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Altern und Zeit: Der Einfluss des demographischen Wandels auf Zeitstrukturen PDF

223 Pages·2008·1.44 MB·German
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Christine Meyer Altern und Zeit Christine Meyer Altern und Zeit Der Einfluss des demographischen Wandels auf Zeitstrukturen Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Zugl.Lüneburg,Univ.,Habilitation,2007;Die vorliegende Arbeit wurde 2007 unter dem Titel:„Zeit fliegt.Zeit kriecht.Zeit bleibt stehen.Lieber (noch) nicht.Ein gutes Leben im Alter(n) – Der Einfluss des demographischen Wandels auf individuelle und gesellschaftliche Zeitstrukturen" von der Fakul- tät für Bildungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg als Habili- tationsschrift angenommen. 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten ©VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Monika Mülhausen / Bettina Endres Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15794-8 „(…) im Grunde kann keiner im Leben dem anderen helfen; das er- fährt man immer wieder in jedem Konflikt und jeder Verwirrung: dass man allein ist. Das ist nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick scheinen mag; es ist auch wieder das Beste im Leben, dass jeder alles in sich selbst hat: sein Schicksal, seine Zukunft, seine ganze Weite und Welt (…)“ (Rilke Briefe 1904). Inhaltsverzeichnis Einleitung...............................................................................................................11 Teil I: Altern und Zeit..........................................................................................17 1 Altern ist eine Erscheinung der Zeit..............................................................18 1.1 Die Entstehung der Zeit zur Synchronisierung (vor-)industrieller Lebens- formen – Altern als Nebenprodukt der Ökonomisierung.....................................18 1.2 Lebensgestaltung ohne Erwerbsarbeit in einer Erwerbsarbeitsgesellschaft.........26 1.3 Die Zeit ist älter als das Altern – Altern verändert die (Zeit-)ordnung der Gesellschaft..........................................................................................................43 2 Alter liegt immer in der Zukunft – Das Alter ist nie eigene Erfahrung, sondern Antizipation.......................................................................................47 2.1 Der Prozess des Alterns benötigt einen Ausgangspunkt......................................51 2.2 Alternsprozesse beginnen in der Gegenwart........................................................53 2.3 Die Vergangenheit entscheidet mit über das Alter(n) in der Zukunft...................56 3 Die Lebenszeit in Zeitnot – ein langes Leben ist auch zu kurz....................60 3.1 Die Bedeutung der Jugend für das Alter...............................................................61 3.2 Im Alter liegt die Endlichkeit näher als die Unendlichkeit oder sind beide gleich weit entfernt?.............................................................................................65 3.3 Die Frage nach der Vollständigkeit des Lebens: Die Alternative zum Altern ist der Tod.............................................................................................................67 4 Koordinaten der Mehrperspektivität: Zeit – Geschwindigkeit – Richtung der Zeit – Altern – Endlichkeit......................................................71 Zwischen Teil I und Teil II: Zeit im Übergang – Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und ihre Auswirkungen auf die Zeitordnung der Gesellschaft......................................................................................................77 7 T eil II: Die Bedeutung des Alterns in der Zeit – Veränderung der Zeit..........85 5 Qualität der Zeit: Zeit kommt – Zeit vergeht – Zeit entsteht......................86 5.1 Lebensqualität hängt von der Zeit ab: Zeit vergeht nicht – sie entsteht...............88 5.2 Die Qualität der Zeit bedingt die Lebensqualität im