Thomas Kutsch· Fritz Vilmar (Hrsg.) Arbeitszeitverkiirzung - Ein Weg zur Vollbeschaftigung? Thomas Kutsch . Fritz Vilmar (Hrsg.) Arbeitszeitverkiirzung - Ein Wegzur Vollbeschaftigung? Westdeutscher Verlag CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Arbeitszeitverkiirzung - ein Weg zur Vollbeschiiftigung? Thomas Kutsch; Fritz Vilmar (Hrsg.). - 1. Aufi., durchges. Nachdr. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1983. ISBN-13: 978-3-531-11587-0 e-ISBN-13: 978-3-322-83843-8 DOl: 10.1007/978-3-322-83843-8 NE: Kutsch, Thomas [Hrsg.J Durcbgesehener Nacbdruck 1983 © 1983 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt Aile Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfaltigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. ISBN-13: 978-3-531-11587-0 Inhalt Thomas Kutsch/Fritz Vilmar: Vollbeschaftigung durch Arbeitszeitverkiirzung? Ein Resiimee der Beitrage. 7 Josef Stingl: Arbeitsmarktpolitische Verantwortung und Arbeitszeitverkiirzung 23 I. Grundlegende Analysen und Strategien Fritz Vilmar: Eine gemeinsame Aktion fiir Arbeitszeitverkiirzung. Schwierige, aber iiber lebensnotwendige Neuorientierung der gesellschaftlichen Gruppen an den Grenzen des Wachstums ................................. 28 Anhang: Heinrich Michael Broder: Programm zur Beschaftigung von 1 Million Arbeitnehmern ............ 73 Thomas Kutsch/Gunter Wiswede: Arbeitslosigkeit als sozialpolitisches Problem 76 Lutz Reyher, Hans-Uwe Bach, Hans Kohler, Bernhard Teriet: Arbeitszeit und Arbeitsmarkt. Volumenrechnung, Auslastungsgrad und Entlastungswirkung 87 Ursula Engelen-Kefer: Neuorientierung in der Beschaftigungspolitik 128 II. Arbeitszeitverkiirzung - kontroverse Diskussion Bernd Hof: Arbeitszeitverkiirzung - ein Mittel der Beschaftigungspolitik? 149 Hartmut Seifert: Arbeitszeitpolitische Kontroversen 175 III. Empirische Entscheidungsgrundlagen fiir eine Politik der Arbeitszeitver- kiirzung Michael Bolle: Arbeitszeitverkiirzung und Beschaftigung: t>konomische Analyse und empiri- sche Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 191 6 Inbalt Dieter Mertens: Befragungen von Arbeitnehmern iiber Formen der Arbeitszeitverkiirzung 207 Andreas Hoff: Arbeitsmarktentlastung durch Ermoglichung freiwilliger Teilzeitarbeit . . . .. 221 Bernhard Teriet: Praktische Ansatze zur Arbeitszeitverkiirzung 243 Dieter Kunz: Einkommens- und Konsumeffekte der Arbeitszeitverkiirzung 267 Heinz Salowsky: Fehlzeiten als Ursache von Arbeitszeitverkiirzungen - Ergebnisse einer Repra- sentativ-Erhebung ....................................... 280 Literaturhinweise zum Problem der Arbeitszeitverkiirzung ... . . . . . . . . .. 288 Vollbeschaftigung durch Arbeitszeitverkiirzung? Ein Resiimee der Beitriige Thomas Kutsch, Fritz Vilmar Die moderne Industriegesellschaft ist in eine tiefgreifende doppelte Krise ihres Wohlstandskonzepts, ja ihrer okonomischen Funktionsfahigkeit geraten. Deren Basis namlich war ein prinzipiell und faktisch andauerndes Wachstum der materiellen Giiterproduktion und -konsumption, damit des Volkseinkommens, damit auch der Steuern, also auch der Sozialleistungen des Staates - bei gleichzeitiger zu nehmender Ersetzung menschlicher (abhangiger, monotoner) Arbeit durch Mecha nisierung und Automation, die allmahliche Verkiirzungen der Arbeitszeit, mehr freie Zeit bewirken: Alles in allem ein evolutionar gedachtes Fortschrittskonzept des Wohlstands fiir aIle und der zunehmenden Freisetzung von Zwangen. Die epochale, doppelte Krise dieses politisch-okonomischen Fortschrittsystems besteht nun darin, dag nach allen uns zur Verfiigung stehenden Analysen und Prognosen erstens faktische weltwirtschafdiche