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Armut, Angst und Hoffnung: Die Auswanderung aus Rothrist 1855 PDF

41 Pages·2015·3.56 MB·German
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Preview Armut, Angst und Hoffnung: Die Auswanderung aus Rothrist 1855

Spure n zur Aargauer Geschichte Die Rothrister Auswanderung von 1855 . j) LEHRMITT[LVER AG Fachhochschule Allrg•u FjH C DES KANlONS AARGAJ Nordwe5tSChwe,z 1 Armut, Angst und Hoffnung: Die Auswanderung aus Rothrist 1855 Im Februar 2005 ist es 150 Jahre her, seit 305 Menschen Inhalt die Gemeinde Richtung Amerika verliessen. Es war 1 Migration gehört zur Geschichte . . 2 die grösste organisierte Auswanderung aus einer Aar 2 Wie und warum Menschen wandern . 4 gauer Gemeinde und ein wichtiges Thema in der 3 Das Beispiel Rothrist : Geschichte von Rothrist. Bevölkerungswachstum zu Beginn Massenauswanderungen armer Familien gab des 19. Jahrhunderts 6 es nicht nur in Rothrist - es gab sie im ganzen Aargau, 4 Die Landwirtschaft verändert sich . 8 in der ganzen Schweiz. Das Land befand sich um die 5 Die Industrie wandelt sich . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Mitte des 19.Jahrhunderts im Umbruch: Bevölkerungs 6 Massnahmen gegen die Armut : wachstum, Veränderungen in der Landwirtschaft Nichts hilft . ..................................... 12 und der Übergang von der Heimindustrie zur mecha 7 Auswanderung als letzte nisierten Fabrikindustrie führten zur Verarmung Möglichkeit . .... ...... 14 breiter Teile der Bevölkerung. Betroffen waren vor 8 Die Auswanderungswellen im allem die ländlichen Unterschichten, die bisher 19. Jahrhunde rt: drei Höhepunkte . 16 dank Heimarbeit knapp überlebt hatten. 9 Die Reisevorbereitung in Rothrist: Viele dieser verarmten Schweizerinnen und Schwei Stationen des Abschieds . . .... 20 zer wanderten zwischen 1852 und 1857 nach Über- 10 Die Reise : lang und beschwerlich ....... 22 see aus, die meisten davon in die USA. Für manche Ge 11 Nachrichten aus der Neuen Welt: meinden, die sich an den Reisekosten der Emigran Hat sich die Reise gelohnt? ....... .......... 26 ten beteiligten, war die Auswanderung eine Gelegen heit, unterstützungsbedürftige Mitbürgerinnen Lösungsvorschl äge für und Mitbürger loszuwerden . Die einmalige Finanzie ausgewählte Arbeitsaufträge ........ 29 rung der Reisekosten war billiger als jahrelange Unterstützung . Diesem scheinbar kaltherzigen Vor Anhang . . 33 gehen lagen allerdings handfeste Ursachen zu grunde: Viele Gemeinden waren nämlich ob der stei genden Zahl unterstützungsbedürftiger Menschen in finanzielle Bedrängnis geraten. Anhand des Beispiels von Rothrist werden diese Hintergründe der Auswanderung im 19.Jahrhundert aufgezeigt und die Situation der Beteiligten - Aus wandernde wie Gemeindebehörden - erlebbar gemacht. Das Heft ist als Arbeitsmittel im Unterricht ge dacht. Schülerinnen und Schüler finden neben Lese texten zusätzliches Quellenmaterial und Auf- träge zum selbständigen Arbeiten. Die Autoren danken Beatrice Ziegler, Alfred Schriber und Peter Gautschi für ihre Mitarbeit und Unter stützung. Dominik Sauerländer und Willy Fretz 1 Migration gehört zur Geschichte Seit Jahrtausenden verlassen Menschen ihre men in Europa zu. Aus der Schweiz, wie auch Heimat, um in einer andern Gegend oder aus anderen Ländern Europas