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Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft PDF

119 Pages·2002·11.478 MB·German
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Preview Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft

Birgit Rommelspacher Anerkennung und Ausgrenzung Deutschland als multikulturelle Gesellschaft Birgit Rommelspacher ist Professorin für Psychologie mit dem Schwerpunkt Campus Verlag Interkulturalität und Geschlechterstudien an der Alice Salomon Hochschule FrankfurtlNew York Berlin. Inhalt ~-------­ ./ ._ ........... ""'''''''''. I t n'-·"il\:f:::f?~:~~-C/::,- \\ .,. I ( \ f I Selbst-und Fremdbilder ..................................... \.,'-.. Lt:WnC?i ./'-/ 7 ----------- Fremdheit und Machtinteressen ............................... . 9 2 Selbst- und Fremdbilder in der europäischen Moderne ............. . 21 3 Nationale Selbst-und Fremdbilder ............................. . 40 4 Gleichheitsanspruch und Ungleichheits verhältnisse ............... . 63 5 Universalismus und Dominanz ................................ . 82 11 Kulturen im Konflikt .......... ........................... . , 97 6 Der Islam und das westliche Selbstverständnis Vom Orientalismus zum »Kampf der Kulturen« ................... . 99 7 Kultur - Geschlecht - Religion Am Beispiel der Kopftuchdebatte .............................. . 113 8 Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland ................ . 132 9 Segregation und Integration Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Zur Situation ethnischer Minderheiten in Deutschland ............. . 151 Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind 111 Modelle des Zusammenlebens ............................... 173 im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-36863-3 10 Die multikulturelle Gesellschaft Konzepte und Kontroversen 175 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 11 Erfahrungen aus den USA Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung Affirmative Action ..................................... . 193 und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 12 Pluralität und Egalität ....................................... 205 Copyright © 2002 Campus Verlag GmbH, FrankfurtlMain Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Druck und Bindung: KM-Druck, Groß-Umstadt Literatur ...................................................... 219 Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany IfpiiJ'Mf""'iif"C! rB~-~-uchen~i~uns im Internet: 1 Fremdheit und Machtinteressen Der Fremde im klassischen Sinn ist derjenige, der aus der Ferne kommt, der unbe kannt und unvertraut ist. Er muss aber nah genug sein, um fremd sein zu können, denn Menschen, von denen man nichts weiß, sind einem nicht einmal fremd. Der Fremde ist derjenige, der nah genug ist, um ihn als ein Gegenüber zu begreifen. Das Bild vom Fremden, der aus der Ferne kommt, ist eine Metapher, die eini ges verdeutlicht, anderes aber wiederum verdeckt. Es verweist auf das Unbekann te und Unvertraute, das die Fremdheit des Anderen ausmacht. In diesem Bild ist der Fremde in Aktion: Er kommt herein, vielleicht dringt er sogar ein. Unklar bleibt in diesem Bild, warum der Fremde kommt. Kommt er aus eigenem Antrieb oder wurde er gerufen? Vielleicht war er schon vorher da und wurde erst später zum Fremden? Das Bild verstellt den Blick auf die Möglichkeit, dass der Fremde auch ein Vertrauter gewesen sein kann, der - aus welchen Gründen auch immer - zum Fremden geworden ist. Der Fremde ist hier schon immer fremd. Insofern er fahren wir nichts darüber, wie er zum Fremden wird. Dies Bild verdeckt also die Genese von Fremdheit und so auch die Möglichkeit des Fremd-machens, der akti ven Grenzziehung und des Ausschließens. So können Menschen, die schon lange in einer Gesellschaft leben, als Fremde betrachtet werden. Das gilt z. B. für Juden in Deutschland, die trotz einer jahr hundertealten gemeinsamen Geschichte von vielen nichtj üdischen Deutschen oft als fremd empfunden werden. Dabei stellt sich die Frage, was macht in dem Fall die Fremdheit aus? Warum macht man sich nicht miteinander vertraut? Was sind die Motive, die die Distanz aufrecht erhalten lassen? Georg Simmel spricht vom Fremden als dem Gast, der heute kommt und mor gen bleibt (1908/1992). Aber wie lange bleibt der Fremde ein Gast? Wie verändert sich die Beziehung im Laufe der Zeit? Das Bild vom Fremden, der aus der Ferne kommt, bricht die Geschichte an der Stelle ab, an der das Subjekt aktiv wird und die soziale Distanz festschreibt oder auch aufzuheben versucht. Es verdeckt damit den aktiven Part des Subjekts, indem es ein Überwältigtwerden durch die Unbe kanntheit des Anderen nahe legt. Die Beteiligung des Subjekts an der Fremdheit des Anderen zeigt sich schon darin, dass es meist sehr bestimmte Vorstellungen davon hat, was seine Fremdheit 9 ausmacht. Die Gewissheit des Fremdbildes steht dabei in einem eigenartigen