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Antike Rhythmustheorien : Historische Form und aktuelle Substanz PDF

146 Pages·1989·5.402 MB·German
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HEUREMATA Studien zu Literatur, Sprachen und Kultur der Antike herausgegeben von Günther Wille Band 11 Wilfried Neumaier Antike Rhythmustheorien Verlag B.R. Grüner B.V. - Amsterdam 1989 ANTIKE RHYTHMUSTHEORIEN HISTORISCHE FORM UND AKTUELLE SUBSTANZ von Wilfried Neumaier Verlag B.R. Grüner B.V. - Amsterdam 1989 No part of this book may be translated or reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the publisher. © by B.R. Grüner B.V., 1989 ISBN 90 6032 064 6 Printed in The Netherlands Meiner lieben Freu eie Dankesieichen VORWORT Die antiken Rhythmustheorien tangieren verschiedene wissen­ schaftliche Disziplinen: die Musikwissenschaft, die Mathe­ matik und die Klassische Philologie. Als Musikwissenschaft­ ler bin ich natürlich am stärksten meiner Disziplin ver­ pflichtet; ihr möchte ich die in mancher Hinsicht vorbild­ lichen und grundlegenden Leistungen der antiken Denker in einer neuen Sichtweise näherbringen und für heute fruchtbar machen. Dies kann meines Erachtens nur sinnvoll geschehen, indem die anderen Disziplinen gebührend einbezogen werden. Das hierzu notwendige mathematische Rüstzeug verdanke ich einerseits meinem Nebenfachstudium, andererseits dem Dialog mit meinem Bruder Arnold, der Mathematikprofessor in Frei­ burg ist und das Entstehen und die Anwendungen der in die­ sem Buch angewandten interdisziplinären Forschungsmethode entscheidend mitgeprägt hat. Im Bereich der Klassischen Philologie bin ich ein Laie, der sich das wenige Wissen auf diesem Gebiet autodidaktisch angeeignet hat. Durch mein Bemühen, die antike musikalische Fachterminologie möglichst aus erster Hand, aus dem Kontext der Primärquellen, kennen­ zulernen, hoffe ich auch für dieses Gebiet wichtige Er­ kenntnisse erschlossen zu haben. Als Berater in philologi­ schen Fragen stand mir freundlicherweise Prof. Dr. Günther Wille aus dem Philologischen Seminar der Universität Tübin­ gen zur Seite. Ihm danke ich, daß er die Abhandlung zur Veröffentlichung in seiner wissenschaftlichen Reihe ange­ nommen hat. Diese Arbeit ist die Hauptfrucht einer zweijährigen For­ schung, die durch ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht wurde. Ihr danke ich an dieser Stelle. Mein Dank gilt auch allen, die sich für die­ ses Forschungsstipendium eingesetzt haben: Herrn Prof. Dr. Ulrich Felgner aus dem Fachbereich Mathematik in Tübingen und Herrn Prof. Dr. Rudolf Wille aus dem Fachbereich Mathe­ matik in Darmstadt, mit dem ich die ganze Forschungszeit über in Verbindung gestanden bin und der mir mehrfach die Möglichkeit gegeben hat, die Forschungen in einem interes­ sierten Kreis vorzutragen und zu diskutieren. Im Sommer 1989 Einführung 1 EINFÜHRUNG Schlägt man ein Buch aus neuerer Zeit auf, das sich mit dem musikalischen Rhythmusbegriff befafit, dann begegnet man schnell der Feststellung, daß dieser einer der umstritten­ sten und ungeklärtesten musikalischen Begriffe ist und daß es somit keine einheitliche Rhythmustheorie gibt. Diese be­ klagenswerte Lage wurde der Musikwissenschaft bewußt, nach­ dem sich die großen Rhythmustheorien um die Jahrhundertwende (etwa von Hauptmann, Riemann, Westphal oder Hiehmayer) als