ebook img

Anthropologie der Technik: Ein Beitrag zur Stellung des Menschen in der Welt PDF

298 Pages·1978·6.956 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Anthropologie der Technik: Ein Beitrag zur Stellung des Menschen in der Welt

Weitere Veroffentlichungen des Autors im Vieweg Verlag Einfiihrung in die Kybernetik VIII, 267 Seiten mit 77 Abb. (uni-text) Paperback ISBN 3 528 03539 0 Inhalt Grundbegriffe - Informationstheorie - Regelung - Steuerung - Lernen - Sinnes erfahrung -- Bipolare Wirkungsgefuge - Leistungen und Grenzen der kybernetischen Betrachtungsweise. Die Erkenntnis des Lebendigen VII, 289 Seiten mit 35 Abb. Kartoniert ISBN 3 528 08267 4 Inhalt Die Frage nach dem Wesen des Lebendigen - Die Nachricht als Me~gr6~e - Geregelte Systeme - Die Steuerung und das Programm - Was hei~t Lernen? - Die antagoni stische Steuerung physiologischer Gleichgewichte - Gewinn und Grenzen der Anwendung der Kybernetik in der Biologie - Die Seele als Trager des Lebens - Die Evolution im Verstandnis des dialektischen Materialismus - Wachstum und Ver erbung informationstheoretisch gesehen - Richtung der Naturprozesse und Begriff der Zeit - Die Evolution - Bemerkungen zum Bewu~tsein - Der Mensch in der Natlfr und der Mensch der Natur gegenuber. Naturerkenntnis und Wirklichkeit IV, 232 Seiten mit 7 Abb. Kartoniert ISBN 3 528 08266 6 Inhalt Naturphilosophie als kritische Wissenschaft - Das Ziel der Erkenntnis: Einsicht oder Voraussicht? - Wege der Begriffs- und Theorienbildung - Was sagt das Experiment? Die Prufung naturwissenschaftlicher Theorien - Raum und Zeit. Probleme der Metrik - Was ist das Beharrende? - Naturgesetzlichkeit - Kontinuum und Diskre tion - Wahrscheinlichkeit - 1st unsere Naturerfahrung eindeutig? - Die Natur wissenschaft zur Frage nach der Wirklichkeit der Welt - Wissenschaftliche und existentielle Wirklichkeit. Hans Sachsse Anthropoiogie derTechnik Ein Beitrag zur Stellung des Menschen in der Welt Mit 15 Abbildungen Vieweg ClP-Kurztltelaufnahme der Deutschen Blbliothek Sachsse, Hans Anthropologle der Techmlc e. BeItr. zur Stellung d. Menschen III d. Welt. - 1. Auf!. - BraunschweIg· Vieweg,1978. ISBN-13: 978-3-528-08377-9 1978 Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten © FriedL Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1978 Die VervieWiltigung und Obertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder auch fur die Zwecke der Unterrichtsgestaltung gestattet das Urheberrecht nur, wenn sie mit dem Verlag vor her vereinbart wurden. 1m Einzelfall muE iJber die Zahlung einer GebUhr flir die Nutzung fremden geistigen Eigentums entschieden werden. Das gilt fur die VervieWiltigung durch aile Verfahren ein schlieElich Speicherung und jede Obertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bander, Platten und andere Medien. Satz: Textverarbeitung Steinberger, Mainz Umschlagfoto: Felszeichnung. Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Verlags-Anstalt, Stuttgart ISBN -13: 978-3-528-08377-9 e-ISBN -13: 978-3-322-83849-0 DOl: 10.1007/978-3-322-83849-0 Vorwort Bis in die jiingste Zeit hat sieh der Mensch ziemlich naiv dem technischen Fort schritt anvertraut, ohne viel danach zu fragen, was dieses Phanomen Technik eigent lich bedeutet und wie es in den Rahmen menschlichen Lebens einzugliedern sei. Die Erkenntnistheorie, die Frage nach dem Wissen-Konnen, gehort zu den klassischen und vielbearbeiteten Themen der Philosophie. Demgegeniiber hat die Frage nach dem Machen-Konnen, die Techniktheorie in der Geistesgeschichte nur eine geringe Rolle gespielt. Das ist erstaunlich, weil der Mensch mit