Der reaktionären Kunst-und Kulturpolitik, die das Nazi-Regime vom Frühjahr 1933 an durchzusetzen begann, fiel auch das Bau haus zum Opfer. So einflußreiche Persönlich keiten wie Walter Gropius, Erich Mendel sohn, Paul Klee und Wassily Kandinsky galten als Repräsentanten des "Kultur bolschewismus". Sie durften ihren Beruf nicht länger ausüben und wurden in die Emigra tion getrieben. Viele moderne Künstler und Architekten, die in Deutschland blieben, wur den zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Durch diese von der Errichtung einer zen tralen Kontrollinstanz begleiteten Maß: nahmen drückte das neue Regime dem künstlerischen Schaffen seiner Zeit seinen Stempel auf. Die Mehrzahl der Arbeiten, die sich mit der Kunst-und Kulturpolitik des Nationalsozialis mus auseinandersetzten, neigen der Auffas sung zu, diese Politik sei entweder nichts anderes als der Ausdruck einer totalitären Ideologie oder das Ergebnis von Hitlers per sönlichem Einfluß, seinem unmittelbaren Ein greifen gewesen. Barbara Miller Lane vertritt die Auffassung, daß die Nazis die Architek turentwicklung nicht nur beeinflußten, um auch auf diesem Gebiet die öffentliche Mei nung zu steuern; im Vergleich zu anderen Ausdrucksformen der Kunst hätten sie die Architektur vielmehr deutlich als erstrangige Ausdrucksform ihrer eigenen politischen Ziele betrachtet. Diese überzeugung wur zelte jedoch nicht in der totalitären Struktur des Regimes selbst; ihre politische Haltung gegenüber der Architektur hätten die Nazis aus den Kontroversen um die Architektur bezogen, wie sie in der Weimarer Republik geführt worden waren. Notwendigerweise müsse die Untersuchung der Nazi-Architek tur und der nationalsozialistischen Architek turpolitik ihre Quellen darum in der Zeit zwischen 1918 und 1933 aufsuchen. Barbara Miller Lane ARCHITEKTUR UND POLITIK IN DEUTSCHLAND 1918-1945 SCHRIFTEN DES DEUTSCHEN ARCHITEKTURMUSEUMS ZUR ARCHITEKTURGESCHICHTE UND ARCHITEKTURTHEORIE [)eut,chc> Architckturmu>cum Frankfurt 31ll Main Barbara Miller Lane Architektur und Politik in Deutschland 1918-1945 M Friedr. Vieweg & Sohn Braunschweig/Wiesbaden Aus dem Amerikanischen von Monika und Klaus-Dieter Weiß Titel der amerikanischen Originalausgabe: Architecture and Politics in Germany, 1918-1945, erschienen bei Harvard U niversity Press, Cambridge, Massachusetts, 1968 Herausgegeben von Heinrich Klotz im Auftrag des Dezernats Kultur und Freizeit der Stadt Frankfurt am Main Alle Rechte an der deutschen Ausgabe vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1986 Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1986 Einbandgestaltung: Peter Neitzke, Köln Lithographie: Schütte & Behling, Berlin Satz: R.-E. Schulz, Dreieich ISBN 978-3-528-08707-4 ISBN 978-3-322-91113-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-91113-1 Inhalt Vorwort zur deutschen Ausgabe 7 Vorwort 13 Einführung 14 1 Revolution in der Architektur 23 2 Das Neue Bauen und seine ~Jision einer neuen Gesellschaft 51 3 Der Streit um das Bauhaus 77 4 Das Neue Bauen im Dienste der Gesellschaft 94 5 Die Auseinandersetzung um das Neue Bauen 123 6 Nationalsozialismus und Neues Bauen 142 7 Das Nazi-Regime und seine Maßnahmen zur Kontrolle der Architektur 161 8 Nazi-Architektur 177 Abkürzungen 206 Anmerkungen 207 Auswahl-Bibliographie 241 5 Für Jan, Ellie und Steve Vorwort zur deutschen Ausgabe In den siebzehn Jahren seit Erscheinen dieses Buches sind zu allen darin angesproche nen Aspekten intensive Forschungen betrieben worden.! Die Geschichte des Bauhau ses weist heute weniger Lücken auf; allmählich beschäftigen sich Biographien mit den Hauptexponenten der modernen Bewegung.2 Das Neue Bauen wird mittlerweile im Zusammenhang mit den entsprechenden Entwicklungen in Europa und den Vereinig ten Staaten gesehen.3 Die stilistischen Entwicklungen der sechziger und siebziger J ah re, von denen sich viele gegen das damalige Verständnis der Moderne richteten, haben gezeigt, daß der Internationale Stil nicht der Beginn eines weltweiten, neuen Baustils war, sondern, abhängig von Zeit und Ort, lediglich Teil einer breiteren modernen Be wegung.4 Seit 1968 ist die nationalsozialistische Architektur ebenfalls intensiv, wenn auch nicht erschöpfend, untersucht worden. Ebenso wie Leben und Werk Adolf Hitlers und anderer, die die Architektur des ,Dritten Reiches' förderten, sind auch Propaganda und Ideologie der Nazis, in denen architektonische Fragen eine so große Rolle spiel ten, einer genauen Analyse unterzogen worden. 