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Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens, Band LIX PDF

217 Pages·2013·18.55 MB·German
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Antike und Abendland De Gruyter Antike und Abendland Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens herausgegeben von Werner von Koppenfels · Helmut Krasser Wilhelm Kühlmann · Peter von Möllendorff Christoph Riedweg · Wolfgang Schuller Rainer Stillers Band LIX 2013 De Gruyter Manuskripteinsendungen werden an die folgenden Herausgeber erbeten: Prof. Dr. Werner von Koppenfels, Boberweg 18, 81929 München – Prof. Dr. Helmut Krasser, Institut für Altertumswissenschaften, Universi- tätGießen, Otto-Behaghel-Str. 10, Haus G, 35394 Gießen– Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann, Universität Heidelberg, GermanistischesSeminar, Hauptstr. 207–209, 69117 Heidelberg– Prof. Dr. Peter von Möllendorff, Institut für Altertumswissenschaften, Universität Gießen, Otto-Behaghel-Str. 10, Haus G, 35394 Gießen – Prof. Dr. Christoph Riedweg,Kluseggstr.18, CH-8032 Zürich– Prof. Dr. Wolfgang Schuller, Philosophische Fakultät, Universität Konstanz, Postfach 5560, 78434 Konstanz – Prof. Dr. Rainer Stillers, Institut für Romanische Philologie der Philipps-Universität Marburg, Wilhelm-Röpke-Str. 6D, 35032 Marburg. Korrekturen und Korrespondenz, die dasManuskript und den Druck betrifft, sind an den Schriftleiter Prof. Dr. Helmut Krasser zu richten. Buchbesprechungen werden nicht aufgenommen; zugesandte Rezensionsexemplare können nicht zurückge- schickt werden. Abstracts sind publiziert in / indexiert in: Arts and Humanities Citation Index · Current Contents Arts and Humanities · Dietrich’s Index philosophicus· IBR – Internationale Bibliographie der Rezensionen geistes- und sozialwissenschaftlicher Zeitschriften- literatur / IBZ – Internationale Bibliographie geistes- und sozialwissenschaftlicher Zeitschriftenliteratur ISSN (Print) 0003-5696 ISSN (Online) 1613-0421 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhaltsverzeichnis Olaf Schlunke Der Geist der lateinischen Literatursprache. Eduard Nordens verloren geglaubter Genfer Vortrag von 1926 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Karen Piepenbrink Losverfahren, Demokratie und politische Egalität: Das Losprinzip im klassischen Athen und seine Rezeption im aktuellen Demokratiediskurs . . . 17 Dennis Pausch Don’t mention the war! Italien und der Bürgerkrieg in Horazens iter Brundisinum (Sat. 1,5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Peter Habermehl Tod und Verklärung. Cynthias letzter Auftritt in den Elegien des Properz (4,7 und 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Chiara Battistella A few forays into the poetic laboratory of Ovid’sIbis . . . . . . . . . . . . . . 80 Helge Baumann Der ewige Gärtner. Statius’Silve 2,3 als Geburtstagsgeschenk zwischen Intertextualität und Gartenbaukunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Niklas Holzberg Egypt in the Greek Novel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Eberhard Heck Nachträgliches zu den kleinen Schriften des Lactanz . . . . . . . . . . . . . . . 126 Andreas Heil E ciò sa ’l tuo dottore: Dantes «Lehrer» (Inferno 5,123) . . . . . . . . . . . . . . 145 Christian Rößner Vompoeta doctus zum honnête homme. Horaz und Boileau . . . . . . . . . . . 171 Guillaume Flamerie de Lachapelle Tacito impendere vitam: C.-L.