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Anthropologie in Antike und Gegenwart PDF

26 Pages·2015·0.45 MB·German
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LwiD 18 (48700) / p. 5 / 7.5.15 Diego De Brasi Sabine Föllinger (Hg.) Anthropologie in Antike und Gegenwart Biologische und philosophische Entwürfe vom Menschen Verlag Karl Alber Freiburg/München LwiD 18 (48700) / p. 6 / 7.5.15 GedrucktmitUnterstützungder FritzThyssenStiftung,Köln ® MIX Papier aus verantwor- tungsvollen Quellen www.fsc.org FSC® C083411 Originalausgabe ©VERLAGKARLALBER inderVerlagHerderGmbH,Freiburg/München2015 AlleRechtevorbehalten www.verlag-alber.de Satz:FrankHermenau,Kassel Einbandgestaltung:InesFranckenbergKommunikations-Design, Hamburg Herstellung:CPIbooksGmbH,Leck PrintedinGermany ISBN978-3-495-48700-6 Inhalt Sabine Föllinger/Diego De Brasi Einleitung ................................................. 9 I. Der Mensch als ‚Naturwesen‘ und das Verhältnis von Körper und Geist Francesco Fronterotta Plato’s Conception of the Self. The Mind-Body Problem and its Ancient Origin in the Timaeus ........................ 35 Jörn Müller Leib-Seele-Dualismus? Zur Anthropologie beim späten Platon ......................................... 59 Sabine Luciani L’homme et l’animal dans l’anthropologie cicéronienne ......... 97 Karl-Heinz Leven „Eine lächerliche Kopie des Menschen“ – der Affe in den Tierversuchen Galens .............................. 119 Sabine Föllinger Das Denken als psychosomatischer Prozess in der antiken Medizin und Philosophie .................................. 139 II. Der Mensch als moralisches Lebewesen R. A. H. King Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon ....... 157 Brigitte Kappl Das Tier in Dir. Menschliches Handeln und tierisches Verhalten bei Aristoteles ........................................... 179 8 Inhalt Francesca Masi Memory, self and self-determination. The mind-body relation in Epicurus’ psychology ................................... 203 Christian Illies Evolution und Menschenwürde. Lässt sich die evolutionäre Sicht des Menschen mit einer normativen Sonderstellung verbinden? ..................... 231 Philip H. Crowley Human Evolution, Culture and the Balance between Individual and Social Learning ....................................... 259 III. Der Mensch – Ein ‚Egoist von Natur aus?‘ Arbogast Schmitt Gerechtigkeit bei Platon. Zur anthropologischen Grundlegung der Moral in der Platonischen Politeia ....................... 279 Evelyn Korn Kooperatives Verhalten in der Ökonomik. Theorie und experimentelle Evidenz ........................ 329 IV. Entwürfe christlicher Anthropologie in der Spätantike Johannes Breuer Anthropologische Diskurse im lateinischen apologetischen Schrifttum .............................................. 357 Diego De Brasi Eine Neubewertung des Körpers. Anthropologie und Glauben in den Schriften zur menschlichen Natur des Nemesios von Emesa und Gregor von Nyssa ......................... 377 Bibliographie ............................................ 397 English Abstracts ......................................... 419 Stellenregister ........................................... 427 Namenregister ........................................... 439 Autorenhinweise ......................................... 441 R. A. H. King Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon1 „Bilde also die Form eines vielfältigen und vielköpfigen Tieres, mit den Köpfen wilder und zahmer Tiere ringsherum, das fähig ist, all dies aus sich umzuwandeln und aus sich wachsen zu lassen“, sagt Sokrates in Platons Politeia, einer Wiedergabe einer Diskussion über die beste Verfassung von Stadt und Mensch. In Sokrates’ Erzählung antwortet Glaukon: „Das ist das Werk eines klugen Bildners. Dennoch, da Rede sich mehr für das Bilden als Wachs oder dergleichen eignet, sei es so gebildet.