ebook img

Antiziganismus und Gesellschaft: Soziale Arbeit mit Roma und Sinti aus kritisch-theoretischer Perspektive PDF

241 Pages·2016·5.095 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Antiziganismus und Gesellschaft: Soziale Arbeit mit Roma und Sinti aus kritisch-theoretischer Perspektive

Antiziganismus und Gesellschaft André Lohse Antiziganismus und Gesellschaft Soziale Arbeit mit Roma und Sinti aus kritisch- theoretischer Perspektive André Lohse Hanerau-Hademarschen , Deutschland Dissertation Universität Hamburg, 2015 Referenten: Prof. Dr. Benedikt Sturzenhecker Prof. Dr. Gordon Mitchell Prof. Dr. Hajo Jakobs ISBN 978-3-658-11515-9 ISBN 978-3-658-11516-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-11516-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) in memoriam Prof. Dr. Rüdiger Wurr (1941 – 2013) 5 Inhalt Einleitung ............................................................................................................ 9 1. Antiziganismus in der bürgerlichen Gesellschaft 1.1 Begriffliche Vorüberlegungen zum Ressentiment ................................ 19 1.1.1 Antiziganismus und die »Psychologie des Ressentiments« ................ 23 1.1.2 Das unerwerbbare Seinswertgefühl ..................................................... 26 1.1.3 Zigeunerbild und antibürgerliche »Vornehmheit« .............................. 29 1.1.4 Leibverachtung, Existenzialneid und Anti-Blick ................................ 33 1.2 Zur Psychotopographie der Zigeunerimago .......................................... 42 1.2.1 Anmerkungen zum gesellschaftstheoretischen Zugang ...................... 43 1.2.2 Sehnsuchtsstrukturen des bürgerlichen Subjekts ................................ 50 1.2.3 Strukturen der Disziplinargesellschaft ................................................ 59 1.2.4 Die Verinnerlichung des panoptischen Blicks. ................................... 66 1.2.5 Die Veräußerlichung des Inneren – Abwehr von Es-Impulsen ........... 70 1.2.6 Exkurs: Nuancierungen des Projektiven – Antisemitismus und Über-Ich .............................................................................................. 73 1.2.7 Antiziganismus, Triebstruktur und Destruktivität ............................... 76 2. Antiziganismus in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft 2.1 Antiziganismustheorie der Gegenwart .................................................. 87 2.1.1 Triebschicksale in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ............ 89 2.1.2 Selbstüberschreiten der Libido und onto-erotische Metaphysik ....... 100 2.1.3 Spuren des Eros im antiziganistischen Ressentiment ........................ 105 2.1.4 Von der Sublimierung zur repressiven Entsublimierung .................. 132 7 2.1.5 Möglichkeiten und Grenzen der Sublimierung ................................. 133 2.1.6 Antiziganismus und »große Weigerung« .......................................... 141 2.1.7 Antiziganismus und Thanatopolitik .................................................. 158 3. Zur Sozialpädagogisierung des antiziganistischen Ressentiments 3.1 Rückblick ............................................................................................ 185 3.2 Dimensionen der Kritik ....................................................................... 185 3.3 Soziale Arbeit – Agentur der Gesellschaft .......................................... 191 3.4 Ethnisierende Kontroll- und Erziehungslogiken ................................. 195 3.5 Exkurs: Neo-antikritische Agitation und Techniken eindimensionaler Wahrheitskonstruktion ............................................ 216 3.6 Antiziganismuskonstante und neue Punitivität .................................... 224 4. Ausblick: Kritische Ansprüche ................................................................ 