-F. Panckoucke (1780–1844), un traducteur controversé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 VI Mitarbeiter des Bandes Dr. Chiara Battistella, Département des sciences de l’antiquité, Université de Genève, Rue de Candolle, 2 1211 Genève 4, Suisse Helge Baumann, Institut für Altertumswissenschaften, Klassische Philologie, Otto-Behag- hel-Str. 10G, 35394 Gießen Prof. Dr. Guillaume Flamerie-De-Lachapelle, Ausonius, UMR 5607 CNRS – Université Bordeaux 3, Maison de l’Archéologie, 8, esplanade des Antilles, 33607 PESSAC Cedex, France PD Dr. Peter Habermehl, Theologische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin Prof. Dr. Eberhard Heck, Philologisches Seminar, Universität Tübingen, Wilhelmstraße 36 (EG), 72074 Tübingen PD Dr. Andreas Heil, TU Dresden, Institut für Klassische Philologie, 01062 Dresden Prof. Dr. Niklas Holzberg, Klassische Philologie, Universität Bamberg, An der Universität 5, 96045 Bamberg Prof. Dr. Dennis Pausch, Universität Regensburg, Institut für Klassische Philologie, Uni- versitätsstraße 31, 93040 Regensburg Prof. Dr. Karen Piepenbrink, Historisches Institut, Alte Geschichte, Otto-Behaghel-Str. 10G, 35394 Gießen Christian Rößner, Zur Rothöhe 13, 97631 Bad Königshofen i. Gr. Olaf Schlunke, Veilchenstr. 5, 12203 Berlin Eduard Nordens verloren geglaubter Genfer Vortrag von 1926 1 Olaf Schlunke Der Geist der lateinischen Literatursprache. Eduard Nordens verloren geglaubter Genfer Vortrag von 1926* «Sie werden da etwas machen, das uns allen etwas sagen wird.»1 Diese Hoffnung ver- band sich für Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff in einem Schreiben an Eduard Norden mit dem Vortrag, den Norden wenige Tage später, am 14. Oktober 1926, in Genf halten würde. Im Sommersemester 1907– Eduard Norden war erst seit einem Jahr Ordinarius an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität– besuchte der 22jährige André Oltramare, Sproß einer Genfer Familie von Latinisten, Nordens Kolleg zur «Geschichte der römischen Lite- ratur».2 Obschon Oltramare bereits im folgenden Jahr nach Genf zurückkehrte, begrün- dete sein kurzer Berlin-Aufenthalt ein von Verehrung geprägtes Schülerverhältnis zu Nor- den. Auf dessen Anregung hin nahm er die Arbeit zu einer Thèse über «Les origines de la diatribe romaine» auf.3 1924 war das Manuskript abgeschlossen, und Norden erreichte die Bitte von Oltramares Vater Paul Oltramare, zur Verteidigung der Arbeit (soutenance de thèse) nach Genf zu reisen und der Kommission anzugehören.4 Ein geplanter Termin im Jahre 1925 kam wegen der politischen Verpflichtungen Oltramares– seit 1924 stand er für die Sozialdemokraten an der Spitze des Genfer Erziehungsdepartements– und wegen der sich verzögernden Drucklegung des Werks nicht zustande. So sollte es Sommer 1926 wer- * Ich danke dem Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften für die Erlaubnis, den Vortrag zu veröffentlichen. Peter Norden (Berlin) teilte die Entdeckerfreude mit mir; er und alle weiteren Enkel Eduard Nordens unterstützten mich wie stets mit Interesse und Zustimmung. Ferner danke ich Frau Dominique Torrione-Vouilloz (Archives de l’Université de Genève) und Frau Barbara Prout (Bibliothèque de Genève) für die Erlaubnis, aus den Korrespondenzen Nordens zu zitieren. Bernhard Kytzler (Berlin / Durban), Wilt Aden Schröder (Hamburg) und Eckard Lefèvre (Freiburg i. Br.) habe ich für Gespräche und bereitwillige Hilfe zu danken. Hinweise von Bernhard Böschenstein, Hans-Jürgen Schrader und Dominik Müller von der Société genevoise d’études allemandes trugen dazu bei, den Anlass für Nordens Vortrag zu erhellen. Die Fernleihabteilung der FU Berlin war mir bei der Beschaffung entlegener Literatur von großer Hilfe. 