ebook img

Arche Noah PDF

290 Pages·2013·1.29 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Arche Noah

Der Autor Chalid al-Chamissi, geboren 1962 in Kairo, studierte Politikwissenschaften an der Universität Kairo und der Sorbonne. Er arbeitet als Journalist für ägyptische Zeitungen und hat sich als kritischer Beobachter gesellschaftlicher Verhältnisse einen Namen gemacht. Für verschiedene Spiel-und Dokumentarfilme war er als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor tätig. Sein Buch Im Taxi. Unterwegs in Kairo wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und zum internationalen Bestseller. www.khaledalkhamissi.com. Die Übersetzerin Leila Chammaa, geboren in Beirut, studierte Islamwissenschaft, Arabistik und Politologie an der FU Berlin. Seit 1990 übersetzt sie arabische Literatur ins Deutsche, zunächst ausschliesslich Prosa, seit einigen Jahren auch Lyrik. Sie ist zudem als Beraterin und Gutachterin für Verlage, Institutionen und Festivals im Bereich arabischer Literatur tätig. Die Übersetzerin dankt dem Deutschen Übersetzerfonds für die Förderung ihrer Arbeit. Die Übersetzung aus dem Arabischen wurde aus Mitteln der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia unterstützt durch litprom – Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. Titel der arabischen Originalausgabe: Safînât Nûh. Copyright © 2009 by Chalid al-Chamissi E-Book-Ausgabe 2013 Copyright © der deutschen Übersetzung 2013 by Lenos Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten Cover: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich Coverfoto: Atlantic City Convention & Visitors Authority www.lenos.ch ISBN EPUB-E-Book 978 3 85787 517 5 Achmad Iseddîn Hâgar Mustafa Abdallatîf Awad Farîd al-Mungi Doktor Murtada al-Barûdi Jassîn al-Barûdi Nivîn Adli Talaat Dhihni Hassûna Sabri Mabrûk al-Manûfi Sanâa Mahrân Zurück zum Anfang Achmad Iseddîn A chmad ist ein Traum von einem Mann. Gutaussehend, weiche Gesichtszüge, ein intensiver Blick aus tiefschwarzen Augen, die Haut licht wie der Vollmond. Kurzum, er erinnert an einen Filmstar aus der Zeit vor Adel Imam1, Hunaidi2 und dem verstorbenen Alâa Wali al-Dîn3. In seiner Brust wohnt ein Juwel von Aufrichtigkeit und Warmherzigkeit. Seit 2003 ist er examinierter Jurist, studiert hatte er an der Universität Kairo. Für Rechtswissenschaften hatte er sich eingeschrieben, um den Willen seines verstorbenen Vaters zu erfüllen, bald aber fand er Gefallen an der Materie. Nur mit Wirtschafts-und Finanzrecht konnte er sich beim besten Willen nicht anfreunden. Wie ein Dorn steckten ihm diese Fächer im Rachen, den auch noch so viel Wasser nicht hinunterzuspülen vermochte. Sein ganzes Studium hindurch hatte er nur eines im Sinn: Er wollte Staatsanwalt werden. In seinen Träumen sah er sich schon als erfolgreichen, für Gerechtigkeit sorgenden Anklagevertreter. Entschlossen verfolgte er dieses Ziel, er steckte den Kopf in die Bücher und erzielte beste Noten, so dass seine Kommilitonen vor Neid erblassten. Missgünstigen Äusserungen gegenüber aber war er taub. Als er eines Abends zum Himmel schaute und der Vollmond lächelte, versprach er dem Vater, dass er bald Staatsanwalt sein werde, wie er es sich gewünscht hatte. Nicht ein einziger Mann in der kleinen Familie hatte lange durchgehalten. Der Vater starb, als Achmad gerade einmal dreizehn war. Dann starb der Mann seiner Tante mütterlicherseits, der nach dem Tod des Vaters dessen Rolle übernommen hatte. Die Tante, nun allein, weil sie es während ihrer Ehe nicht geschafft hatte, eigene Kinder zu bekommen, klammerte sich an ihn und ihre Schwester. So kam es, dass Achmad von Mutter und Tante wie der Hahn im Korb gepäppelt und gehätschelt wurde. Onkel hatte er nicht, die Grossväter waren bereits vor seiner Geburt gestorben. »Würden die Frauen regieren«, fand Achmad, »dann wäre die Welt ein viel schönerer Ort zum Leben. Aber nur«, schob er lachend nach, »wenn sie nicht so geartet sind wie Condoleezza Rice!