“ Sokrates fährt fort: „Bilde eine weitere Form eines Löwen und eine weitere eines Menschen. Bei weitem am größten soll die erste Form, am zweitgrößten die zweite sein. „Diese sind leichter, sag- te Glaukon: und sie sind schon gebildet.“ Sokrates: „Verbinde sie also, drei wie sie sind, zu einem, so dass sie irgendwie miteinander verwach- sen sind!“ Glaukon sagt: „Sie sind so zusammengebunden.“ „Umhül- le sie außen mit dem Abbild eines Menschen so, dass es dem, der nicht das Innere sehen kann, sondern nur auf die äußere Schale schaut, wie ein Lebewesen zu sein scheint, ein Mensch.“ (Politeia 588C-E) Anhand von diesem Bild in der Rede (logos) will Sokrates eine Summa seiner Ausführungen über die Verhältnisse zwischen den Lebensweisen bieten, die von den jeweiligen Teilen der Seele geführt werden. Es sind diese Seelenteile, die durch die drei Tierformen ab- gebildet werden: Die Körper des jeweiligen Tieres bzw. des inneren Menschen stellen – zusammengenommen – die Seele dar. Hier ist der Mensch ein Lebewesen (zôon) wie Löwe und vielköpfige Hydra. Alle drei zusammen bilden das, was wir für gewöhnlich als einen Men- schen ansehen. Der „innere Mensch“ (589A) stellt nun das Lernfähige in uns dar, der Löwe das Temperament, das uns ehrgeizig macht, die Hydra die Vielfalt der Begierden, die mit dem Körper einhergehen. Der Zweck 1 Mein Dank gilt Sabine Föllinger und Diego De Brasi für die Einladung nach Mar- burg und den Teilnehmern für eine anregende Diskussion. 158 R. A. H. King unserer Handlung und unserer Rede sollte es sein, die Herrschaft über uns dem inneren Menschen zu überantworten. Zu sagen, dass Gerech- tigkeit gut ist, heißt, die vielköpfige Hydra zu zähmen, den Löwen zum Verbündeten zu machen. Der innere Mensch stiftet Freundschaft zwischen sich und den anderen Lebewesen und zwischen dem Löwen und der Hydra (589A-C). Diese Rede, dieses Bild sagt uns, wie die Dinge zu sein haben; sie ist eine normative Anthropologie, die in der Natur der Seele gründen soll. So werden mögliche Lebensweisen dargestellt, und wir verstehen, wo- von sie geleitet sind. Zwei zentrale Gesichtspunkte sind dabei Lust und Tugend, allerdings kommt in diesem Bild eigentlich nur Tugend zur Sprache. Lust und Schmerz dienen mir eher als Kurzformel für die anvisierten Phänomene – sprachlich ließen sie sich natürlich ausdiffe- renzieren – Freude, Vergnügen, Unlust, Unbehagen, im Grie chischen etwa neben hêdonê, chara, charis, gegenüber lypê, to lypêron. Es ist nicht über jede Diskussion erhaben, ob es legitim ist, diese Überlegungen unter die Rubrik „Der Mensch als moralisches Wesen“ einzuordnen – denn das Verhältnis zwischen Moral im heutigen Sinn und griechischer Ethik wird kontrovers diskutiert. Griechische Sitten sind nicht unsere Sitten, griechische Moralphilosophie ist nicht die unsrige. Zum Teil lassen sich solche Bedenken sprachlich festmachen: to kalon oder to kallos ist ein Wertebegriff, der aber zugleich ästhe- tisch konnotiert ist (traditionell: das Schöne bzw. die Schönheit) und mit nichten nur die Sphäre der praktischen Werte betrifft, die unter Moral im engeren Sinne fallen; ein Gegenbegriff ist etwa schändlich (aischron). Weshalb vollziehen Menschen den Geschlechtsakt nachts? Weil die Lust des Aktes lächerlich und schändlich ist (Philebos 65E-66A). Aber ich nehme nicht an, dass sie deswegen als unmoralisch gedacht ist. Und das Wort kalon kann sich auch einfach auf eine gelungene Ausführung beziehen. Damit will ich weder dem Relativismus das Wort reden noch Platon