zeitbedingt erwiesen hatten. Das Streben nach einer allge­ meingültigen Theorie wurde dadurch stark gedämpft, und man zog sich mehr darauf zurück, rhythmische Erscheinungen ein­ zelner Epochen und Komponisten zu untersuchen. Man meinte bisweilen sogaf, daß das Streben nach Allgemeingültigkeit in der Rhythmustheorie als unzeitgemäß fallengelassen werden solle.1 Solch ein prinzipieller Verzicht mag verständlich erscheinen angesichts der historischen Vielfalt in der Rhythmik, die sich bisher nicht als eine systematische Ein­ heit präsentieren ließ. Aber muß sich die Rhythmustheorie tatsächlich mit solch einer negativen Antwort auf die Frage nach der Einheit in der Vielfalt abfinden? Ich kann mir das bei dem durchaus prägnanten einheitlichen Stoff 'Rhythmus' schlechterdings nicht vorstellen. Meines Erachtens muß es hier Wege geben, Wege, die noch zu suchen sind. Vorliegendes Buch möchte als ein erster Schritt zu oder sogar auf einem solchen Weg verstanden sein. Ein in vielen Gebieten schon bewährter Schlüssel für eine einheitliche Theorie ist die deduktive Methode. Mit ihr ent­ geht man von vornherein der Gefahr der Uneinheitlichkeit; denn in einer deduktiven Theorie werden alle Begriffe aus wenigen zentralen, allgemeinen Begriffen abgeleitet; diese zentralen Begriffe werden durch wenige zentrale Aussagen, die sogenannten Axiome, festgelegt; aus diesen Axiomen wer­ den dann alle gültigen Aussagen durch logische Schlüsse ab­ geleitet. Man hat in einer deduktiven Theorie also einen überschaubaren Kern, aus dem sich nach strengen Gesetzen die ganze, mitunter weit verzweigte Theorie entwickelt. Eben das garantiert die Einheit in der Vielfalt. 1) In diese Richtung tendiert etwa Seidel [48]5,13 und [49]4f. 2 Heuremata 11: Hilfried Neumaier, Antike Rhythmustheorien Das deduktive Denken ist vor allem in der Mathematik zu Hau­ se oder, besser gesagt, mit der Mathematik verschwistert. Das heißt, dort, wo man eine deduktive Theorie machen will, ist die Mathematik ein nützliches, fast unentbehrliches Werkzeug. Sie liefert uns nämlich ein präzise ausgearbeite­ tes Sprachsystem, das man zum Formulieren von extensionalen Definitionen und Axiomen sowie zum Ableiten von Begriffen und Aussagen benötigt. Allerdings wirkt die mathematische Sprache auf Musiker oft abschreckend, wenn sie die formale Seite überbetont und ein Heer von Fachbegriffen gebraucht, die nur der Eingeweihte versteht. Diese große Sprachbarriere läßt sich überwinden, indem man eine deduktive musikalische Fachsprache nach folgenden Gesichtspunkten aufbaut:2 • Der sprachliche Grundstock ist ein Teil der Umgangs­ sprache, der in der mathematischen Sprache (Logik, Mengenlehre, Algebra) treffend formalisiert ist. Die verwendbaren Begriffe gehören beiden Sprachen an und sind damit sowohl bekannt als auch exakt festgelegt. • Die Aufstockung zur musikalischen Fachsprache geschieht zunächst über einige elementare musikalische Begriffe, die durch Axiome ausschließlich mit umgangssprach­ lich-mathematischen Begriffen implizit definiert werden. • Auf diesem Fundament kann das musikalische Sprachge­ bäude unbegrenzt weitergebaut werden, und zwar allein mit sogenannten Nominaldefinitionen, bei denen neue musikalische Begriffe ausschließlich mit bereits defi­ nierten Begriffen explizit festgelegt werden. Mit diesem Rahmen für die Begriffsbildung