Aufklärung und Kritik Mitherausgeber: Zeitschrift für freies Denken und humanistische Philosophie Prof. Dr. Hans Albert (Heidelberg) Herausgegeben von der Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg Prof. Dr. Gerhard Besier (Dresden) Prof. Dr. Dieter Birnbacher (Düsseldorf) Prof. Dr. Franz Buggle (Freiburg) Dr. Gerhard Czermak (Friedberg) Dr. Edgar Dahl (Gießen) Dr. Karlheinz Deschner (Haßfurt) Dr. Gerhard Engel (Braunschweig) Autoren: Prof. Dr. Noel Felici (Grenoble) Prof. Dr. Dietrich Grille (Erlangen) Dr. Richard Albrecht, PhD Dr. Horst Groschopp (Berlin) Dr. Jürgen August Alt Prof. Dr. Rainer Hegselmann (Bayreuth) Georg Batz, M.A. Prof. Dr. Hans Henning (Grävenwiesbach) Prof. Dr. Herbert E. Brekle Prof. Dr. Horst Herrmann (Münster) Hans Brückl Prof. Dr. Eric Hilgendorf (Würzburg) Inge Buggenthin Prof. Dr. Norbert Hoerster (Mainz) Jens Grandt Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider (Gießen) Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster Prof. Dr. Mark Lindley (Boston) Joachim Hofmann Prof. Dr. Erich H. Loewy (Sacramento) PD Dr. Wulf Kellerwessel Prof. Dr. Ludger Lütkehaus (Freiburg) Prof. Dr. Hubertus Mynarek (Odernheim) Gopal Kripalani Ludwig A. Minelli (Forch-Zürich) Dr. Harald Lemke Prof. Dr. Johannes Neumann (Tübingen) Dr. Marc-Pierre Möll Dr. Hans-Joachim Niemann (Poxdorf) Prof. Jan Narveson Prof. Dr. Vallabh Patel (Neuburg) Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber (Bornheim) Dr. Markus Semm Prof. Dr. Gerard Radnitzky (Trier) (cid:103) Dr. Clemens Stepina Prof. Dr. Hans-Martin Sass (Bochum) Dr. Thomas Sukopp Prof. Dr. K. A. Schachtschneider (Nürnberg) Prof. Dr. Anton Szanya Prof. Dr. Hermann J. Schmidt (Dortmund) helder yurén Dr. Michael Schmidt-Salomon (Trier) Dipl. Ing. Dr. rer. pol. habil. Gero Zimmermann Dr. Kurt F. Schobert (Augsburg) Prof. Dr. Werner Schuffenhauer (Berlin) Prof. Dr. Peter Singer (Princeton) Prof. Dr. Anton Szanya (Wien) Prof. Dr. Ernst Topitsch (Graz) (cid:103) Prof. Dr. Gerhard Vollmer (Braunschweig) 1/2007 ISSN 0945-6627 14. Jahrgang Prof. Dr. Franz M. Wuketits (Wien) Editorial Die politische Freiheit gehört nicht zu den Dingen, die man dauerhaft besitzen kann. Sie muß ständig neu erkämpft und durch Institutionen gesichert werden. Sie verlangt Engagement und zur rechten Zeit auch Opferbereitschaft, will man nicht selber eines Tages das Opfer politischer Gewalt sein. Freies Denken und rationales Handeln werden heute von drei Seiten zugleich angegriffen oder unterminiert: auf der materiellen Ebene verdrängen Gewalt oder Gewaltandrohung zunehmend das rationale Ringen um Kompromisse. Auf der geistigen Ebene vergrößert sich die Schar der Relativisten und Nihilisten, die die Suche nach Wahrheit aufgegeben haben und vernünftige Argu- mente als Rhetorik und Propaganda betrachten. Die Dritten im Bunde unkritischer Irrationalisten sind jene Dogmatiker und Fundamentalisten, die sich im Besitz der Wahrheit glauben und sich seit jeher die Ohren gegen jedes bessere Argument verstopfen. Die Anhänger von Gewalt haben erreicht, daß in einigen Teilen Europas sich wieder Nationalismus und Fremdenhaß breitmachen. Die Fundamentalisten sorgen dafür, daß allenthalben neue Reli- gionen und Okkultismus Zulauf finden. Die postmodernen Nihilisten liefern diktatorischen Syste- men die Ideen, mit denen die Forderung nach mehr Menschenrechten als eurozentrisches Vorur- teil zurückgewiesen werden können. Aufklärung und Kritik ist eine Absage an Gewalt, Fundamentalismus und Nihilismus. Sie will der "Gleich-Gültigkeit" aller Meinungen und Werte, die zur politischen Gleichgültigkeit führt, genauso entschieden entgegentreten wie dem blinden Engagement für irgendwelche Überzeugungen. Im Kleinen möchte sie demonstrieren, daß die verschiedensten Meinungen hören muß, wer die beste auswählen oder zu ganz neuen Ansichten kommen will. Daher werden hier außer Fachleu- ten aus Philosophie, Politik und anderen Bereichen auch die zu Worte kommen, die sich mit den Lehren der Denker kritisch auseinandersetzen und sie zu leben versuchen. Aufklärung und Kritik sieht sich