Site ete Anton mit dem groBen _ Anton mit dem groben 8 Geschichten von Anton mit dem groBen Hut, von Wolke und einer Ratte, die alle zusammen in einem Bahnhof wohnen und 8 neue Kinderlieder von Ingeborg Feustel Kompositionen von Gunther Erdmann Illustrationen von Konrad Golz Lied der Zeit - Musikverlag - Berlin 1989 Wanderst du links vom Dommelsee hiigelauf, htigelab, wieder hiigelauf, hiigelab — siebenmal, stehst du unvermutet mitten im Wald vor einem Bahnhof. Kein Zug fahrt mehr auf den verrosteten Schienen. Die Waldrebe klettert die Schranken hinauf, und in der Signallampe briitet die Drossel. In diesem Bahnhof wohnt Anton mit dem gro®en Hut. »Er hat es faustdick hinter den Ohren — wie alle Kobolde“, fliistert das Wildschwein. sein Hut ist einfach lacherlich“, krachzt die Krahe hinter dem vorge- haltenen Fligel. »Auch wenn Anton kaum bis zum Fensterbrett reicht, hat er ein groBes Herz‘, sagt die Ratte Magda. »,Wie ist er tiberhaupt in unseren Wald gekommen?“ fragt das Kanin- chen neugierig. »Auf ganz gewohnliche Weise — zu FuB!“ antwortet der Hund Wolke — und kichert. Aber das ist schon die erste Geschichte... yh Die Geschichte fangt mit einem Gewitter an... Die Wiese kriecht mit tausend Kuckucksnelkenbliiten den Hiigel hinauf, aber der Wald schickt ihr Kiefernbiische entgegen. Er dehnt sich so weit, als wurde er mit dem Himmel zusammenwachsen. Hier beginnt an einem Sommertag die Geschichte von Anton mit dem gro®en Hut — gleich mit einem gewaltigen Donnerschlag. Und wenn es gewaltig donnert, regnet es auch meistens gewaltig. Der Regen prasselt auf den Wald und auf Antons groBen Hut. Der Hut ist wie ein Regenschirm. Aber was niitzt ein Regenschirm, wenn er ein Loch hat. Anton dreht das Loch in der Krempe nach vorn —schon trifft ihn der Regen mitten ins Gesicht. Besser hinten, denkt Anton. Da rinnt ihm das Wasser in den Kragen, und schon ist er ringsum tropfnaB. Es blitzt und donnert in einem Atemzug. Der Sturm zaust die Baume. Auf allen Waldwegen wachsen Pfiitzen. Anton springt wie ein Hase dar- liber hinweg, aber auch manchmal mitten hinein. Pl6tzlich steht Anton unter einer Linde. Sie breitet ihre Zweige tiber den Vorplatz eines alten Bahnhofs. Ein Bahnhof mit einem Dach! Anton atmet erleichtert auf, aber die Tiir ist vernagelt. Das Fenster auch. Anton entdeckt den Fahrkartenschalter. Die Schalterklappe 148t sich hoch- schieben. Anton kann sich gerade hindurchzwangen. Er schiittelt die Regentropfen vom Hut und hangt ihn an einen Haken, wo friiher die Miitze des Stationsvorstehers baumelte. Unsicher geht Anton zum Sofa, denn alles ist fremd und verstaubt. »Hallo!“ ruft Anton unsicher, Niemand antwortet. Lange Staubfaden schaukeln von der Decke. Am Fenster hangen Spinn- weben. Anton geht quer durch die Stube. ,,Es konnte mir hier gefallen, aber dann brauche ich dringend einen Besen!** Neben der Tiir steht einer. Anton fegt Staub und tote Fliegen bis zur Schwelle. Aber die Tiir ist ver- nagelt. Anton findet eine Zange im Tischkasten. Vier dicke Nagel zieht er aus der Tiir. DrauBen prasselt der Regen auf die Lindenblitter. Die frischgewaschene Luft fliegt bis in den letzten Winkel der Bahnhofsstube. Anton sitzt auf dem Sofa, pfeift und baumelt mit den Beinen. 