Sattigungs- und Bremswirkungen zu einer einschneidenden, massenhafte Dauerarbeitslosigkeit nach sich ziehenden Verlang samung des Wirtschaftswachstums gefiihrt haben, die sich in den achtziger Jahren noch verscharft auswirken wird; zweitens aber auch die Norm, die Politik des - wesendich staatlich zu for cierenden - Wirtschaftswachstums urn jeden Preis auf zunehmende okologische Engpasse, ja Katastrophen hinsteuert und daher bei Strafe des Untergangs auger Kraft gesetzt werden mug. Nun konnte man - und man mug sogar - die erniichternde sokratisch-"dumme" Frage stellen: wozu eigendich noch mehr Wachstum? Konnten unsere immens reichen Industriegesellschaften nicht auf der gegenwartigen Hohe ihrer Produktions kraft, bei sinnvoller (und gerechterer!) Verteilung von Einkommen, Kapitalien und Arbeit(szeit), eine vollig befriedigende Wohlstandsordnung stabilisieren? Endlich befreit von immer mehr Streg und Expansionszwang? 1st die groge Wachstums krise, mit einem Wort, nicht lediglich eingebildet? Die Antwort ist deshalb so schwierig, die Krise so viel realer als eine bloge Ein bildung, weil sich seit 200 Jahren, seit Beginn der industriellen Revolution, unter kapitalistischen Bedingungen, die gesamte Unternehmenspolitik, Wirtschaftspoli tik, staatliche Sozialpolitik, Kommunalpolitik und Gewerkschaftspolitik - und damit die Erwartungen aller Burger - aUf Wachstum, aUf steigende Einkommen jeder Art, eingestellt haben. Wir stehen also vor einem ungeheuer schwierigen Umdenkungs- und Umstellungsprozeg auf allen Ebenen, und niemand kann heute sagen, ob wir "die Kurve kriegen", bevor soziale und/oder okologische Notstande katastrophale Folgen zeitigen. 8 Thomas Kutsch/Fritz Vilmar Eines der grogten Hindernisse bei dieser Uberlebensnotwendigen Umstellung auf eine stabile Wohlfahrtsgesellschaft ohne (oder: bei stark vermindertem bzw. verander tern) Wachstum ist zweifellos die Furcht vor zunehmender Massenarbeitslosigkeit. Bei allen Beteiligten - Unternehmern, Regierungen und Gewerkschaften - besteht noch immer die Neigung, erneutes, vermehrtes Wirtschaftswachstum, allerdings mit sehr verschiedenen, teilweise entgegengesetzten Strategievorschlagen - als fast einziges beschaftigungspolitisches Heilmittel zu empfehlen. Erst sehr allmahlich hat in den letzten Jahren eine Alternativstrategie an Bedeutung und Anhangerschaft gewonnen: Das Konzept, die nachgefragte Arbeit auf moglichst viele Arbeitsuchende moglichst gleichmagig zu verteilen. Diese zunehmend intensiv diskutierte Strategie: die Wiederberstellung einer voll oder bocb bescbaftigten Wirtscbaft durcb verscbiedene Formen der Arbeits zeitverkiirzung und der dadurcb induzierten Neuverteilung des Arbeitsvolumens thematisieren die Arbeiten dieses Sammelbandes. Dabei wird von verschiedenen Positionen aus nicht nur die grundsatzliche Praktikabilitat dieser "neuen Arbeits marktpolitik" analysiert. Auch und vor allem geht es urn das FUr und Wider der moglichen Teilstrategien. Welche Formen moglicher ArbeitszeitverkUrzung konnen, alternativ oder additiv, ohne unzumutbare Belastung der Wirtschaft und/oder des Steuerzahlers, ein sinnvolles Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, bei vermindertem Wachstum und fortschreitender "Freisetzung" durch Rationalisierung, wiederherstellen (angesichts von zur Zeit zehn Millionen Arbeitslosen in der EG): Die Ermoglichung bzw. Erleichterung von freiwilliger Teilzeitarbeit, Job-sharing etc. fUr die Millionen von - insbesondere weiblichen - Arbeitnehmern, die bereits heute auf Teilzeitbasis arbeiten wollen, aber keine entsprechenden Stel len finden? Die EinfUhrung des zehnten Schuljahres bzw. entsprechender berufsqualifizie