Martin Teising (Hrsg.) Altern: AuBere Realitat, inne re Wirklichkeiten Martin Teising (Hrsg.) Altern: AuBere Realitat, inne re Wirklichkeiten Psychoanalytische Beitrage zum Prozefl des Alterns Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Altern: auBere Realitat, innere Wirklichkeiten : psychoanalytische Beitrage zum ProzeB des Altern / Martin Teising (Hrsg.). - Opladen: Westdt. VerI., 1998 ISBN-13:978-3-531-13035-4 Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, OpladenlWiesbaden, 1998 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation GmbH. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. 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Au8ere Realitaten des Alterns Leopold Rosenmayr Generationen Zur Empirie und Theorie eines psycho-sozialen Konfliktfeldes ................................ 17 Almuth Sells chopp Auf-Bruche, LebensHiufe in Deutschland F orschungen fiber Werte und Wertewandel im Rfickblick auf die nationalsozialistische Zeit ...................................................... .45 Ursula Koch-Straube Innere Welten und auBere Realitaten Ergebnisse einer ethnopsychoanalytischen Studie in einem Pflegeheim ................... 75 Gudrun Schneider, Gereon Heujt, Robin Lohmann Folgen biographischer Belastung und Traumatisierung im Alter .............................. 91 Klaus Muller Das Altern der Bruder Jacob und Wilhelm Grimm ................................................. 107 II. Der alternde Korper: Au8ere und inn ere Realitat des Alterns Martin Teising Korperliche Realitat und innere Wirklichkeit im Alter ........................................... 125 Hartmut Radebold Korperliche Krankheiten Alternder und ihre innerpsychische Bedeutung .............. 141 6 Inhalt m. Innere Wirklichkeit des Alterns John A. Bruggeman Realer und phantasierter Objektverlust im Alter ..................................................... 157 Eike Hinze Schuldgefiihle im Alter: Zur Problematik von Schuld und Schuldgefiihl ................ 171 RolfP eter Warsitz Altern als Verlust und F onn von Zukunft ................................................................ 189 Johannes Kipp, Nina Dixon Altersdepression-ein traumatischer Untergang von Innenwelten ........................... 221 IV. Alternde Patienten -Alternde Psychoanalytiker Calvin F. Settlage Transzendenzerfahrungen im hohen Alter Kreativitat, Entwicklung und Psychoanalyse im Leben einer Hundertjiihrigen ....... 243 Dieter Ohlmeier Vom Alterwerden des Psychoanalytikers ................................................................ 281 Autorinnen und Autoren ..........................................................................................2 93 Einleitung Martin Teising Die Beitriige dieses Bandes untersuchen, ob und wie sich mit den Lebenserfahrun gen in einer immer schneller sich wandelnden iiu13eren Realitiit auch die psychische Welt des alternden Menschen wandelt oder ob und unter welchen Umstiinden die innere Welt unveriindert weiter lebt. Wie dynamisch ist die innere Realitiit, bleibt sie ewig jung, altert sie oder ist sie zeitlos wie das Unbewu13te, aus dem sie zum Teil besteht? 1st Altern ausschlieBlich iiu13ere oder auch Bestandteil der inneren Realitiit? LiiBt sich die innere Realitiit uberhaupt mit Kategorien der iiu13eren Rea litat in Beziehung setzen und umgekehrt, taugen psychoanalytische Termini zur Beschreibung und Erfassung von Phiinomenen der iiu13eren Realitat? Spiitestens seit dem letzten Internationalen Psychoanalytischen KongreB 1995 in San Francisco driingen sich diese Fragen auch im Zusammenhang mit der Altersthematik auf. Um eine Antwort vorwegzunehmen: Das lebenslange Spannungsfeld zwischen innerer Wirklichkeit und iiu13erer Realitat zeigt im hOheren und hohen Lebensalter besondere Wirkungen, wie in diesem Band gezeigt und von verschiedenen Blick winkeln aus betrachtet und untersucht werden solI. Wir hatten uns zuniichst entschlossen, von iiu13erer und von psychischer Realitiit, nicht von innerer Realitiit zu sprechen, weil eine riiumliche Vorstellung die psychi sche Realitat nur unzureichend beschreibt. So lautete denn auch das Thema des 8. Symposiums Psychoanalyse und Alter im Dezember 