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Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens, Band LVIII PDF

196 Pages·2012·3.17 MB·German
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Antike und Abendland De Gruyter Antike und Abendland Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens herausgegeben von Werner von Koppenfels · Helmut Krasser Wilhelm Kühlmann · Peter von Möllendorff Christoph Riedweg · Wolfgang Schuller Rainer Stillers Band LVIII 2012 De Gruyter Manuskripteinsendungen werden an die folgenden Herausgeber erbeten: Prof. Dr. Werner von Koppenfels, Boberweg 18, 81929 München – Prof. Dr. Helmut Krasser, Institut für Altertumswissenschaften, Universi- tätGießen, Otto-Behaghel-Str. 10, Haus G, 35394 Gießen– Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, Universität Heidelberg, GermanistischesSeminar, Hauptstr. 207–209, 69117 Heidelberg– Prof. Dr. Peter von Möllendorff, Institut für Altertumswissenschaften, Universität Gießen, Otto-Behaghel-Str. 10, Haus G, 35394 Gießen – Prof. Dr. Christoph Riedweg,Kluseggstr.18, CH-8032 Zürich– Prof. Dr. Wolfgang Schuller, Philosophische Fakultät, Universität Konstanz, Postfach 5560, 78434 Konstanz – Prof. Dr. Rainer Stillers, Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität Marburg, Wilhelm-Röpke-Str. 6D, 35032 Marburg. Korrekturen und Korrespondenz, die dasManuskript und den Druck betrifft, sind an den Schriftleiter Prof. Dr. Helmut Krasser zu richten. Buchbesprechungen werden nicht aufgenommen; zugesandte Rezensionsexemplare können nicht zurückge- schickt werden. Abstracts sind publiziert in / indexiert in: Arts and Humanities Citation Index · Current Contents Arts and Humanities · Dietrich’s Index philosophicus· IBR – Internationale Bibliographie der Rezensionen geistes- und sozialwissenschaftlicher Zeitschriften- literatur / IBZ – Internationale Bibliographie geistes- und sozialwissenschaftlicher Zeitschriftenliteratur ISSN (Print) 0003-5696 ISSN (Online) 1613-0421 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhaltsverzeichnis Uwe Walter Über Tacitus zu sich selbst: Golo Mann und die römische Antike . . . . . . . . 1 Katrin Pavlidis P(cid:2)(cid:3)(cid:3)(cid:4) φ(cid:6)(cid:2)(cid:7)(cid:8)(cid:2)(cid:7)(cid:9)(cid:10) (cid:11)(cid:12)(cid:13)(cid:14)(cid:7)μ« (cid:15)(cid:6)(cid:10)(cid:9)(cid:8)(cid:14)(cid:16)(cid:7): Herodots Gastmahl des Attaginos (Hdt. 9,16) als potentieller Erkenntnisgrund seines historischen Diskurses . . 16 Boris Dunsch Omne aevum tribus explicare cartis– Zur Freundschaft von Nepos und Catull . . 37 Paola Gagliardi Non omnia possumus omnes– Cornelio Gallo nell’ ecl. 8 di Virgilio . . . . . . . 52 Giampiero Scafoglio Housman e Virgilio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Werner Suerbaum Bilder zu Vergils Aeneis als Beilage zu Millionen von Liebig’s Fleischtöpfen. Zu einer populären Informationsquelle im 19./20.Jahrhundert . . . . . . . . 86 Werner von Koppenfels Was hat das Epigramm dem Porträt zu sagen? Ein bildpoetischer Streifzug von Ghirlandaio via Martial zu Shakespeare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Wolfgang Strobl «tu regere imperio populos, Romane, memento…»: Zur Rezeption von Vergil und Horaz im italienischen Faschismus am Beispiel des Siegesplatzes in Bozen . . 143 Elisabeth Décultot Eine Geschichte der antiken Kunst im Kleinen. Zu Johann Joachim WinckelmannsDescription des Pierres Gravées du feu Baron de Stosch . . . . . 