Kon einer spezifischeren des Fremden unterschieden werden. Beide Begriffe zielen auf trast zur Unbekanntheit des Fremden. Für dieses Phänomen liefert die Psychoana die Konstruktion eines Gegenübers und decken sich insofern weitgehend auf der lyse jedoch eine plausible Erklärung, indem sie im Fremdbild die Kehrseite des analytischen Ebene. Im Grunde kann jede Differenz als Fremdheit interpretiert J Eigenen sieht, ein Produkt der Projektionen eigener verdrängter Impulse. Denn werden. Sie wird jedoch umso mehr als Fremdheit verstanden, je mehr die U nver i- gerade der Fremde in seiner Unbekanntheit ist eine geeignete ProjektionsfI läche. trautheit in den Vordergrund geschoben und die Differenz als symbolische Grenze I_ SO spricht Sigmund Freud (1966) davon, dass das Heimelige und Vertraute heim- erfahren wird, die zwischen »Ihr« und »Wir« trennt. lich, d. h. verdrängt werden musste und dann als Unheimliches beim Anderen er Fremdheit in einem sehr allgemeinen Sinn kann auf Erfahrung von Differenzen scheint/Dem Selbst werden dabei in erster Linie positive Attribute zugeordnet wie zurückgeführt werden, die wir im Alltag ständig erleben. So gibt es eine Reihe Kompetenz, Reinheit und Stabilität, dem Fremden die negativen wie Gewalt, von Theoretikern, die die immer weitere funktionale Differenzierung in unserer [' Schmutz und Chaos. Diese Psychodynamik der Fremdheitskonstruktion dient Gesellschaft dafür verantwortlich machen, dass jeder Mensch sich mehr oder we dazu, das Selbst abzusichern, indem im Bild des Fremden all das angesammelt niger ständig selbst als fremd erfahrt. Das Individuum gehört immer gleichzeitig 1 verschiedenen sozialen Welten an. Deshalb ist es, etwa nach der Analyse von Zyg wird, was für das Ich bedrohlich erscheint. Damit steht das Fremdbild in einer geradezu intimen Beziehung zum Subjekt, munt Baumann, aus jeder »entwurzelt« und in keiner »zu Hause«. »Man kann ist es doch aufs Engste mit dem Selbstbild verwoben. Daraus lässt sich auch die sagen, dass es der universale Fremde ist« (1992a, S. 124, vgl. dazu auch Beck Faszination des Fremden erklären, er stellt die Kehrseite des Eigenen dar. Das 1996b). So wird Fremdheit zur Grunderfahrung des Lebens in der postmodernen 1_ _ Fremde fasziniert, weil es das symbolisiert, was das Eigene nicht enthält. So kann Gesellschaft überhaupt. Mit dieser Analyse wird deutlich, dass man auch sich es z. B. auch für das Abenteuer, die Ungebundenheit, die Lebensfülle, die Natür selbst fremd werden kann, je nachdem wie sehr die unterschiedlichen sozialen -\ lichkeit und die Lebendigkeit stehen - also die Kehrseite all dessen, was die An- Rollen Distanzen zum eigenen Selbstkonzept herstellen beziehungsweise die Ent passung an die gegebene Ordnung erfordert. Je mehr vom Selbst an das Fremde wicklung eines solchen überhaupt erschweren. ; delegiert wird, desto unkenntlicher wird jedoch auch das Selbst. Das Innere wird Die Tatsache fragmentierter Lebenserfahrungen hat jedoch in unterschied , zunehmend leer, das Eigene kaum mehr greifbar. So fällt es oft leichter, den Frem lichen Kontexten ein unterschiedliches Gewicht. Es kommt darauf an, ob die Zu jden zu schildern als zu beschreiben, was das Eigene ausmacht. gehörigkeit zu verschiedenen Lebenssphären auch als konflikthaft oder gar als un Fremdheit speist sich also aus der Entgegensetzung zum Eigenen. Dabei gibt es zulässige Überschreitung symbolischer Grenzziehungen interpretiert wird. Die sehr unterschiedliche Bilder vom Fremden, die jeweils nicht nur unterschiedliche Erfahrung der Selbstentfremdung, die sich aufgrund der Zugehörigkeit zu unter Aspekte des Selbst repräsentieren, sondern auch unterschiedliche Erfahrungen mit schiedlichen Systemen innerhalb der Gesellschaft entwickeln kann, ist also zu un den jeweils Anderen zum Ausdruck bringen. Denn nicht jeder Fremde ist auf glei terscheiden von Fremdheitskonstruktionen, die z. B. die Anderen vom Zugang zur che Weise fremd. So gibt es in der deutschen Gesellschaft ganz unterschiedliche Gesellschaft insgesamt oder aber zu bestimmten Ressourcen ausschließen. Die Prototypen des Fremden, z. B. wenn wir an das Bild von »dem« Moslem als dem Grenzlinien besitzen also unterschiedliche Bedeutungen: Je mehr die Grenzen für Fremden denken oder aber an die Fremdbilder, wie sie von Juden existieren, von die Beteiligten problematisch sind und zu Irritationen führen, je mehr sie mit dem Sinti und Roma oder von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Und hier liegt auch Verweis auf die Unbekanntheit des Anderen gezogen, also mit Fremdheit begrün die Grenze der psychoanalytischen Erklärungskraft, die den [IF remden als leere det werden, und schließlich, je mehr sie auch pragmatische Konsequenzen im Projektionsfläche versteht, auf der die eigenen Phantasien ~bgebildet werden. Sinne von Ausschluss haben, desto mehr werden die jeweils Anderen zu Fremden. Denn tatsächlich ist es nicht gleichgültig, wer der Fremde ist. Auch