einer der ältesten Traditionen der Menschheit verpflichtet – älter als Christentum und Islam –, nämlich der Tradition des kritischen Denkens, das sich bis in die Zeit der frühesten griechischen Philosophen zurückverfolgen läßt. Kritisches Denken will die Menschen dazu bringen, von sich aus jegliche Bevormundung religiöser oder säkularer Art zurückzuweisen und die Verantwortung für ihr Leben selber in die Hand zu nehmen; sich von Abhängigkeiten aller Art zu befreien; aber auch die Augen vor den eigenen Fehlern nicht zu verschließen, sondern gerade aus diesen zu lernen, wie ein besseres Leben möglich ist. Aufklärung und Kritik sind nicht Modeerscheinungen. Daher sind sie nicht an Epochen gebunden, sondern immer wieder neu zu belebende Elemente der Menschheitsgeschichte. Die Ideale einer zweieinhalbtausendjährigen Aufklärung sind zum zeitlosen Besitz der Menschheit geworden. Ihre Realisierung wird von fast allen Völkern der Welt, wenn auch nicht von deren Herrschern, ange- strebt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie; der Glaube an die problemlösende Macht der Vernunft, Erziehung und Wissenschaft; der Wille zu unblutigen Gesellschafts- und Staatsreformen; die Kritik der Religionen, sofern sie uns bevormun- den, verbunden aber mit dem Toleranzgedanken. Zu den Denkern dieser Tradition zählen unter vielen anderen Sokrates, Demokrit und Epikur ge- nauso wie Spinoza, Erasmus, Hume, Voltaire, Smith und Kant. Auch nach der "Aufklärung" des 18. Jahrhunderts blieb die Idee von Aufklärung und Kritik lebendig durch Bentham, Schopenhauer, Feuerbach, Marx, Mill, Nietzsche, Dewey, Darwin, Russell, Karlheinz Deschner u.a. In unserer Zeit erfuhr sie erneut einen Aufschwung durch die Philosophen des Wiener Kreises und des kritschen Rationalismus, vor allem durch den österreichisch-englischen Philosophen Karl Raimund Popper. Inhalt Joachim Goetz: Vorwort ........................................................................................ 5 Furchtlose Rationalität. Norbert Hoerster zum 70. Geburtstag ................................... 8 Dipl. Ing. Dr. rer. pol. habil. Gero Zimmermann Wollen autonome Fußballroboter Tore schießen? .................................................... 10 Prof. Dr. Herbert E. Brekle Ein einig Volk von Brüdern und Schwestern? .......................................................... 28 Prof. Jan Narveson Demokratie: Probleme, Ja – Lösungen, Nein?– Teil I ............................................. 35 Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber Antisemitische und nicht-antisemitische Israel-Kritik ................................................ 49 Prof. Dr. Anton Szanya Eine unheilige Allianz .............................................................................................. 59 PD Dr. Wulf Kellerwessel Montesquieus Kritik an repressiven Gesellschaftsordnungen. Eine Interpretation der Haremsthematik des Briefromans „Die Persischen Briefe“ ................................. 86 Dr. Marc-Pierre Möll George Orwell – Der letzte Mensch in Europa ........................................................ 97 Dr. Harald Lemke Kritik des populären Gouvernementalitäts-Diskurses ............................................... 110 Dr. Thomas Sukopp Anything goes? – Paul K. Feyerabend als Elefant im Popperschen Porzellanladen ... 124 Dr. Richard Albrecht „Leben retten”. Irving Louis Horowitz’ politische Soziologie des Genozid ............. 139 Dr. Markus Semm Nietzsche :: Janus ................................................................................................... 142 Dr. Jürgen August Alt Das Gleichgewicht der Natur .................................................................................. 157 Joachim Hofmann Zur sogenannten Egalitarismus-Debatte ................................................................... 163 Gopal Kripalani, M.E., Dipl.-Ing. Wird Europa islamisch oder der Islam europäisch? ................................................ 175 Georg Batz, M.A. Atheismus und Freiheit – Tradition und Gegenwart ................................................ 