Alter...................................95 5.2.1 Zeit-Bewegungen und ihre Bedeutung für die Veränderung der Zeitstrukturen im Alter...............................................................................101 5.2.2 Zeit-Bewegung für ältere Menschen heißt: Zeitstrukturen von der Bedeutung des Sozialen aus gestalten........................................................109 6 Altersweisheit oder Starrheit – Entscheidung für ein gutes Leben im Alter...........................................................................................................116 6.1 Das autobiographische Gedächtnis – Gedächtnisformen und ihre Bedeutung für das Alter........................................................................................................117 6.1.1 Entwicklung und Bedeutung eines autobiographischen Gedächtnisses für Menschen..............................................................................................118 6.1.2 Formen des Gedächtnisses.........................................................................120 6.1.3 Temporalität – Emotionen – Erinnerung oder: subjektive Zeit – Selbst – autonoetisches Bewusstsein..........................................................123 6.2 „Weisheit“ als Ziel und Aufgabe des Lebens im Alter.......................................128 6.3 Aktives Alter zwischen Kompensation und Weisheit – Bewertung zwischen Teilzeit-Erwerbsarbeit und Produktivität im Alter.............................................135 7 Ein neues Generationenverhältnis verändert den Alternsprozess............142 7.1 Das Konzept des Lebenslangen Lernens als Wegbereiter neuer Generationenverhältnisse...................................................................................143 7.2 Generationenverhältnisse liegen außerhalb der Lebensalter – Neu- orientierung im aktiven Zusammenleben...........................................................145 8 Weder Optimierung noch Kompensation allein führen zu Weisheit........153 8 Teil III: Ein „gutes Leben“ zu jeder Zeit im Alternsprozess. Emotionen und Erinnerung als Garanten einer guten Entwicklung im Alternsprozess – Veränderung und Kontinuität der Bedeutung des Alterns in der Lebenszeit........................................................................157 9 Emotionen im Lebensverlauf entscheiden über die Qualität des Alterns............................................................................................................158 9.1 Die Entdeckung der Emotionen für ein gutes Leben im Alter............................159 9.2 Emotionen und ihre Verlässlichkeit für eine aktive Lebensgestaltung im Alter..............................................................................................................163 10 Erinnerungen des Lebensverlaufs bestimmen die Qualität des Alterns...172 10.1 Entwicklung eines gemeinsamen Lebens über die soziale Konstruktion gemeinsamer Erinnerungen................................................................................174 10.2 Alte Menschen sind Träger der Weitergabe kulturell benötigten Wissens.........182 10.3 Im Alter werden „Zeitreisen“ in die eigene Vergangenheit zur Unter- nehmung.............................................................................................................189 11 Die Bedeutung der Emotionen als Werturteile in der Erinnerungskonstruktion.............................................................................195 Teil IV: Aussichten auf ein „gutes Leben“ im Alter........................................199 12 Bedingungen für ein lebenslang „gutes und erfülltes Leben“ liegen in der Bereitstellung gesellschaftlicher Möglichkeiten zur Kompetenz – die Gesellschaft gestaltet optimale Bedingungen für Mitglieder jeden Lebensalters...................................................................................................200 Literaturverzeichnis...........................................................................................216 Tabellenverzeichnis: Tabelle 1: Zeittagebücher Marienthaler