die jeweiligen Es geht also nicht nur um die Tatsache von Differenzen überhaupt, sondern auch Beziehungen gehen in die Bilder von ihm ein. Die Projektionsebene vermischt um die Frage, welche Intentionen mit der Feststellung von Unterschieden ver sich mit der Beziehungsebene, so dass das Bild vom Anderen sowohl etwas über knüpft sind, d. h. inwiefern sie der Exklusion und symbolischen Grenzziehung das Selbst aussagt, wie auch über die Beziehung zum Anderen. D. h. das Bild vom dienen. Fremden ist weder ausschließlich ein Produkt eigener Projektionen, noch ist es ein Je entschiedener die Grenzen gegenüber dem Anderen gezogen und die Ge Abbild des Anderen, sondern in dem Bild kommt vor allem die Beziehung zuein meinsamkeiten getilgt werden, desto mehr wird der Fremde zum Feind. Fremdes und Eigenes wird nun als unvereinbar und die Andersheit des Anderen als gegen ander und ihre Geschichte zum Ausdruck. Dabei muss hier zwischen einer allgemeinen Kategorie des Anderen und das Selbst gerichtet empfunden. Die Distanz wird verabsolutiert. Das hebt jedoch 11 10 nicht die Bindung zu ihm auf, sondern im Gegenteil, sie wird umso stärker je fremd empfunden wie die Reichen in den Villenvierteln, denen sie zunehmend mit mehr dabei der Fremde zum Gegenbild des Selbst (Schäffter 1991), zum negati Scheu begegnen. Die Fremdheitserfahrungen markieren die Bereiche des Erlaub ven Vergleichsobjekt wird. Die Bestimmtheit des Feindbildes weist auf die Ent ten und Verbotenen in der Gesellschaft und geben den Kindern eine sozial-emo schiedenheit,hin, mit der die Distanz aufrecht erhalten werden soll. tionale Landkarte mit, die ihnen zeigt, in welchen Bereichen sie sich aufhalten Fremdheit lässt sich also nicht auf Unbekanntheit reduzieren, sondern in ihr können und wovon sie sich fern zu halten haben. Die Emotionen von Faszination drückt sich immer auch eine spezifische Beziehungsdynamik aus. Insofern kon und Angst haben dabei eine wichtige Steuerungsfunktion, die das Kind auf das stituiert sich Fremdheit nach der Analyse der Forschungsgruppe um Herfried Neue zugehen oder davor zurückschrecken lassen. Diese Emotionen sind aber Münkler (1998) immer aus der kulturellen und der sozialen Fremdheit. Kulturelle einem sozialen Lernprozess unterworfen, der das Kind in einer spezifischen Weise Fremdheit meint die Unvertrautheit zwischen Menschen aufgrund von unter in die Gesellschaft hineinführt (ausführlicher dazu Rommelspacher und Holz schiedlichem Wissen, Erfahrungen und unterschiedlichen Weltanschauungen. So kamp 1995). ziale Fremdheit hingegen zeigt sich in der sozialen Distanz, die den Anderen zu Im Laufe der Entwicklung kann sich Fremdheit aber auch gegenüber den Ver einem Menschen außerhalb der eigenen Bezugsgruppe macht. Fremdheit ist also trauten entwickeln. So können etwa in der Jugendzeit den Heranwachsenden ihre keine anthropologische Konstante, die dem jeweils Anderen zukommt, sondern eigenen Eltern fremd werden, wie auch umgekehrt die Eltern in dieser Zeit oft ihre sie ist eine Beziehung, in der es vor allem um die Frage von Nähe und Distanz eigenen Kinder nicht mehr wiedererkennen. Aus denjenigen, die am vertrautesten geht. Die soziale Distanz basiert dabei auf der Feststellung von Unvertrautheit. waren, sind Fremde geworden. Die Jugendlichen sehen ihre Eltern plötzlich mit Wie sehr die Anderen dabei als etwas dem Eigenen Entgegengesetztes verstanden anderen Augen, denn sie beginnen in dieser Phase, ihre Eltern zu relativieren werden, hängt wiederum entscheidend davon ab, auf welcher Geschichte die Be und sich von ihnen zu distanzieren. Diese Distanzierung erfordert Trennungsag ziehung zum Anderen basiert, in welchem Kontext die Fremdheit entstanden ist gression. So sagt Freud (1967), nicht Fremdheit macht aggressiv, sondern in der und welche Motivation sie aufrecht erhält. Aggression machen wir uns die Anderen fremd. Wir schieben sie von uns, so wie Im Folgenden wird es nun um die Frage gehen, wie die Genese der verschiede wir umgekehrt in der Liebe und Zuneigung die Anderen an uns heranziehen. Die nen Fremdbilder zu erklären ist, und was sie über die jeweiligen sozialen Bezie Jugendlichen gehen in Distanz zu ihren Eltern, weil sie nicht so sein, nicht so wer hungen aussagen. Dabei wird auch zu fragen sein, wer jeweils die Definitions den möchten wie sie. Sie wollen und müssen ihren eigenen Weg gehen, der sich macht inne hat, um die Bilder vom jeweils Anderen durchzusetzen. Zuvor geht es von dem der Eltern unterscheidet. aber zunächst um die Frage, wie in unserer Gesellschaft die Grenzen zwischen Fremdheit ist also eine dynamische Kategorie, die sich je nach Art der Bezie »Ihr« und »Wir« gezogen werden, wie Fremdheit erlernt und aufrecht erhalten hung ändern kann. Auf der individuellen Ebene spielen dabei die Emotionen eine wird. wichtige Rolle, die einen vom Anderen wegdrängen oder ihn attraktiv erscheinen lassen. In diese Emotionen geht aber nicht nur die persönliche Bedeutung