167 VI Mitarbeiter des Bandes Prof. Dr.Elisabeth Décultot, Directrice de recherche CNRS, Centre Marc Bloch, Friedrichstrasse 191, 10117 Berlin Dr. Boris Dunsch, Seminar für Klassische Philologie, Philipps-Universität Marburg, Wil- helm-Röpke-Str. 6 D, 35032 Marburg Paola Gagliardi, via Due Torri, 21, 85100 Potenza, Italia Prof. Dr.Werner von Koppenfels, Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften, Department III– Anglistik und Amerikanistik, Ge- schwister-Scholl-Platz1, 80539 München Katrin Pavlidis, Institut für Altertumswissenschaften, Universität Gießen, Otto-Behaghel- Str. 10, Haus G, 35394 Gießen Prof. Giampiero Scafoglio, Via Manzoni 210, 80046 San Giorgio a Cremano (Napoli), Italia Dr.Wofgang Strobl, Ehrenbergstr.34, 39034 Toblach/Südtirol, Italia Prof. em. Dr. Werner Suerbaum, Ludwig-Maiximilians-Universität München, Abteilung für Griechische und Lateinische Philologie, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München Prof. Dr. Uwe Walter, Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philoso- phie und Theologie, Universitätsstraße25, 33501 Bielefeld Über Tacitus zu sich selbst: Golo Mann und die römische Antike 1 Uwe Walter Über Tacitus zu sich selbst: Golo Mann und die römische Antike Golo Mann (1909–1994) behandelte als erzählender Historiker der Neuzeit und Essayist Themen der Geschichte des 17. bis 20.Jahrhunderts, und selbst gute Kenner seines Werkes dürften beim Titel der folgenden Beobachtungen aufmerken. Jedenfalls gibt es zu dieser Nische von Golo Manns geistiger Existenz keine Literatur. Doch obwohl er der Vor- moderne in der Tat insgesamt eher fern stand– das galt zumal für das Mittelalter–,1 stellt sich für die Antike, genauer: die römische Antike der Befund differenzierter dar. Hier gab es nicht nur Berührungspunkte, hier ist, so meine These, auch ein wesentliches Moment für die Ausbildung von Geschichtsdenken und Geschichtsbild Golo Manns zu finden. Schulbildung Prägend für das Verhältnis eines gebildeten Deutschen zur Antike war für mehr als ein Jahr- hundert sehr oft der Lateinunterricht. Hier konnten die Erfahrungen denkbar weit aus- einanderliegen, fix war lediglich die Quantität. Als Golo Mann Schüler in Salem war (seit 1923), wies die Stundentafel für Latein am Humanistischen Gymnasium (in Preußen) etwa 50Stunden auf, verteilt auf neun Schuljahre, also mindestens fünf Wochenstunden (in den unteren Klassen mehr, oben weniger). Allerdings vollzog sich in dieser Zeit ein Wandel, ab- lesbar an der Gestaltung der schriftlichen Abiturprüfung: Die bis dahin dominierende Übersetzung ins Lateinische wurde ergänzt um eine Übersetzung aus dem Lateinischen, später (in Preußen 1926) ganz von dieser abgelöst. In Baden galt seit 1913 eine Prüfungs- ordnung, in der die Übersetzung aus einem lateinischen Schriftsteller ins Deutsche sowie eine als «Stil» bezeichnete Übersetzung ins Lateinische vorgesehen waren.2 Das erlaubte es den Lehrern, im Unterricht etwas freier auch dichterische Werke und anspruchsvolle Prosa zu lesen, während zuvor die einseitige Anlage der Prüfung erzwungen hatte, immer wieder Stücke aus relativ schlechtem Deutsch (weil dieses den lateinischen Konstruktionen bereits vorangepaßt war) in mehr oder minder gelungenes Latein (wegen der nicht vermiedenen Abgekürzt zitierte Werke und Briefe von Golo Mann: EG: Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland, Frankfurt 1986. EG II: Erinnerungen und Gedanken. Lehrjahre in Frankreich. Herausgegeben von Gauger, H. M. / W. Mertz, Frankfurt 1999. Wir alle sind: Wir alle sind, was wir gelesen. Aufsätze und Reden zur Literatur, Frankfurt 1989. ZF: Zeiten und Figuren. Schriften aus vier Jahrzehnten. Taschenbuchausgabe, Frankfurt/M. 1979. Briefe: Golo Mann, Briefe 1932–1992 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dich- tung Darmstadt). Hgg. von Lahme, T. / K. Lüssi, Göttingen 2006. 