Stavros Arabatzis Archäologie des Designs und Systematik der Designtheorien Gebrauch des Unbrauchbaren essentials essentials liefern aktuelles Wissen in konzentrierter Form. Die Essenz dessen, worauf es als „State-of-the-Art“ in der gegenwärtigen Fachdiskussion oder in der Praxis ankommt. essentials informieren schnell, unkompliziert und verständlich • als Einführung in ein aktuelles Thema aus Ihrem Fachgebiet • als Einstieg in ein für Sie noch unbekanntes Themenfeld • als Einblick, um zum Thema mitreden zu können Die Bücher in elektronischer und gedruckter Form bringen das Expertenwissen von Springer-Fachautoren kompakt zur Darstellung. Sie sind besonders für die Nutzung als eBook auf Tablet-PCs, eBook-Readern und Smartphones geeignet. essentials: Wissensbausteine aus den Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaf- ten, aus Technik und Naturwissenschaften sowie aus Medizin, Psychologie und Gesundheitsberufen. Von renommierten Autoren aller Springer-Verlagsmarken. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13088 Stavros Arabatzis Archäologie des Designs und Systematik der Designtheorien Gebrauch des Unbrauchbaren Stavros Arabatzis Institut für Kunst & Kunsttheorie Universität zu Köln Köln, Nordrhein-Westfalen, Deutschland ISSN 2197-6708 ISSN 2197-6716 (electronic) essentials ISBN 978-3-658-23455-3 ISBN 978-3-658-23456-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23456-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Was Sie in diesem essential finden können • Eine Archäologie des modernen Designs • Eine Systematik der Designtheorie • Eine Erweiterung des materiellen und individuell-kreativen Designs auf das Design der immateriellen und kollektiven Netzwerke • Ein Konzept für Designresistenz und für einen neuen, kollektiven Gebrauch V Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................. 1 2 Archäologie des Designs als Zugang zur Zukunft ................. 5 3 Design im zeitgenössischen Kontext ............................ 11 4 Designdispositive ............................................ 17 5 Utilitaristische Maschine und romantische Gefühlsmaschine in der globalen Designvorrichtung .............. 21 6 Systematik der Designtheorien ................................ 25 7 Das Wirken der alten imperativen Mächte im modernen Design ......................................... 31 8 Designausgänge ............................................. 35 9 Design als politisches Paradigma ............................... 41 Literatur ...................................................... 49 VII Einleitung 1 Dieses essential möchte weder eine Geschichte des Designs sein, noch sich auf das Designkonzept des modernen Industriezeitalters begrenzen. Vielmehr wird hier nach den Kräften des Designs gesucht, die dieses in seiner Geschichte bestimmen und immer weiter vorantreiben. Es basiert auf dem essential Kunst- theorie und will so etwas wie eine Archäologie des Designs sein und zugleich eine Systematik der Designtheorien leisten. In diesem zweiten Teil beschäftigen wir uns mit dem Design als prakti- sches und poietisches Vermögen überhaupt, das allerdings auch gegen sich selbst arbeitet, sodass Design ebenso mit dem Verlust dessen einhergeht, was ich hier die Resistenz des Designs und den Gebrauch nenne. Design ist Teil der sozialen und gesellschaftlichen Praxis: die individuelle oder kollektive Gestaltung eines Produkts, ein Ausstellungs- und Inszenierungswert, ein mate- rielles oder immaterielles Netzwerk, eine ästhetische Anziehungskraft, eine Kommunikationsform, ein Erscheinungsbild, eine Atmosphäre, ein Klangsystem, eine Mitmach-Politik, eine Imagination. Also: die „allumfassende Gestaltung unseres Lebens“ (Brandes et al. 2009, S. 12), die ebenso das Design des Sozialen, das „Sozio-Design“ (Brock 1977, S. 446) meint. Design, wie es sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausbildet, war frei- lich in erster Linie die Gestaltung von Industrieprodukten und ist vor allem das Resultat der Arbeitsteilung, die auf die Menschen zurückschlägt und deren innere Verfassung bestimmt. Design meint daher nicht bloß die äußere Gestaltung der Welt als Raum physikalischer Realität, sondern ebenso die Gestaltung der sozia- len, geistigen und psychopolitischen Realität, sodass innen und außen hier keine Gegensätze mehr bilden. Damit schlägt die moderne Ausdifferenzierung der Gesellschaft auch in Design sich nieder. Aber auch so, dass dies umgekehrt eine integrale Funktion der Vergesellschaftung übernimmt, weil es die Gestaltung © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1 S. Arabatzis, Archäologie des Designs und Systematik der Designtheorien, essentials, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23456-0_1 2 1 Einleitung unserer Lebensformen, Werthaltungen, Wünsche, Bedürfnisse, Gesten, Kör- per oder unserer Psyche organisiert. Das heißt, Design macht uns zu moder- nen Subjekten, die an sozialpoietischen Praktiken teilnehmen, indem wir eine moderne allgemeine Form verwirklichen. Aber darin tritt Design nicht bloß modern, innovativ, entzaubert, frei und selbstbestimmt, sondern ebenso magisch, kultisch, mythisch, archaisch, zwanghaft und fremdbestimmt auf. Ein all- gemeiner Sozialisationszwang, wo in der Mitte des Designs von Anfang an ein Konflikt