render Bildungsgange, deren Kosten durch Wegfall von ArbeitslosenunterstUtzung (bei gleichzeitigem Facharbeitermangel) teilweise kompensiert wUrden? Eine sozialversicherungsrechtliche Regelung fUr besonders belastete Gruppen (oder: fUr aile?), bei nur geringfUgiger Rentenverminderung frUher "in Rente" bzw. Pension zu gehen? Eine Tarifpolitik der ArbeitszeitverkUrzung, bei der ganz oder teilweise Ein kommenssteigerungen als Ausgleich dienen bei gleichzeitiger Vereinbarung kUrzerer Arbeitszeit oder langerer Urlaubszeit fUr aIle oder einige (altere, be sonders belastete, o.a.) Arbeitnehmergruppen? Die Mehrzahl der Beitrage dieses Bandes beschaftigt sich mit dem Gesamtkonzept oder mit dem einen oder anderen der genannten Teilkonzepte; aber auch erganzen de und flankierende Strategien und Problembereiche sind zu berUcksichtigen. Da bekanntlich die Thematik der ArbeitszeitverkUrzung ein zum Teil kontro verses, in jedem FaIle heig umstrittenes Thema ist, waren die Herausgeber bemUht, die Vielfalt der Argumente moglichst dadurch einzufangen, dag Autoren aus den in dieser Diskussion relevanten Gruppen urn einen Beitrag gebeten wurden und fUr diesen Sammelband auch gewonnen werden konnten. Diese Vielfalt wird deut- Vollbescbiiftigung durcb Arbeitszeitverkiirzung? 9 lich anhand der Namens- und Institutionenliste der Beitrager, die nachstehend aufgefiihrt ist: Josef Stingl - Prasident der Bundesanstalt fiir Arbeit; Fritz Vilmar - Freie Universitat Berlin; Heinrich Michael Broder - Bundespresseamt, Bonn; Thomas Kutsch, Giinter Wiswede - Universitat Stuttgart-Hohenheim; Lutz Reyher, Hans-Uwe Bach, Hans Kohler, Bernhard Teriet - Institut fiir Arbeits markt-und Berufsforschung der Bundesanstalt fiir Arbeit, Niirnberg; Ursula Engelen-Kefer - Deutscher Gewerkschaftsbund - Bundesvorstand. Referat fiir Arbeitsmarktpolitik; Bernd Hof - Institut der deutschen Wirtschaft, KOln; Hartmut Seifert - Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WSI), Diisseldorf; Michael Bolle - Freie Universit1it Berlin; Dieter Mertens - Direktor des Instituts fiir Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt fiir Arbeit; Andreas Hoff - Internat. Institut fiir Management, Berlin; Bernhard Teriet - Institut fiir Arbeitsmarkt-und Berufsforschung; Dieter Kunz - Institut fUr Siidwestdeutsche Wirtschaftsforschung, Stuttgart; Heinz Salowsky - Institut der deutschen Wirtschaft, Koln. Es war unvermeidbar, bei dieser pluralistischen Konstruktion des Buches. das eben nicht nur Fakten-und Trendanalysen, sondern auch Strategien und - notwen digerweise interessenpolitisch orientierte - Einschatzungen zusammenfagt, par tielle Wiederholungen bzw. Oberschneidungen hinzunehmen. Wir haben uns be miiht, sie nach Moglichkeit zu reduzieren. Die einleitenden Darlegungen im Rahmen dieses Bandes werden - nach einem informativen Resiimee aller Beitrage - eroffnet durch die Stellungnahme des Prasidenten der Bundesanstalt fiir Arbeit, Stingl, der seine Ausfiihrungen unter die Perspektive arbeitsmarktpolitischer Verantwortung stellt und der die Arbeitslosigkeit in unserem Land als das gravierende soziale Problem einstuft. Konjunkturelle Ursachen, die demographische Entwicklung, Strukturverschie bungen durch technischen Fortschritt und zunehmende weltwirtschaftliche Ver flechtung - dies alles sind wohlbekannte Griinde fiir die drohende Gefahr bzw. den Ist-Zustand. In der Tat: es ist eher die Regel als die Ausnahme, dag hier mehrere Faktoren zusammenwirken. Folgerichtig konstatiert Stingl daher, dag es dement sprechend abwegig ware, auf der Grundlage von monokausalen Ansatzen die Arbeits losigkeit iiberwinden zu wollen. Insofern findet sich hier eher das Pladoyer fiir eine Methodenkombination, welche der Vielfalt der Ursachen-Konstellationen noch am besten entspricht. Und Arbeitszeitverkiirzung - so Stingl - ist nur eine unter mehreren Moglichkeiten und kein Patentrezept. Arbeitszeitverkiirzung ist ein junges und altes Konzept zugleich, was Stingl mit Verweis auf die 50-jahrige Geschichte des Kurzarbeits-Konzepts herausstellt. 