1 Ausnahme: die Lektüre von Ferdinand Gregorovius’ Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter: EG 471. 2 Bölling 2010, 151. 2 Uwe Walter Germanismen) zu übersetzen. Golo Mann schildert seinen Lateinunterricht in der Unter- sekunda beim Schulleiter Kurt Hahn persönlich mit warmen Worten (EG 124f.). Den für Baden geltenden Vorgaben gehorchend wurde noch in beide Richtungen übersetzt; aus einer Passage in Caesars Bellum Gallicum machte Hahn ein lateinisches Theaterstück und gab Golo Mann eine der Hauptrollen. Aber die Lektüre anspruchsvoller Texte scheint im Vordergrund gestanden zu haben, und Golo Mann las– wie das damals üblich war– auch auf eigene Faust. Rückblickend bezeichnet er sich selbst als ein lateinisches Temperament (EG 151); das Griechische sei ihm hingegen rasch entfallen.3 In Cicero erkannte er einen modernen, kultivierten Menschen im Sinne der Aufklärung, vergleichbar mit Voltaire; die Übertragung der ciceronischen Briefe durch Wieland schätzte er als kongenial. Entzückt war er von Ciceros erster Rede (Pro Sexto Roscio Amerino), einer «Mischung von Krimina- listik und Psychologie und Politik» (EG 152). Golo Mann schreibt heutigen Curriculum- Experten eine alte pädagogische Weisheit ins Stammbuch: Manche der gelesenen lateini- schen Texte kommen für einen Siebzehnjährigen zu früh, aber sie legen ein Fundament und können später mit anderen Augen betrachtet werden, so Horaz, den Golo Mann auf der Schule traktierte, weil er mußte; erst 1933 sei ihm der «heitere Stoizismus» dieses Dichters zum Trost geworden (EG 154). Der Schüler las seine Lieblingsautoren Cicero, Horaz und Tacitus– dieser Eindruck er- gibt sich jedenfalls aus dem Memoirenwerk– anfangs nicht historisierend, sondern aktua- lisierend, entweder in einem eher emotionalen Sinn wie den Horaz (s.u.) oder wegen eines als verwandt empfundenen Lebens- und Zeitgefühls. Generalisierend formuliert Golo Mann aus dem Abstand von bald sechzig Jahren (ebd.): «Überhaupt finden wir bei den rö- mischen Schriftstellern eine schöne, aber auch glücklich formulierte Humanität, sogar bei dem pessimistischen, säuerlich konservativen Tacitus, um wieviel mehr aber bei Cicero.» Studium Das Lateinstudium, das Golo Mann nach der Promotion im Fach Philosophie betrieb, um einen ‹berufsqualifizierenden Abschluß› zu erlangen (wozu es dann wegen der Zeitläufte nicht mehr kam), hat offenbar keine tieferen Spuren hinterlassen; es scheint eine ziemlich formale Angelegenheit gewesen zu sein. Zumal gegenüber den sog. Stilübungen (Rück- übersetzungen ins Lateinische) hegte er, das ist den wenigen Zeilen in den Erinnerungen zu entnehmen, eine Abneigung. Nur gelegentlich ist von Privatlektüre die Rede, Horaz und Tacitus natürlich.4 Der Lateinstudent Golo Mann hatte in Hamburg wohl auch keine Gesprächspartner für diesen Teil seines Tuns. In den regulären Studierbetrieb scheint er sich nicht eingefädelt zu haben. Überdies waren andere Dinge viel wichtiger, zumal die Katarakte der politischen Entwicklung sowie die Affäre um und mit Hans Bauer, genannt Neck.5 3 Das extern erworbene Reifezeugnis– http://files.d-nb.de/bilder/golo_mann/golo_mann_reifezeugnis.jpg (28.4.2012)– weist in Latein die Note «gut», in Griechisch «ziemlich gut» aus. 4 EG 252; 361; 473f. 5 Lahme 2009, 87–89. Über Tacitus zu sich selbst: Golo Mann und die römische Antike 3 Mit Tacitus gegen Marx und Meinecke Da Golo Mann das Staatsexamen nicht mehr ablegen konnte und der Familie in die Emi- gration folgte, traten die römischen Autoren für eine Zeit in den Hintergrund. Zu Beginn des Exils entfalteten sie nochmals ihre diagnostische und tröstende Kraft, so sah es Golo Mann jedenfalls in der Rückschau.6 