1 Calder III / Huss 1997, 236 (Brief Nr.245 vom 12. Oktober 1926). 2 Zur Biographie Eduard Nordens (1868–1941) vgl. Mensching 1992, Schröder 2001 sowie knapp Schlunke 2011. Für André Oltramare (1884–1947) vgl. Schmitt 1994. 3 Oltramare 1926, 7. 4 Auf einen am 25.12. 1924 erhaltenen Brief von Oltramare fils antwortete Norden: «Alte liebe Erinnerun- gen werden wieder lebendig. Sie überschätzen gewiß den Einfluß, den ich auf Sie ausgeübt habe, aber ich freue mich doch, daß Sie mir als Ihrem alten Lehrer– so kurz die Zeit Ihrer Schülerschaft bei mir auch gewesen ist– ein so treues Andenken bewahrt haben. Menschliches ist mir stets wichtiger gewesen als Wis- senschaftliches, aber wenn beides sich verbindet, so ist es für einen Gelehrten das höchste Glück: das wis- sen Sie ebenso gut wie ich aus der Lektüre Platons. Und nun wollen Sie diesem schönen, uns beide ver- bindenden Gefühl ein öffentliches Denkmal setzen in einer für mich so ehrenvollen Form!» (Brief vom 12.1. 1925 [Bibliothèque de Genève, Archives de la famille Oltramare Ms. fr. 7334, f. 9]). 2 Olaf Schlunke den, dass ein Tag für die Verteidigung bestimmt werden konnte.5 Auf Wunsch Nordens wurde der 15. Oktober 1926 festgesetzt. Über den Verlauf von Eduard Nordens Reise nach Genf sind wir durch die für ihre Kin- der geschriebenen «Erinnerungen» seiner Frau Marie, die ihn begleitete, gut informiert. Vom Tag vor der soutenance berichtet sie: «Am ersten Tage Nachm. um 5Uhr war Eures Vaters Vortrag in der Universität festgelegt. Sein Thema lautete: ‹Geist der lateinischen Sprache›, in deutsch gehalten. Er erregte vollste Anerkennung und Bewundrung mit star- kem Applaus.»6 In Kenntnis dieses Abschnitts der damals noch unveröffentlichten «Erin- nerungen» schrieb Walther Abel: «Gern wüßte man etwas über den Inhalt eines Vortrags mit dem Titel ‹Geist der lateinischen Sprache›, den Norden am 15. 10. 1926 anläßlich der Promotion seines früheren Schweizer Schülers André Oltramare an der Universität Genf gehalten hat. Ein Manuskript hat sich weder in Nordens Nachlass noch nach Mitteilung der Genfer Universität im dortigen Archiv gefunden.»7 Die Nachkommen Eduard Nordens haben seinen Nachlass im Februar 2013 dem Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akade- mie der Wissenschaften übereignet, und eine genauere Durchsicht förderte an unvermute- ter Stelle– in einem Umschlag mit Sonderdrucken– das von Abel vergebens gesuchte, ver- loren geglaubte Manuskript von Nordens Vortrag doch noch zutage.8 Das Manuskript umfasst zwölf sehr akkurat mit schwarzer Tinte beschriebene karierte Seiten im Format 27 × 22,3 cm. Es weist keinen Titel auf. Auf dem Umschlag, in dem sich die zwölf Bögen befanden, steht in rasch hingeworfener Schrift (wohl von Nordens eigener 5 Am 22. Februar 1926 informierte der Dekan, der Gräzist Victor Martin (1886–1964), Norden über einen neuerlichen Aufschub. Das hatte (wie schon im Jahr zuvor) eine abermalige Verschiebung von Nordens Feriendispositionen zur Folge (vgl. seinen Brief an Martin vom 19.8. 1926 [Archives administratives de l’Université de Genève cote 1984/20/16/5]). Im Juni/Juli erfolgte die Drucklegung, und Martin bat Norden am 16. Juli, den Termin für die soutenance selbst festzusetzen. Norden entschied sich für den 15. Oktober (Brief Nordens vom 24.7. [ebd.]). Das Eintreffen der gedruckten Version verzögerte sich, offenbar ging das zuerst versandte Exemplar auf dem Weg nach Berlin verloren. Möglicherweise resultierte aus den mehrfa- chen Verschiebungen eine gewisse Unwilligkeit auf Seiten Nordens, nach Genf zu reisen. Wilamowitz schrieb ihm am 7.6. 