als rückständig erklären. Das Projekt eines an- gemessenen Verständnisses dessen, was Moral ist bzw. sein soll, wird nicht vorangetrieben, wenn man die historischen Unterschiede tilgt. Der Name Platons ist gemeinhin eher mit der Idee des Guten ver- bunden, der von Aristoteles mit dem menschlichen Guten. Aristoteles kritisiert bekanntlich Platon für die Unbrauchbarkeit der Idee des Gu- ten: Was in der Ethik erforderlich sei, sei das praktisch Gute, ein Gutes also, das man tun kann. Ferner teile sich das Gute in viele Gattungen auf, ist also nicht Eines über Vielen. Es ist aber irreführend von Aris- toteles, die Idee des Guten in der Politeia vom menschlichen Leben Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon 159 abzulösen; schließlich ist alles, was wir in der Politeia darüber lesen, bekanntlich lediglich die Meinung des Sokrates. Grundsätzlich geht es Sokrates in der Politeia natürlich um die Einarbeitung des Guten ins menschliche Leben durch Erziehung und Lernen (vgl. 618A-E). Hier, wie vielerorts auf diesem Gebiet, ließen sich triftige Vergleiche mit Aristoteles anstellen. Platonische Schriften gehen sehr wohl auf das menschliche Gute ein. Lust und Schmerz sind uns natürlich gegeben als Lenker, sie kön- nen aber auch selbst gelenkt werden, und zwar durch die Vernunft bzw. Einsicht (nous, phronêsis), die mit der Tugend oder dem leiten- den Teil der Tugenden identifiziert wird. Im Gegensatz zu manchen modernen Ansätzen sind Lust und Schmerz nicht selbst, nicht von sich aus gut bzw. schlecht. Lust und Schmerz bilden Gelenkstellen des Arguments in Gor- gias, Protagoras, Politeia, Timaios, Philebos und Nomoi. Wie ein- heitlich Platons Meinungen auf diesem Gebiet sind, wird kontrovers diskutiert. Es ist natürlich auch umstritten, ob man überhaupt Pla- tons Lehrmeinungen suchen oder nicht vielmehr eine in der Schwebe bleibende Dialektik rekonstruieren soll. Gleichwohl ist im Folgenden eine Untersuchung derjenigen Lehrmeinungen angestrebt, die einen Zusammenhang zwischen Lust und Tugend herstellen. Dabei soll in Umrissen ein Bild davon gegeben werden, wie sich Lust und Tugend zueinander verhalten, unter Berücksichtigung der jeweiligen Perspek- tiven in einzelnen Werken. Es ist so, dass der Wert der Tugend für Platon grundsätzlich ein anderer ist als der der Lust. Lust ist aber nicht wertlos, zumal man es im politischen Denken mit gängigen Auffassungen und Lebensweisen zu tun hat und Lust zum gängigen Bild des guten Lebens gehört. Der Philebos stellt die wichtigste Auseinandersetzung mit diesem Thema dar: Um Lust und Schmerz zu verstehen, so erfährt man dort, aber auch in anderen Dialogen, kann man sich an Zeugungsdrang, Hunger und Durst orientieren (vgl. Symposion 206B-209E, Politeia 585A-E, Philebos 31-32, Timaios 64A-65A): Die Lust ist dann eine Verände- rung oder „Bewegung“ die zum Sollzustand führt, Schmerz die ge- genteilige Bewegung, und zwar, insofern sie wahrgenommen werden. Dieses Modell wird dann auch auf das Lernen angewendet; wir müssen ja auch nur lernen, weil wir durch Verkörperung gebunden sind. Und es ist durch unsere Verkörperung, dass wir bzw. unsere Seelen dreigeteilt sind, und somit unter verschiedene Herrscher fallen kön- nen, nämlich diese Teile. Soll die Herrschaft gut sein, muss sie durch 160 R. A. H. King die Natur der Seele geleitet sein. Das menschliche Leben ordnet sich selbst – was ist aber das ordnende Prinzip? Und inwiefern kann man, wenn dieses Prinzip nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs ist, davon reden, dass Menschen sich selbst ordnen? Durch Einsicht in Wahrheiten, die nicht dem menschlichen Dafürhalten anheimgestellt sind, sondern auf die Natur, in diesem Falle