Doch das war noch nicht alles. Denn es scheint schon hier die Geschichtsschreibung des Tacitus gewesen zu sein, die ihm half, sich selbst als Historiker zu bestimmen und einen eigenen Stand gegenüber den damals dominierenden Großparadigmen zu gewinnen. So distanzierte er sich Ende der 1930er-Jahre nicht nur vom Marxismus als dem «Versuch, die Geschichte wissenschaftlich vorauszubestimmen» und «auf diese Voraussage eine politische Praxis zu begründen und eintretende Ereignisse vor- her fixierten Allgemeinbegriffen gleichzusetzen».7 Auch der Historismus in seiner ‹deut- schen› Interpretation durch Friedrich Meinecke vermochte ihn nicht zu überzeugen, wie er in einer Rezension von dessen berühmtem Alterswerk deutlich machte.8 Um seine Reserve gegen diese andere Spielart des Fortschrittsoptimismus auf den Begriff und zur Anschau- ung zu bringen, führt Golo Mann die pragmatische und paradigmatische Geschichtsschrei- bung des Tacitus gegen Meinecke ins Feld. Der Historismus könne «die pragmatische, die taciteische Geschichtsschreibung bereichern, runden, korrigieren; aber er ist nicht das, als was er bei Meinecke manchmal erscheinen könnte: ein Arcanum zur Lösung der Probleme, welche jener findet oder übrig läßt. (…) (H)at es denn je eine Zeit gegeben, in der nicht die erhabenste geschichtliche Weisheit ein Satz des Tacitus gewesen wäre?»9 Hier, an einer Ge- lenkstelle der intellektuellen Entwicklung Golo Manns, so möchte ich es deuten, half der römische Geschichtsschreiber seinem passionierten Leser, zu sich selbst zu kommen und eine eigene, von den Großparadigmen freie Haltung gegenüber der Welt des Historischen zu gewinnen. Für die Frage, wie Geschichte richtig aufzufassen und zu schreiben sei, blieb Tacitus eine wichtige Referenzgröße. Im Tacitus-Essay hat Golo Mann seine Interpretation dann fast vierzig Jahre später ausgeführt (s.u.). Man könnte– auf einer anderen Ebene– psychologisierend erwägen, inwiefern die Ver- trautheit mit dem Lateinischen nicht nur Ergebnis einer schlichten ästhetischen Neigung oder Frucht eines charismatischen Pädagogen war, sondern auch ein– wohl unbewußter– Versuch vor der späteren Hinwendung zur Geschichte, sich auf wenigstens einem Gebiet eine Kompetenz zu erarbeiten, bei der niemand aus der Familie mitkonnte. Doch selbst 6 EG 563f.: «Nebenher las ich viel, an Zeit fehlte es gar nicht; Lektüren, in denen ich Trost suchte. Da waren noch einmal die Annalen des Tacitus; die Machtergreifung des Tiberius etwa und das Verhalten der Sena- toren dabei; ihr ‹ruere in servicium›, ihr ‹sich in die Knechtschaft stürzen›. Alles schon dagewesen. Da waren auf der anderen Seite die Oden des Horaz, ihr göttlicher heiterer Unernst; ein Trost angesichts der immerwährenden Rätsel unseres Daseins, wie auch gegenüber politischen Katastrophen, die dem Dichter im Grunde gleichgültig waren, trotz der patriotischen Phrasendrescherei, die er dem Augustus schuldete. Horaz wünschte sich nichts, als gut zu leben und noch bessere Gedichte zu machen.» Ähnlich in einem Brief an Ernst Klett (15.7.1975, Briefe 231): «Mein Trost 1933 waren Horaz und Tacitus; sind es heute wieder.» 7 Was bleibt von Karl Marx? (1939), in: ZF 21–29, das Zitat 26. Zum Kontext des Aufsatzes s. Bitterli 2004, 62–64. 8 Friedrich Meinecke,‹Die Entstehung des Historismus› (1938), in: ZF 12–17, Zitate 15 und 17. 9 Mann zitiert als Beispiele Tac. hist. 1,30,1:Nemo enim umquam imperium flagitio quaesitum bonis artibus exercuit und hist. 1,3,2:Nec enim umquam atrocioribus populi Romani cladibus magisve iustis indiciis adpro- batum est non esse curae deis securitatem nostram, esse ultionem. 