Skript zur Veranstaltung „Anwendungen der Spieltheorie in den Wirtschaftswissenschaften“ im Wintertrimester 2009 © Prof. Dr. Friedrich L. Sell Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik und Wirtschaftspolitik 2 Gliederung 1. Einführung ............................................................................................... 5 1.1 Extensive Form des Spiels .................................................................... 5 1.1.1 Beispiel: Vertrauensspiel ................................................................... 5 1.1.2 Beispiel: Gefangenendilemma ........................................................... 7 1.2 Matrixlösung oder strategische Form des Spiels ................................... 9 1.2.1 Das Gefangenendilemma .................................................................. 9 1.2.2 Das Kreditspiel ................................................................................ 10 1.3 Simultanspiele vs. sequentielle Spiele ................................................ 15 1.3.1 Beispiel für Simultanspiel: Fiskal- vs. Zentralbankpolitik ................. 15 a) Eine Darstellung in extensiver Form ................................................ 18 b) Darstellung in strategischer Form .................................................... 20 2. Lösungskonzepte für statische Spiele bei vollständiger Information ...... 23 2.1 Gleichgewicht in dominanten/dominierten Strategien ......................... 23 2.2 Maximin-Lösungen .............................................................................. 28 2.3 Nash-Gleichgewichte .......................................................................... 30 2.3.1 Nash-GG: Grundkonzept ................................................................. 30 2.3.2 Formale Ableitung und Reaktionen ................................................. 31 2.3.3 Erweiterung des Strategiekonzepts ................................................. 32 2.3.4 Nash-GG im Duopol ........................................................................ 33 2.4 Erweiterungen: Fokuspunkt und gemischte Strategien ....................... 42 2.4.1 Spielsituation mit mehreren Nash-Gleichgewichten ........................ 42 2.4.2 Gleichgewichte in gemischten Strategien ........................................... 44 2.4.2.1 Einführung: Das Problem................................................................. 44 2.4.2.2 Allgemeiner Lösungsansatz ............................................................. 46 2.4.2.3 Anwendung auf das Spiel „Gerade“ / „Ungerade“ und auf ein 2. Spiel ...................................................................................... 46 3. Lösungsansätze für dynamische Spiele ................................................. 52 3.1 Mehrstufige Spiele mit beobachtbaren Handlungen: Rückwärtsinduktion und Teilspielperfektheit ....................................... 52 3.1.1 Perfekte und vollständige Information ............................................. 52 3.1.2 Imperfekte Information ..................................................................... 55 3.2 Teilspiele und Teilspielperfektheit ....................................................... 57 3.2.1 Konzept eines Teilspiels .................................................................. 57 3.2.2 Teilspielperfektes Gleichgewicht ..................................................... 59 1 Einführung 3 3.2.3 Stackelberg-Lösung ......................................................................... 62 3.2.4 Bindende Verpflichtungen und sunk costs ....................................... 66 4. Dynamische Spiele ................................................................................ 68 4.1 Mehrstufige Spiele mit beobachtbaren Handlungen ........................ 68 4.2 Wiederholte Spiele und kooperatives Verhalten .................................. 80 4.2.1 Zum Konzept des wiederholten Spiels ............................................ 80 4.2.2 Das Gefangenendilemma als wiederholtes Spiel ............................ 