1996 in Kassel, veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft Soziale Gerontologie der Gesamthochschule Kassel, der Arbeitsgruppe "Psychoanalyse und Alter" und dem Alexander-Mitscherlich- 8 Martin Teising Institut in Kassel: "Psychische Realitiit und auBere Realitiit im Alter". Die Beitrage dieses Symposiums sind in diesem Band dokumentiert. Dariiber hinaus erweitem die Aufsatze der Essener Arbeitsgruppe Schneider, Heuft und Lohmarm sowie die von KipplDixon, Ohlmeier, Settiage, Teising und Warsitz das Themenspektrum. Wenn dieser Band jetzt doch im Titel den Gegensatz von innen und auBen be nennt, so aufgrund der Vorstellung, daB die Konstitution einer zwischen innen und auBen unterscheidenden Grenze entwicklungspsychologisch fur die Identitiitsbil dung von entscheidender Bedeutung ist. Als Freud die Verfiihrungstheorie aufg ab und der Bedeutung der subjektiven Phantasie Rechnung trug, entdeckte er die Bedeutung der psychischen Realitiit. Sein Blick richtete sich vom Trauma auf den intrapsychischen Konflikt. Das Indi viduum wurde nicht mehr ausschlieBlich als erleidendes Objekt, sondem als ein triebgeleitetes, Sinnzusammenhange deutendes und handelndes Subjekt gesehen. Diese Entdeckung war bekarmtlich die Geburtsstunde der Psychoanalyse. ,,Es er wachst uns nun die Aufgabe, die Beziehung des Neurotikers, und des Menschen uberhaupt zur Realitiit auf ihre Entwicklung zu untersuchen und so die psychologi sche Bedeutung der realen AuBenwelt in das Gefiige unserer Lehren aufzunehmen" (Freud 1911, S. 230). Die Unterscheidungsfahigkeit zwischen innen und auBen ist nach kleiniani schem Verstandnis angeboren. Diese Auffassung scheint durch die Ergebnisse der modemen Sauglingsforschung, die sich ansonsten von den Positionen der kleiniani schen Psychoanalyse deutlich unterscheidet, bestatigt zu werden (vergl.: Stem 1992). In der inneren Welt des Kindes, so Melanie Klein, wiiten Angste, die durch die Mutter aufgenommen und beruhigt werden mussen, damit es sich der auBeren Welt zuwenden karm. A.uBere Realitat steht von Anfang an im interaktiven Aus- Einleitung 9 tausch mit der inneren Welt. "Subjekt und Objekt konstituieren sich durch intro jektive und projektive Prozesse" (Staehle 1997, S. 2). Korperbezogene, unangenehme zunachst diffuse Sensationen, von Bion (1962) Beta-Elemente genannt, werden mit Hilfe der Alpha-Funktion der Mutter "ver daut". Allmahlich verinnerlicht der Saugling diese Alpha-Funktion und lernt auf diesem Weg, wie zwischen Subjekt und Objekt, zwischen innen und millen zu diffe renzieren ist. Damit entsteht die Vorstellung eines das Individuum begrenzenden Raumes, in den etwas hinein und aus dem etwas heraus "gehen", in den etwas in trojiziert und aus dem etwas projiziert werden kann, von innen und aul3en. Innere Realitat hangt ,,mit einer Realitat zusammen, die sich in dem vonjeder Seele konstruierten psychischen Apparat als etwas Individuelles, Phantastisches, Ge dachtes, Gewiinschtes, Subjektives, Unwirkliches, Halluzinatorisches, Unbegreifli ches und Inneres darstellt und daher im Gegensatz zu einer Realitat, die verbreitet, allgemein, sozial, materiell, auferlegt, objektiv, realistisch, verstandlich und extern ist" (Puget 1995, S. 225). Die innere Realitat gliedert sich in drei psychische Welten: ,,Die eine Welt ist die der Reprasentanzen, die meist an die phantasmatischen Funktio nen von Korper und Seele des Individuums gekntipft sind und in welcher der exteme An dere praktisch prasent ist. Sie wird dUTCh das Lust- Unlust- Prinzip geregelt C.. . ) Eine an dere Welt ist die, in der die Reprasentanzen der Familienbindungen zu finden sind C.. . ) Hier ist der Andere stiindig prasent und tragt den Stempel der Realitat. Das Ich und der Andere sind hier miteinander verkntipft C.. . ) SchlieBlich lebt das Ich in einer dritten Welt mit Reprasentanzen des sozialen und kulturellen Milieus, in dem gesellschaftliche Regeln gelten; eine Welt, die davon bestimmt wird, was moglich und was nicht moglich ist und in der die Anderen eine reale, wenngleich verschwommene Prasenz besitzen. Dies verrnittelt die Erfahrung in eine Welt mit iihnlichen Anderen verstrickt zu sein" (Berenstein 1995, S. 198). 