reisten Tau gar auf einem anderen Kontinent eine neue sende vor allem nach Nord-und Südamerika Existenz zu gründen. Man nennt diesen Vorgang aus. Sie hofften, dort ein neues, besseres Migration (von lateinisch migratio: Wande- Leben beginnen zu können. Aus eigener Kraft rung, Auswanderung). Migration kann freiwillig, wanderten aber nur diejenigen aus, die unter Zwang oder in einer Mischung von bei sich Überfahrt und Neuanfang finanziell leis dem erfolgen. Die Gründe, warum Menschen ten konnten. Diese bildeten im 19.Jahr wandern, sind vielfältig und oft beeinflusst von hundert aber nur einen kleinen Teil der statis den Vorstellungen und Erwartungen, die sie tisch erfassten Ausgewanderten. Die meis- sich vom Ziel ihrer Reise machen. Ebenso ver ten mussten im 19.Jahrhundert nämlich durch schieden ist der Verlauf der Wanderung . die Gemeinden finanziell unterstützt werden. Manche gewinnen eine neue Heimat. Andere Häufig waren es entweder allein stehende leben jahrzehntelang in provisorische n junge Leute oder verarmte Familien. Unterkünften. Im 20.Jahrhundert zwangen die beiden Migration gab es zu allen Zeiten. Wande Weltkriege und die nach 1945 nicht ab rungen ganzer Völker sind bereits aus der brechende Welle von regionalen Konflikten Zeit um 2000 und 1200 vor Christus bekannt. Millionen Menschen zur Flucht und Aus Im 4. bis 6.Jahrhundert veränderte sich wanderung. Nach 1945 wurden die westeuro Europa durch eine erneute Wanderung gan päischen Industriestaaten zu Einwande zer Völker. Die Gründe, die Menschen da rungsländern. Arbeitskräfte wurden aus dem mals zur Migration bewogen, sind noch heute ärmeren südlichen und östlichen Europa für viele Wanderungsbewegungen bezeich rekrutiert. Heute ist Europa ein Einwande nend: wirtschaftlicher und politischer Druck, rungskontinent. Die Migrations-Bilanz verbunden mit der Hoffnung auf ein er des 20.Jahrhunderts schliesslich sieht so folgreicheres und sichereres Leben in ande aus: Es leben weltweit schätzungsweise ren Gebieten. 120 bis 150 Millionen Menschen ausserhalb Seit dem Zeitalter der Entdeckungen im des Landes, in dem sie geboren wurden. 16. und 17.Jahrhundert wanderten Menschen aus Europa auch in andere Kontinente aus. Zum Teil handelte es sich bei diesen Auswan derern um Soldaten, Beamte und Siedler, die zur Verwaltung und Beherrschung der Kolonien gebraucht wurden. Viele waren aber Flüchtlinge, die wegen ihres Glaubens in Europa verfolgt wurden. Im 19.Jahrhundert nahm die Zahl der Menschen zu, die aus wirtschaftlichen Grün den wanderten. Steigende Bevölkerungs zahlen, Armut und Unterbeschäftigung nah- 2 Rothrister Auswanderung «Ichw urde 1932i n Dotzigen (Kanton Bern) geboren. Als ich zwei Jahre alt war, zügelten wir zu meinem Grossvatern ach Rothrist. Bis zum Jahre 1963w ohnten wir dort, und das macht mich zu einer Aargauerin. Ich machte in Aarburg die Lehre als Verkäuferinu nd besuchted ie Schule in Aarau. Dann arbeitete ich Kleiderkistee iner Auswandererfamilie aus Rothrist. Die Familie wanderte im Kaufhaus «V on Fe!bert»i n Olten, danach ein Jahr zu Beginn des 20.Jahrhunderts (wahrscheinlich1 901)n ach den USA aus. Ver in Zofingen. Als kaufmännische Angestellte wech- wandte schicktens päter die Kiste in die Schweiz zurück (Heimatmuseum selte ich zur Stahlrohr AG in Rothrist, wo ich meine Rothrist; Foto