seiner Technik Verande rungen seiner Lebensverhaltnisse schafft, die ihrerseits nachhaltig auf seine biolo gische wie geistige Entwieklung zuruckwirken. Der Einflu6 der Technik auf unser Leben, der Ansporn, die formende und bestimmende Kraft des Machen-Konnens im Laufe der Geschichte yom Faustkeil iiber den Streitwagen und das Schie6pulver bis zur Atomkraft, von den Hieroglyphen bis zum Fernsehen und zur Elektronik ist im Vergleieh zur bekannten Kriegs-, Wirtschafts- und Geistesgeschiehte noch wenig systematisch studiert worden. Aber die Technik ist seit der Menschwerdung der folgenschwere Griff nach der Wirklichkeit. Welche Miihe gibt sich die Philosophie, die Wirklichkeit zu begreifen, aber wie strittig sind auch heute noch ihre Fragestellungen. Der Technik geht es erst recht urn die Wirklichkeit, aber sie greift unmittelbar in ihr Geflige und bringt Verandertes, Neues hervor. Dnd es ist iiberraschend: Verwirklichen ist einfacher als die Wirklichkeit zu verstehen. Ergreifen geht schneller als Begreifen. Heute spiiren wir, da6 wir mit dem unbekiimmerten technischen Fortschritt, flir den das Neue auch schon der Bessere bedeutet, auf eine Grenze sto6en, da6 wir dabei sind, uns eine Wirklichkeit zu schaffen mit Sachzwangen und Problemen, in der wir uns immer weniger zurechtfinden. Es geniigt nicht mehr zu erkennen, was sieh mit Hilfe der Technik alles machen la6t, sondern es bedarf einer Besinnung auf die Funktion, auf den Rang, auf die Bedeutung der Technik flir den Menschen, es bedarf einer Techniktheorie in anthropologischer Sieht. Die Arbeit an diesem Buch steht in engem Zusammenhang mit meinem personlichen Lebensweg. Ais Naturwissenschaftler und Techniker habe ich 25 Jahre in der deutschen chemischen Gro6industrie verbracht und mich lebhaft den Freuden und Leiden wissenschaftlicher Forschung und technischer Verwirklichung gewidmet. Gerade dem, der mitten und hautnah im Getriebe steht, kommen die ungewohn lichen Moglichkeiten wie auch die Probleme des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts unmittelbar zum Bewu6tsein. In der Sorge urn zukiinftige Entwick lungen habe ich mich spater der GESELLSCHAFT FOR VERANTWORTUNG IN DER WISSENSCHAFT angeschlossen. 1m Rahmen dieser Gesellschaft haben wir in der Reihe der Uni-Taschenbiicher drei Bande zum Thema Technik und Gesellschaft herausgegeben mit dem Ziel, Material iiber die gesellschaftliche Beziehung der Tech nik flir den Schulunterricht und die Erwachsenbildung bereitzustellen. Es wurden zu diesem Zweck etwa 400 Werke deutschsprachiger Literatur kommentiert und III an Hand ausgewahlter Textproben dargestellt, die den EinfluB der Technik auf die Geistesgeschichte, die Behandlung der Technik in der schon en Literatur, die Rolle der Technik in Utopien und Science-Fiction-Buchern, die wirtschaftlichen Organi sationsformen technischer Zusammenarbeit und anderes mehr zum Gegenstand hatten. Aus dieser gemeinsamen Arbeit mit ihrem umfangreichen Literaturstudium sind zahlreiche Anregungen flir das vorliegende Buch hervorgegangen. Es ist mir ein Bedurfnis, auch hier meinen Mitarbeitern bei der Herausgabe dieser Kommentare meinen herzlichen Dank auszusprechen, namentlich den Herren Alois Huning, Reinhard lung, Manfred Kunzelmann, Hans Werner Muller, Rupert Schmidt, Heinz Rudi Spiegel und Fritz Winterling. Desgleichen danke ich herzlich dem Karlsruher Gesprachskreis urn Simon Moser, insbesondere den Herren Hans Lenk, Ernst Olde meyer, Friedrich Rapp und Gunter Ropohl sowie zahlreichen anderen Kollegen, die ich nicht aIle mit Namen aufzahlen kann, flir anregende Diskussion. Mein Wunsch ist, daB dieses Buch, dem ebenso personliches Erleben wie wissenschaftliche Arbeit zugrunde liegt, dazu beitragen moge, daB der Mensch mit seiner Technik sich selbst besser versteht. Hans Sachsse Wiesbaden, September 1977 IV Inhaltsverzeichnis 1 Einfiihrung: Was ist Technikphilosophie? ................................ . 1.1 Die Fragestellung ............................................. . 1.2 Das Problem der Technik heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3 1.3 Die Technik als ein StUck von uns selbst .............................. , 6 2 Physikalische und biologische Wurzeln der Technik .......................... , 9 2.1 Der Umweg zum Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 9 2.2 Geregelte Systeme ............................................. 17 2.2.1 Grundbegriffe der Kybemetik ................................. , 17 2.2.2 Optimierung und Lemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 23 2.2.3 Eine allgemeine Theorie der Entwicklung .......................... 27 2.3 Biologische und technische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 34 2.4 Die Wendung nach aufl,en und die Wendung nach innen .. , ................-.. 46 3 Geschichte der Technik - Evolution des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 54 3.1 Das erwachende Ich und sein GegenUber ............................... 54 3.2 Jager-und Sammlergesellschaften ................................... 61 3.3 Agrarkulturen ................................................ 68 3.3.1 Die neolithische Revolution und ihre Folgen ....................... , 68 3.3.2 Die Erfahrung und BewaItigung der Zeitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 79 3.4 Industriezivilisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 85 4 Technik aus der Sicht des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 4.1 Die Reflexionsstufen technischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 4.1.1 Schritte der Bewufl,twerdung ................................... 93 4.1.2 Autobiographische Zeugnisse .................................. 95 4.2 Wissenschaftliche und technische Forschung: Vergleich zweier Suchprozesse ....... 104 4.2.1 Die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Technik .................. 104 4.2.2 Die Entwicklung der Wissenschaft ............................... 106 4.2.3 Der Fortschritt der Technik ................................... 121 4.2.4 Theorie und Praxis ......................................... 128 5 Technik als soziales Phanomen ........................................ 130 5.1 Organisationsformen technischer Zusammenarbeit in der Geschichte ............ 130 5.2 Die modeme Technik I: Wettbewerbssysteme ........................... 142 5.2.1 Das Modell der Marktwirtschaft ................................. 142 5.2.2 Probleme der Marktwirtschaft .................................. 154 5.3 Die modeme Technik II: Zentralverwaltungswirtschaft ..................... 164 5.4 Dritte Wege? ................................................. 175 v 6 Der Technizismus der Neuzeit ......................................... 180 6.1 Die technizistische Philosophie von Descartes bis Feuerbach .................. 180 6.2 Der Marxismus als Antwort auf die industrielle Zivilisation ................... 197 6.2.1 Karl Marx ............................................... 197 6.2.2 Der russische Marxismus und der Neomarxismus des Westens ............. 206 6.2.3 Die gro~e Lehre Mao Tse-tungs ................................. 212 6.3 Der Einflu~ der Technik auf das allgemeine Bew~tsein heute ................. 