1m iibrigen: Bei systematischer und breit angesetzter Einfiihrung dieser Politik wird die Kostenseite prinzipiell auszuloten sein, wobei sich dies als keine einfache 10 Thomas Kutsch/Fritz Vi/mar "Nullsummen-Rechnung" herausstellt: dem Kosteneffekt sind allemal Einspa rungs-und Produktivitatseffekte gegeniiberzustellen. In struktureller Hinsicht lagt sich natiirlich im voraus nicht im Detail prognosti zieren, dill durch Arbeitszeitverkiirzung freiwerdende Arbeitschancen durch die zur Zeit verfiigbaren Qualifikationen der aktuell Arbeitslosen nahtlos abgedeckt werden. Hier sind eher Kettenreaktionen der Umsetzung zu erwarten, welche generell die Angebotsstruktur verbessern und somit auch fiir die Arbeitslosen positive Effekte haben. Ob und inwieweit Arbeitszeitverkiirzung ein Prozeg ist, der unter den Rahmenbe dingungen spaterer Dekaden einer anderen Arbeitszeitpolitik Platz zu mach en hat, ist aus heutiger Sicht schwer zu bewerten. Dies ist allemal eine Politik, welche nur unter den Vorzeichen der naheren Zukunft und mit Fingerspitzengefiihl zu gestal ten ist und den Belangen aller am Arbeitsprozeg beteiligten Gruppen Rechnung zu tragen hat. 1m I. Teil versucht Vilmar in seinem grundlegenden strategischen Beitrag deutlich zu machen, dag eine Politik systematischer Verminderung des Arbeitskraft Angebots unter den vorhersehbaren weltwirtschaftlichen und okologischen Langzeit bedingungen keineswegs eine Strategie neben den konventionellen Arbeitsbeschaf fungsprogrammen mehr oder weniger Keynesianischer Art ist, vielmehr zu der zen tralen Strategie avancieren mug, solI iiberhaupt noch realistische Vollbeschaftigungs politik in Angriff genommen werden; aIle anderen Beschaftigungsprogramme konnen nach seiner Analyse angesichts der okonomischen wie okologischen Grenzen des Wachstums nur noch sehr begrenzte Wirkungen erzielen. - Vilmar sucht nun die "Wachstumsfixierung" aller Beteiligten als die Barriere dingfest zu machen, die Gewerkschaften, Unternehmer und Regierungen hindert, die nach seiner Er kenntnis offenkundige Hauptstrategie gegen die Arbeitslosigkeit: namlich Verkiir zung der wochentlichen, Jahres- und Lebensarbeitszeit, mit Entschiedenheit ein zusetzen. Er verweist auf weiter fortgeschrittene AZV-Politiken in Nachbarlandern und entwirft aufgrund dessen ein mebrdimensionales Optimierungsmodell von Aktivitiiten der Gewerkscbaften, der Unternebmer, der Regierungen und der ab biingig Arbeitenden, die zusammengenommen das Angebot von Arbeitkraft so re duziert, dag ca. 2 Millionen Arbeitslose wieder (Teilzeit-)Arbeitsplatze finden kon nen. Seine strategische Grunderkenntnis dabei lautet: dag Teilstrategien erfolglos bleiben miissen, unabdingbar notwendig vielmehr eine qualitativ neue "konzertierte Aktion" ist, durch die eine sich erganzende, kumulative Wirkung jener Aktivitaten ermoglicht wird. Eine im Anhang publizierte informative Zusammenstellung von Broder iiber die Auswirkungen der wichtigsten Teilstrategien zur AZV stiitzt den Vilmarschen Ansatz. Eine wesentliche Erfolgsbedingung der von ihm entworfenen Konzertierten Aktion fiir AZV ist nach Vilmar, "ein fiinftes, vermittelndes Handlungszentrum mit einzubeziehen: die offentliche Meinung und ihre Medien. Denn zur Oberwin dung des wachstumsfixierten Denkens, zur Neuorientierung auf ein stabiles Gleich gewicht von Arbeiten und aktivem Leben ist ein miihevoller Prozeg zur Bildung von Konsens-, Kompromig- und damit Handlungsflihigkeit absolut vorrangig. Da mit Biirger und Regierungen, Gewerkschaften und Unternehmer(verbande) schlieg- Vollbescbiiftigung durcb Arbeitszeitverkiirzung'? 