6 Da knarrt es geheimnisvoll. Anton zuckt zusammen. Er zieht die Beine auf das Sofa und sagt laut in die Stille hinein: ,,Ein alter Bahnhof hat auch alte Balken — und alte Balken knarren.“ Nichts geschieht. Nur der Regen trommelt an das Fenster. Anton legt sich auf das Sofa und sieht den Regentropfen an der Scheibe zu. Da geht es oben auf dem Boden tap-tap-tap. Vielleicht regnet es durch das Dach, denkt Anton. Mitten in seine Ge- danken hinein poltert ein Eimer die Treppe hinunter. ,,Eimer haben gewohnlich keine Beine. Aber wenn sie von allcine dic Treppe hinunterscheppern, mu8 man miB- trauisch sein!“ Anton umklammert den Besenstiel. Er schleicht zur Treppe und sieht hinauf. Von oben fliegt ihm ein ausgefranstes Kissen ins Gesicht. Anton stolpert hinterriicks in den Eimer und niest verwirrt. ,,Es mu8 ein Gespenst sein, denn cin verniinftiges Wesen wirft nicht mit Eimern™, fliistert Anton und schleicht vorsichtig riickwarts zum Sofa. Er sitzt und griibelt. Ein Gespenst kann man am besten durch ein Gespenst vertreiben. Anton hangt das Tischtuch tiber den Besen, stiilpt den Eimer dariiber und verschwindet darunter. Er hebt und senkt den Besen, und das Gespenst, das da durch den Bahn- hof schleicht, wird mal groB und mal klein. Lange Schritte — kurze Schritte, in die Ecke — quer durch die Stube — huuu! Unheimlich! Anton findet Spa8 an der Gespensterei. Seine Angst ist verflogen. Hinter ihm poltert es. Anton bleibt stocksteif stehen und hebt den Besen. In diesem Augenblick st6&t jemand mit Anton zusammen und jault. Der Eimer rollt unter das Sofa. Anton stolpert. Er schielt durch ein Loch im Tischtuch. Vor dem Loch schniiffelt eine schwarze Nase. Anton rappelt sich auf. Ein struppiger Hund weicht zuriick und knurrt, daB ihm die Ohren zittern. Ein grauer Fetzen hangt ihm tiber den Ricken. ,Seit wann knurren Gespenster und zittern vor Angst mit den Ohren?* Anton schiebt das Tischtuch zur Seite. Der Hund klappt ein Ohr herunter und wedelt zaghaft mit dem Schwanz. Anton lachelt. Wie beruhigend, da8 da nur ein Hund sitzt und kein Gespenst! Der Struppige beschniiffelt Anton. ,,Hunde wissen immer, wen sie mogen“,, fliistert er, ,,und ich stelle gerade fest, da8 ich dich mag.“ Und warum gespensterst du dann durch den Bahnhof?“ »Weil ich dich eigentlich nach Sonstwo jagen wollte, aber das war vor- hin.“ ,Logisch klingt das nicht“, schmunzelt Anton, ,,trotzdem, ich mag dich seltsamerweise auch.‘ Anton legt das Tuch wieder auf den Tisch. Der Hund rollt den Eimer in die Ecke. ,,Wie hei8t du eigentlich?“ fragt Anton. Der Hund betrachtet verlegen seine Vorderpfoten. ,,Habe ich glatt vergessen, weil ich schon vor langer Zeit verlorengegangen bin.“ »» Wie kann denn ein Hund verlorengehen?“ Der Hund kratzt sein Ohr. ,,Als alle mit Sack und Lokomotive aus dem Bahnhof dampften, war ich gerade unterwegs. Und als ich wieder zuriick- kam, waren die anderen hinwiederum unterwegs — wenn du verstehst, was ich meine.