Arbeitsloser....................................................29 Tabelle 2: Zeitverwendung im RentnerInnenhaushalt...................................................33 Tabelle 3: Zeitverwendung nach Aktivitätsbereichen Montag bis Freitag....................35 Tabelle 4: Zeitverwendung nach Aktivitätsbereichen Samstag bis Sonntag.................36 Tabelle 5: SOK-Konzept nach Baltes..........................................................................129 Tabelle 6: Grundfähigkeiten des Menschen und zentrale menschliche funktionale Kompetenzen nach Nussbaum.................................................206 9 Einleitung Der bereits begonnene, sich allmählich deutlich sichtbar vollziehende Wandel der Gesell- schaft zu einer insgesamt kleiner werdenden in ihrer Gesamtbevölkerungszahl und mit zunehmend höheren Anteilen älterer Menschen, wird die gegenwärtig geltenden und durch- gesetzten, faktisch über Erwerbsarbeitsstrukturen dominierten Zeitstrukturen funktional umbauen. Darin liegen Chancen zur bewussten aktiven Veränderung tradierten Zeitempfin- dens, Zeitverständnisses und Zeitgebrauchs über reflektierte, sinngebende Gestaltung. Gleichzeitig bietet das Phänomen „Zeit“ dem Menschen eine tiefreichende, weitvernetzte Ansatzmöglichkeit für existenzielles Nachdenken und Auseinandersetzung, die zum Thema Zeit in jeglicher Hinsicht und jeder historischen Phase in unterschiedlichen Wissenschafts- disziplinen und kulturellen Zusammenhängen wie Musik, Literatur, Theater Tradition hat. Die Fülle aktueller Publikationen zum Phänomen Zeit, von der Ratgeberebene bis politi- schen wie zu philosophischen Abhandlungen erweist sich als kaum überschaubar, aller- dings auch als redundant. Zeit an sich besitzt die besondere Eigenschaft bereits im Moment der Auseinanderset- zung über den Versuch, ihr näher zu kommen oder sie begreifbar zu machen, zugleich im Schwinden begriffen zu sein. Zeit wird mit jedem Moment unsichtbarer, indem ihr jemand über reflektierende Bestimmung näher kommen möchte. Und dennoch wird jeder Mensch im Laufe seines Lebens zum Philosophen im Sinne des Nachdenkens über seine Stellung im Universum oder des Zusammenhangs seines Lebens und der Dinge in der Welt. Vor- herrschendes Thema des Alltagsphilosophierens ist die Zeit. Gerade das Phänomen Zeit hat in besonderer Weise dazu herausgefordert, sich mit dem Subjekt-Objekt-Verhältnis ausei- nanderzusetzen und damit die Unauflösbarkeit über dieses nur wieder und wieder zu repro- duzieren. Das inflationär scheinende Beschäftigen von Individuen mit der Zeit hat dennoch nicht dazu geführt, das Verhältnis zwischen subjektiver und objektiver Zeit oder Naturzeit und Geschichtszeit, zwischen linearer, zyklischer, organischer oder Ereignis- und Uhrzeit zu rationalisieren oder fühlbar zu machen. Das erklärte Ziel ist dabei offenbar jeweils nur ein kurzes Innehalten der Zeit und jeder Mensch erhofft sich dadurch einen kurzen Moment zur Orientierung in der Zeit. Dieses gelingt jeweilig nur begrenzt und Menschen fühlen sich weiterhin herausgefordert, Zeit zu reflektieren und dadurch begreifbarer zu machen. Die Besonderheit in der in dieser Arbeit verfolgten vorliegenden Vorgehensweise be- steht in der Übernahme des Grundgedankens, den Nussbaum als zentrale Erkenntnis in philosophisches Denken einführte: Bestimmte Wahrheiten („certain truths“) über Menschen und ihr Sein können nur in Rückbezug auf alle möglichen kulturellen Überlegungen oder Äußerungen wie z.B. im Rückgriff auf Kunst oder Literatur erzählt und begriffen werden. Die Einbeziehung möglichst einer Gesamtheit unterschiedlicher Betrachtungen führe erst zu einem möglichst vollständigem Bild und Verständnis des zu untersuchenden Phäno- mens. „Once again: an account of human reasoning based only upon abstract texts such as are conventional in moral philosophy is likely to prove too simple to offer us the type of self-understanding we need” (Nussbaum 2001, S. 3). Der Ausgangspunkt der Überlegung, im wissenschaftlichen Reflektieren eine Offenheit für eine Vielzahl an bereits