11 lich begreifen, daa sie ohne ein aufeinander abgestimmtes Konzept gemeinsamen Handelns gemeinsam in ein gesellschaftspolitisches Chaos schlittern, - und damit sie erkennen, was jeder in seinem Handlungsbereich zu einer sozial und okonomisch verantwortbaren AZV beitragen mua." Denn hier wird, nach Vilmar, "ein sehr ge fahrliches Dilemma der parlamentarischen Verbands- und Parteiendemokratie offenkundig, das nur durch eine die Interessenpolitik iibergreifende, sie vielmehr unter Zugzwang setzende Umstrukturierung des politischen Denkens und Willens der Mehrheit (oder doch relevanter Minderheiten) ausgeglichen werden kann. So wohl Parteipolitiker, namlich wie die von der nachsten Wahl abhangigen Regie rungen, wie auch die yom (vermeintlichen) Gruppeninteresse ihrer Mitglieder ab hangigen Verbandspolitiker tendieren dazu, Kurskorrekturen, die von Wahl ern oder Mitgliedergruppen Umdenken oder gar Opfer verlangen, so lange wie moglich auszuweichen bzw. durch lautstarken Appell an die notwendigen Vorleistungen anderer das eigene Beharren in den alten Gleisen zu rechtfertigen." Der nachfolgende Beitrag von Kutsch und Wiswede ist zum einen als Ober blicksartikel gedacht, der auf die verschiedenen, analytisch zu unterscheidenden Formen von Programmen und Konzepten gegen die Arbeitslosigkeit abhebt sowie auch auf ihre Reichweite bzw. die angesprochenen Zielgruppen. Zum zweiten wird die These begriindet, daa in der absehbaren Zukunft nicht mit einer wirklich einschneidenden Reduktion von Arbeitslosigkeit gerechnet wer den kann, da: (1) spates tens seit Beginn der 70er Jahre die Annahme eines uner schopflichen Wachstumspotentials unhaltbar geworden ist, da (2) die Produktion kaum grundsatzlich Neues hervorbringt, was eine wirklich elementare zusatzliche Kaufbereitschaft oder "Kaufwelle" auszulosen vermag, und da (3) eine immer weiter vorangetriebene Rationalisierung zu konstatieren ist, die durch die Mog lichkeiten der Automatisierung und durch den Druck des hohen Lohnniveaus wei ter vorangetrieben wird. Bei dieser Vielschichtigkeit der Problemstruktur wird von den Autoren die Frage nach der Existenz eines Patentrezepts zur Behebung verneint. Hervorgeho ben wird, daa bestimmte Maanahmen ungewollte oder auch gewollte (z. B. struk turpolitische) Nebeneffekte haben konnen, etwa als Stiitzung bestimmter Bevol kerungsteile (z. B. als Mittelstandspolitik), oder als Beforderung durchaus erwiinsch ter Verlagerungsprozesse (etwa: Schrumpfungsprozea in der Landwirtschaft durch Koppelung mit Umschulungsangeboten, etc.). 1m Sinne der von den Autoren gewahlten sozialpolitischen Perspektive wird die Frage der Zumutbarkeit bestimmter Umstellungs- und Anpassungsprozesse fiir Arbeitslose angesprochen, wobei langerfristig die Problematik der Senkung des Anspruchsniveaus bei den Betroffenen gesehen wird: einerseits ist dies eine Notwendigkeit fiir die langerfristig Arbeitslosen; andererseits erscheint es aber auch problematisch, durch eine schlicht sozialpolitische Fixierung einer erhohten "Zumutbarkeitsschwelle" den Versuch zu unternehmen, das Problem gewisser maaen administrativ aus der Welt zu schaffen - wobei die psycho-sozialen Kosten sicher erheblich sind. Neben dem Hinweis auf Nebenwirkungen von Maanahmen wird auch darauf abgehoben, daa mit der Anwendung bestimmter Strategien oftmals Ziel- oder