des An deren ein, sondern auch seine soziale und gesellschaftliche Relevanz. Gefühle wie Angst oder Aggression ebenso wie Bewunderung und Sympathie sind nicht nur Grenzziehungen persönliche Angelegenheiten, sondern werden in einem Kontext gelernt, für den sie im Interesse der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung funktional sind. In der Kindheit hängt Fremdheit zunächst mit den Grenzen des eigenen Aktions Das wird anhand einer Untersuchung deutlich, die Ruth Frankenberg (1993) in radius zusammen, der sich im Laufe der Entwicklung immer mehr ausweitet. den USA über die soziale Konstruktion von Weiß-Sein durchgeführt hat. Darin Fremde sind zunächst alle außerhalb des unmittelbaren Nahraums, also die Men geht sie der Frage nach, wie weiße Kinder im Laufe ihrer Sozialisation lernen, schen außerhalb der Familie, der Wohnung und der Nachbarschaft. Später sind es sich selbst als weiße zu begreifen. Anhand von Biographien weißer Frauen zeigt die Leute aus dem anderen Stadtviertel, aus einem anderen Ort etc. Aber dann ge sie, wie diese nicht nur gelernt haben, sich mit ihrer sozialen Umwelt vertraut zu schieht etwas Interessantes: Das Fremdheitserleben koppelt sich zunehmend von machen, sondern sich auch vor allem schwarzen 'Menschen fremd zu machen, der Dimension örtlicher Nähe und Distanz ab und verknüpft sich mit sozialen Kri indem sie diese mit Stereotypien und meist negativen Emotionen belegen und sie terien wie der Ethnizität oder auch der sozialen Schicht: So werden z. B. von den zunehmend als gefährlich und fremd erleben lernen. In den Interviews können Kindern der Mittelschicht die Menschen in der Obdachlosensiedlung als ebenso sich zum Beispiel einige der weißen Frauen kaum an schwarze Menschen in ihrer 12 13 Kindheit erinnern, selbst wenn sie ihnen etwa als Kindermädchen sehr nahe ge schen der gleichsam horizontalen Achse der Differenz und der vertikalen Achse standen haben. Die Menschen, die sie kannten, verschwinden gewissermaßen sozialer Ungleichheit, stellt sich jedoch, wie wir im Laufe dieser Untersuchung hinter den Stereotypien und werden als Personen häufig ganz »vergessen«. Die noch vielfach sehen werden, je nach Kontext und Interessenslage jeweils unter Bedeutung, dje sie für sie hatten, wird ihnen entzogen. Frankenberg bezeichnet schiedlich her. Die Etablierung eines solchen Zusammenhangs konnten wir in diesen Prozess des Fremdrnachens und Vergessens als De-Familialisierung. Deutschland z. B. während der deutsch-deutschen Vereinigung gewissermassen in In der De-Familialisierung werden also die beiden Dimensionen von Fremdheit statu nascendi beobachten: Beim Fall der Mauer wurden zunächst einmal Gleich miteinander verknüpft, und zwar zum einen die soziale im Sinne von Nicht-Zu heitserwartungen aktiviert indem auf die nationale Einheit, die kulturellen Ge gehörigkeit und zum anderen die kultureIle im Sinne von Unvertrautheit. Die An meinsamkeit und die soziale Verbundenheit der »Brüder und Schwestern« aus Ost deren werden sowohl aus dem sozialen Umfeld ausgeschlossen als auch zu Unbe und West hingewiesen wurde. kannten und Unvertrauten gemacht. Dabei begründet die »Andersartigkeit« der Im Laufe der Zeit wurden jedoch immer mehr Differenzen festgestellt, die aus Anderen die soziale Distanz. Fremd machen bedeutet also, die Anderen kognitiv, der jeweils unterschiedlichen Geschichte resultierten, die sich aber zunehmend emotional und sozial in die Distanz zu schieben und diese aufrechtzuerhalten, mit asymmetrischen Beziehungserfahrungen verbanden, denn die nun herrschen indem die Anderen mit Bildern besetzt werden, die als Gegenbilder zum Eigenen de Normalität wurde im wesentlichen von den Westdeutschen bestimmt. Durch fungieren. Das Gemeinsame wird aus der Wahrnehmung ausgeschlossen und das den Beitritt der DDR hatten alle Regelungen des politischen, sozialen und wirt Trennende wird betont und so ins Extrem gesteigert, dass die Unterscheidung schaftlichen Lebens der alten Bundesrepublik nun auch in den »neuen Ländern« immer selbstverständlicher, ja »normal« und »natürlich« erscheint. Herfried Geltung. Das wurde zur Grundlage vieler konkreter Asymmetrieerfahrungen wie Münkler und Bernd Ladwig (1998) nennen die Fremdheit, die sich aus dem Ver Horst Stenger in seiner Untersuchung über ostdeutsche WissenschaftlerInnen fest trauten ergibt, »sekundäre Fremdheit«. Um das Interesse an Abgrenzung zu ver stellt, denn: »Die westdeutschen Wirklichkeitsvorstellungen galten mit derVerei bergen, wird die Unterscheidung polemisch aufgeladen, »weil es einen Bedarf an nigung unvermindert fort, während das in der ostdeutschen Vergangenheit be drastischen Distinktionen gibt, der aber als solcher wegerklärt werden muss, währte Wirklichkeitswissen schlagartig obsolet wurde« (1998, S. 323). um wirken zu können« (S. 21). Das gelingt umso leichter, je mehr geseIlschaft Das zeigt sich bei den ostdeutschen WissenschaftlerInnen z. B, darin, dass sie liche