229 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 237 8 Einleitung Antiziganismus, die kollektive Feindseligkeit gegen Roma und Sinti auf einem Kontinuum von xenophobischer Ablehnung, gezielter Segregation bis zu Pogro- men und Völkermord, basiert auf Konstruktionen rassistischer Bilder, deren Ent- stehung weit in die Geschichte Europas hineinreicht. Sich kaum wandelnd, be- stehen solcherlei »Zigeunerbilder« samt der mit ihnen korrespondierenden Ein- stellungen über Jahrhunderte fort. Als gesellschaftliches Phänomen erkannt, ge- winnt der Antiziganismus seit einiger Zeit eine vergleichsweise verspätete Auf- merksamkeit aus unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Strömungen. Histo- risch, soziologisch, literaturwissenschaftlich, poststrukturalistisch, systemtheore- tisch oder tiefenpsychologisch wird diskutiert, was er ist, wie er sich zeigt oder zustande kommt. Die wissenschaftlichen Betrachtungen finden dabei ihr Er- kenntnisinteresse in der Konfrontation mit der historischen Tatsache der in der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus gipfelnden eliminatorischen Verbrechen, in der gegenwärtigen Virulenz des Antiziganismus sowie in seiner Kontinuität als überdauernde Erscheinung. Hinein bis in die derzeitig beobacht- baren Färbungen des medialen Diskurses um die Öffnung der Grenzen für Men- schen aus osteuropäischen Staaten lassen sich die Spannungen kollektiver Ani- mosität aufspüren1: Ängste etwa vor einer bedrohlichen ‚Schwemme‘, vor ‚Ban- denkriminalität‘, vor ‚Armutstourismus‘ und damit in Zusammenhang stehende Zuschreibungen richten sich in ihrer Vehemenz gerade gegen Roma. Diese offensiv diskriminierende Ablehnung korrespondiert mit einer in Deutschland er- hobenen Antiziganismusquote von über 55 Prozent2. Das Wiedergängerische des Themas in seiner Allgegenwärtigkeit scheint verdeutlicht, wenn entgegen gleich- zeitiger Beteuerung, es werde hinsichtlich des Themas Zuwanderung „keine Dis- kussion über Roma geführt“3, aus politischen Reihen „massenhafte Einwande- 1 Unmittelbar nach Fertigstellung der hier vorliegenden Arbeit veröffentlicht das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma die Studie „Antiziganismus in der deutschen Öffent- lichkeit. Strategien und Mechanismen medialer Kommunikation“, die in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben soll. Das Fazit der umfangreichen Untersuchungen Ends hebt die weite me- diale Verbreitung des Antiziganismus in „vielerlei Formen“ (End, 2014, 319) unter Reproduktion „ethnozentrischer Positionen“ und Fortführung „antiziganistischer Diskurse“ hervor. 2 Decker et al. (2014), 27. 3 So äußerte sich der Kölner CDU-Fraktionsvorsitzende Granitzka (zit. nach Attenberger 2013). 9 A. Lohse, Antiziganismus und Gesellschaft, DOI 10.1007/978-3-658-11516-6_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 rung von Roma aus Südosteuropa in die deutschen Sozialsysteme“4 oder „gren- zenlose[s] Schmarotzertum“5 beklagt wird. Dieser beharrlich diskreditierende Diskurs scheint das historisch fortwäh- rende Phänomen öffentlich-staatlicher Eingriffe in die Lebensbereiche von Roma und Sinti zu flankieren: Lucassen6 beispielsweise expliziert die Verflochtenheit von Institution als Ordnungsinstanz und dem vermeintlich homogenen ‚Zielob- jekt Roma und Sinti‘ als ‚Zigeuner‘. Sie zeigt sich seit Generationen schon in der auf kriminalisierenden Stigmata sowie auf Kontrolle und Erfassung beruhenden Verdächtigungsbereitschaft polizeilicher Wahrnehmung und Aktion. Noch für die Nachkriegszeit und darüber hinaus lässt sich ein Komplex der „Zigeunerpo- litik“7 und des „Zigeunerdiskurses“8 erkennen, als dessen Element die auf Le- bensweise resp. Verhalten ausgerichtete Intervention unter teilweiser Wiederauf- nahme „traditionelle[r] Diskriminierung“9 evident blieb. Margalit beobachtet die- se Negativfärbung etwa an deutschen Behörden und innerhalb der Mehrheitsbe- völkerung, deren antiziganistische Haltungen fortbestanden, während lediglich auf höherer politischer Ebene sich eine gewisse Vorsicht oder wenigstens eine zurückhaltendere Sprache etablierte. Hinsichtlich der Fokussierung der Kontinuitätsfrage öffentlich-herrschaftli- cher Eingriffe in die Lebenssphären von Roma und Sinti, insbesondere in Hin- blick auf heutige Intentionen politischer Programme, gibt ein vom Bundesmi- nisterium des Innern formulierter „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Inte- gration der Roma bis 2020“ näheren Aufschluss: Darin enthaltene „Maßnahmen- pakete zur Integration und Teilhabe der Sinti und Roma in Deutschland“ zeigen, dass entsprechend der Einschätzung Margalits eine vorsichtigere Rhetorik in der Tat zum Ausdruck kommt. Die Prekärität der Lebensbedingungen von Roma und Sinti ist dort zunächst in einen kritischen Kontext getaucht: Stigmatisierung, Dis- kriminierung, Ausgrenzung, Vorurteile, Intoleranz und Ignoranz werden als ur- sächlich für ihre Situation gesehen.10 Im Fortlauf der Zielsetzungen allerdings beruhen die beabsichtigten Maßnahmen jäh auf dem „zentrale[n] Leitsatz der In- tegrationspolitik in Deutschland [des] Fördern[s] und Fordern[s]“11. Allgemeine Formulierungen, wie „Integrationsdefizite“12 oder „Integrationsbedürftigkeit“13 4 CSU-„Bayernkurier“, zit. nach Janssen (2013). 5 Ebd. 6 Vgl. Lucassen (1996). 7 Margalit (2007), 492 ff. 8 Ebd., 503 ff. 9 Ebd., 492. 10 Bundesministerium des Innern (2011), 8. 11 Ebd., 20. 12 Ebd. 13 Ebd., 21. 10 markieren eine staatliche Intervention, die primär auf das Verhalten der Min- derheit ausgelegt zu sein scheint, statt auf den zuvor noch beklagten Antiziganis- mus. Eine darin enthaltene latente Wandlung der Ursächlichkeiten bzw. die Dis- sonanz zwischen Begründung der Lage der Roma und Sinti und tatsächlichem Strategiekurs lässt eine generell sich fortsetzende Tendenz zur ‚Erziehung‘ an- klingen. Letztere findet bereits seit den siebziger Jahren vermehrt Niederschlag in kommunalen Projekten zur ‚Eingliederung‘ von Roma und Sinti, in sozial- politisch initiierten Maßnahmen etwa zur Integration in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt und in die gegen sie kontrastierte Wertegemeinschaft. Die gegen- wärtige Umsetzung eines beständigen Erziehungsgedankens verlässt allerdings die Ebene hypothetischer Vagheit, wenn etwa in einer öffentlichen Aufforderung eines Projektvorschlages der Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II für die Durchführung von Arbeitsgelegenheiten Roma und Sinti als partikular iden- tifizierte Zielgruppe genannt sind, denen „notwendige Arbeitstugenden ver- mittelt werden sollen“14. Dort, wo Institutionen Lebensentwürfe von Roma und Sinti selektiv-ethni- sierend kontrollieren und steuern, wird eine „Machtdifferenz und deren Nutzung durch die Mächtigen, die Mehrheit und ihre Agenten“15 offenbar, die das Miss- trauen der Minderheit zu bestätigen droht. Wurr und Träbing-Butzmann bean- standen eine „Fortführung der immer schon praktizierten institutionellen Aus- grenzung“16, ein „Ausgrenzungskontinuum“ der Minderheitenpolitik. Entspre- chend attestiert Liégeois der auf Roma und Sinti gerichteten Europapolitik drei „Grundmuster“17, wonach sich ein Komplex aus »Exlusion«, »Containment« und »Inklusion« qua Erziehung konturiert. Auf übergeordneter Ebene ist damit die Färbung des Verhaltens der Majorität, der Machtinstanzen und ihrer öffentlichen Repräsentanzen gegenüber Roma und Sinti angesprochen, die Widmann durch seine exemplarischen Untersuchungen zur Kommunalpolitik bestätigt findet: Ab 1946 stattfindende Vertreibungspolitik fand ihre Ablösung ab den späten 1950er Jahren in Maßnahmen der Kontrolle resp. der „Bewährung im kontrollierten Raum“18 und mündete in den 70er Jahren in der Identifizierung der Roma und Sinti als Erziehungsobjekt der Sozialpädagogik19. 14 Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II (2009). Diese öffentliche Aufforderung wird an späterer Stelle eingehender betrachtet. 15 Wurr; Träbing-Butzmann (1998), 81. 16 Ebd., 224. 17 Widmann (2001), 190. 18 Ebd. 19 Vgl. ebd., 111. Sowohl der gegenwärtige politische Diskurs als auch aktuell institutionelles Vorge- hen lassen darauf schließen, dass es sich bei Exklusion, Containment und Inklusion nicht lediglich um einander ablösende Phasen, sondern um analog stattfindende Prozesse handelt: Integrationskon- zepte der Agenturen für Arbeit sind in verwaltungstechnischer Anbindung an die Ausländerbehörden 11

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.