227 6.4 Das Scheitem der technizistischen Philosophie ........................... 235 7 Die Oberwindung des Technizismus und die ethische Bewiiltigung der Technik ......... 240 7.1 Philosophische Besinnung auf die Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 7.2 Die Kritik der Naturwissenschaft am cartesianischen Weltbild ................. 243 7.3 Die Wiedergewinnung der Realitiit ................................... 252 7.4 Kompiementille Gemeinschaft ..................................... 258 Literaturverzeichnis ................................................. 271 Bildquellennachweis ................................................. 278 Begriffserliiuterungen ................................................ 279 Personenregister ................................................... 282 Sachregister ...................................................... 285 VI 1 Einfiihrung: Was ist Technikphilosophie? 1.1 Die Fragestellung Die Philosophie der Technik fragt: Was meinen wir, wenn wir von Technik sprechen und welchen Sinn hat dieses Gemeinte fUr unser Leben als Ganzes? Welches sind die Voraussetzungen, da~ es Technik gibt, wie ist Technik im Zusammenhang unseres Lebens zu verstehen und wie verhalt sie sich zu anderen Bereichen unseres Lebens, zu Wirtschaft und Wissenschaft, zu Politik, Kunst und Religion? Geht es bei ihr urn die individuelle Leistung oder ist Technik als uberindividuelles System zu verstehen? 1st sie der Widersacher der Natur oder ihr Vollender? 1st sie etwas Gutes oder etwas Bases oder steht sie jenseits moralischer Werte? Kannen wir sie beherrschen oder beherrscht sie uns? Und wohin [uhrt der Weg, wenn wir mit der Technik die Welt veriindern, - und mit der Welt auch uns selbst? Auf diese vielen Fragen gibt es noch mehr Antworten, denn die Vorstellungen, was Technik ist, gehen weit auseinander. Wir werden uns die Vielfalt der Auffassungen vergegenwartigen mussen, wenn wir besser verstehen wollen, was es mit der Technik auf sich hat. Schon das Wort Technik hat einen breiten Bedeutungsumfang. Wenn wir von Technik sprechen, denken wir wohl an Autos, Ki.ihlschranke, Fernsehappa rate, an Fabriken oder an die technische Einrichtung von Krankenhausern. Wir den ken an den Fortschritt der Naturwissenschaften und an ihre Anwendung in der indu striellen Produktion. Aber es gibt auch eine Technik der Diskussionsleitung, der GesprachsfUhrung und des Vortrags. Es gibt Techniken der Verwaltung und Organi sation. Bei einer Vortragsveranstaltung hei~t es etwa: Das Mittagessen mu~ aus tech nischen Grunden urn 12 Uhr stattfinden. Man wei~, es hat sich mit den Speiseraum lichkeiten nicht anders einrichten lassen, aber es hat nichts mit dem Inhalt der Vor trage zu tun. Es gibt eine Technik der Forschung, des Experimentierens und eine Technik des Kunstlers, diesen besonderen Pinselstrich eines MaIers; der Sanger lernt die Technik des Atmens, und uber die Technik der Liebe gibt es in vielen Kultur sprachen dicke Bucher. Auch gibt es Techniken der Religion, Dbungen, Exerzitien zur Gewinnung religiaser Einsicht, etwa durch Fasten, durch Einsamkeit, durch Steuerung des Vorstellungsvermagens auf bestimmte Sachverhalte. Dber die Technik der Meditation gibt es ein umfangreiches Schrifttum in der religiasen Literatur Asiens und des Abendlandes. Buddhas Lehre, so kann man sagen, beschrankt sich praktisch auf einen umfangreichen Katalog technischer Ratschlage, urn aus "der Ver blendung zu erwachen", sie betreffen die Ernahrungsweise, die Atemtechnik, die Karperhaltung und dariiber hinaus den "Heiligen achtfachen Pfad" der Lebensprakti ken, bestimmte Steuerungen der Aufmerksamkeit