1926 (Calder III / Huss 1997, 233f. [Brief Nr.242]): «Ihre geringe Neigung, nun nach Genf zu gehen, verstehe ich durchaus, aber mir scheint doch, daß Sie sich kaum entziehen können. Artig wollen Sie es selbst tun und das geht, wenn amtliche Behinderung im Oktober fortfällt, höchstens mit kör- perlichem Befinden, das Sie nicht werden vorschützen wollen; es glaubt ja keiner und Verstimmung ist da. Die darf aber nicht aufkommen, denn wenn Oltramare auch nur seine Person durch Ihre Teilnahme ver- herrlichen will, ist es bei V. Martin die Absicht, Deutschland heranzuziehen (er wollte ja 24 mich holen).» Inwieweit Wilamowitz’ Vermutung zu Oltramares Motiven auch Nordens Ansicht widerspiegelt, lässt sich anhand der vorhandenen Zeugnisse nicht überprüfen. 6 Mensching 1993, 43f. Marie Norden verfasste ihre Schilderung des Genf-Besuchs anhand eigener Notizen. 7 Abel 1984, 461. Vgl. Rüpke 1994, 138 Anm.37.– Es ist hier nicht der Ort, auf den weiteren umfänglichen Bericht über den Aufenthalt des Ehepaars Norden in Genf und den Verlauf der erfolgreichen soutenance Oltramares einzugehen. Das soll– zusammen mit einer Edition der in diesem Zusammenhang erhaltenen Korrespondenzen– bei anderer Gelegenheit in einem größeren Zusammenhang geschehen. 8 BBAW-Archiv NL E. Norden Nr.92– Es erscheint fast tragisch, dass das Manuskript zum Greifen nahe war, Abel jedoch beträchtliche Anstrengungen unternahm, es in der Ferne aufzuspüren. Am 18.12. 1982 schrieb er an Gertrud Norden, die Witwe von Nordens Sohn Erwin: «Leider ist meine Suche nach einem bestimmten Manuskript Ihres Schwiegervaters vergeblich gewesen. Die Genfer Universität hat mir auch nicht weiterhelfen können– obwohl es dort vielleicht noch Möglichkeiten gegeben hätte; aber nun diese auszuschöpfen, müsste man an Ort und Stelle sein oder zumindest eine Vertrauensperson dort haben, die den festen Willen hat, bei dieser Detektivspielerei zum Ziel zu kommen.» (BBAW-Archiv NL Ed. Nor- den Nr.226). Abel vermutete, der Text des Vortrags sei von Norden selbst (oder von dessen Sohn) zusam- men mit anderen Inedita vernichtet worden. Eduard Nordens verloren geglaubter Genfer Vortrag von 1926 3 Hand) nur: «Vortrag Genf 1926 Oktober.» Ein Anhaltspunkt für den möglichen Titel war bislang nur in den oben zitierten «Erinnerungen» Marie Nordens zu finden.9 Sie gibt keinen Hinweis auf den unmittelbaren Anlass des Vortrags: Dieser fand auf Ein- ladung der Genfer Gesellschaft für deutsche Kunst und Literatur (Société genevoise d’étu- des allemandes) statt.10 Im Gesamtverzeichnis ihrer Vorträge führt die Gesellschaft Nor- dens Beitrag unter dem Titel «Der Geist der lateinischen Literatursprache» auf.11 Präsident und Gründer der seit 1923 bestehenden Gesellschaft war der Germanist Gottfried Bohnen- blust (1883–1960). Dieser hatte 1904–1905 u.a. Klassische Philologie in Berlin studiert und war dort ein Hörer Wilamowitz’ gewesen. Wilamowitz schreibt einige Monate vor dem Termin der soutenance an Norden: «Und schließlich wird es vielleicht in Genf etwas schwierig, wo ich übrigens in dem Professor des Deutschen Bohnenblust einen Schüler habe, der eine gewisse Rolle spielt.»12 Offenbar kennt Norden Bohnenblust zu diesem Zeitpunkt nicht persönlich. So hat möglicherweise erst Wilamowitz den Kontakt herge- stellt und Bohnenblust den Vorschlag gemacht, Norden anlässlich seines Besuchs in Genf zu einem Vortrag einzuladen. Es gibt