10 Martin Teising Faimberg nennt "psychische Wahrheit die Konsequenz psychischer Arbeit, die aus den Anforderungen der Realitat resultiert und von unbewuI3ten Wtinschen und unbewuI3ten Phantasien gepragt ist. Realitat wird ursprtinglich durch den gespro chenen und nicht gesprochenen Diskurs der Eltem sowie natiirlich ihrer unbewuI3- ten Dimension vennittelt" (Faimberg 1995, S. 202). Die Unterscheidungsflihigkeit zwischen der psychischen Realitat und der physi schen und sozialen Realitat ist also Resultat der psychischen Entwicklung. Klein kinder und Traumer, Psychotiker, Neurotiker und Restneurotiker durchmischen diese Realitaten hnmer wieder und konnen sie nicht eindeutig unterscheiden. Psy chische Realitat unterliegt einem lebenslangen, oszillierenden EntwicklungsprozeJ3, wahrend dem wir immer wieder verschiedene Positionen einnehmen. Unabhangig von unterschiedlichen Ansichten tiber ihre Entstehung, sind sich psychoanalytische Autoren weitgehend darin einig, daB innere Realitat aus den triebgeleiteten Phantasien, aus den Wahrnehmungen der auJ3eren Welt und den Erinnerungen besteht. Sie unterliegen pennanent subjektiven Verarbeitungsprozes sen, was mit neuen himphysiologischen Erkenntnissen gut kompatibel ist. "Das Gehim kann zwar tiber seine Sinnesorgane durch die Umwelt erregt werden, diese Erregungen enthalten jedoch keine bedeutungshaften und verlaJ31ichen Infonnatio nen tiber die Umwelt. Vielmehr muJ3 das Gehim tiber den Vergleich und die Kom bination von sensorischen Elementarereignissen Bedeutungen erzeugen und diese Bedeutungen anhand intemer Kriterien tiberprtifen. Dies sind die Bausteine der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit in der ich lebe, ist damit ein Konstrukt des Gehims" (Roth 1994, S. 19). Das, was als Objekt reprasentiert ist, ist eine Kreation, eine Konstruktion unserer Seele, die in dauemden Aoderungen begriffen ist. Das heillt auch: Nichts ist subjektiver als das Objekt, genauer als die Objektreprasentanz. AuJ3ere Realitaten, wie z.B. der Lauf der Zeit, sind lange nicht immer auch psychi sche Realitat. Einleitung 11 Realitat an sich vermittelt noch keine Sinnhaftigkeit. Sie wird erst durch das Subjekt konstruiert. Diese Konstruktion gestaitet die Art zu denken, zu fiihlen und zu handeln. In einer seiner letzten Arbeiten beschiiftigte sich Wolfgang Loch mit "Genese-, Differenzen-Synthese" psychischer und materieller Realitat. Sich auf Nietzsche berufend meint Loch, daB ,,Konstruktionen, Interpretationen, diejenigen Geschehnisse sind, mit deren Hilfe wir die Welt und uns selbst auslegen, erkUiren und verstehbar machen, das hellit, sie sind (kursiv im Original) solange sie gelten, die innere wie die iiuBere Welt, und so lange gelten sie 'unbedingt' - unbedingt, weil jetzt und hier ihre Verneinung einer 'Vemeinung des Lebens' gleichkame, das gerade in ihrer Geltung seine uns verbindende Basis hat" (Loch 1995, S. 154). Die Untersuchung in diesem Band geht gewissermaBen von der iiuBeren Welt aus und dringt fiber den Korper in das Innere vor. Bewirken Umbruche von Realitaten in einer sich andernden auBeren Welt, Ver anderungen der Identitat? Rosenmayr als renommierter Sozialgerontologe und ethnologe offilet den Blick fUr die sich verandemde auBere Realitat alter Menschen in westlichen Kulturen. Mit ihm kommt neben den psychoanalytischen Autoren ein Wissenschaftler einer Nachbardisziplin zu Wort, denn ,,man hat die Verpflichtung, sich jener Wiihrung zu bedienen, die in dem Lande, das man durchforscht, eben die herrschende ist" (Freud 1911, S.236). Wenn wir uns fiber die Wechselbeziehung von auBerer und psychischer Realitat Gedanken machen, ist die historische Dimension von besonderer Bedeutung. 1st es nicht gerade das nicht Erinnerte Vergangene das gegenwiirtig aktiv wirksam ist? In Deutschland stellt sich die Frage der Wirksamkeit bzw. der Veranderung innerer Werte nach der Befreiung yom Nationalsozialismus. Sellschopp hat den Werte wandel der Kriegsgeneration nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hilfe biographischer Interviews untersucht. Auf einer breiten empirischen Grundlage beruht der Beitrag
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