der Seele, zurückgehen. Hier liegt m.E. eine Quelle der Bedeutung der Lernfähigkeit für die Herrschaft über sich wie auch über andere. Nomoi In den Nomoi lesen wir die Unterhaltung dreier Greise auf einer Wan- derung zum Geburtsort von Zeus auf Kreta. Sie unterhalten sich zu- nächst allgemein über die Bestimmung von nomoi (Gesetze, aber auch Bräuche), d. h. vor allem darüber, wozu sie dienen; sodann geht es aber um die verhältnismäßig konkrete Bestimmung einer Vorlage für die nomoi einer Stadt, die einer der Redner, der Kreter Kleinias, mit- begründen soll. Der Hauptredner trägt die Bezeichnung „Athenischer Fremder“; der dritte ist ein Spartaner, Megillos. Ein gesamtgriechisches Unternehmen also, auch wenn der Athener die beiden anderen führt, und die Gesetze, die letztlich erlassen werden sollen, große Nähe zum Athenischen Gesetz aufweisen. Ferner werden fremde Verfassungen diskutiert, vor allem diejenigen Persiens und Ägyptens; demnach kon- kurriert das griechische Unternehmen polis mit anderen Formen der Vergesellschaftung. Der Text ist, wenn auch voller Glanzlichter, in ge- wisser Weise gröber gewebt als Politeia und Philebos. Er dient wohl als Einführung zum Denken Platons, insofern er eine Zusammenführung und Zurschaustellung leitender Gedanken bietet, voller Bezüge zu frü- heren Werken; ferner als öffentliches Vermächtnis, das es verdient, anstelle der Ilias, dem traditionellen Grundpfeiler der griechischen Er- ziehung, auswendig gelernt zu werden (vgl. 811C-812A). Also sind die Nomoi weit mehr als ein Gesetzestext. Was aber fehlt, ist die genaue dialektische Auseinandersetzung mit Tugend bzw. Lust. Wozu dient nun die Gesetzgebung? „Bei der Gesetzgebung zielt jeder brauchbare Gesetzgeber nur auf die höchste Tugend, vollkom- mene Gerechtigkeit“ (630C), er zielt auf die Tugend in Gänze (630E). Bemerkenswert lustfrei ist die Liste der Güter, die uns der Athenische Fremde darbietet. Er unterteilt sie in menschliche und göttliche Güter, Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon 161 wobei erstere von letzteren abhängen. Dass die einen Güter göttlich sind, bedeutet natürlich nicht, dass sie Menschen nicht zukommen sollten; denn gerade sie sind die Tugenden. Die menschlichen Güter sind Gesundheit, Schönheit (kallos), körperliche Stärke und Reichtum im Verbund mit Einsicht (phronêsis). Die göttlichen Güter sind da- gegen, in absteigender Reihung, erstens phronêsis, zweitens „die mit Vernunft (nous) selbstbeherrschte Haltung der Seele”, im Verbund mit Mut ergeben diese Gerechtigkeit, und schließlich der Mut selbst. Die menschlichen Güter sind auf die göttlichen gerichtet, und alle, auch die phronêsis, blicken auf den Nous, den Intellekt, als Anführer, der souverän ist (631CD). Während die Politeia die Gerechtigkeit zum Thema hat, kommt in den Nomoi der Selbstbeherrschung (sôphrosynê), der charakteristischen Bürgertugend, die Schlüsselrolle zu – soweit besteht ein Unterschied in der Stoßrichtung der beiden Dialoge. Allerdings haben wir bereits gesehen, dass Gerechtigkeit die Tugend in Gänze ist, die durch die Ge- setzgebung zu bewerkstelligen ist. In der Liste der göttlichen Güter er- gibt sich die Gerechtigkeit aus der Anwesenheit der anderen Tugenden. Beides kann natürlich zusammen bestehen: Bei Gesetzen oder Bräu- chen geht es darum, dass man gehorcht und also Selbstbeherrschung besitzt, da diese impliziert, dass man sich vom Besseren leiten lässt. In einer polis geht es vor allem um Einheit, also ein funktio nierendes Ganzes, in dem jeder Teil das Seinige tut und erhält, das also gerecht ist. Das Bemerkenswerte ist nun an den Nomoi, dass trotz fehlender di- alektischer Auseinandersetzung mit den physiologischen