189 Aufklärung und Kritik 1/2007 F O R U M Georg Batz, M.A. Vorwort aus dem Sonderheft Islamismus ............................................................... 198 Prof. Dr. Herbert E. Brekle Kritische Anmerkungen zur Regensburger Vorlesung von Benedikt XVI. ........................ 201 PD Mag. Dr. Clemens K. Stepina Die Stellung der Frau in empirischen Befunden der attischen Demokratie und bei Aristoteles ......................................................................................................... 204 Inge Buggenthin Berufsverbot für die Wahrheit?! Ernst Ortlepp – Wahrheitssuchender Idealist und gefürchteter Kritiker ......................................................................................... 209 Gopal Kripalani, M.E., Dipl.-Ing. Lautes Querdenken über die Welt und den Menschen ............................................ 214 Dr. Richard Albrecht Executive, Summmary, oder Executive Summary? Zum Dilemma von Wissenschaft(ssprache/n) ........................................................................................ 217 helder yurén Was war „vor“ und was „nach“ der „Aufklärung“? ............................................... 220 Hans Brückl Anmerkungen zu einem Buch und seinem Autor ................................................... 230 Prof. Dr. Dr. Norbert Hoerster Es gibt keinen „Mord an Tieren“ .......................................................................... 239 Jens Grandt Wirtschaftsglaube als säkular-religiöses Phänomen .................................................. 243 PD Mag. Dr. Clemens K. Stepina Motivation Handicap? Dass ich nicht lache ............................................................ 255 BUCHBESPRECHUNGEN Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber: Jürgen Brater, Wir sind alle Neandertaler. Warum der Mensch nicht in die moderne Welt passt ................................................................................................ 259 Frans de Waal, Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind ................................ 259 Noam Chomsky, Der gescheiterte Staat und Günther Grewendorf, Noam Chomsky ................................................................................................................ 260 Dr. Gerhard Czermak, Peter Maslowski, Papstkirche ohne Heiligenschein. Geschichte der Konzile von Konstanz bis zum Vatikanum II .................................. 262 2 Aufklärung und Kritik 1/2007 Prof. Dr. Dietrich Grille, Hermann Gieselbusch/Michael Schmidt-Salomon (Hrsg.), „Aufklärung ist Ärgernis...“ – Karlheinz Deschner. Leben – Werk – Wirkung .......... 263 Joachim Goetz, H. Glaser u.a. (Hg.), Die Feuerbachs – Eine deutsche Familie im 19. Jahrhundert .................................................................................................. 266 Prof. Dr. Hubertus Mynarek, J. T. Bark, Besuch beim Wolkenmaler. Die Geschichte eines Schüler-Doppellebens .................................................................. 267 Elsa Romfeld, Thomas Sukopp, Radikaler Naturalismus. Beiträge zu Willard Van Orman Quines Erkenntnistheorie ...................................................................... 270 Georg Batz, M.A.: Klaus Michael Mallmann, Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina ......................................................................................... 272 Gerhard Besier, Das Europa der Diktaturen. Eine neue Geschichte des 20. Jahrhunderts ..................................................................................................... 273 Michael Stötzner, Thomas Uebel (Hg.), Wiener Kreis. Texte zur Wissenschaftlichen Weltauffassung ........................................................................................................ 274 Werner Maser, Fälschung, Dichtung und Wahrheit über Hitler und Stalin ................. 275 Konrad Löw, „Das Volk ist mir ein Trost.“ Deutsche und Juden 1933-1945 im Urteil der jüdischen Zeitzeugen .......................................................................... 