Markus SchneebergerR, othrist). Freundin kennen lernte. Sie hatte einen Cousin, der in New G!arusi n den USA ein SchweizerR estaurant führte. Damals suchte er Schweizermädchena ls Ser «Dien euesten Zahlen des Bundesamtesf ür Statistik vierpersona!;m eine Freundin ging im Jahre 1962ü ber zeigen die Realität: Gesamtschweizerischsi nd das grosse Wasser.I ch beneidete sie sehr. Nach 32 % der Hilfskräfte Ausländerinnen und Ausländer, einem Jahr schriebs ie mir und fragte, ob ich auch 36 % der in der FabrikationB eschäftigten haben keine kommen würde. Da ich eine grosse Liebesent schweizerischeS taatsangehörigkeit,4 0 % der Wissen täuschung hinter mir hatte, musste ich nicht lange schafter und Wissenschafterinnene benso. In Basel überlegen.» (Aus einem Lebensbericht im liegt dieser letztgenannte Anteil bei sogar knapp 60 %. Rahmen des Projektes «Der Aargau - Fenster Ich denke, diese Zahlen sprechenf ür sich.»( Der Basler zur Welt» der Kantonsschule Wettingen: Regierungsrat Jörg Schild in einem Interview www.kanti-wettinge n.ch - Biographien) mit der Internet-Migrationszeitung der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft vom 1.6.2000). «Ichk omme aus der Umgebungv on Lecce.S eit acht Jahrenf ahre ich als Saisonarbeiteri n die Schweiz. «Ich habe dem Vater beim Fischfangg eholfen, doch In den vergangenenJ ahren habe ich unzählige Male vom Fischfanga llein kann man keine achtköpfige versucht, eine Bewilligung für das ganze Jahr zu Familie ernähren, vor allem wenn die Preises tändig bekommen. Aber ich habe es nicht geschafft. Es gibt ein sinken( ... ). Fast alle meine Brüder sind ins Aus Gesetzd afür.( ... ) Es waren acht sehr schwere, land gegangen, und so war auch ich an der Reihe, unbefriedigendeJ ahre: nur arbeiten und schlafen.D ie obwohl ich nicht gerne wegzog. Einer meiner Brüder Schweiz kenne ich nur vom Zugfenster aus. Das arbeitete damals in Zofingen und( ... ) besorgte Härteste ist die Trennung von der Familie, der Frau. mir eine Stelle. Zu Hause war man froh, einen weniger Ich war nie bei der Geburt eines meiner Kinder ernähren zu müssen." (Aus dem Bericht eines dabei.»( Aus dem Bericht eines italienischen in die Schweiz eingewanderten Italieners, aus: Arbeiters 1969, in: il lungo addio - der lange Durch Geschichtez ur Gegenwart,B d. 2, Abschied. Zürich 2003, Nr. 98.) Zürich 2002, S. 220). Arbeitsauftrag 1 : 1. Eine Ferienreise ins Ausland kann 2. Welche Gefühle äussern man mit einer zeitlich befris Migranten? teten Auswanderung vergleichen. 3. Stell dir vor, deine Eltern über Schildere dein Gefühl, wenn raschen dich mit dem Entschluss, du dich auf eine Ferienreise vor nach Australien oder nach bereitest. Freust du dich darauf? Kanada auszuwandern. Schildere deine möglichen Reaktionen. 2 Wie und warum Menschen wandern Warum wandern Menschen? Welche Gründe Schliesslich gibt es noch eine ganze Menge bringen sie dazu, ihr Lebensumfeld für weiterer Gründe für den Entschluss zur Migra immer oder doch für lange Zeit zu verlassen? tion. Ein Beispiel dafür ist die Auswande Die Wissenschaft versucht , Ursachen und rungswelle um die Mitte des 19.Jahrhunderts . Gründe der Migration zu ordnen und zu erklären. Diese Auswanderung von zahlreichen Migration ist ein komplizierter Vorgang. Schweizerinnen und Schweizern nach Ame Wer seine Heimat