5 Anders als der Internationale Stil der zwanziger Jahre, ist der der dreißiger Jahre, wie er 1950 von Bruno Zevi definiert wur de6, in vielen Einzeldarstellungen beleuchtet worden. Dennoch fehlt bis heute eine umfassende Untersuchung zu den öffentlichen Bauten jener Zeit, die über die Betrach tung nationaler Entwicklungen hinausgeht.? Ein Anstoß für weitere Arbeiten zur nationalsozialistischen Architektur und zur Architektur der dreißiger Jahre im allge meinen kam unter anderen auch von Albert Speer. Schon bald nach seiner Entlassung aus dem Spandauer Gefängnis im Jahre 1966 wurde Speer zur selbsternannten Kapazi tät für alle Aspekte des ,Dritten Reiches'. Durch seine Memoiren ebenso wie durch zahlreiche öffentliche Auftritte gewann er ein internationales Publikum. Speers Ein fluß auf unser Verständnis der Architektur in den dreißiger Jahren war jedoch zwie spältig. Sein Bekanntheitsgrad als Kommentator des Hitler-Regimes hat viele dazu verleitet, ihn hinsichtlich der allgemeinen Entwicklung der nationalsozialistischen Architektur für bedeutender zu halten, als er es tatsächlich war. Andererseits trieb die oft erfolgte Gleichsetzung seines Baustils mit den Vorstellungen der Nazis besonders in Europa die Politisierung der Architekturdiskussion voran.8 Im Gegensatz zu der Zeit, in der dieses Buch entstand, ließ sich zwischen 1968 und 1985 beobachten, wie sich der Architekt zum Historiker entwickelte. Obwohl Walter Gropius und Ernst May sehr daran gelegen war, von ihren Erinnerungen zu berich ten, waren sie doch froh, diese Aufgabe Historikern überlassen zu können. Mit Speers Rechtfertigungsversuchen und den zahlreichen Bemühungen postmoderner Archi- 7 tekten, den Klassizismus der dreißiger Jahre wiederaufleben zu lassen, wurden die zahlreichen Veröffentlichungen zur Architektur des 20. Jahrhunderts um viele Va rianten spezieller Einschätzungen ergänzt. Unser Wissen ist durch diese Situation be reichert worden, aber eine objektive Analyse wird heute durch ästhetische und politi sche Fallstricke weit mehr erschwert als zuvor. Meine eigene Interpretation deutscher Architektur und Politik hat sich seit 1968 kaum verändert. Meine Kenntnis der ideologischen Beziehungen zwischen den Nazi Größen hat sich infolge meiner Beschäftigung mit nationalsozialistischen Texten er weitert. Der historische Unterbau des Internationalen Stils der zwanziger Jahre ist mir trotz seiner ausdrücklich anti-historischen Einstellung bewußter geworden.9 Ich habe andere historische Einflüsse auf einige Bereiche der nationalsozialistischen Architektur untersucht, die weniger klassizistisch als undifferenziert "historisch" sind.lo Und ich bin der Meinung, daß die Verbindungen zwischen den volkstümli chen Seiten der nationalsozialistischen Architektur und den Traditionen der euro päischen Nationalromantik weitere Untersuchungen erfordern. Die Ähnlichkeiten I I zwischen der deutschen Architektur der dreißiger Jahre und dem Bauen der übrigen westlichen Welt im gleichen Zeitraum erscheinen mir jetzt noch auffälliger.12 Die Geschichte der Politisierung deutscher Architektur, der Bauten und der darauf bezo genen Kommentare und Reaktionen hat sich jedoch nicht wesentlich verändert. Für die Erarbeitung der deutschen Ausgabe war es erforderlich, alle zitierten, ur sprünglich deutschsprachigen Texte an den Quellen zu prüfen. In einigen wenigen Fällen ließen sich Zitierungen nicht eindeutig belegen; sie wurden durch vergleich bare Zitierungen ersetzt. Einige irrtümliche Datenangaben wurden korrigiert, einige der Bildunterschriften erweitert. Gegenüber der amerikanischen Ausgabe aus dem Jahre 1968 sind jedoch keine wesentlichen Änderungen vorgenommen worden. - Sarah E. Bassett danke ich für ihre Hilfe bei der Zusammenstellung der Originaltexte, Monika und Klaus Dieter Weiß für ihre einfühlsame Übersetzung. Wayne, Pennsylvania, im März 1985 Barbara Miller Lane 8