Grundprinzi- pien der Moral, Lust und Schmerz, und trotz ‚lustfreier Güterliste‘ die Relevanz der Lust anders zum Ausdruck gebracht und argumentativ eingesetzt wird: in Form von Beispielen bzw. eines Modells. So vertritt der Athenische Fremde die Meinung, dass man die gan- ze Tugend in den Gesetzen anvisieren soll. Während Gesetze etwa in Kreta dafür Sorge tragen, dass man mit Schmerz umgehen kann, also die Kreter zu Mut erziehen, versäumen es dortige Gesetzgeber, sich mit der Lust auseinanderzusetzen. Dazu will der Athenische Fremde die Institution des Symposiums verwenden, als Schule der Mäßigung (648DE). Man solle das Trinkgelage anhand von Regeln mäßigen, um „gemäßigte Gewohnheit zu kultivieren“; und dieses Prozedere sol- le dann auch bei anderen lustvollen Tätigkeiten angewendet werden (673E-674A). Lüste und Schmerzen seien die „zwei Quellen, die natürlich fließen dürfen: Wenn einer davon schöpft, so oft und so viel er soll, dann ist 162 R. A. H. King er glücklich, gleichermaßen die Stadt, der Privatbürger und jedes Le- bewesen, jener aber, der es erkenntnislos und zur falschen Zeit macht, wird auf eine dem ersten entgegengesetzte Weise leben“ (636DE). Schmerz und Lust werden als Motivierungen sehr ernstgenommen, was noch nicht heißt, dass sie für sich letztlich Werte darstellen. Auch hier liegt ihr Wert vielmehr darin, wie wir damit umgehen: Lust und Schmerz, die frühesten Empfindungen (Widerfahrnisse: pathê) eines Kindes (653A), stellen den Weg zu Laster und Tugend dar (644C- 645C). Es besteht natürlich ein enger Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Lust und Schmerz in den Nomoi und der Bedeutung der Strafe in dem Werk. Die Strafe wird in den Gesetzen aber wohl- gemerkt immer mit Erklärungen versehen. Die Gesetze stellen eine Fortsetzung des Lernens durch Lust und Schmerz des Kindes dar. Auch wenn Lust und Schmerz alberne Berater sind, wie Platon feststellt, erlauben sie es uns andere zu lenken, solange sie nicht einsehen, was zu tun und zu lassen ist. Eines der Bilder in den Nomoi für das, was wir sind, soll illust- rieren, wie die „törichten und gegensätzlichen Ratgeber, Lust und Schmerz“ uns bewegen und wie der Kalkül, was nun besser ist hin- sichtlich der erwarteten Schmerzen und Lüste, ihnen übergeordnet ist bzw. sein soll. Hier haben wir es nun mit dem oben angesprochenen Modell zu tun, es ist ein Modell der Selbstbeherrschung. Nehmen wir an, schlägt der Athenische Fremde vor, „jedes von uns Lebewesen“ sei eine göttliche Marionette, gezwungen durch törichte Ratgeber, Lust und Schmerz, aber auch durch die „goldene und heilige Führung des Kalküls“ (644D-645B). Ob wir zu einem ernsten Zweck oder als Spielzeug dienen, es sind diese pathê (Widerfahrnisse) in uns, die wie Fäden an uns herumzerren. Sie wirken gegeneinander und zwingen uns zu gegensätzlichen Handlungen: Hier, also in diesen gegensätzli- chen Handlungen, liegt die Abgrenzung von Tugend und Laster. Wir sind ihnen ausgesetzt, sie widerfahren uns. Das heißt aber nicht, dass wir nicht eine Handhabe besitzen dafür, wie wir beeinflusst werden. Der Kalkül (logismos), also die vernünftige Überlegung, dient dann der Beurteilung der relativen Werte von Schmerz und Lust. Als öf- fentliches Urteil einer Stadt heißt dieser Kalkül nomos, Gesetz. Der Faden, dem man gehorchen muss, ist der Kalkül, also in einer Stadt das öffentliche Gesetz. So erklärt sich durch diese Befehlshierarchie, was es heißt, sich selbst überlegen oder unterlegen zu sein (626E-627A). Genau wie im Dorf und in der Stadt besteht Krieg zwischen den Teilen von uns (Platon redet nicht von der Dreiteilung der Seele hier, aber sie

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