verlässt, kann ganz unter rika hatte zwar wirtschaftliche und so- schiedliche Gründe dafür haben - das ziale Gründe: Armut, Hunger und Hoffnungs war schon immer so. Verallgemeinernd kann losigkeit unter den Kleinbauern- und Heim man aber die Gründe, die eine Migration arbeiterfamilien. Die meisten von ihnen auslösen, in zwei Gruppen unterteilen. Man hätten aber trotz dieser handfesten Gründe gar unterscheidet in sogenannte Push- und nicht auswandern können, weil ihnen das Pull-Faktoren . Geld dazu fehlte. Hier unterstützten Gemein Push-Faktoren (engl. to push = stossen) den und Kantone die Auswanderungswil- sind die im Herkunftsland vorherrschenden ligen, indem sie ihnen die Reise finanzierten Bedingungen, die Menschen zur Migration und sie damit zum Verlassen der Heimat bewegen oder sogar zwingen können . aufforderten . Beispiele sind : Wirtschaftskrisen , politische Damals wie heute kann man sich die und religiöse Verfolgung, Kriege, aber auch Frage stellen, wem diese «Armenspeditionen » Naturkatastrophen. mehr genützt haben: den Gemeinden, die Pull-Faktoren (engl. to pull = ziehen) dadurch Armenunterstützung sparten, stellen Anreize für die Migranten dar, oder den betroffenen Menschen, die damit die vom Aufnahmeland ausgehen. Beispiele immerhin die Chance auf ein besseres sind: politische Stabilität, Demokratie, Leben bekamen. Glaubensfreiheit oder wirtschaftliche Pros Damals wie heute sind die Meinungen perität. darüber geteilt, und auch dieses Heft kann Dieses Modell ist zwar einfach und ein keine endgültige Antwort geben. Es versucht leuchtend, setzt aber voraus, dass die Menschen vielmehr, die Hintergründe der Massen stets überlegt und rationell entscheiden . auswanderung um 1850 aufzuzeigen und Dies ist nicht immer so. Oft spielen ganz per die Beweggründe der Beteiligten darzustellen. sönliche Gründe oder Erfahrungen eine Rolle - zum Beispiel eine enttäuschte Liebe oder der Verlust eines geliebten Menschen. Häufig wandern Menschen zudem in Länder aus, in denen bereits Landsleute oder so- gar Bekannte leben und Hilfe versprechen. Wichtig kann auch die Orientierung an Vorbildern sein - zum Beispiel an andern Menschen aus der Umgebung, die sich zur Auswanderung entschlossen haben . 4 Rothrister Auswanderung «SchweCiozleorniiisdnsce aVhntee ir oeni nigten StavaotNneo nr d-AmBeirliLlkaianig.dgne r so sser AuswGaehslu.Kn ldiuemnsagd u tWeassE sienre. sephars sGeengdeen d.» (Audse mW erbeprospekt einaemre rikanEiisscehnebna hngesell- s«cDheuarmf 1 mt8e 8n0s)c.h enKgoenmf(.al ).cil. hkättse s t sifcüdhri H ee ranwackhasueimnen id enen nt ­ blutige, lastEernkdleäsr ubnrgisn(m.g u).e.Ds natN.sea src h­ bardniv,eok ru rnzoebcmeh Ri e paraamt uren Elternmhiatuhspa llöftemznidl,tei W rca hffi edn er HanddiF ea maiuldsie em sHealubvsee ntj agen, überfdoiKreid ne(d.r e).t.Dr e.Vr e rdleuWrso th nung isftüs rin ei ecihnte fiamnca ht ersioenldleernr, bedeAubtsecvtho dineeH rde imat.» NZZ (Auesi nBee­m ricdhetr vom1 61.11.99ü3b edri e psychSiistcuhaet ion gefaluüsc hteter Kinder B«oEwsranh riu enngu.rn)mid üg d sec,h muuntadzb i­g gekäMmephfrTtea.rhg eaee t ir m L astweaigneens Schlveeprpbedrarecsirh hv tno,S n e ribdnii een SchwberiazcE hrit saetu. f gaebraeeurgfc trh,eo nhd, ­ liacnhg ekzoums meSeicnnh .l iiesesthrs i leirc h idn eSrc hwdeePimaz r,a wdimieae insh ,zm uH ause erzhäahtaltnteg ,e koHmismeeerainl g .lue htsi ,e r gäebAser beeiiZntue,k uSnifcth,Se ornhwseetiie tsr.s nichtdsi eLüsabennesdir ,ec ihnt malw eglecnhaeu , Spracghees prwoicrhde.n» (Berüibceehrit n en AsylsucahueSsne drebni en-Miondn etre negro Inter-MniegattrionszdeeKirat nutnBogan see l­ «StNaauddcnetvhBdn o a unsn gesel m-LaftacEv nhrodtfm8sne1a .cgn0h 2hre. r0aen u0s 3ü.m)i e­ DiFei gauudrfe Bmr undneAesun s wanderiuRnno gtsheprrliiasnattnnz e erst rend ahdianss,ps e izhnii eelsli gedre mG emeinde wir diMea ssenausvwo1an8n (5dF5e oMrtauorn:Skg cu hsn eReobtehrgreirs,t ) ökonogmeissucn«hkM eintetned lh.sd. te Kanln edien»­ bau(eSrnc huldeunndbdeä vnuoE erir niterient)e n deKrr iüsbidesirB e a umwuonlHdla elnb wIonldlue­n stgraigneuz st i tgueiwretWs eebnneeurndr, u rch ausseroMridteetinentlil giecgrhemeha owslesfree­nn dekna ndneE,nr sdtuerrnbc ihl ligdeerne s LetzdtuerErnci hn feüihanrneedrnIe nrnd uDsitersiee . Geld, Aushülafbeve orr ausnsiicicBhnh ättl ldiec h wird einterbsel tedeienbs,th aBlebt rdonefinfc aehnnt­esn derüebsra ildgsiA, eu swanderung.» Arbeitsa2u:ft rag (DeGre meinde­ Wesse1n9d7o3r,f 1.W elchBee ispiaeulfSe e it3e n ravto Bnr it1t8n8az3uud eGnr ünddeeAnru s­ und5 l assseinc mhi tP usho-der wanderiunn:g , S3.2 3.) Pull-Fakvteorrbeinn den? 2.HennGer ünddei,ie n d iesen Beispifeüldrei nMe igratdieorn Menschweinc htwiagr en. 3 Das Beispiel Rothrist: Bevölkerungswachstum zu Beginn des 19. Jahrhunderts 1855 wanderten aus Rothrist 305 Menschen Nicht erwähnt werden in dieser Aufstellung nach Amerika aus. Dies waren beinahe die Frauen. Sie hatten zwar kein Stimm- 12 0/od er Dorfbevölkerung. Warum dies so und Wahlrecht, trugen aber genauso wie die kommen konnte, und wie diese Massen Männer zum Überleben der Familien bei. migration vor sich ging, ist Gegenstand die In den Weberfamilien zum Beispiel wechselten ses Heftes. Zunächst geht es um die sie sich mit dem Mann am Webstuhl ab, Frage: Wie lebten und arbeiteten die Men besorgten nebenbei noch den ganzen Haushalt schen um 1800 bis 1850 in Rothrist? und betreuten die Kinder. Als 1798 zum ersten Mal eine Schweizer Neben der Volkszählung wurde auch ein Volkszählung durchgeführt wurde, zeigte Vermögensverzeichnis und ein Verzeichnis des sich für Rothrist folgendes Bild: Von den 1481 Grundbesitzes aller Familien angefertigt. Einwohnerinnen und Einwohnern waren Daraus geht hervor, dass die Bauernfamilien rund 400 stimmberechtigte Männer (Frauen der wohlhabenden Schicht angehörten, hatten kein Stimm- und Wahlrecht). 240 ebenso die Fergger. Die grosse Masse der Heim von diesen 400 Männern arbeiteten als Weber. arbeiter- und Handwerker-Familien gehörte Sie und ihre Familien woben in Heimarbeit zur dörflichen Mittel- und Unterschicht. Diese Baumwollgarn zu Stoffen. Daneben betrieben Verteilung des Reichtums zeigte sich in sie eine kleine Landwirtschaft, die meist nur den meisten aargauischen Gemeinden ähn aus einer Kuh oder gar nur aus einigen Ziegen, lich, war in Rothrist aber besonders aus etwas Ackerland und einem Gemüse- und geprägt . Obstgarten bestand. Lediglich 56 Landwirte Dies hing damit zusammen, dass Rothrist und 13 Bauernknechte konnten sich ihren in einem Gebiet lag, das bereits im 18.Jahrhun Lebensunterhalt ausschliesslich in der Land dert von der Textilindustrie lebte. Der