Stereotype die Fremdheit des Anderen betonen und ihn als gefl:ihrlich und sich nicht als »normale« Deutsche empfinden, sondern als die anderen Deutschen. bedrohlich schildern. Sie fühlen sich ihrem eigenen Deutsch-Sein ein Stück weit entfremdet, denn ihre Mit der De-FamiIiaiisierung werden die Anderen in die Distanz geschoben und bisherigen Erfahrungen wurden weitgehend entwertet. Sie müssen ihr gesamtes zugleich entwertet. In der Untersuchung von Frankenberg zeigt sich das z. B. am Wissen noch einmal daraufhin überprüfen, ob es unter den neuen Bedingungen für »Vergessen« der schwarzen Kindermädchen: Sie werden aus dem Gedächtnis ge ihre Arbeit und ihre Lebensbewältigung noch dienlich ist. Einer der Befragten tilgt, denn sie sollen keine Bedeutung mehr für das Subjekt haben. Sie gelten nicht drückt dies in dem Bild aus, dass er das Gefühl habe, seit der Wende nach West nur als fremd, sondern auch als so unbedeutend, dass man sich an sie nicht einmal deutschland umgezogen zu sein, ohne dass er tatsächlich seinen Wohnort gewech mehr erinnert. Denn die Schwarzen sind nach herrschender Auffassung »kein Um selt habe. Ihre Kompetenz als Wissenschaftler wird tendenziell in Frage gestellt, gang« für die Weißen. Sie werden aus der Erinnerung ausgelöscht, so wie sie aus so dass sie vielfach das Gefühl haben, als »Ost-Laien« den» West-Experten« ge dem sozialen Umgang ausgeschlossen werden. genüber zu stehen. Sie leben in den »neuen« Bundesländern, d. h. ihnen wird das Mit der Distanzierung wird also auch eine soziale Asymmetrie hergesteIlt, in Stigma der »Spätgekommenen« aufgedrückt und oft haben sie das Gefühl, dass dem den Anderen Wertschätzung und Anerkennung verweigert wird. Die soziale sie von den Westdeutschen als Belastung erlebt werden. Ihnen wird, wie Stenger Distanz ist dabei notwendige Voraussetzung für die Abwertung, denn aus der resümiert, die Gleichwertigkeit verweigert. Nähe betrachtet ist nicht zu verstehen, warum z. B. Menschen mit schwarzer Der zunächst vielleicht naive Glaube an Gleichheit und die Erwartung von Ge Hautfarbe weniger Wert haben und weniger Ansehen genießen sollen als Weiße. meinsamkeit wird enttäuscht. Die Ungleichheitserfahrung wird zum Fremdheits Insofern haben in dem Fall die Stereotypien die Funktion, gesellschaftliche Sta erleben. Die Einseitigkeit, mit der die Westdeutschen die Standards vorgeben und tuszuweisungen zu rechtfertigen. Dabei »erklärt« die Fremdheit der Anderen die die Anderen als abweichend davon stigmatisieren, drückt die soziale Hierarchie soziale Distanz, und ihre negativen Konnotationen begründen die Herabsetzung. aus. Der Experte und der Laie stehen in einer hierarchischen Beziehung zueinan Der Zusammenhang zwischen Fremdheit und sozialer Hierarchie, also zwi- der, ebenso wie der Alteingesessene und der Neuankömmling. Diese Asymmetrie- 15 14 Fremdheit und soziale Hierarchie struktur ist eine Rahmenbedingung, die alle Ost-West Kontakte prägt. Sie kann je weils im konrekten Fall aktualisiert werden, muss es aber nicht (ebd. S. 323). Um die Distanz und die Hierarchie aufrechtzuerhalten, müssen die symbo Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny (1996) unterscheidet in seiner Analyse struk lischen Grenzen zwischen »Ihr« und »Wir« immer wieder neu gezogen und be turelle Distanzen in der Gesellschaft, die sich durch unterschiedliche Zugänge zu stätigt werden. Das geschieht vor allem dadurch, dass die Stereotypen über die Ressourcen wie Einkommen, Bildung und beruflichem Status ergeben, von kultu Anderen in den Medien, im Alltag, in der Wissenschaft und der Politik immer rellen Distanzen, die sich aufgrund unterschiedlicher Werte etwa in Bezug auf die wieder reproduziert werden. Das gilt für die Grenzziehung zwischen Ost- und Lebensführung, das Geschlechterverhältnis oder die Religion ergeben. Aus dem Westdeutschen ebenso wie zwischen den Deutschen und denen, die als nicht »ei Zusammenwirken dieser Faktoren ergeben sich »kulturell-strukturelle Segregatio gentlich« Deutsch gelten, wie Menschen mit dunkler Hautfarbe oder Menschen nen«, also Trennungen zwischen Einkommens- und Statusklassen aufgrund ihrer nichtdeutscher Herkunft. Die Grenzen werden dabei mithilfe von Identifikations ethnischen Zugehörigkeit. ritualen gezogen, bei denen die Anderen als Fremde identifiziert und auf ihre Wenn die Fremden den ihnen zugewiesenen Platz in den Nischen der Gesell Fremdheit hingewiesen werden. Das geschieht in unserer Gesellschaft häufig z. B. schaft verlassen und ihren Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen einfordern, mithilfe solch alItäglicher und harmlos erscheinender Fragen wie» Woher kom wie wir das derzeit zum Teil bei der zweiten und dritten Generation der so ge men Sie?