und Versenkungsubungen betrifft.l Hermann Oldenberg, Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, Miinchen, 1961. Hans Sachsse, Verstrickt in eine fremde Welt, Siidasiens Kulturen und die Entwicklungshilfe des Westens, Nomos, Baden-Baden, 1965 - Offenbar mu~ diesen sehr verschiedenen Verwendungen des Begriffes Technik etwas Gemeinsames zugrunde liegen, denn sonst wUrden wir nicht das gleiche Wort gebrauchen. Die Gemeinsamkeit angesichts dieses breiten Verwendungsumfangs erklart sich dadurch, daft wir mit Technik gar nicht Inhalt und Ziel eines Verhaltens bezeichnen, sondern nur die Weise des Vorgehens, die Art des Handelns, die ihre eigenen MaBstabe hat und ganz unabhangig von den Inhalten besser oder schlechter sein kann. Ein Vortrag kann technisch ausgezeichnet sein, obwohl sein Inhalt irre fiihrend oder falsch ist, und ein Gebaude kann technisch bestens erstellt und trotz dem unbrauchbar oder haBlich sein. Die Bedingungen und M6glichkeiten der Ver fahrensweisen gilt es also zu analysieren. Eine eigenartige Schwierigkeit, mit der sich jede Philosophie der Technik auseinan dersetzen muB, bereitet die Frage nach dem Wert dieses Vorgehens, das wir Technik nennen. Seit den Uranfangen der Menschheit bis zum heutigen Tage hat sich keine iibereinstimmende Antwort gefunden, ob die M6glichkeit, technisch zu verfahren, dem Menschen zum Heil oder zum Verderben gereicht. Wir klagen heute zumeist die "moderne Technik" an und machen sie verantwortlich fiir die Entseelung des Lebens und die Zerst6rung der Umwelt, flir die Vernichtungskraft der Kriege und die Mani pulation der Massen; in unzahligen literarischen Au~erungen wird sie als unnatiirliche und naturwidrige geHihrliche Macht dargestellt, wahrend die Technik friiherer J ahr hunderte, Handwerk, Ackerbau und Viehzucht als natiirliche Errungenschaften der Menschheit verstanden werden. Aber wo will man hier die Grenze zwischen natiirlich und unnatiirlich ziehen? Waren etwa der Faustkeil und das Feuer, die Urbarmachung des Landes, das Rad, die Schrift, der Streitwagen, das SchieBpulver und der Buch druck im Guten wie im B6sen weniger umwalzende Ereignisse als das Flugzeug, die Atomenergie und die Computertechnik? Zu leicht neigt man dazu, das Gewohnte als natiirlich zu bezeichnen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, da~ das zwiespaltige Verhaltnis des Menschen zu seiner Technik, daB diese Ha~-Liebe nicht erst ein Ergebnis der jiingsten Zeit ist, sondern weit zuriickreicht, berichten doch schon die My then der Vorzeit dariiber. Hephast, der Gott der Schmiedekunst, war haBlich von Gestalt, was bei den Griechen einem Charakterfehler ahnlich ist. Seine Mutter Hera warf ihn daher yom Olymp, und er fiel in den Okeanos. Die freundlichen G6ttinnen Thetis und Eurynome nahmen ihn auf und richteten ihm verborgen in tiefer See eine Grotte als Schrniedewerkstatt ein, und dort fertigte er kunstvolle und uniibertreff liche Werke. Ais Hera von seiner Kunst erfuhr, nahm sie ihn wieder in den Olymp auf, aber Zeus warf ihn bei spaterer Gelegenhcit ein zweites Mal herunter, und nun fiel er auf die Insel Lemnos und brach beide Beine. Aber er fertigte sich goldene Kriicken, die sich selbst bewegen konnten und die ihn flihrten wie Magde. Man beachte die Symbolik: wieviel Kriicken brauchen wir heute?! Auch der Gedanke der Automatik ist vorweggenommen. - Von Prometheus heiBt es, er habe die Zahl und die Schrift erfunden, er habe den Menschen gezeigt, wie man Tiere zahme und sattle, er habe sie die Astronomie, Navigation, Medizin und Metallurgie gelehrt und ihnen das Feuer yom Himmel