276 Gerhard Köbler, Historisches Lexikon der Deutschen Länder ................................ 278 Dennis Schmolk, Michael Kreutz, Arabischer Humanismus in der Neuzeit ................... 279 Dr. Gerhard Czermak, Norbert Hoerster, Was ist Recht? Grundfragen der Rechtsphilosophie ............................................................................................ 280 Einladung zur Mitgliederversammlung 2007 ............................................................. 284 GKP im Internet ..................................................................................................... 285 Impressum .............................................................................................................. 287 Termine der Gesellschaft für kritische Philosophie 2007 ......................................... 289 Aufklärung und Kritik 1/2007 3 4 Aufklärung und Kritik 1/2007 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, lich retten? Die Würde des Individuums ist bei ihnen paradoxer Weise nicht sehr „Das Verlangen nach ‘Freiheit des Wil- gut aufgehoben). lens’, in jenem metaphysischen Superla- tiv-Verstande, wie er leider noch immer in Und wie steht es mit der Würde des Men- den Köpfen der Halb-Unterrichteten schen in unserer pluralistischen Gesell- herrscht, das Verlangen, die ganze und schaft? Herbert E. Brekle hebt in seinem letzte Verantwortlichkeit für seine Hand- Text hauptsächlich auf die Gefahren ab, lungen selbst zu tragen und Gott, Welt, die durch die Rückkehr der Religionen im Vorfahren, Zufall, Gesellschaft davon zu breitesten Sinn des Wortes entstehen. Sie entlasten, ist nämlich nichts Geringeres, sind keine schnellwirkenden „Erlösungs- als eben jene causa sui zu sein und, mit medikamente“, sondern führen, so ge- einer mehr als Münchhausen’schen Ver- handhabt, zu verstärkten sozialen Span- wegenheit, sich selbst aus dem Sumpf des nungen bis hin zu Kriegen und Terroris- Nichts an den Haaren in’s Dasein zu mus. Religiös-kulturell geprägte Parallel- ziehn.“ gesellschaften müssen sich der bürgerlich- liberalen Verfassung und deren Gesetzen Also sprach Friedrich Nietzsche, der unterordnen. längst Verblichene, man meint aber, er hätte es just gestern in einer Talkrunde des Fern- Also Demokratie ist – trotz aller ihrer sehens gesagt. Zugestimmt hätten ihm dort Schwächen – angesagt, meint Jan Narve- die wichtigsten Vertreter der modernen son in Teil I seiner Ausführungen. Er be- Hirnforschung, natürlich aus ihrer Sicht ginnt mit dem berühmten Ausspruch und mit ihren fachwissenschaftlichen For- Winston Churchills und macht sich dann mulierungen. Danach ist die Willensfrei- daran, konkrete Verbesserungen des de- heit eine Illusion. Die eigentlichen Antrie- mokratischen Systems vorzuschlagen. Teil be unseres Verhaltens entstehen in unse- II folgt in der Herbstnummer von AuK. rem limbischen Bewertungs- und Gedächt- nissystem, also in den Gefühlsarealen des Eine Frucht demokratischer Vorstellungen Gehirns, nicht aber im Cortex. ist sicher der Egalitarismus-Gedanke, den Joachim Hofmann in seiner Untersuchung Stellen wir uns vor, an dieser imaginären aufgreift. Inwieweit können alle dem Indi- Talkrunde hätte auch Gero Zimmermann viduum von der Natur und von Mitmen- teilgenommen, so hätte er aus der Sicht schen zugefügten Nachteile ausgeglichen der Informatik und Robotik Erstaunliches werden? Der Non-Egalitarismus wieder- zum Problem des freien Willens vorgetra- um lehnt die radikale Anwendung des gen. Immerhin tut er das im ersten Beitrag Gleichheitsprinzips ab. der vorliegenden Frühjahrsnummer von AuK., nicht gerade zur Freude der Retter Weit weg von diesen hehren Idealen, dort- der Willensfreiheit (Was wollen sie eigent- hin, wo archaische Strukturen in uns Aufklärung und Kritik 1/2007 5 schlummern, führt uns Richard Albrecht, dem Dschihad unserer Tage vergleichbar indem er die Gedanken von Irving Louis ist. Horowitz zum Völkermord vorstellt. Aus- gehend vom Genocid an den Armeniern Dass die sogenannte „Schöne Literatur“ fordert Letzterer, ein Frühwarnsystem ge- nicht nur philosophisch sondern hochpo- gen