«, wenn diese Fragen direkt und unvermittelt Menschen gesteIlt werden, nannten GastarbeiterInnen erleben, dann müssen die Etablierten in Konkurrenz die nicht den VorsteIlungen von einem Normdeutschen entsprechen. Die Frage ist mit denen treten, die sie vorher als nicht ebenbürtig betrachtet haben. Das er oft freundlich gemeint und soll Interesse am Anderen bekunden - aber an ihm als scheint erniedrigend, denn »ihr überlegener Status, der ein integrales Element des dem Fremden. Denn wenn der Andere, z. B. ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe, individuellen Selbstwertgefühls und des persönlichen Stolzes vieler ihrer Ange sagt, er komme aus Köln, gibt man sich in der Regel nicht damit zufrieden, son hörigen bildet, wird dadurch bedroht, dass die Mitglieder einer im Grunde verach dern möchte gerne wissen, woher er denn nun wirklich komme. Erst wenn er auf teten Außenseitergruppe nicht nur soziale Gleichheit, sondern auch menschliche seine Vorfahren, z. B. aus Nigeria verweist, ist man beruhigt. Dann hat er die Gleichwertigkeit beanspruchen« (Elias 1984, S. 50f.). Es droht den Etablierten Fremdheitsvermutung bestätigt, nach der schwarze Menschen nicht. aus Deutsch also nicht nur der Verlust ihrer sozialen Position, sondern auch der der persönli land kommen können. Der Ritualcharakter dieser Fragen zeigt sich darin, dass das chen Identität, da diese sich eben auch auf Status und Macht stützt und durch Ent Interesse an der anderen Person meist sehr schnell erlischt, wenn Informationen wertung des Anderen abgesichert wird. Die alte Ordqung droht ihre Gültigkeit zu im gewünschten Sinn gegeben worden sind - ihre Funktion ist erfüllt und die Ord verlieren, und ohne die Attribute sozialer Überlegenheit scheint das Leben wert nung wieder hergestellt. und sinnlos zu werden. Das heißt, dass mit der sozialen Ordnung immer auch das Die Identifizierung des Anderen als Fremden gibt einem dabei selbst die Ge Selbstverständnis der Etablierten zur Disposition steht. wissheit dazuzugehören. In der Aneignung des Eigenen und Ausgrenzung des Die ArbeitsmigrantInnen, die in den 50er und 60er Jahren ins Land gerufen Fremden wird die Welt gegliedert, sie wird verständlich und verfügbar gemacht. worden waren, bildeten damals die neue Unterklasse, und die einheimische Be Gleichzeitig zeigen diese Grenzziehungen immer auch, dass es Alternativen zu völkerung konnte auf ihre Kosten aufsteigen. Die Spannung besteht nun - nach der so konstruierten Ordnung gibt, andere Perspektiven, andere Lebensweisen und der Analyse von Hoffmann-Nowotny - vor allem darin, dass Positionen, die prin Ordnungsvorstellungen. So führt Fremdheit die Kontingenz der bestehenden Ord zipiell für alle offen sein sollten, wenn sie die entsprechende Leistung bringen, nung vor Augen: Es könnte alles auch anders sein. Deshalb ist Fremdheit immer bevorzugt an die vergeben werden, die der helTschenden Kultur angehören. Diese auch irritierend, und »Der Stachel des Fremden« (Waldenfels 1990) ist ebenso doppelte Moral macht die Position der Etablierten prekär. Deshalb bedarf es ver Antrieb für Entwicklung und Dynamik wie für permanente Absicherungs- und mehrter Bemühungen vonseiten der Alteingesessenen, ihre Positionen zu vertei Abschottungsbemühungen. Dabei bekommen die Abschottungsbemühungen ein digen und zu legitimieren - und das umso mehr, je selbstbewusster die Minderhei besonderes Gewicht, wenn sie mit Machtinteressen verknüpft sind. ten auftreten und ihren gerechten Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen ein fordern. Der Widerspruch zwischen Leistungsprinzip und ethnischer Privilegie rung führt dann zu einer forcierten Selbstbehauptung bei den Etablierten, indem die Anderen besonders drastisch zu Fremden gemacht werden und die Unverein barkeit zwischen den Kulturen unterstrichen wird, um das eigene Distinktions- 17 16 bedürfnis zu rechtfertigen und hinter der Kulturdifferenz zum Verschwinden zu sen gerade in der Vorbildlichkeit ihrer Anpassung den Anderen ihren abweichen bringen. den Status demonstrieren. Dies haben Norbert Elias und John Scotson in ihrer Un Soziale Schließungen von seiten der Etablierten setzen sich im Alltag vor allem tersuchung über »Etablierte und Außenseiter« (1990) sehr anschaulich dargestellt, mithilfe der ,herrschenden Normalitätsvorstellungen durch. Die Mehrheitsan nämlich wie z. B. die Kinder der Etablierten teilweise mühsam lernen mussten, gehörigen glauben, dass das Leben in der Normalität sie befugt, die Bedingungen sich den herrschenden Regeln zu unterwerfen, wie etwa den Leistungsnormen, zu diktieren, unter denen sie sich bereit erklären, den Anderen die Tür ein Stück den Normen von Anständigkeit und Rechtschaffenheit, und wie sie das Zelebrie weit zu öffnen und sie gegebenenfalls auch wieder zu schließen. Besonders deut ren von Distinktion zu erlernen hatten anhand der Körperhaltung oder Kleiderord lich und direkt kommt dieser Anspruch in Äußerungen von Rechtsextremen zum nung. Der Preis für die zukünftige Privilegierung ist die Unterwerfung unter die Ausdruck, die ohne Umschweife zahlreiche Bedingungen nennen, die die Frem bestehende Autorität und Internalisierung der