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Arme Milliardäre! - Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt PDF

200 Pages·2012·1.16 MB·German
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THOMAS FRANK ARME MILLIARDÄRE! Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt Aus dem Englischen von Thomas Wollermann, Kollektiv Druck-Reif Verlag Antje Kunstmann Im Allgemeinen entstehen und erhalten sich gewisse Vorstellungen vom kleinen Mann nur deshalb, weil die Großen sie sehr nützlich finden. C. WRIGHT MILLS, Menschen im Büro INHALT Einleitung: Zeichen und Wunder 1. Endzeit 2. 1929 und die Fortsetzung 3. Dasselbe Lied in neuer Tonart 4. Angriff auf das Nervensystem 5. Konservative Geschäftstüchtigkeit 6. Der Mythos vom Kleinunternehmer 7. Mimesis 8. Brother, can you spare a dime 9. Der Traum vom reinen Kapitalismus 10. Das Schweigen der Technokraten Schluss: Nieder mit den Schwachen Anmerkungen Danksagung EINLEITUNG: ZEICHEN UND WUNDER Dieses Buch ist die Chronik einer Zeit voller Verwirrungen, in der sich die Amerikaner gegen eingebildete Gefahren erheben und Wirtschaftstheorien unterstützen, die ihren Horizont übersteigen. Es handelt von einem Land, in dem die Angst vor der Machtübernahme einer radikalen Linken umgeht, die dort schon längst keine Rolle mehr spielt, ein Land, in dem Fernsehmoderatoren ideologische Albträume schüren, die vielen Menschen realer und überzeugender scheinen als alles, was die Zeitungen zu berichten haben. Es ist auch die Chronik einer Zeit voller Wunder, einer Art Erweckungsbewegung, die zum Kreuzzug für die gute alte Religion der freien Marktwirtschaft aufruft.[1] Es ist die Geschichte einer Graswurzelrebellion und des wundersamen Wiederaufstiegs der konservativen Bewegung aus dem tränenreichen Tal der Niederlage. Bezeichnungen wie »populistisch« und »Revolte« stellen sich ganz von selbst ein, wenn man es nicht gleich so vollmundig ausdrücken will wie Dick Armey, ehemals einflussreicher Politiker in Washington, nun Vorsitzender einer der größten Organisationen dieser Aufständischen: »eine wahre Revolution von ganz unten«.[2] Ja, all das ist höchst wundersam, all das ist erstaunlich. Schon die einfachen Tatsachen: Dies ist bereits der vierte erfolgreiche konservative Aufstand in den vergangenen fünfzig Jahren[∗], und jeder kam mit mehr populistischem Getöse daher als der vorangegangene, jeder rückte noch weiter nach rechts, jeder schrieb sich mit einem noch faszinierenderen Kapitel in die historische Epoche ein, die ich die »große Konterrevolution« nenne und auf die sich andere als »die Ära Reagan« (der Historiker Sean Wilentz), »das Zeitalter der Gier« (der Journalist Jeff Madrick), »der Aufstieg der Konservativen« (der Journalist Godfrey Hodgson) oder als den »Washington Consensus« (verschiedene Ökonomen) beziehen. Es ist nun mehr als dreißig Jahre her, seit die Revolution der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik Washington eroberte, seit der Laisser- faire-Gedanke zum Dogma der Führungseliten wurde, dem Demokraten wie Republikaner gleichermaßen huldigen. Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von Deregulierung, dem sinkenden Einfluss der Gewerkschaften, Privatisierung und Freihandelsabkommen. Die neoliberalen Ideale haben sich bis in den letzten Winkel des Landes verbreitet. Nicht nur Universitäten versuchen sich heutzutage marktwirtschaftlich auszurichten, auch Krankenhäuser, Stromerzeuger, Kirchen und Museen, die Post, die CIA und die Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Und nun, nachdem all dies bereits seit Jahrzehnten im Gange ist, haben wir einen Volksaufstand, der die Forderung erhebt, das Knie vor dem Altar der freien Marktwirtschaft zu beugen. Und das nur kurze Zeit nachdem die Prediger der freien Marktwirtschaft die Welt in die größte ökonomische Katastrophe seit Menschengedenken geführt haben. Dies ist ebenso unglaublich wie unbegreiflich – eine Groteske sondergleichen. Im Jahr 2008 erlitt das Finanzsystem des Landes einen gewaltigen Kollaps, weitgehend das Resultat – so sehen es nahezu einmütig alle ernst zu nehmenden Beobachter – der jahrzehntelangen Bemühungen, die Bankenaufsicht an die Kette zu legen und finanzielle Experimente zu ermutigen. Die Bankenkrise stürzte die USA und die ganze Welt in die schwerste Rezession seit den Dreißigerjahren. Dies war kein normaler konjunktureller Abschwung. Millionen Amerikaner und eine große Zahl amerikanischer Banken wurden innerhalb weniger Wochen zahlungsunfähig. Sechzehn Billionen Dollar Privatvermögen gingen an der Wall Street in Rauch auf. Und doch hat sich, während ich dies schreibe, als politische Reaktion auf diese Ereignisse eine Bewegung gebildet, die nach noch mehr Deregulierung verlangt, den Staatsangestellten das Recht zur Aushandlung von Tariflöhnen beschneiden will und eine Senkung der Staatsausgaben fordert. Wir müssen diese Rebellen ernst nehmen. Das konservative