gebracht. Auch er geh6rt in die Reihe der gro~en, grausam bestraften Frevler. Die Entwicklung der Technik in der Geschichte ist von Mifttrauen begleitet. Das griechische Wort techne bezeichnet nicht nur die Kunstfertigkeit, son dern auch die Schlauheit und den listigen Anschlag. Und ahnlich bedeutet mechane 2 nicht nur Werkzeug und Maschine, sondern auch Kunstgriff und Kriegslist. In seiner Einleitung zur Bewegungslehre schreibt Aristoteles beziiglich der Hebelgesetze bei der Verwendung des Wuchtbaumes, da~ in den Fallen, wo ein kleines Gewicht eine gro& Last bewege, die tt~chne durch List und Erfmdung die Natur besiege.2 Ais man dem Konig Archidamos von Sparta 370 v. Chr. eines der neuen Katapultgeschiitze aus Sizilien zeigte, sagte er. "Beim Herakles, der Heldenmut eines Mannes gilt nichts mehr!"3 Das Wort techmio, kiinstlich verfertigen, hat speziell den Sinn von sich verst ellen und heucheln angenommen. Die Zahl der Beispiele la~t sich belie big ver mehren. Die Technik-Philosophie steht hier offenbar vor einer fundamentalen Frage: Wollen wir nun die Technik oder wollen wir sie nicht? Und wie ist die Gespaltenheit des Urteils gegeniiber dieser so wirkungsvollen Verfahrensweise zu verstehen? 1.2 Das Problem der Technik heute Die Frage nach der Technik hat sich in unserem lahrhundert in ungewohnlicher Weise zugespitzt. Auf der einen Seite ist die Technik zum dominanten Faktor unseres Lebens geworden. Die Bemiihungen unserer Offentlichen wie privaten Insti tutionen, die Sorge der Staatsmanner und Fiihrer des offentlichen und wirtschaft lichen Lebens gilt der Forderung der Technik. Die Planungswissenschaft, deren Thema die exaktere Organisation technischen Handelns ist, ist eine eigenstandige Disziplin geworden, und bessere Planung wird immer nachdriicklicher fiir alle For men un seres Verhaltens gefordert. Und wahrend man friiher unter Technik nur die Ingenieurtechnik, die Maschinentechnik verstanden hat, wird inzwischen das techni sche Vorgehen auf alle Bereiche unseres Lebens angewendet, es gibt eine Biotechnik, eine Psychotechnik und eine Soziotechnik. Die Technik ist aber auch in ungeahnter Weise der Trager unseres gesamten materiellen wie geistigen Lebens geworden. Ohne die technische Leistung wiirde etwa ein Drittel der Menschheit verhungern, die Tech nik hat uns weitgehend von Kalte, Hunger, korperlichem Schmerz und Krankheit befreit, sie hat die Reichweite unserer Sinnesorgane und unsere korperliche Beweg lichkeit urn viele Gro~enordnungen erhoht, sie schafft uns einen Informationsreich tum, der die Beschrankungen von Raum und Zeit iiberwindet und zu einer unge wohnlichen Erweiterung unseres Bewu~tseins fUhrt. Kennen wir doch heute manche Zeitepoche der Vergangenheit besser als sie sich selbst gekannt hat. Angesichts dieser au~erordentlichen und nicht ungefahrlichen Steigerung der Lebens moglichkeiten, verbunden mit einer durch die Technik bewirkten sprunghaften Ver mehrung des vitalen Wachstums ist das Echo in Wort und Schrift auf dieses Phlino men Technik, das unsere Neuzeit pragt, iiberraschend gering und iiberwiegend nega tiv. In der erzahlenden Literatur und der Dichtung, die ein feiner Seismograph fUr die Offentliche Meinung ist, wird die Technik - wie einem geheimen Einverstandnis 2 Aristoteles, Kleine Schriften zur Physik und Metaphysik, 847 a 3 Johannes Volkmann, Die Waffentechnik in ihrem Einflu~ auf das soziale Leben der Antike, in: Die Entwicklung der Kriegswaffe und ihr Zusammenhang mit der Sozialordnung, Leopold von Wiese, Hrsg. Kolner Universitatsverlag, 1953, S. 94 3

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.