im Unterschied zu der traditionellen Vorstellung von geschichteten Gesellschaften Kinderarmut -Armutsririko Kinder 9 mit einem relativ stabilen Sozial status der einzelnen Individuen über die Zeit und der 'Vererbung' der sozialen Position in die nachfolgenden Generationen gilt rur moderne, individualisierte Gesellschaften, daß Personen im Verlaufe ihres Lebens zum Teil sehr unterschiedliche Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie einnehmen, so daß 'Klassen-und Schichtgrenzen' nicht nur in der Generationen abfolge, sondern auch im Rahmen des Werdeganges und der Karriere von Ein zelpersonen überschritten werden (BergerlHradil 1990). Im Gleichklang wurde in der neueren Armutsforschung herausgearbeiet, daß zwar ein größerer Anteil von Personen -als bisher vermutet - im Verlaufe ihres Lebens von Armut betroffen ist, daß aber die Betroffenheit von Armut in der überwiegenden Zahl meist nur einen kurzen, vorübergehenden Lebensschnitt andauert, Armut und materielle Mangellagen rur die Mehrzahl also nur Episode darstellen, die die Betroffenen in der Regel aufgrund eigener Anstrengungen beenden können (LeiseringIVo ges 1992; Zwick 1994). Demnach haben wir es heute (scheinbar oder offensichtlich 1) mit einer nicht nur horizontal sondern auch vertikal ausgesprochen mobilen Gesellschaft zu tun, in der die Sozialstruktur praktisch verzeitlicht wurde. In diesem Sinne konnte z.B. Peter Sopp (1994) im Rahmen einer Analyse des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) fu.r Westdeutschland, bei der er die Haushalte nach dem jeweiligen Netto Pro-Kopf-Einkommen in sechs unterschiedliche Einkommenssextile aufteilte, nachweisen, daß die überwiegende Mehrheit der Haushalte die jeweiligen Ein kommensgrenzen im Untersuchungszeitraum mehrfach überschreiten, sich also hinsichtlich der Einkommensverhitltnisse der Familien nur ein geringes Ausmaß an Stabilität und Dauerhaftigkeit ergibt, die Familien in einzelnen Phasen im Vergleich zu anderen unterschiedliche Positionen einnehmen und somit "kaum von einer stabilen Segmentierung der Gesellschaft in dauerhaft voneinander abgeschottete Einkommenklassen die Rede sein kann" (Sopp 1994,62). Werden diese Befunde auf die Kinder und die Lebensbedingungen der her anwachsenden Generation übertragen, so liegt der Schluß nahe, daß es rur ein Kind und seinen aktuellen Lebensstandard, aber auch (und insbesondere) seinen Werdegang, die spätere berufliche Karriere und den sozialen Erfolg weitgehend unerheblich ist, ob die Eltern zu den privilegierten oder weniger privilegierten Gesellschaftsmitgliedern gehören, denn zum einen kann die Phase der Unter privilegierung relativ bald (mit der Veränderung der Einkommensverhältnisse der Eltern) 'abgehakt' werden, so daß sie kaum eine biographische und/oder lebens geschichtliche Bedeutung erlangt und zum anderen stehen ihm in der mobilen individualisierten Gesellschaft sprichwörtlich, aber doch eher nur theoretisch alle Wege vom "Tellerwäscher bis zum Millionär" offen, denn die Person selbst, ihre Anstrenungen und Leistungen sind -getreu dem Motto: "Jeder ist seines Glückes Schmied" - ausschlaggebend, welchen Status die Person einmal innehat, ob sie diesen im Verlaufe des Werdegangs beibehält, sozial auf-oder absteigt. 10 Jürgen Mansei und Georg Neubauer 2. Armutsrisiko ? Aus der oben zitierten Studie von Sopp (1994, 62ft) geht für die Lebensbedingun gen von Kindern jedoch ein weiteres hervor. Denn neben der Trennung, der Scheidung und der Arbeitslosigkeit der Eltern ist die Geburt eines (weiteren) Kindes der erklärungskräftigste Faktor für den Abstieg von Familien in eine tieferliegende Einkommensgruppe. Und wngekehrt wird ein Aufstieg in eine höhere Einkommengruppe besonders häufig dann vollzogen, wenn eines der Kinder eine Erwerbstätigkeit aufnimmt oder aus dem Elternhaus auszieht. Hier offenbart sich ein anderer Punkt der 'mobilen' Gesellschaft, denn Hintergrund der Mobilität der Familien hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens der Haushaltsmit glieder ist, daß das Einkommen mit jedem Kind durch eine weitere Person geteilt werden muß (sich also das Pro-Kopf-Einkommen in der Familie vermindert), während der Anteil des Einkommens, der einem Kindes zugestanden wurde, bei dessen Auszug auf die in der Familie verbleibenden Personen aufgeteilt werden kann (das Pro-Kopf-Einkommen also steigt, ohne daß sich das Gesamteinkommen objektiv verändert hat). Steht damit hinter der Einkommensmobilität der bundes deutschen Gesellschaft nur ein kleiner 'Rechentrick' ? Wie auch immer, deutlich wird dabei, daß Personen, die sich darauf einlassen, 'Kinder in die Welt zu setzen' (und damit für den Fortbestand der menschlichen Gesellschaft mit all ihren Institutionen einen unentbehrlichen Beitrag leisten), Gefahr laufen, sozial 'abzurutschen', denn mit jedem Kind (mehr), muß das Familieneinkommen durch eine weitere Person geteilt werden, so daß für die anderen Familienmitglieder ein entsprechender Anteil weniger verbleibt.' Neben dem emotionalen Zugewinn und abgesehen von den Einschränkungen in den F eiräwnen infolge der Kindererziehung ist Elternschaft somit immer verbunden mit ökonomischen Nachteilen und einer Verminderung des materiellen Lebens standards (MansellRosenthalffölke 1997). Kinder sind damit zu einem gewichti gen Risikofaktor für das Abgleiten in die Armut geworden. Dabei wächst mit der Zahl der Kinder die Gefahr, daß eine Familie ihren Lebensunterhalt nicht mehr durch das eigene Einkommen abzusichern vermag. Die einfache und banale Tatsache, daß Singles und kinderlose Paare ihr Einkommen nicht mit weiteren Personen teilen müssen (und somit unter der Erwachsenbevölkerung - neben den 'Alten', die keine Kinder mehr versorgen müssen - immer ein Teil enthalten ist, die das Einkommen ausschließlich für die eigene Versorgung und Luxusmehrung nutzen kann), während Kinder immer in einem 'Verband' aufwachsen, in dem die materiellen Ressourcen zwischen Perso- Das jüngst erhöhte Kindergeld und die günstigere Besteuerung von Familien mit Kindern können diesen Sachverhalt nicht ausgleichen (Buhr/StrackiStrohmeier 1988).

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