80 4.2.3 Auszahlungsmöglichkeiten .............................................................. 87 Das Modell effizienter Verhandlungen (effiziente Kontrakte) ......................... 93 4.2.4 Das Rubinstein-Verhandlungsmodell .............................................. 96 4.2.5 Probleme und Erweiterungen (Kartell, neuverhandlungsstabiles Gleichgewicht) ............................................................................... 100 4.3 Unvollständige Informationen: Bayes-Nash und sequentielles Gleichgewicht .................................................................................... 108 4.3.1 Einleitung ....................................................................................... 108 4.3.2 Unvollständige Informationen ........................................................ 114 4.3.3 Bayes-Nash Gleichgewicht bei unvollständigen Informationen ..... 119 4.4 Sequentielle Gleichgewichte ............................................................. 129 4.5 Verfeinerungen für Signalspiele ........................................................ 134 1 Einführung 4 Literatur: Currie, D./Levine, P., Rules, Reputation and Macroeconomic Policy Coordination. Cambridge University Press 1993 Dixit, A. K. /Nalebuff, B. J., Spieltheorie für Einsteiger, Stuttgart 1997. Engelkamp, P./Sell, F. L., Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 4. Auflage, Ber- lin/Heidelberg/New York 2007. Manfred Holler/Gerhard Illing, Einführung in die Spieltheorie. 5., überarbeitete Aufla- ge mit 92 Abbildungen. Berlin/Heidelberg/New York 2003. Sell, F. L., Contagion in Financial Markets, Cheltenham, UK und Northhampton, MA, 2001. F. L. Sell, More about economic and non-economic determinants of (mutual) trust and trustworthiness, Universität der Bundeswehr München. Institut für Volkswirtschaftslehre, Diskussionsbeiträge Nr. 2/2007, 19. Jg. Neubiberg, 21 Seiten. 1 Einführung 5 1. Einführung 1.1 Extensive Form des Spiels 1.1.1 Beispiel: Vertrauensspiel Entscheidungssituation: • Berta bietet per eBay Erstausgabe an von Smith’s „Wealth of Nations“. • Adam ist bei der Auktion Höchstbietender gewesen. • Adam muss Geldbetrag an Berta überweisen, bevor Berta Buch an Adam sendet. • Berta kann entweder das Buch behalten oder ihrer Pflicht nachkommen und Adam das Buch schicken. Vollständige (Auszahlungen) und perfekte (Beobachtbarkeit der Züge) Infor- mation: Adam weiß, wie sich Berta entscheiden wird, jeder der Spieler kennt alle rele- vanten Auszahlungen des Spiels. Entscheidung (Baum 1) D , D ist die eindeutig bestimmte Lösung: Für Berta ist defektieren immer A B lohnender als zu kooperieren. Das wird von Adam antizipiert und er wird dem- zufolge – trotz Höchstgebot – kein Geld an Berta überweisen. Entscheidung (Baum 2) Ein anderes Ergebnis ist nur dann zu erwarten, wenn Aktivität für Adam einen Erwartungsnutzen hat, der größer als Null ist. 1 Einführung 6 Ergebnisbaum 1 Ergebnisbaum 2 1 Einführung 7 ( ) E C =(1−p)⋅a+p(1−rr)≥0 A ( ) E C =a−pa+p−prr ≥0 A ( ) E C =a+p(−a+1−rr)≥0 A p(1−a−rr)≥ −a p( " " )≥ −a −a p* ≥ > 0 für a < 0 und (1 – a) > rr (1−a−rr) Dabei sind p⋅(1−p) keine subjektiven Wahrscheinlichkeiten, mit denen Adam erwartet, dass Berta kooperieren bzw. defektieren wird, sondern „Züge der Na- tur“, die über den Typ von Berta entscheiden. Berta hat „moralische Kosten“ in Höhe von tr („trust responsiveness“), wenn sie defektiert, dagegen „morali- sche Nutzen“ in Höhe von rr („rewarding responsiveness“), wenn sie Adams Vertrauen honoriert. Diese sind von Adam zu „entrichten“. Literatur: F. L. Sell, More about economic and non-economic determinants of (mu- tual) trust and trustworthiness, Universität der Bundeswehr München. Insti- tut für Volkswirtschaftslehre, Diskussionsbeiträge Nr. 2/2007, 19. Jg. Neu- biberg, 21 Seiten. 