hergestelltem Wissen vor allem auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen heranzuziehen, bietet sich vor allem für die Auseinandersetzung mit der „Zeit“ an, da menschliches Sein in der Zeit stattfindet und hierin wiederkehrend durch alle Formen des Denken und Handelns bearbei- 11 tet und reflektiert wird. Dies ist insbesondere für die Auseinandersetzung mit Zeit und im Zusammenhang der Betrachtung der Zeit mit dem Altern von Bedeutung. Neben dem The- menkreis „Zeit“ und zugleich in enger Verflechtung mit ihm brachte der als dramatisch prognostizierte demographische Wandel in Deutschland und vielen anderen westlichen Ländern ein Ansteigen wissenschaftlicher Auseinandersetzungen und ein Anschwellen populärer Literatur. Es ist zu analysieren und zu bewerten, inwieweit die lange Tradition zeitphilosophischer Reflexion in der relativ jungen, breit angelegten, Altersdiskussion be- reits rezipiert ist und wie weit gesellschaftliche Relevanz bereits gesichert werden konnte. Für einige Disziplinen – dies ein Anlass auch der hier vorgenommenen Überlegungen – erscheinen durchaus defizitäre Diskussionsstile in Bereichen feststellbar, die ihrem eigenen Selbstverständnis nach Zeit und Alter durchaus zu ihren Leitbegriffen zählen müssten. Mit der Identifizierung des Alterns verhält es sich genau anders als mit Zeit: Für Al- ternsprozesse scheint es gewöhnlich, trotz ihrer offensiven Sichtbarkeit nicht bestimmbar zu sein, obwohl allgegenwärtig ältere Menschen in der Öffentlichkeit und im menschlichen Beziehungsraum vorhanden sind. Das Alter hat keinen genau bestimmten Wiedererken- nungswert und es ist kaum identifizierbar, schon gar nicht aus subjektiver Perspektive. Dennoch wird das Alter überhaupt erst in der Verbindung mit Zeit zu einem Prozess und darin erkennbar, wenn die Spuren der Zeit als Merkmale des Alter(n)s unübersehbar wer- den, die jedoch wiederum nicht unbedingt subjektiv identifizierbar sind. „Alt sind immer die anderen“ ist das Motto, das den demographischen Wandel beinahe selbstverständlich begleitet. Zeit und Alter betreffen gleichermaßen alltägliche und abstrakte Dimensionen, die das Leben jedes Menschen individuell und gesellschaftlich maßgeblich bedingen und die wiederkehrend im Lebensverlauf aktiv zu balancieren sind. Beschleunigung und Geschwindigkeit der Zeit gelten wiederkehrend als alltägliche Themen, in denen Zeit für jeden Lebenszusammenhang öffentlich thematisiert werden, während die andere Seite vor allem die Verdrängung bei gleichzeitigem Aufdrängen über die zunehmend sichtbarere Anzahl älterer Menschen in der Gesellschaft betrifft. Zeit und Alter stellen zwei Seiten ein und desselben Phänomens im Leben von Menschen dar, da ohne eine zeitliche Perspektive von Zeit Altern nicht als Prozess identifiziert werden könn- te. Über die reflektierende Verbindung dieser Dimensionen wird es möglich, den überwie- gend quantitativen Umgang mit Zeit zu qualifizieren, so dass Zeit nicht mehr nur über ihre Produktivität vermessen wird, sondern Zeit eine Lebensqualitätsdimensionierung erfährt. Altern der Gesellschaft verändert die Geschwindigkeit und damit die Qualität des Lebens in temporeichen Gesellschaften. Mit dem demographischen Wandel entsteht Notwendigkeit und ebenso Chance, die Zeitstruktur der Gesellschaft zu verändern. Bisher stellt sich die dominante Zeitstruktur aktueller Gesellschaften als ökonomisch durchdrungen dar, dies bedeutet, die Strukturie- rung der Zeit erfolgt über ihre Produktivität und Zeit ohne Produktivität gilt als verlorene Zeit. Indes verändert sich faktisch die industriegesellschaftlich strukturierte lineare Zeitord- nung mit der bereits entstandenen Dienstleistungs-, Wissens- und Informationsgesellschaft, in der zu jeder Zeit gearbeitet werden kann. Arbeitszeitstrukturen, die sich an einer 40- Stunden-Woche orientierten, besitzen nun de facto nur noch eine formale Bedeutung. Mit der allmählichen Zunahme des Anteils Älterer, die bisher noch aus dem Erwerbs- arbeitsprozess formal über Verrentungsprozesse