kann man alle De­ finitionen und alle wichtigen Ergebnisse in einer Sprache ausdrücken, die keine mathematischen Spezialkenntnisse ver­ langt. Stets kann man aber auch parallel zum verbalen Aus­ druck Formeln gebrauchen, die manche Überlegungen, etwa Be­ weisgänge, erleichtern; ebenso kann man mathematische Fach­ ausdrücke gebrauchen und ausgearbeitete mathematische Theo­ rien zur Problemlösung heranziehen. Diese hier vorgestellte Entkoppelung und Verkoppelung von formaler und normaler Sprache garantiert die Verständlichkeit für Musiker. In die­ ser Form kann sich dann das einheitliche, deduktive Denken in der Musiktheorie leichter entfalten und seinen nützlichen Dienst tun. 2) Diese Prinzipien einer extensionalen Standardsprache sind schon in Neumaier[34], [35], [36] und Wille/Neumaier[55] erprobt. Einführung 3 Obwohl das deduktive Denken in den letzten hundert Jahren in vielen Disziplinen einen ungeahnten Siegeszug gemacht hat, scheint es kaum in das Gebiet der Rhythmik vorgedrungen zu sein. Man findet zwar im Bereich der computerunterstützten Musikforschung Rhythmuscodierungen und rechnerische Auswer­ tungen rhythmischer Phänomene, aber eine deduktive rhythmi­ sche Begriffsbildung sucht man vergeblich. Der Grund dafür liegt meines Erachtens in der modernen Notenschrift: Sie ist ein in tausendjähriger Praxis entwickeltes und bewährtes Notationssystem, das jeder Musiker von klein auf kennt; je­ des Buch über den Rhythmus, das mir bisher in die Hand ge­ kommen ist, setzt diese Notation als bekannt voraus; damit hat der jeweilige Autor ein ziemlich präzises System in der Hand, das ihm erlaubt, anhand von konkreten Beispielen seine Begriffe zu erörtern. Man sieht daran, daß die leistungsfä­ hige Notenschrift zu einem typisch induktiven, zur Unge­ nauigkeit neigenden Denken verführt. Nachdem in neuerer Zeit deduktive rhythmische Modelle feh­ len, ist es um so erstaunlicher, daß man in längst vergange­ nen Zeiten fündig wird, nämlich in der Kulturepoche, in der die Wurzeln des deduktiven Denkens liegen, in der Antike. Einer der ersten Rhythmustheoretiker überhaupt, Aristoxenos, entwickelt in seinen Rhythmischen Elementen erstmals eine deduktive rhythmische Theorie, aufbauend auf der antiken mathematischen Größenlehre des Eudoxos, die in den Elementen von Euklid überliefert ist. Auch in der lateinischen Antike, bei dem letzten bedeutenden Rhythmustheoretiker der Antike, bei Augustinus, trifft man in dessen Schrift De musica auf ein großes deduktives rhythmisches Gedankengebäude, das auf der pythagoreischen Zahlenlehre gründet. Diese auf hohem logischen Niveau stehenden Rhythmustheorien blieben leider beide ohne größere Nachwirkung, wohl deswegen, weil ihre abstrakte, akribische Methode nicht recht verstanden wurde. Die rhythmische Lehre des Aristoxenos wurde im späten Helle­ nismus in entstellenden Vereinfachungen und in widersprüch­ lichen Kombinationen mit anderen rhythmischen Theorien tra­ diert und so ins Mittelalter hinüber gerettet3; natürlich hatte sie dann keine Durchsetzungskraft mehr. Auch von der Lehre des Augustinus tauchen im Mittelalter und in späteren Zeiten nur noch kümmerliche Reste auf, so daß auch von sei­ nen vielversprechenden Ansätzen praktisch nichts weiterwirk­ te . 3) Siehe Seite 79 und Einzelheiten in Kapitel 5.

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