herrschenden Normalität. Den den zu erfüllen hätten, wenn sie Ansprüche an die Gesellschaft geltend machen Nachkommen der Etablierten wird ein Platz in der Gesellschaft versprochen, wollten. So fordern die Rechten z. B., dass die »Ausländer« nur dann das Wahl wenn sie sich einordnen. Sie lernen die Umgangsformen, die sie als Mitglieder der recht, ein Recht auf Arbeits-oder Kindergartenplätze bekommen sollten, wenn sie »besseren Gesellschaft« ausweisen, und informelles Wissen, das für die Errei sich in ihrem Alltagsverhalten und Erscheinungsbild vollständig deutschen Ge chung prestigeträchtiger Positionen wichtig ist. In diesem Sinn ist die Zugehö pflogenheiten anpassen (vgI. Kap. 8). rigkeit zu einer Gemeinschaft, einer sozialen Klasse wie auch einer ethnischen Aber meist laufen diese Ausgrenzungsprozesse subtiler ab und sind den Mehr Gruppe immer Ressource wie auch Quelle von Repression. heitsangehörigen vielfach nicht einmal bewusst. Das erklärt auch die häufig an Mit der sozialen Positionierung erfährt man also nicht nur, wo man hingehört, zutreffende Diskrepanz zwischen der faktischen Diskriminierung von ethnischen sondern lernt zugleich, sich von denen zu distanzieren, die nicht dazugehören Minderheiten in unserer Gesellschaft und der Selbstwahrnehmung vonseiten der sollen. Die eigene Zugehörigkeit verspricht Stabilität und Sicherheit, erfordert Mehrheitsangehörigen, dies weder zu woUen noch tatsächlich zu tun. So zeigen zugleich auch Anpassung und Unterordnung. Somit ist auch die Privilegierung z. B. Untersuchungen an deutschen Hochschulen, dass dort Angehörige ethnischer durchaus ambivalent - und im Verhältnis zu den Ausgegrenzten zeigt sich dieser Minderheiten auf vielfältige Weise ausgegrenzt werden. Auf der anderen Seite Widerspruch, indem diese als bedrohlich und faszinierend zugleich erlebt werden. sind die deutschen Studierenden sich aber in der Regel dessen kaum bewusst. Im Sie erinnern an das Andere der sozialen Ordnung und an den Preis, den man für Gegenteil, die meisten empfinden sich als offen, interessiert und tolerant. Den die Zugehörigkeit zu den Etablierten zahlen muss. noch werden z. B. die nicht-deutschen Studierenden sehr häufig vom sozialen Nun ist es kein Zufall, wer in einer Gesellschaft als fremd gilt und wer nicht. Kontakt in studentischen Arbeitsgruppen und damit vom Zugang zu inf-ormellem Insofern sollen im Folgenden unterschiedliche Dimensionen herausgearbeitet Wissen ausgeschlossen, was für den Studienerfolg von ganz erheblicher Bedeu werden, die die Fremdbilder in unserer Gesellschaft bestimmen - dies in erster tung ist (vgl. Gaitanides und Kirchlechner 1996 und Nave-Herz 1994). Dabei gibt Linie aus Sicht der Angehörigen der Mehrheitskultur, weil diese im Wesentlichen es immer gute Gründe, den Ausschluss zu rechtfertigen, so etwa dass man unter über den Umgang mit Differenzen in dieser Gesellschaft entscheiden. Dabei wird Stress und Zeitdruck stehe. Die Effizienz wird gewissermaßen zu einem »neutra es vor allem um kulturelle Differenzen gehen. Unter Kultur wird dabei in Anleh len« Kriterium, das niemand in Frage stellt. Aber auch wenn es in einzelnen Fäl nung an Bhikhu Parekh (2000) die Art verstanden, wie eine Gesellschaft das len aufgrund von Sprachproblemen zu Verzögerungen in der gemeinsamen Arbeit menschliche Leben versteht und organisiert. In Auseinandersetzung mit ihrer kommen kann, so wird diese Norm doch oft generalisiert auf eine Fremdheit hin, Umwelt und ausgehend von den jeweiligen Traditionen entwickeln die Menschen die stört, auch wenn sie den Ablauf nicht beeinträchtigt, wie etwa das Sprechen unterschiedliche symbolische Ordnungen, also unterschiedliche Systeme von Be mit einem nicht-deutschen Akzent. Der Bezug auf das reibungslose Funktionieren deutungen, die ihnen Sinn vermitteln und Orientierung bieten. Dabei werden die scheint den Mehrheitsangehörigen das Recht und die Macht zu geben, diejenigen, Rollen und die Verantwortung in der Gesellschaft nach bestimmten Mustern ver die davon abweichen, zurückzusetzen. teilt und so bestimmte Macht- und Prestigesysteme etabliert. Auch innerhalb der Das Privileg der Normalität ist jedoch nicht umsonst zu haben. Es fordert Kultur ergeben sich jeweils konfligierende Erzählungen und Interpretationen, die Unterordnung unter die herrschenden Regeln, denn wollen die Mehrheitsange zu ständigen Umarbeitungen in der jeweiligen Kultur führen. hörigen die Macht der Normalität für sich nutzen, müssen sie selbst in der Norm Ebenso wie sich unterschiedliche Kulturen im Laufe der Zeit herausbilden und leben. Sie müssen sich zumindest nach außen auch den Normen fügen. Sie müs- sich kontinuierlich verändern, so entwickelt und verändert sich auch das, was als 19 18 2 Selbst-und Fremdbilder in fremd empfunden wird. Fremdheit ist nicht nur Ausdruck einer aktuell erlebten Beziehung, sondern meist auch Niederschlag einer langen Geschichte der Ausein der europäischen Modeme andersetzung und