west wirtschaft verdienen . liche Teil des Aargaus, der damals zu Bern Neben den Bauern und Webern arbeiteten gehörte, war eine der am stärksten industriali 13 Bürger als «Fergger» für Unternehmer sierten Regionen der Schweiz. Die Städte in Aarburg, Zofingen oder Aarau. Sie gaben den Aarau und Zofingen waren wirtschaftlic he Zen Heimwebern die Garne zum Weben, nah- tren und Sitz zahlreicher Textilunternehmer. men die fertigen Stoffe zurück und bezahlten Die Textilindustrie wurde vom Staat Bern die Weber. Fergger waren also Mittelsmänner gefördert, weil man sich von ihr die Schaffung zwischen den Unternehmern in der Stadt von Arbeitsplätzen erhoffte . und Heimarbeitern auf dem Land. Die Bevölkerungszahl stieg im 18.Jahr Eine letzte Gruppe von 44 Bürgern arbei hundert wegen besserer medizinischer Ver tete schliesslich als Handwerker oder Gewerbe sorgung und besserer Ernährung allmählich treibe nde. Sie bauten Häuser und Scheunen, an. Allerdings konnte die landwirtschaft- deckten Strohdächer, beschlugen Pferde, fertig lich nutzbare Fläche nicht vergrössert werden, ten Ackerbaugeräte, Wagen und Fuhrwerke ja selbst neue Bauernhäuser durften nicht an - kurz: Sie lebten von den Aufträgen gebaut werden. So hätte man erwarten dürfen, der Dorfbevölkerung und betrieben neben dem dass das Bevölkerungswachstum mit der Handwerk meist noch eine kleine Landwirt Zeit gebremst würde, zum Beispiel dadurch, schaft. 6 Rothrister Auswanderung dass junge Leute mangels Existenzgrund- eine Familie gründen. Die bestehenden Bauern lage nicht heiraten konnten und deshalb auch häuser wurden aufgeteilt, oder es wurden kein'e-Kinder zeugten . Sie hätten im Taglohn auf der Hofstatt neue kleinere Häuser errichtet. als Knechte und Mägde bei den Bauern arbeiten So stieg die Bevölkerung zu Beginn des oder das Land verlassen müssen. 19.Jahrhunderts immer rascher an. Zwischen Die Heimarbeit bot nun aber gänzlich 1803 und 1850 war sie in Rothrist auf 2620 Ein neue Möglichkeiten. Mit ihr liess sich Geld ver wohnerinnen und Einwohner angewachsen . dienen und damit Nahrungsmittel zukaufen, Dies entsprach einer Zunahme um beinahe wenn die eigene kleine Landwirtschaft nicht 80 % ! Nach wie vor lebte der grösste Teil der Be reichte. So liess sich auch mit wenig Landbesitz völkerung von der Heimarbeit. Die Bevölkerung von Rothrist 1803 bis 1870 im Vergleich Arbeitsauftrag 3: mit dem Bezirk Zofingen und dem Kanton Aargau Arbeit in Gruppen: Betrachtet die Bevölkerungsentwicklung der Bevölkerungsentwicklungi n der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts folgenden Gemeinden im 19. und Einwohnerzahlen 1803 1837 1850 20. Jahrhundert. a) Aarau, Baden, Zofingen; b) Gränichen, Gonten 1. Kanton Aargau 132763 182755 199852 schwil, Frick, Kaisten; c) Thal 2. Bezirk Zofingen 15541 24461 26549 heim, Reitnau, Dürrenäsch, Mön 3. Rothrist 1447 2296 2620 thal; d) Lengnau, Endingen; e) Wohlen, Brugg, Lenzburg, Muri; Bevölkerungszunahmei n der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts f) Buchs, Suhr, Oberentfelden, 1803 - 1837 in % pro Jahr 1837 - 1850 in % pro Jahr Unterentfelden; g) Wettingen, 1. Kanton Aargau 1,10 0,41 Neuenhof, Untersiggenthal, Ober siggenthal; h) Berikon, Rudolf 2. Bezirk Zofingen 1,69 0,37 stetten-Friedlisberg, Widen, Sprei 3. Rothrist 1,72 0,61 tenbach; i) Kaiseraugst, Mag