Hinweise, dass die Einladung hierzu erst spät zu- stande kam. Noch am 27. August fragt Norden bei Paul Oltramare an, wann er anreisen solle und ob es ausreiche, wenn er erst am 14. Oktober eintreffe.13 Am 29. September kün- digt er Victor Martin sein Eintreffen für den 13. Oktober an.14 Wilamowitz’ Formulierung in dem eingangs bereits zitierten Brief vom 12. Oktober, «[a]ber auch daß Sie ganz plötz- lich gezwungen sind ein so weit greifendes Thema zu behandeln und eins gefunden haben, das dem genius loci entspricht, ist mir eine Freude»,15 deutet darauf hin, dass allenfalls we- nige Wochen, wenn nicht sogar nur einige Tage zwischen Einladung und Vortrag lagen. Erfolgten Einladung und Festsetzung des Themas tatsächlich erst kurz vor dem Termin der soutenance («ganz plötzlich»), so würde das erklären, warum der Vortrag in der dem Genfer Aufenthalt vorausgehenden Korrespondenz mit Vater und Sohn Oltramare und mit dem Dekan Victor Martin überhaupt nicht erwähnt wird.16 Es mag auch erklären, warum 9 Mensching 1993, 43. Genau genommen spricht sie vom «Thema» des Vortrags, nicht vom «Titel», was die Sicherheit hinsichtlich des offiziellen Titels weiter einschränkt. Zudem ist Marie Norden in ihrer Wieder- gabe von Werktiteln nicht immer zuverlässig: «Der Kampf um Rom» statt «Ein Kampf um Rom» (Men- sching 1993, 21), «über die Geburt des Kindes» statt «Die Geburt des Kindes» (ebd. 36), «Heldenehrung» statt «Heldenehrungen» (ebd. 47). 10 Einen Hinweis gibt Marie Norden zum Ende ihrer Schilderung (Mensching 1993, 44): «Auf der Post holten wir eine größere Blumenspende, die von der literarischen Gesellschaft in Genf durch Prof. Bohnenblust für uns in Caux angekommen, ab, […].» Der Vortragstext selbst enthält keinen Bezug zur Genfer Gesellschaft für deutsche Kunst und Literatur, vielmehr erscheint die Rede durch die zweifache Erwähnung Oltramares eng mit dem Ereignis des folgenden Tages verbunden. 11 Schrader 2009, 7. 12 Brief vom 7.6. 1926 (Calder III / Huss 1997, 233f. [Brief Nr.242]). 13 Bibliothèque de Genève, Archives de la famille Oltramare Ms. fr. 7325, f. 180. 14 Archives administratives de l’Université de Genève cote 1984/20/16/5. 15 Calder III / Huss 1997, 236 (Brief Nr.245 vom 12. Oktober 1926). 16 Aufschluss könnten die Briefe Nordens an Bohnenblust in dessen Nachlass im Schweizerischen Literatur- archiv Bern geben; solche waren laut Inventar auch vorhanden, müssen aber nach Auskunft des Archivs vom 27.6. 2013 seit dem letzten Archivumzug leider als verschollen gelten. Anzahl und Daten der Briefe lassen sich nicht mehr ermitteln. Zwei Schreiben von Wilamowitz an Bohnenblust sind zwar erhalten, aber für die vorliegende Fragestellung nicht relevant. Am 8. Dezember 1927 sprach Wilamowitz selbst auf Ein- ladung der Genfer Gesellschaft über «Eros» (Schrader 2009, 7); Anlass der Reise war die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Genf. 4 Olaf Schlunke der Vortrag – bei aller Freude über seine Entdeckung – die hochgesteckten Erwartungen Walther Abels wohl nicht ganz zu befriedigen vermocht hätte– und seinerzeit ungedruckt blieb. Er variiert im Wesentlichen schon aus früheren Veröffentlichungen Nordens be- kannte Themen (s.u.); in seinen Ausführungen zum erzieherischen Wert der Caesar-Lek- türe übernimmt Norden sogar einen ganzen Abschnitt aus seinem Vortrag über «Die Bildungswerte der lateinischen Literatur und Sprache».17 In biographischer Hinsicht ist sein Wert nicht zu bezweifeln: Nordens Genfer Aufenthalt und die mit ihm verbundene Ehrung seiner Person markierte eine