ausgegliedert werden, wird in den nächsten 40 Jahren ein langsamer Zeitzerfall bestehender Zeitstrukturen stattfinden, deren Richtung und Tiefe bisher ungewiss erscheint. Es können weder vorhandene Arbeitszeitstrukturen in 12 einer vom Altern bestimmten Gesellschaft entsprechend gegenwärtiger Geschwindigkeiten aufrechterhalten werden noch werden die Älteren trotz ihrer industrie- bzw. dienstleistungs- gesellschaftlich sozialisierten Zeitstrukturen ein weiterhin beschleunigtes und hohes Tempo mitmachen und aufrechterhalten wollen und können, vor allem dann nicht, wenn sie selber nicht mehr aktiv am Erwerbsarbeitsprozess beteiligt sind. Zeit ist pluralisiert – jeder kann zu jeder Zeit produktiv sein, die industriegesellschaftliche Produktivität verliert sich zu- nehmend, die Linearität der Zeit bleibt vorerst noch dominant, weil sie sich über die Ent- stehung industriegesellschaftlicher Strukturen verselbstständigte. Die Zeitstruktur der Ge- sellschaft verändert sich erst mit dem langsamen Realisieren zukünftiger Bedingungen, wie z.B. veränderter Erwerbsarbeitsstrukturen, in denen kaum mehr Vollbeschäftigung oder Lebenszeitjobs erwartet werden. Die äußeren Bedingungen erscheinen günstig, darüber nachzudenken, wie Zeitstruktu- ren aufgrund zentraler gesellschaftlicher Veränderungen aktiv verändert werden können zugunsten eines herzustellenden Prozesses vom „guten Leben im Alter“. Mit dem demographischen Wandel wird mindestens ein Drittel der Gesellschaft nicht mehr am Erwerbsarbeitsrhythmus beteiligt sein, gleichzeitig jedoch noch dem linearen und ökonomisierten Denken verhaftet bleiben und im alltäglichen Leben danach ausgerichtet sein. Mit der Verrentung verbindet sich der Beginn eines „neuen“ Lebens, von dem auf- grund mangelnder Vorbilder, keiner einschätzen kann, wie und in welcher Art es aktiv zu leben ist, um ein zufriedenes und gutes drittes sowie viertes Lebensalter zu gestalten. Das gesamte Leben war bisher am Rhythmus und Takt der Erwerbsarbeit ausgerichtet und mit dem Eintritt in einen erwerbsarbeitsfreien Raum findet eine potenzierte Benachteiligung für den Neurentner und die Neurentnerin statt: Mit der Rente ist sofort das Alter da. Das Alter ist in der aktuellen Gesellschaft nicht sehr populär, nicht zuletzt aufgrund der aktiv verord- neten Nutzlosigkeit. Ein alter Mensch kann sich noch so sehr ehrenamtlich engagieren und auch viele Stunden im Haushalt arbeiten, die gesellschaftliche Bewertung erkennt nur Ar- beit als Arbeit und Produktivität an, die auch als Erwerbsarbeit entlohnt wird. Ein Mensch im Alterungsprozess wird aufgrund seines formal verordneten Verrentungszeitpunktes als nutzlos eingeschätzt. Damit beginnt gleichzeitig die Altersphase, weil nur die Beteiligung am Erwerbsarbeitsprozess zu der Einschätzung führt, nicht zu den Alten einer Gesellschaft zu gehören. Für einen alternden, aus dem Erwerbarbeitsprozess regulär ausgeschiedenen Menschen geht es somit um eine Neubestimmung des Lebens in der Zeit, das mit seinem Tod beendet sein wird. Für jeden einzelnen Menschen bedeutet der Eintritt in die Altersphase einen Wendepunkt im eigenen Leben, in dem für einen Zeitraum, der ca. 30 Jahre umfasst, neue sinnhafte Zusammenhänge entwickelt werden müssten. Altern heißt in vielfacher Hinsicht herausgefordert zu werden, vor allem jedoch für sich individuell neue Wege in der Zeit zu finden und zu beschreiten, da der ausgetretene Pfad der Erwerbsarbeit in einer erwerbsar- beitszentrierten Gesellschaft hinter dem alten Menschen liegt und die Altersphase sowohl individuell als auch gesellschaftlich bisher eher als in der Erprobungsphase einzuschätzen ist. Der Zeitpunkt der Verrentung ist der Ausgangspunkt neuer Herausforderungen für je- den Menschen, da es um eine Neubestimmung des Lebens in der Zeit geht mit der Aufgabe, Leben ohne Festlegung oder Begrenzungen in der alltäglichen Zeit zu gestalten, die jedoch vom Lebensende, begrenzt ist. Das Paradoxe am Alternsprozess ist das Wissen darum, zum 13

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