“ Anton lacht. ,,Also kurz gesagt, du bist ein Stromer Der Regen vertrépfelt. Anton setzt seinen Hut auf und stellt sich an die Tiir. Der Hund bleibt an seiner Seite. ee 10 »WeiBt du keinen Namen fiir mich?“ »Wie willst du denn hei8en?“ Der Hund tiberlegt. ,,Am liebsten Kleine weiBe Plusterwolke am blauen Sommerhimmel! »Das ist kein Name, das ist ein Roman. Aber Wolke kannst du hei®en, auch wenn es fiir einen Hund sehr ungewohnilich ist.‘ Der Hund Wolke springt die Bahnhofstreppe hinunter — immer zwei Stufen zugleich und tobt dann vor Freude um die Linde herum. Es wird Abend, und aus dem Abend wachst dic Nacht mit tausend Ster- nen. Anton liegt auf dem Sofa und der Hund Wolke auf dem Kissen davor. Sie reden miteinander und k6énnen kein Ende finden, weil ihre Freundschaft noch so neu ist. Da huscht im Mondlicht ein Schatten durch die Stube. Anton richtet sich auf. ,,Gibt es hier etwa Mause?“‘ Der Hund Wolke schiittelt den Kopf. Anton schlicBt beruhigt dic Augen und reiBt sie gleich wieder auf, denn auf dem Fensterbrett sitzt eine Ratte und putzt sich den Bart. »Eine Ratte! Ekelhaft!** ruft Anton. Der Hund Wolke zuckt nervés mit den Ohren. DrauBen dammert schon der Morgen. Die Mondsichel wird bla8, und die Sonne farbt den Himmel rot. Anton nimmt den groBen Hut vom Haken und stiilpt ihn auf den Kopf. »,Wenn du gehst, komme ich mit. Ein Hund folgt immer dem, der ihm sei- nen Namen gegeben hat.“ Anton wandert durch das taunasse Gras. Der Hund Wolke hinterher. Aber schon unter der Linde bleibt er sitzen und schaut zum Bahnhof zuriick. ,,.Ich kann Magda nicht ohne ein Abschiedswort verlassen“, flii- stert er. »Wer ist Magda?“ fragt Anton neugierig. Der Hund kratzt verlegen seinen Bauch. ,,Die... die... Ratte auf dem Fensterbrett!“ ,,Wenn es so steht, ist der Fall ftir mich erledigt!** brummt Anton ent- schlossen. ,,Wer Ratten Magda nennt, den kenne ich nicht!‘ Hinter Anton rauspert sich jemand. Anton dreht sich um. Auf einem Stein sitzt die Ratte Magda und streckt ihm ihre Pfote entgegen. Anton steckt beide Hande in die Hosentaschen. Der Hund stupst ihn an das Knie. ,,Du kannst Magda unbedenklich deine Hand geben. Sie putzt sich immerzu und ist meine alteste Freundin und—Hundeehrenwort —die ein- zige Ratte im Bahnhof.“ Anton dreht der Ratte den Riicken zu. Wolke sieht ihm vorwurfsvoll ins Gesicht. ,,Selbst bei Hunden findest du solche und solche — und auch Dummkopfe, die Vorurteile haben!“ Anton griibelt. Auf seiner Stirn wachsen Falten. Z6gernd dreht sich Anton um und reicht der Ratte die Hand. Wolke wedelt freudig mit dem Schwanz. Aber Anton marschiert trotzdem in den Wald hinein, nicht ein einziges Mal sieht er zum Bahnhof zuriick. Der Hund steht wie ein hungriger Esel zwischen zwei Heuhaufen. Bleibt er bei Magda — oder soll er mit Anton in die Welt wandern? Wolke kann sich nicht entscheiden. Er jault leise. Anton bleibt stehen. Er schiebt sei- nen Hut in den Nacken und wandert zur Linde zuriick. ,,Wohin willst du nun eigentlich?“ fragt Wolke verwirrt. Als hatte Anton die Frage nicht 12