4 Uwe Walter wenn das zutreffen sollte– in der Emigration war es damit vorbei, zumindest aufs Äußere gesehen. Golo Mann wurde kein Lateinlehrer, und sein‹Alleinstellungsmerkmal› erstritt er sich als Kenner der Napoleonzeit, als historisch-politischer Essayist und später als Ge- schichtsschreiber. Diese Rollen und die darin entwickelten Überzeugungen, Befähigungen und Neigungen waren es dann konsequenterweise auch, was ihn nach dem Krieg mit zwei akademischen Historikern zusammenbrachte, deren Fachgebiet nun jedoch die Antike war, nämlich mit Alfred Heuß und Ronald Syme.10 Begegnungen Mit dem gleichaltrigen Althistoriker Alfred Heuß (1909–1995) hat Golo Mann über dreißig Jahre hinweg in Verbindung gestanden. Gut sichtbar davon sind drei Sachverhalte.11 Ab 1951 war der Gleichaltrige die treibende Kraft, den Emigranten an die Universität Kiel zu holen. Tilmann Lahme hat das ausführlich rekonstruiert; allerdings würde ich Heuß nicht als den «Anhänger einer narrativen Geschichtsschreibung» ansprechen, der in Golo Mann einen Geistesverwandten entdeckt habe.12 In einem von Lahme zitierten Brief formuliert Heuß, er fühle sich durch Golo Mann «in dem dunkel empfundenen Drang bestätigt, dass Geschichtswissenschaft sich adäquat nur in der Geschichtsschreibung inkarniert und dass man in diesem Stadium ihr die sogenannte‹Gelehrsamkeit› nicht mehr ansehen darf». Das entsprach nun in der Tat Heuß’ tiefster Überzeugung, die er selbst markant in seine «Rö- mische Geschichte» (1960) umsetzte. Aber narrative Geschichtsschreibung, wenigstens im landläufigen Sinn, ist damit nicht gemeint, denn Heuß selbst ließ in seiner eigenen Praxis Schilderungen, Geschichten und Szenen, wie sie die antike Überlieferung so reich bereit- stellt, ziemlich konsequent außen vor, ja, er lehnte ausdrücklich jede «Verwendung von bunten Farben» und das «kunstvolle Dramatisieren von Ereignissen» ab. Spannung bezieht der Text vielmehr aus der ‹Logik› in der Verknüpfung dynamischer Momente und Hand- lungen sowie aus der stetigen Reflexion. Die Individualität bedeutender historischer Per- sönlichkeiten tritt demgegenüber in den Hintergrund.13 In der wohl von Heuß selbst ver- faßten Laudatio im Kieler Berufungsverfahren ist denn auch mit Blick auf Golo Manns 10 Dem französischen Althistoriker Paul Veyne ist Golo Mann wahrscheinlich nicht persönlich oder brief- lich begegnet. Aber in der kurzen Debatte mit Hans-Ulrich Wehler über die «Theoriebedürftigkeit der Geschichte» (1979; s.u. Anm.39) beruft er sich für die Bestimmung der Historie als «wahren Roman mit Lücken. Wahr, weil nichts erfunden werden darf, Roman, weil erzählt wird, mit Lücken, weil man nicht alles weiß» (ZF 436f.), auf Veyne 1971. 11 Eine Durchsicht der ungedruckten Korrespondenz könnte noch weiteren Aufschluß bringen. Zufällig in Händen halte ich ein Dankschreiben von Golo Mann an Heuß (2.5.1957) für die Übersendung von «Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert» (Kiel 1956). Golo Mann bedauert, das Buch nicht vor Abschluß seines Werkes «Deutsche Geschichte im 19. und 20.Jahrhundert» ausgewertet haben zu können: «Ich haette vieles daraus lernen, manches daraus stehlen können; Mommsen-Zitate, die mir voellig unbe- kannt waren, ueber Bismarck, ueber den Antisemitismus, ueber die Sozialdemokratie.» Er rühmt «die meisterhafte Analyse des liberalen Dilemmas und Niederganges» und bescheinigt dem Autor: «An Ihnen ist ganz entschieden ein Neuhistoriker verloren, oder hoffentlich nicht verloren gegangen.» Die dialekti- sche Konzeption von Mommsens «Römischer Geschichte» sei ihm überhaupt erst durch die Lektüre von Heuß klargeworden. 12 Lahme 2009, 210. 13 Vgl. Walter 2011.

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