« Achmad bestand das Examen mit dem besten Prädikat und machte sich beherzt daran, seinen Traum zu verwirklichen. Doch ihm war nicht bewusst, dass er nach seinem Abschluss vom Studentendasein in die Welt der Erwachsenen katapultiert würde. Dass er vom Studenten, der sich hauptsächlich mit Lernen, Träumen und Lieben befasst hatte, zum mündigen Bürger würde und als solcher die Logarithmen des Lebens zu bilden hätte. Dass er sich also mit dem verfilzten Zopf der Gesellschaft aus störrischem ägyptisch- afrikanischem Kraushaar würde auseinandersetzen müssen, was nur mit Tricks, Bestechung und Betrug zu bewältigen war. Doch mit jedem Hieb, den ihm Kairo versetzte, verlor er ein Stück seiner Naivität, die er – ebenso wie seine bezaubernden Augen – zweifellos von seiner Mutter geerbt hatte. Eines Morgens, vom Ruf zum Sonnenaufgangsgebet geweckt, stand er auf und ging in die Moschee direkt nebenan. Plötzlich stellte er fest, dass seine Blauäugigkeit verschwunden war. Einfach von ihm abgefallen, als er schlaftrunken aus der kaputten Haustür trat. Das Hymen der Kindheit nun für immer los, stolperte er in eine unbekannte Welt. Eine Welt, die entdeckt werden wollte und geradezu danach verlangte, dass er den Horizont seiner Sinne erweiterte. Um 5 Uhr 57 auf der Matte neben dem rechten Eckpfeiler kniend, begriff er, dass er zur Verwirklichung seines Traums 70 000 Pfund Bestechungsgeld brauchte. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Plötzlich sah er, was er in all den Jahren als Student trotz der Hinweise sämtlicher Freunde nicht hatte sehen können. Die Wahrheit überkam ihn wie eine Offenbarung. Nachdem sein Gehirn vom Strudel der Wirklichkeit durchgerüttelt worden war, erkannte er klar und deutlich die heilige, das Leben entschlüsselnde Wahrheit: »Das Tor der Staatsanwaltschaft ist dir, kleiner Mann, verschlossen. Du hast weder genug Speck auf den Rippen noch Vitamin B im Rücken. Also lern beizeiten, nur so weit zu träumen, wie deine Decke reicht.« Nach dem Morgengebet ging er heim. Zum ersten Mal sank er in einen tiefen, ruhigen Schlaf ohne die schönen Träume vom Erfolg, die ihm das Leben bloss schwergemacht hatten. N achdem wir alles Mögliche getan, neu überlegt und wieder probiert haben, sehen wir, die junge Generation, nur einen Ausweg: das Land zu verlassen. Hier sind wir verloren. Verloren im Durcheinander. Verloren in Chaos und Korruption. Nicht den kleinsten Schritt geht es voran. Wir sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Hier tun wir nur eines: ein Euter aus unverwüstlichem Granit zu melken. Gleichzeitig dürfen wir zusehen, wie die Menschen draussen leben. Tagsüber Arbeit. Abends und am Wochenende geniessen sie ihre Freizeit. Der Alltag ist bestimmt auch hart. Aber wenigstens haben die Leute Freude, Geld und ihren Freiraum. Das Leben hier in Ägypten sieht dagegen so aus: keine Arbeit, kein Geld, keine Ferien, keine Freiräume. Nichts von all dem. Durch Satellitenschüsseln