herrscht, und der heute im Kampf um Aufmerksamkeit oder in einem süchtig-sehnsüchtigen Drängen (innen) nach Erneuerung sich ausdrückt: die per- manente Selbsterneuerung des Designs als das bereits Unbrauchbare, Verbrauchte und Abgenutzte selbst. Das heißt, sobald Design als bloßes poietisches Vermögen und damit als glorreicher Glanz des ökonomischen Paradigmas auftritt wird es nutzlos und damit seines Gebrauchs beraubt. Denn Design ist heute nicht nur ein Mittel, Instrument oder Werkzeug, das eine dienende Funktion erfüllt. Wesentlich als diese Mittel- und Werkzeugfunktion des Designs ist vielmehr die Beschlag- nahme und Neutralisierung des gestalterischen Mittels (Organon, Instrument, Werkzeug) durch eine imperative Vorrichtung, die in der paradoxen Designmitte den Zweck hat, Design als eines des Gebrauchs, der Freiheit, des Sozialen oder des Humanen zu verhindern. Wie wir bereits im ersten essential (Kunsttheorie) gezeigt haben, wei- sen soziale Praxis (πράξιϛ) und poietisches Vermögen (ποίησιϛ) im globa- len Zeitalter der digital-vernetzten Herstellbarkeit auf eine Fremdbestimmung zurück, die mit dem Ursprung der Praxis und dem „poietischen Vermögen“ (A ristoteles) zusammenhängt. Damit ist nicht nur die alte Differenz zwischen Hochkultur (autonomes Kunstwerk) und Massenkunst (kommerzieller Erfolg) entfallen, sondern auch die Differenz zwischen Kunst- und Designpraxis. Denn während die Moderne noch zwischen Kunst (der Stellvertreter einer vom Nütz- lichen befreiten Welt) und Design (utilitaristischer Konsum) zu unterscheiden suchte, ist diese Differenz in einer ebenso kultisch gewordenen „Siegerkunst“ (W. Ullrich) inzwischen entfallen, wo die Priorität der Begehung (Ritualität), vor Argument, Wissen und Erzählung herrscht. Design weist also nicht nur auf Kunst, sondern ebenso auf die archäologischen Schichten des poietischen Vermögens und der sozialen Praxis zurück. Damit sind auch die modernen und selbst- bestimmten Designformen durch die ursprünglichen, imperativen Mächten fremd- bestimmt: der Weltentwurf1 als allgemeiner Sozialisationszwang. Eine hyperreale, 1Daher muss „Eine politische Designtheorie“ (vgl. hierzu: Borries von 2016) viel tiefer archäologisch graben, um den modernen Imperativen des Schöpferischen halbwegs habhaft zu werden. 1 Einleitung 3 immaterielle und hyperkulturelle Designgestalt, wo die Immaterialität der Dinge (A usstellungs-, Inszenierungs-, Aufmerksamkeitswert) ihre Materialität bestimmt. Dergestalt, dass heute der individuelle und kollektive Designer nicht mehr die Materialität (Industriezeitalter), sondern zunehmend die Immaterialität der Dinge designt. Und zwar so, dass mit dieser zunehmenden Abstraktion Macht, Zwang und Beherrschung immer direkter werden. Dem modernen Design liegen also ursprünglich-wirkende, imperative Kräfte (magische, mythische, theologische) zugrunde, die als sozial vorgegebene allgemeine Formen die einzelnen Dinge bestimmen, während die Designer in ihrer poietischen oder technisch-wissen- schaftlichen Praxis glauben, dass sie selbst die Dinge bestimmen und frei ent- werfen. Design erschöpft sich freilich nicht bloß in dieser sozialen Praxis und im blo- ßen poietischen Vermögen, vielmehr kennt es auch den Designwiderstand, der den Lauf der fremdbestimmten Designmaschine deaktiviert und außer Kraft setzt. Wenn das Hauptprodukt der globalen Designmaschine heute die anwachsenden Müll- und Datenberge sind (materielle wie immaterielle), wo ein planetarischer Unwelt-Schöpfer kollektiv-vernetzt agiert, um dabei das Nutzlose und schäd- liche Design (ökologisch, wirtschaftlich, psychisch, sozial, epistemisch, geistig, affektiv, politisch) global zu vermehren. Dann meint Designwiderstand nichts anderes als den neuen, möglichen Gebrauch des Nutzlosen, wo die universellen Designmüllberge und Datendeponien zugleich als Dunk für eine neue, an-archi- sche Praxis (ohne Herrschaft) benutzt werden können. Insofern geht heute jeder Designtheorie und -praxis eine Frage voran: Wie weit kann Design das Soziale zum ‚guten Design‘ einer kommenden Gesellschaft hin verändern? – und nicht umgekehrt, wie weit hier das ökonomisierte, enthistorisierte und entpolitisierte Design das Soziale, die Gesellschaft und den Designer (individuellen wie kollek- tiven) selbst verändern. Verändern heißt hier für uns nichts anderes, als das heute nutzlose Design (eine verkehrt wirkende Kraft im poietischen Vermögen selbst) für einen neuen, möglichen Gebrauch wieder nützlich machen. Und zwar auf der erhöhten historischen Stufenleiter des ausdifferenzierten, hyperrealen und hyper- kulturellen Designs, sodass hier mit der Archäologie des Designs nicht etwa das regressive, sondern das progressiv-emanzipatorische Zukunftsbild des Designs als ‚gute Gestalt‘ und wirkliche Veränderung gemeint ist. Unsere These lautet daher: Design (als praxis und poiesis, als herstellendes und produktives Hervorbringen) ist den archischen, imperativen Mächten entsprungen (magische, mythische, theologische) und schlägt in der weltweit gewordenen Polis in den alten impe- rativen Mächten zurück. Gerade darin zeugt es aber auch von der Zweideutig- keit des menschlich eingerichteten Hauses (oikos), das gleichermaßen Ursprung des Konflikts und der Unbewohnbarkeit (heute als globales oder als heimatliches