den, (Quelle: Statistisches Amt des Kantons Aargau; Schriber 1994, S.10} Rheinfelden, Möhlin. Ihr könnt so vorgehen: Erfasst die Bevölkerungszahlen ab 1850 und stellt sie in einem Säulen diagramm dar. Verwendet dazu die Tabellen hinten im Heft für das 19. Jahrhundert und die Zahlen des Statistischen Amtes Aargau (www.ag.ch/staag: Eckdaten - Gemeindedaten - Bezirk - Gemeinde) für das 20. Jahrhundert. Versucht an schliessend, die Bevölkerungs entwicklung jeder Gemeinde gruppe (a bis i) zu deuten. Wann verändert sich die Bevölkerungs Im 19.Jahrhunderte ntstanden in vielen Aargauer Dörfern neue Heimarbeiterhäuschen. grösse markant? Was könnte Sie waren kleiner als die Bauernhäuser,d a sie keine Lagerräume und Stallungen dafür ausschlaggebend gewesen brauchten. Die Abbildung zeigt eine Reihe solcherH äuschen in Niederwil (Freiamt). sein? Bestimmt dazu die Lage Hier wohnten Kleinbauernfamilien, die in der Strohindustrie arbeiteten (Fotosammlung der Gemeinden auf einer Karte: GemeindeN iederwil). liegen sie in Stadtnähe oder weit ab von Agglomerationen? Gibt es Hinweise auf Industriebetriebe in der Region? Wie ist die Ver kehrserschliessung? Informiert euch auch über die Gemeinde Homepage im Internet. 4 Die Landwirtschaft verändert sich Das 19. Jahrhundert brachte Rothrist nicht Im Laufe des 18.Jahrhunderts wurde die nur eine markante Bevölkerungszunahme, auch Brache aufgehoben und mit Futterpflanzen und die Landwirtschaft veränderte sich. Die den erst seit kurzem bekannten Kartoffeln Dreifelderwirtschaft mit Brache wich der Frucht angebaut. Man war zur reinen Fruchtwechsel wechselwirtschaft, die Allmendweiden wirtschaft übergegangen. Damit verloren wurden aufgeteilt und die Viehwirtschaft inten die Heimarbeiterfamilien einen ersten Teil siviert. Bei diesem Prozess konnten nur ihrer Gratisweide, denn die Brache hatte zuvor Grossbauern mithalten. Heimarbeite r-Klein allen Gemeindemitgliedern als unentgelt- bauern hatten weder die finanziellen liche Weide zur Verfügung gestanden. Mittel noch das Interesse , hier mitzuziehen . Die Helvetische Republik, die 1803 zu Sie verkauften oft ihre Allmendanteile an Ende ging, hatte weitere Neuerungen gebracht: die Bauern und verloren so ein weiteres Stück Da das System der Grundherrschaft aufge ihrer landwirtschaftlichen Existenz. hoben wurde, wurde die Dreizelgenwirtschaft Noch bis ins 18.Jahrhundert hatten die unnötig, und auch die Allmenden wurden Bauern ihre Getreidefelder im Dreizelgensys unter die Dorfbürger aufgeteilt. Nur der eigent tem angebaut. Dabei wurde das Ackerland liche Hochwald blieb Gemeindebesitz. eines Dorfes in drei gleich grosse Teile, die Zel In Rothrist war der Weidwald (nicht aber der gen genannt wurden, eingeteilt. Auf der Hochwald) bereits im 18.Jahrhundert unter die einen Zelge säte man im Herbst Wintergetreide Einwohner aufgeteilt worden, die ihn seither (Dinkel, Roggen oder Weizen) aus, das im privat nutzten. nächsten Frühsommer geerntet werden konnte . Weideland war eben nicht mehr gefragt. Auf der zweiten wurde im Frühjahr das Som Die Bauern fütterten ihr Vieh nun das mergetreide (Hafer oder Gerste) angesät, das im ganze Jahr über im Stall und nutzten Mist Herbst geerntet wurde. Die dritte Zelge lag und Gülle zum Düngen der Heuwiesen brach (blieb ungenutzt), damit sich der Boden und