wichtige Station auf sei- nem Weg zu einem Latinisten von Weltgeltung– «the most famous Latinist of the world» nannte ihn zehn Jahre später bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Harvard University deren Präsident James Bryant Conant.18 Dreizehn Jahre nach Genf (und drei Jahre nach seiner Harvard-Ehrung) sollte Norden die Schweiz wiedersehen – diesmal unter weniger erfreulichen Umständen. Aus rassisti- schen Gründen aus Deutschland vertrieben und der Grundlagen seines wissenschaftlichen Arbeitens weitgehend beraubt, gelang es Norden, für die letzten zwei Jahre seines Lebens in Zürich ein Exil zu finden.19 Eine Genfer Intervention zugunsten Nordens bei dessen Ver- such, 1938/39 in der Schweiz Aufnahme zu erlangen, ist bislang nicht belegbar. Es mag aber sein, dass sich hinter den von Marie Norden in ihren «Erinnerungen» erwähnten drei Schweizer Referenzen, die zu diesem Zwecke nötig waren, auch Bekanntschaften aus der Zeit von Nordens Genf-Besuch verbergen.20 Eine eingehende inhaltliche Interpretation des Vortrags kann hier nicht erfolgen. Ein Punkt wenigstens sei hervorgehoben: Nordens Betrachtungen zum Verhältnis der Graeca zu den Latina hat man als Ausdruck einer «Latinistik des schlechten Gewissens»21 verste- hen wollen. Besonders in Nordens 1919 gehaltenem Vortrag über «Die Bildungswerte der lateinischen Literatur und Sprache auf dem humanistischen Gymnasium» finden sich Überlegungen zum Vorrang des Griechischen und demgegenüber der Versuch, den Eigen- 17 So entspricht der Passus «Eine caesarische Periode… unvergleichlich lernen läßt» auf S.2f. des Manu- skripts mit nur wenigen Abweichungen Norden 1920, 12f. (= Norden 1966, 588f.). Norden selbst notiert den Verweis am Rand der Seite. 18 Mensching 1993, 55, vgl. Schröder 2001, 43. 19 Zum Exil in Zürich vgl. Mensching 1992, 138–148. Genf wäre als Wohnort wohl aus sprachlichen Gründen nicht in Frage gekommen. 20 Schweizer Referenzen: Mensching 1993, 58. Zu denken wäre z.B. an William E. Rappard (1883–1958), zur Zeit von Nordens Besuch 1926 Rektor der Universität Genf. 1927 besuchte Rappard Norden während eines Berlin-Aufenthalts (Mensching 1993, 46; Marie Norden ordnet den «Herrenabend» für Rappard fälschlicherweise in den Kontext von Nordens Rektoratsjahr 1927/28 ein, tatsächlich fand er Anfang März 1927 statt, wie ein Brief Nordens an Andre Oltramare vom 4.3. 1927 zeigt [Bibliothèque de Genève, Archi- ves de la famille Oltramare Ms. fr. 7334, f. 13]). Ein weiteres Wiedersehen vermerkt Marie Norden bei der 300-Jahrfeier von Harvard 1936, als Norden und Rappard die Ehrendoktorwürde verliehen bekamen (Mensching 1993, 55). Neben seiner Universitätslaufbahn seit 1919 in verschiedenen Funktionen für den Völkerbund (1928 bis 1939 als Schweizer Delegierter) sowie 1933–1942 als Vizepräsident des Comité inter- national pour le placement des intellectuels réfugiés tätig, hätte eine Fürsprache Rappards zugunsten Nor- dens sicherlich Gewicht gehabt; zu seiner Vita vgl. Monnier 1995. Aber auch Nordens Genfer Schüler André Oltramare kommt als Helfer in Frage. Seine Unterstützung für in Deutschland Verfolgte ist mehr- fach belegt, vgl. z.B. seinen Einsatz für den Historiker Arnold Berney (Matthiesen 2008) oder die Stel- lungnahme Peter Foerderreutters in: André Oltramare in memoriam, Genève 1948, 42–43. Kontakte Nor- dens zur Familie Oltramare nach 1927 sind mir bislang jedoch nicht bekannt geworden. 21 Mensching 1992, 151 sowie ebd. 13 u. 38–39, Schmidt 1995, 135.

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