und das Internet werden wir vollgepumpt mit Bildern vom schönen Leben draussen. Wir wollen auch so leben. Wir wollen die Decke durchbrechen, die uns auf den Kopf fällt, die jede Bewegung, jeden Atemzug erstickt. Dort gibt es Luft, Jungen, Mädchen, Liebe, Freiheit. Selbst das spirituelle Leben dort ist echter als bei uns. Bei all dem, was wir tagtäglich erleben, verkommen unsere Sitten und Gebräuche. Ich will ja nichts sagen, aber was ist denn aus uns geworden? Aussen hui und innen pfui. Ich als Ägypter, der sein Land und das Umfeld liebt, in dem er aufgewachsen ist, sehe, dass ich gehen muss, um meinem Land einen Dienst zu erweisen. Ägypten will mich im Grunde doch gar nicht. Es ist nicht imstande, mir einen Platz zu bieten. Ich habe das Gefühl, ihm zur Last zu fallen. Es gibt nicht genug Arbeit für uns. »Ihr seid einfach zu viele geworden. Wir wissen nicht mehr, wohin mit euch«, lässt die Regierung bei jeder Gelegenheit verlauten. Schau dir nur die Plakate überall auf den Strassen an. »Handeln wir bedacht, und wir alle werden satt«, steht da geschrieben. Ist ja klar, dass die Leute den Spruch gleich umgewandelt haben in »Handeln wir bedacht, und hauen wir alle ab«. Wenn ich ins Ausland gehe und dort ein gutes Leben habe, dann werde ich bestimmt einer von ihnen. Schliesslich ist das ja dann mein neues Leben. Das Land, in dem ich mich niederlasse, wird zu meinem Land. Aber eines gibt mir zu denken: Angenommen, ich gehe jetzt irgendwohin und bleibe dort eine Weile, werde ich dann je nach Ägypten zurückkommen? Diese Frage lässt mir keine Ruhe. Nehmen wir also einmal an, ich setzte dort Kinder in die Welt, würde ich meine Kinder herbringen und hier auf die Schule schicken? Ganz sicher nicht! Bestimmt käme ich zu Besuch nach Ägypten, mehr aber auch nicht. A chmad erwachte erst am Abend wieder. Mutter und Tante hatten tagsüber mehrmals in sein Zimmer geschaut und gesehen, dass er, gleichmässig atmend und die Gesichtsmuskeln völlig entspannt, tief und fest schlief. Beide hatten ihm jedes Mal kurz über die Stirn gestrichen, und die Mutter hatte mit einem parfümierten rosa Taschentuch den Schweiss abgetupft, der ihm auf der Haut stand. Die Zeiger seiner Armbanduhr misstrauisch beäugend, ging Achmad ins Wohnzimmer. Die beiden Frauen sassen einander zugewandt auf dem Sofa, vertieft in die Karten, die sie zwischen sich ausgebreitet hatten. »Wird der Wind Gutes oder Schlechtes bringen? Wird das Unglück, als Glück getarnt, über uns kommen? Oder wird sich das Schicksal diesmal gnädig zeigen?« Als Achmad ins Zimmer trat, lasen die beiden gerade seine Karten. Die Tante schaute ihn an. »Endlich, Junge! Wir haben uns schon gefragt, ob du der Vollmond bist und dich deshalb so rarmachst. Du hast aber lange geschlafen. Es ist schon neunzehn Uhr.« Er setzte sich zu ihnen und starrte auf den Bildschirm. Auf einem der vielen Satellitensender lief eine amerikanische Serie. Die Mutter stand auf, um ihm Frühstück, Mittagessen und Abendbrot zu bereiten. Das sei nicht nötig, wehrte er ab, er gehe gleich aus. Er sei um acht mit seinem Freund Jâssir von nebenan verabredet. Ihr Stammlokal war das Café im Nachbarhaus. Jâssir wartete schon auf ihn, die Dominosteine vor sich auf dem Tisch. In diesem Spiel war Jâssir unschlagbar. Er war ein Mathematikgenie und hatte Elektrotechnik studiert. Genutzt hatte ihm das Studium aber nur in einer Hinsicht: Jâssir wusste immer, welche Steine sein Gegner hatte und welche Augenzahlen