eines tradierten» Wissens« über die Fremden. Dabei wurden die Fremdbilder immer in Korrespondenz zu den Selbstbildern geschaffen. Deshalb werden wir uns im Folgenden auch mit den Hintergründen und Entwicklungen des eigenen Selbstverständnisses befassen und fragen, was die wesentlichen Fak toren sind, die die Selbstbilder der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland als einem modernen europäischen Land bestimmen. Eine wesentliche Basis dieses Selbstverständnisses liegt in dem, was wir heute mit dem geopolitischen und zugleich kulturellen Begriff der »westlichen Welt« Mit der Moderne und ihren elementaren Umwälzungen der gesamten Lebensver meinen. Dieser stützt sich wiederum auf den im Laufe der christlichen abendlän hältnisse, der Wirtschaft, Politik und Religion, entstanden neue Selbst-und Fremd dischen Geschichte entwickelten europäischen Kulturraum. Dabei ist das Spezifi bilder. Die Menschen mussten sich neu in der Gesellschaft und im Kosmos veror sche dieser Kultur vor allem das, was wir die Moderne nennen, denn Europa ten, da die politischen Revolutionen den mittelalterlichen Ständestaat aufgelöst nimmt für sich in Anspruch, diese hervorgebracht zu haben - im Unterschied zu und die Aufklärung die von Gott gewollte Ordnung in Frage gestellt hatten. In den allen anderen Kulturen der Welt. Jahrhunderten zuvor war das europäische Selbstverständnis im Wesentlichen Ein weiterer zentraler Faktor in der Konstruktion von Eigenem und Fremdem durch die christliche Kultur geprägt worden und der Protoyp des Fremden waren war im Zuge der modernen europäischen Entwicklung die Nation. Sie schuf neue hier die Heiden, die Ungläubigen oder die Ketzer gewesen. Diese Vorstellungen politische Einheiten, die neue Selbst-und Fremdbilder notwendig machten. Diese vom Fremden transformierten sich in der Neuzeit zunehmend in Bilder vom wurden für das Selbstverständnis der Menschen so bedeutsam, dass auch vormals »Wilden«, denn durch die weltweiten Eroberungszüge des Kolonialismus wurde Vertraute nun teilweise in tödlicher Feindschaft einander gegenüberstanden. Bis Fremdheit vor allem im kolonial Unterworfenen symbolisiert. heute prägen die nationalen Grenzen das Selbst- und Fremdbild entscheidend, so Bekanntlich »entdeckte« Rousseau vor allem den »Edlen Wilden«, wohinge dass etwa in Deutschland der Begriff »Ausländer« zum Synonym für den Frem gen Hobbes die »Wilden« in erster Linie als böse ansah. Diese Polarisierung in den geworden ist. der Wahrnehmung macht bereits den projektiven Charakter dieser Fremdheits Im Zuge der Nationbildung spielt aber auch die Frage des Politischen eine konstruktionen deutlich. Der »Edle Wilde« steht dabei für die Harmonie des Ur entscheidende Rolle, d. h. die Frage, wie das Zusammenleben der Menschen zu zustandes, an die sich die Erlösungsphantasien der Paradiesvorstellungen knüpfen organisieren, wie mit unterschiedlichen Interessen und Differenzen umzugehen können. Hier gibt es noch die Ganzheitlichkeit, Authentizität und das Gute einer sei. Die modernen Demokratien hatten mit der Deklaration der Menschenrechte »natürlichen« Ordnung, die im Zeitalter der Industrialisierung, politischer Revo die Gleichheit aller zum Programm gemacht. Die Frage ist nun, inwiefern dies lutionen und Massengesellschaften verloren gegangen war. Er »zeigt das fiktive Egalitätspostulat Raum für Verschiedenheit lässt und Pluralität unterstützt oder in Idealbild, das Ziel eines gewaltlos gelingenden Lebens« (Fink-Eitel 1994, S. 9). wiefern die Gleichheitsvorstellungen selbst zur Konstruktion von Differenzen bei Das Paradies ist aber unwiderruflich verloren und die Welt strebt auf ein neues Pa tragen, die soziale Ungleichheiten legitimieren. radies zu, das nun aber den ganzen Erdkreis umfassen soll. Und so ist auch nach Schließlich geht es um die Bedeutung des Universalen, da der Blick auf die Rousseau der Edle Wilde zu »zivilisieren«, der in seiner Naivität noch einem ganze Menschheit gerade in der abendländischen Geschichte immer eine wichtige Urzustand anhängt, den es längst nicht mehr gibt. Der »Edle Wilde« wird zum Rolle spielte. Zudem wird die Besonderheit der je unterschiedlichen Nationen Inbegriff von Harmlosigkeit, Fügsamkeit und Zivilisierbarkeit. Der »Böse Wilde« oder Kulturen angesichts der weltweiten Vernetzungen zunehmend obsolet, d. h. hingegen stellt das Bedrohliche und Gefahrliche der »Natur« dar und zeigt, wie die Frage wird immer dringlicher, wie wir mit Differenzen umgehen angesichts weit die Menschheit auf ihrem Weg der Höherentwicklung schon gegangen ist. des angeblichen» Verschwindens von Fremdheit« in einer globalisierten Welt. Der »Böse Wilde« liefert dabei auch die Legitimation für repressive und gewalt tätige Formen der Eroberung. Die Vorstellung vom Fremden als dem» Wilden« war dabei Teil einer Weit sicht, in der die Menschheit in eine »skala nature«, in eine »große Kette des 20 21

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