Völkermordtendenzen einzurichten. litisch sein kann, wird in zwei Beiträgen deutlich. Der Briefroman „Die Persischen Die archaische Verwurzelung menschlicher Briefe“ von Charles de Montesquieu wird Antriebe zeigt sich leider ebenso in den von Wulf Kellerwessel vor allem im Hin- Revierkämpfen, die sich um den Staat Is- blick auf die Haremsthematik untersucht. rael abspielen. Armin Pfahl-Traughber Besonders hier verdeutlicht Montesquieu mahnt in diesem Zusammenhang zur Sen- den Machtmissbrauch einzelner und die sibilität auch bei nicht-antisemitischer Unvernunft von Unterdrückungsstrategien. Israelkritik. Ein Grund dafür unter ande- ren: „die Gefahren aus und die Zustände „Der letzte Mensch in Europa“ war der in den arabischen Staaten“. ursprüngliche Titel des Romans „1984“ von George Orwell. Eine Kernaussage der Mit dem grundsätzlichen Problem, wie es Interpretation von Marc-Pierre Möll be- um das Verhältnis des Islam zu Europa inhaltet, dass die Grundbestimmung des steht, befasst sich Gopal Kripalani. (Die- Totalitarismus in der Verinnerlichung der ser Beitrag gehört thematisch übrigens zu Herrschaft als der moralischen Zerstörung dem im Januar erschienenen Sonderheft aller Subjektivität liegt. (Auf eine Reihe von „Islamismus“, musste jedoch aus Zeit- Fremdwörtern in dieser Untersuchung und Platzgründen in diese Ausgabe über- hätte man gerne verzichtet.) nommen werden.) Kripalani unterscheidet zwischen Muslimen, die sich nach Demo- Für Liebhaber und Gegner des Post- kratie sehnen, aber mit eigener Kraft nicht modernismus finden sich in der laufen- dahin gelangen, ferner den hasserfüllten, den Nummer ebenfalls zwei Artikel. Ha- terroristischen Gruppen um Usama bin La- rald Lemke bricht eine Lanze für das ge- den und schließlich den „guten Muslimen“, schmähte Spätwerk von Michel Foucault. die mit den westlichen Gesellschaften ge- Dessen Vorstellungen von einer Ethik der meinsam für eine bessere Welt arbeiten Freiheit, die vom Einzelnen ausgeht, wollen. Die bange Frage bleibt, wie schnell möchte er unbedingt erklären. Sollte ihm sich die dritte Gruppe durchsetzen kann. das gelingen, dann schlägt er vor, der Kri- tik: „Vergeßt Foucault!“ den Wahlspruch Wie verderblich die Verquickung von „Vervielfältigt Foucaults Freiheitsdenken!“ Ideologie und Wissenschaft sein kann, gegenüberzustellen. erläutert Anton Szanya beispielhaft an den Abwegen der geistes- und naturwissen- Thomas Sukopp hat sich eine Ehrenret- schaftlichen Entwicklung im 19. Jahrhun- tung Paul K. Feyerabends vorgenommen. dert. Diese mündeten schließlich in das Unter anderem kennzeichnet er dessen Attentat von Sarajewo, 1914, das von sei- „gar nicht so anarchistische Wissen- nen Motiven und Auswirkungen her mit schaftstheorie“ und zitiert ihn aus einem 6 Aufklärung und Kritik 1/2007 Brief an Hans Albert: „Gegen die Vernunft Aufklärungsphilosophen und Aphoristi- habe ich nichts, ebensowenig, wie gegen kers Georg Christoph Lichtenberg (1742 Schweinebraten.“ Man nimmt es mit Ver- – 1799): „Ich danke dem lieben Gott je- gnügen zur Kenntnis. den Tag, dass ich ein Atheist bin.“ Wie schon eingangs erwähnt, wäre der So hoch will die Redaktion von AuK gar große Friedrich Nietzsche mit brandaktu- nicht greifen. Jedenfalls danken wir unse- ellen Ideen in heutigen Talkrunden bestens rer Leserschaft für ihr Interesse an unse- aufgestellt. Markus Semm bringt uns in rer Zeitschrift, die mit ihren Beiträgen ja seinem Aufsatz auch einige „blutige“ Ge- nicht immer auf den Höhen der Mensch- dankengänge des berühmten Querdenkers heit wandelt, eher schon manche Tiefen nahe: Paulus und das Abendmahl, bei dem und Untiefen auszuleuchten versucht, stets bekanntlich kostbares Blut vergossen in der Hoffnung, dass aus den daraus er- wird, der heilige Januarius und das Blut- wachsenden Erkenntnissen Besseres ent- wunder, was dann aber doch auf den Gott stehen möge. Janus hinausläuft, nach dem der Monat Januar benannt wurde. Warum all das? Ihr Lassen Sie sich überraschen! Joachim Goetz Eine leichter nachvollziehbare Überra- schung bringt Jürgen August Alt, wenn er das Verlangen nach