die verdeckt liegenden Steine bargen. Es war, als trüge er jene Brille, von der alle Jugendlichen in Ägypten träumten. Die Brille, mit der man Frauen durch die Kleider hindurch bis auf die nackte Haut sehen konnte. An diesem Tag aber liess er Achmad haushoch gewinnen, aus Freude darüber, dass seinem Freund endlich die Augen aufgegangen waren. Denn lange hatte er sie ihm zu öffnen versucht, schliesslich aber erkannt, dass er wie ein Blinder selbständig dem Licht entgegengehen muss, bis er irgendwann die hässliche Wahrheit so klar und deutlich sieht wie den Vollmond in der Wüste. Am Tag, der seiner plötzlichen Erleuchtung folgte, legte Achmad seine Träume sorgsam in den Abfalleimer und bemühte sich um Arbeit in einer Anwaltskanzlei. Nach zwei Monaten Suche stellte er fest, dass es in Ägypten mehr examinierte Juristen als weltweit Verbrecher gab, und fand schliesslich Arbeit in einem Café. Dessen Inhaber brauchte einen vertrauenswürdigen Menschen, der in seiner Abwesenheit die Frühschicht an der Kasse übernahm. Achmad willigte sofort ein. Nach wenigen Tagen aber wurde ihm klar, dass die 300 Pfund Lohn auf der Busfahrt von seiner Wohnung in der Nâhiastrasse zur Arbeit im Viertel Madinat Nasr wie wilde Tauben auf und davon flatterten. Doch dann kam ein Geschenk des Himmels. Z u guter Letzt trafen Herr Guma Abdalsalâm und ich die Vereinbarung, dass ich bei ihm praktische Erfahrungen sammle. Herr Guma ist ein wirklich grossartiger Mann und ein Rechtsanwalt, von dem man viel lernen kann. Am grossartigsten aber empfand ich, ehrlich gesagt, vor allem die Tatsache, dass die Kanzlei nicht allzu weit weg von zu Hause war, denn mein Monatsgehalt von 150 Pfund ging allein schon für die Fahrt zum Gericht drauf. Und hätte ich obendrein noch für den Weg ins Büro bezahlen müssen, wäre die Grenze eindeutig überschritten gewesen. Das hätte meiner Mutter gerade noch gefehlt, sie wetterte ohnehin schon über die Zustände. »Nicht zu fassen, das ist doch das Allerletzte!«, fluchte sie ständig. Mutter war ihr Leben lang eine Optimistin gewesen. Ich hatte gehofft, mich nach dem Uniabschluss an den Kosten zu Hause beteiligen zu können. Inzwischen hoffe ich nur noch, meiner Mutter etwas weniger auf der Tasche liegen zu müssen. Es als Anwalt zu versuchen hat mich schwere Überzeugungsarbeit gekostet. Nachdem mich Gott von der Sache mit der Staatsanwaltschaft geheilt hatte, versuchte ich unermüdlich, mir diesen Beruf schmackhaft zu machen. Jeden Morgen beim Rasieren sang ich mir vorm Spiegel die Anwaltshymne vor: »Anwalt zu sein, mein Herr, ist eine wunderbare Sache. Als Anwalt verteidigst du die Unterdrückten in einer ungerechten Gesellschaft. Du sorgst dafür, dass die, die im Recht sind, zu ihrem Recht kommen. Wer auf der Welt kann mir etwas nennen, das bedeutender wäre als das?« N ur wenige Monate später erklärte ihm die Welt unmissverständlich, was bedeutender ist als die Arbeit in der Anwaltskanzlei. Der blonde Mieter zog aus ihrer Wohnung in Samâlik aus, sie fanden keinen Nachmieter, und die bescheidenen Ersparnisse in der Schublade des kleinen Frisiertisches im Zimmer seiner Mutter begannen angesichts der Höllenhitze langsam, aber sicher zu verdunsten. Die Wohnung in Samâlik war das Einzige, was Achmad von seinem Vater geerbt hatte, und bisher die Existenzgrundlage der Familie gewesen. Nach dem Tod des Vaters hatte sich Umm Achmad Papier und Stift genommen und

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.