der Futterkleeäcker. Da die Allmendanteile erholte. Dieses Anbausystem war durch die nach dem Umfang des Viehbesitzes verteilt Grundherren vorgegeben. Sie zogen von den an wurden, gingen die Familien der Heimarbeiter gebauten Ackerfrüchten einen Teil als Zinsen und Kleinbauern fast leer aus. So konzen und Zehnten ein. trierte sich der Landbesitz in den Händen der Am Rande der Ackerzelgen lag die Allmende . Bauern, und die Heimarbeiterfamilien ver Hier weidete den Sommer über das Vieh loren manchenorts auch die letzten unentgelt des ganzen Dorfes. Der Übergang von der All lichen Weidegründe für ihr Vieh. mende zum Wald war fliessend. überhaupt war Insgesamt waren also die Kleinbauernfami der Wald weniger dicht als heute. Die Dorf lien die Verlierer der Agrarmodernisierung. bewohner brauchten viel Holz als Brennmateri Sie besassen immer weniger Land und mussten al zum Kochen. Sie liessen deshalb die Bäume deswegen immer mehr Nahrungsmittel - nicht alt werden. Lediglich die Eichen waren ge vor allem Getreide - zukaufen. Sie selbst pro schützt, denn ihr Holz diente als Baumaterial. duzierten auf ihren kleinen Ackerparzellen Die Rothrister Allmende lag im sogenannten vor allem Kartoffeln. Wegen der wirtschaftli «Weidwald ». chen Veränderungen war die Getreidepro- 8 Rothrister Auswanderung duktio n rückläufig. Da die Verkehrswege drohte eine Hungerkrise. Dies war im 18. und immer besser ausgeba ut wurden, konnte bil 19.Jahrhundert mehrma ls der Fall. 1771, lige's-Getreide aus dem Ausland importiert 1815/1816 und wieder in den Jahren nach 1845 werden. Die Bauern machten Ackergebiete zu führte nasskalte Witterung zu schlechten Heu wiesen und hielten mehr Vieh. Milch, Ernten. Fielen solche klimatischen Ernteaus Käse und vor allem Fleisch verkaufte sich in fälle in eine Krisenzeit der Industrie, so den wachsenden Städten immer besser. waren Massenarmut und Hunger die Folge, In Zeiten schlechter Ernten gerieten die denn die Kleinbauernfami lien, Heimarbeite Familien der Kleinbauern und Heimarbeiter rinnen und Heimarbeiter verfügten über von Rothrist rasch in Not, weil die Getreide keine Nahrungsvorräte mehr und mussten mit preise sprunghaft anstiegen. Folgten ein paar vermindertem Einkommen teure Nahrungs schlechte Erntejahre aufeinander, so mittel erwerben. Haus eines Rothrister Wagners Haus einer Rothrister Kleinbauernfamilie Arbeitsauftrag 4: 1. Südlich der reformierten Roth rister Kirche liegt der ccWeidwaldu. Versuche, diesen Namen zu er klären. 2. Erkläre den Unterschied zwischen der Dreifelderwirtschaft und der Fruchtwechselwirtschaft. 3. ccDie Kartoffel - eine Erfolgs story»: Schreibe eine Kurzge schichte zu diesem Titel. Informa Haus einer Rothrister Grossbauernfamilie( Aufnahmen aus: Hafer 1990) tionen dazu findest du im Inter net, z.B. unter http ://www.food news.ch I allerlei/ 20 _ histori sches/ Kartoffel_ Geschichte.html. 4. Schreibe zu jedem der drei Bilder auf Seite 9 einen kurzen Kommen tar. Benutze dazu den Text auf Seite 8. Bei den Fotos handelt es sich um Aufnahmen vom Ende des 19. Jahrhunderts .

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die Massenauswanderung von 1855 (Foto: Markus Schneeberger, Rothrist). Arbeitsauftrag 2: unterstützt werden sollten, müssen jetzt alle gehen.
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