1.1.2 Beispiel: Gefangenendilemma Entscheidungssituation: • 2 Verdächtige sind in Einzelhaft • Bezichtigt schwerer Verbrechen, die aber nicht beweisbar sind (etwa durch Indizienkette) • Verhör beim Staatsanwalt: 1 Einführung 8 beide gestehen nicht: beide gestehen: nur einer gesteht: Strafe für beide wg. (Nur 3 Monate für den anderer Delikte Geständigen, aber (1 Jahr für beide) (8 Jahre für beide) 10 Jahre für den nicht Geständigen) Ergebnisbaum für Delinquent 2 ( Delinquent 1) 8 Jahre g e s t e h e n (8 Jahre) B g e s t e h e n nicht gestehen 10 Jahre (1/4 Jahr) A nicht gestehen ge st ehen 1(1/40 JJaahhrre) C nicht gestehen 1 Jahr (1 Jahr) (Im)perfekte Informationen: Delinquent 2 weiß nicht, an welchem Knoten er sich befindet, also ob er sich in B oder C befindet! Entscheidung: Egal für welchen Weg (von A nach B oder nach C) sich Delinquent 1 entschei- det, in jedem Fall steht sich Delinquent 2 durch ein eigenes Geständnis besser als durch Schweigen (8 < 10 und ¼ < 1)! Durch Vorausschauen und Zurück- schließen ermittelt Delinquent 1, dass er sich unter diesen Bedingungen selbst am besten stellt, wenn er auch gesteht (8 < 10). Daher ist für jeden der Delin- quenten „Gestehen“ eine dominante Strategie! Literatur: Manfred Holler/Gerhard Illing, Einführung in die Spieltheorie. 5., überarbei- tete Auflage mit 92 Abbildungen. Berlin/Heidelberg/New York 2003. 1 Einführung 9 1.2 Matrixlösung oder strategische Form des Spiels 1.2.1 Das Gefangenendilemma Delinquent 2 Nicht gestehen Gestehen Delinquent 1 Nicht gestehen 1,1 10, ¼ Gestehen ¼, 10 8,8 Nash-Lösung Entscheidung: Sowohl für Delinquent 1 als auch für Delinquent 2 ist - egal, welche Strategie der andere Spieler wählt – stets „Gestehen“ die dominante Strategie. Daher stellt sich im Süd-Osten der Auszahlungsmatrix die sogenannte „Nash- Lösung“ bei nicht kooperativem Verhalten ein. Für beide Spieler wäre dagegen diejenige Lösung optimal, bei der jeder Spieler nicht gesteht. Diese Lösung setzt aber im Grunde genommen „gegenseitiges Vertrauen in die Koordinationslösung“ voraus. Mangels Kommunikation wird diese Koordi- nationslösung nicht erreicht. Aber, das haben wir oben gesehen – selbst Kommunikation wäre i.d.R. nur eine notwendige, keinesfalls aber eine hinrei- chende Voraussetzung dafür, einander zu vertrauen. Das Gefangenendilem- ma sagt darüber hinaus, dass in solchen Situationen jeder der beiden Delin- quenten Vertrauensgeber (VG) als auch Vertrauensnehmer (VN) ist. 1 Einführung 10 1.2.2 Das Kreditspiel Die „siebente und letzte Marginalbedingung“ (Theorie des sozialökonomischen Optimums) beschäftigt sich mit dem Konsum gleichartiger Güter zu verschie- denen Zeitpunkten und dem möglichen Austausch von Zukunftsgütern gegen Gegenwartsgüter zwischen zwei Haushalten. Ein solcher Austausch ist immer dann naheliegend, wenn eines der Wirtschaftssubjekte in der Gegenwart sei- nen Konsum ausdehnen möchte. Dies kann es aber nur, wenn es einen Kre- ditgeber in der Gegenwart findet, der die Rückzahlungen des Kredits – ein- schließlich Zinsen – in Gestalt von Zukunftsgütern entgegen nehmen möchte. Für eine additive intertemporale Nutzenfunktion U (C, C ) gilt: t t+1 C U(C ,C ) = C + t+1, t t+1 t 1+r wobei 1/(1+r) den Diskontierungsfaktor für den Zukunftskonsum darstellt. In unserem Beispiel nehmen wir an, dass Haushalt 1 eine hohe Zeitpräferenz besitzt und sich in der Gegenwart (t=1) zu einem Zins von bis zu 10 Prozent verschulden möchte, den er in der Zukunft (t=2) zurückzahlen muss. Mit ande- ren Worten: Ein Zugewinn an 100 Gegenwartsgütern ist ihm die Aufgabe von 110 Zukunftsgütern bei gleichem Nutzenniveau U1 wert – er bleibt auf seiner alten Indifferenzkurve. Als Ausdruck seiner Ungeduld möge für seine äquiva- lente Nutzeneinschätzung folgende Grenzrate der Substitution gelten: dC 110 2 = GRS1 = − = −(1+r)= −1,10. dC C1,C2 100 1 U1 Für den zweiten, geduldigeren Haushalt 2 möge dagegen gelten: dC 105 2 = GRS2 = − = −(1+r)= −1,05. dC C1,C2 100 1 U2 Haushalt 2 ist also zur Aufgabe von 100 Gegenwartsgütern bei einem Zuge- winn von 105 Zukunftsgütern bereit. Die implizite Zinsvorstellung liegt dem- nach bei 5 Prozent. Wie können sich beide einigen? Offensichtlich immer
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