Comeback der letzten Jahre ist in der Geschichte der sozialen Bewegungen in den USA tatsächlich ohne Beispiel: eine Massenbekehrung zur Religion der freien Marktwirtschaft als Reaktion auf schlechte Zeiten. Vor dieser Wirtschaftskrise schien es undenkbar, dass die Opfer einer Rezession ein Faible für neoklassische Wirtschaftstheorien oder eine spontane Abneigung gegen die politischen Ideen von Franklin Roosevelt entwickeln. Vor dieser Rezession sind Leute, die von Bankern betrogen worden waren, kaum je auf die Idee gekommen, dass diese Banker endlich von »Bürokratie« und gesetzlicher Kontrolle befreit werden müssten. Vor 2009 vergossen die Leute in den Schlangen vor den Suppenküchen auch keine Mitleidstränen für jene, die sich auf ihren Jachten sonnten. Klarer Fall Dieser Erfolg ist besonders erstaunlich, wenn man das Meinungsklima bedenkt, das im Jahr 2008 herrschte. Nachdem das Debakel der Präsidentschaft von George W. Bush in der Katastrophe an der Wall Street gipfelte, war man sich in Washington einig, dass nun ein Aufbruch zu neuen Ufern bevorstand. Diesen Film hatte man doch schon gesehen: alle glaubten zu wissen, was nun kommen musste. Die politische Tektonik schien in Bewegung, die jahrzehntelange Herrschaft der Konservativen am Ende, eine liberale Ära stand am Horizont. Der Auftrag der Geschichte war eindeutig, so unübersehbar wie die Massen, die Barack Obama auf seiner Wahlkampftour zujubelten. Dieses Drehbuch zu ignorieren versprach so viel Erfolg, wie Schecks auf ein leeres Konto auszustellen. Und so verkündete der Journalist Sidney Blumenthal in seinem im April 2008 erschienenen Buch The Strange Death of Republican America noch vor dem Crash an der Wall Street, die Grand Old Party sei auf dem Weg »zu einer Minderheitspartei«.[3] Im November sagte Sean Wilentz, der Historiker der »Ära Reagan«, im U.S. News & World Report den »Kollaps« eben dieser Ära voraus. Einen Monat zuvor hatte sich der konservative Vordenker Francis Fukuyama in Newsweek ziemlich ähnlich geäußert. Auf der Website Politico, die zu den Chronisten des Washington Consensus zählt, wurde etwas spezifischer konstatiert, dass die Bezeichnung »Deregulierer«, ein Schlüsselbegriff der Reagan-Ära, nach dem Zusammenbruch der (weitgehend deregulierten) Wall Street praktisch zum Schimpfwort geworden war.[4] Alles schien ganz logisch. Die Finanzkrise des Jahres 2008 hatte die Idee der freien Marktwirtschaft, den Kerngedanken der Konservativen, in Verruf gebracht, Unfähigkeit und politische Skandale innerhalb der Republikanischen Partei hatten ihren moralischen Anspruch untergraben, und der Hang der Konservativen zu schriller Rhetorik verfing bei jüngeren Wählern, die weniger in Partei-und ethnischen Kategorien denken, nicht mehr so gut. Außerdem war da die offensichtliche historische Analogie, die im Jahr 2008 immer wieder zitiert wurde: Wir waren gerade durch eine verblüffende Neuauflage der Finanzkatastrophe der Jahre 1929–1931 gegangen, und nun, murmelten die Experten, stand unvermeidlich ein Linksruck bevor, wie es ihn 1931 gegeben hatte, mit dem frisch gewählten Barack Obama in der Rolle von Franklin Roosevelt. Der Republikanischen Partei empfahlen die Experten in dieser Lage Zurückhaltung, um nicht in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Als der Radiomoderator Rush Limbaugh Anfang 2009 damit Schlagzeilen machte, dem frisch gewählten Präsidenten Obama das »Scheitern« zu wünschen, wurde er dafür in einer stark beachteten Newsweek-Titelgeschichte von David Frum, einem früheren Redenschreiber von Bush, abgekanzelt. Gemessen an dem, was noch folgen sollte, erscheint Limbaughs unfrommer Wunsch eher harmlos, geradezu gemäßigt. Damals jedoch rief er solche Empörung hervor, dass Frum ihn als »Kryptonit, das die Grand Old Party landesweit schwächt« bezeichnete. Mit Gehässigkeit konnte man vielleicht beim harten Kern der Partei punkten, gab Frum zu bedenken; der Preis dafür sei der Verlust der »Gebildeten und Wohlhabenden«, denen »die Grand Old Party zu extremistisch« werde. Der Hang der Republikaner zur Selbstdemontage wurde ein Lieblingsthema der politischen Kommentatoren. Als der frühere Vizepräsident Dick Cheney Rush Limbaugh für seine offenen Worte lobte, spottete der Kolumnist Charles Blow in der New York Times, Cheney sei wohl auf »dem politischen Selbstmordtrip. Und der Kollateralschaden für seine Partei ist ihm offenbar egal.« Den Vorschlag einiger Konservativer, Abweichler unter den republikanischen Politikern auszumachen und zur Rechenschaft zu ziehen, nannte Kathleen Parker, Kolumnistin der Washington Post, einen »Selbstmordpakt«. Der einflussreiche politische Kommentator Stu Rothenberg kam im April 2009 zu dem Schluss: »die Chancen der Republikaner, bei den Zwischenwahlen im Jahr 2010 eine der beiden Kammern zu erobern, sind null. Nicht ›nahezu null.‹. Nicht ›gering‹ oder ›klein‹. Schlicht null.«[5]

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