Harmonie und Gleichgewicht als ein auf Platon zurück- gehendes metaphysisches Konstrukt ent- larvt, das durch die Jahrtausende, teilwei- se bis ins 20. Jahrhundert hinein, die geistes- und naturwissenschaftliche For- schung und Lehre geprägt – und behin- dert hat. Auf Platon kann und will sich Georg Batz auch nur im negativen Sinn berufen, wenn er im letzen Beitrag der Artikelreihe einen weiten Bogen vom Atheismus antiker Den- ker bis zu den libertären Bestrebungen in der Gegenwart spannt. Wörtlich schreibt er: „Neben dem Stalinismus, dem Maois- mus und dem Nationalsozialismus ist die christliche Religion die größte Verbrecher- ideologie der Menschheit.“ Liebe Leserinnen und Leser, was soll man dem noch hinzufügen? Viel- leicht einen Ausspruch des Naturgelehrten, Aufklärung und Kritik 1/2007 7 Furchtlose Rationalität Norbert Hoerster zum 70. Geburtstag Wer in eine Buchhandlung geht, um sich ebenso wie ihr Mann Peter Geach und das jeweils neueste Buch von Norbert zahlreiche Oxford-Dozenten anhingen, Hoerster zu besorgen, ist immer wieder blieb Hoerster bis heute bemerkenswert überrascht: Selten gehen seine Schriften unberührt. Aber die Begegnung begrün- über 180 Seiten hinaus, oft sind es weit dete sein lebenslanges Interesse an der weniger. Kurz und klar – das sind die Religionsphilosophie. Adjektive, die sich beim ersten Blättern 1972 wurde Hoerster an der Universität aufdrängen. Und unwillkürlich variiert man München für Philosophie habilitiert. Dort Wittgenstein: Was sich klar sagen lässt, hatte Wolfgang Stegmüller seit 1958 das lässt sich offenbar auch kurz sagen. Da- Institut für Wissenschaftstheorie aufge- bei ist es eine durchaus zeitaufwendige baut – vielleicht die zweite lebensge- Kunst, kurze Bücher zu schreiben: Schon schichtliche Wurzel für Hoersters klaren Pascal antwortete auf die Vorhaltung, ein Denkstil. Das Ziel des Instituts war es, die Brief sei entschieden zu lang geraten: Er angelsächsischen Standards der analyti- habe einfach nicht die Zeit gefunden, ihn schen Philosophie und der Philosophy of kürzer zu schreiben. Science, der „Wissenschaftstheorie“, in Ein Blick auf Hoersters Werdegang1 zeigt: einem Deutschland bekannt zu machen, Sein selbst auf Seiten seiner Gegner aner- dessen philosophische Maßstäbe von kannt klarer Stil ist auch lebensgeschicht- Adorno, Hegel und Heidegger bestimmt lich verwurzelt. Nachdem er 1963 den waren. Master of Arts in Philosophie an der Uni- Von 1974 bis 1998 war Hoerster Profes- versity of Michigan erworben hatte und sor für Rechts- und Sozialphilosophie am 1964 an der Universität Münster zum Dr. Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswis- jur. sowie 1967 in Bochum zum Dr. phil. senschaften der Universität Mainz. Seit promoviert wurde, verbrachte er das aka- seiner Emeritierung im Jahre 1998 schreibt demische Jahr 1967/68 mit Lehrtätigkei- er vorrangig Bücher – kurze Bücher, und ten an der University of Michigan sowie zwar inzwischen in beeindruckender Re- mit einem Forschungsaufenthalt an der gelmäßigkeit: Sterbehilfe im säkularen Universität Oxford. Dort begegnete ihm Staat (1998); Ethik des Embryonen- mit Elizabeth Anscombe die Analytische schutzes (2002); Ethik und Interesse Philosophie der Wittgenstein-Schule. (2003); Haben Tiere eine Würde? Grund- Anscombe selbst war Wittgenstein-Schü- fragen der Tierethik (2004); Die Frage lerin und hatte sich als Wittgenstein-Inter- nach Gott (2005); Was ist Recht? Grund- pretin und Übersetzerin der Philosophi- fragen der Rechtsphilosophie (2006).2 Ihr schen Untersuchungen ins Englische be- Verständnis verlangt meist nicht mehr als reits einen Namen gemacht. Kein Zweifel: einen offenen Kopf, wie Popper es nann- Hier suchte und empfing Hoerster stil- te – also die Bereitschaft, nichts für un- prägende Anregungen – auch wenn sie auf umstößlich zu halten und sich im Interes- den Denkstil beschränkt blieben: Vom se des Erkenntnisfortschritts jederzeit ei- strengen Katholizismus, dem Anscombe nes Besseren belehren zu lassen. 8 Aufklärung und Kritik 1/2007
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