COMPANION WEBSITE ♦ .V ll Kurt Sokolowski Allgemeine Psychologie fur Studium und Beruf ALWAYS LEARNING PEARSON 1 Einfiihrung Einfiihmngstexte ^Psychology"1), die hinsichtlich Ausstattung, Format, Gewicht und Haltbarkeit zwar als lebenslange Nachschlagewerke zu empfeh- len, die aber beziiglich der Voraussetzungen und der Informationsmenge deutlich zu hoch liegen. Auf der anderen Seite gab es Einfiibmngstexte, die gut lesbar sind, jedoch beziiglich des zu vermittelnden Wissens in den Fel- dern der Allgemeinen Psychologie zu kurz greifen, da sie versuchen, mog- lichst alle Teilgebiete der Psychologie abzudecken. Das vorliegende Buch versucht, sich zwischen beiden Formaten zu platzieren: Zum einen soil der Erkenntnisstand auf angemessenem Niveau beriicksichtigt werden, und zum anderen sollen die Inhalte vor allem auf die in der Praxis nutzbaren Aspekte beschrankt bleiben. Wenn notig, kommen gelegentlich Erkenntnisse aus anderen Gmndlagendisziplinen hinzu: aus der Entwicklungs- psychologie, der Sozialpsychologie, der Personlichkeitspsychologie, wie auch aus den Anwendungsdisziplinen Padagogische Psychologie, Klinische Psycho- logie und Arbeit-, Berufs- und Organisationspsychologie. 1.3 Ziel und Gratwanderung Wenn man in die bekanntesten Lehrbiicher der Allgemeinen Psychologie hin- einsieht, stellt man zunachst fest, dass die einzelnen Teilbereiche jeweils von einschlagigen Experten verfasst sind - dies sind sogenannte „Herausgeber- bande" (Miisseler, 2008; Spada, 2005). So ist garantiert, dass die Inhalte hoch- wertig und wissenschaftlich fundiert sind - eben „state of the art", wie man so schon sagt. Jedoch sind die Werke nicht in einem „Geist" geschrieben, und eine durchgangige Lektiire fallt schwer, da jedes Kapitel dem Leser einen eigenen in sich geschlossenen Stil beschert. Es ist ein bisschen wie eine Kreuzfahrt von Insel zu Insel, deren Bewohner jeweils eine andere Sprache sprechen. Da niit- zen auch die von den Autoren - ich selbst bin auch einer davon - geforderten Querverweise zu den anderen Kapiteln wenig. Diese scheinen dann eher wie eine rhetorische Geste als eine nachvollziehbare, begehbare Briicke. Mir ist durchaus bewusst, dass eine ganze Reihe der geschatzten Kollegen und Spezialisten aus der Allgemeinen Psychologie einige der im vorliegen- den Werk gestifteten Beziige zwischen den neun Grundfunktionen als grobe Vereinfachungen sehen. Diese resultieren aus dem Versuch, eine hohere - oder besser: entferntere - Warte zu beziehen, mit dem Ziel, unvorbereitete Leser nicht durch die Komplexitat, Schulenstreitigkeiten und Mikroskopie in den Teildisziplinen zu verwirren. Dazu ist es notig zu glatten, unscharf zu sehen, Gemeinsamkeiten zu finden und auch Wichtiges oder Liebgewonne- nes wegzulassen. Der angestrebte „eine Guss" gelingt natiirlich nicht immer; Nicht zuletzt weil der Gegenstand komplex und schwierig ist und wir zwar ein Menge, aber langst noch nicht alles wissen. 1 In Deutsch z.B. Gerrig & Zimbardo (2008) oder Myers (2008). 14 1.4 Das Bewusstsein als Dreh- und Angelpunkt 1.4 Das Bewusstsein als Dreh- und Angelpunkt Es ist eher ungewohnlich, ein Lehrbuch der Allgemeinen Psychologie mit dem Kapitel iiber das Bewusstsein zu beginnen. Der Gegenstand „Bewusstsein" hat in der Psychologie den Status der bekannten „heiBen Kartoffel", die man lieber nicht anfasst, weil man sich verbrennen konnte - was nicht zuletzt am Fehlen einer eindeutigen Definition liegt. Aber das bewusste Erleben ist die hell erleuchtete Eingangshalle, die erste Kammer, die man auf dem Weg zur Psyche betritt. So geschieht es im alltaglichen Leben und genauso geschah es in der Geschichte der wissenschaftlichen Psychologie. Die wissenschaftliche Psychologie begann Ende des 19. Jahrhunderts mit der systematischen Selbstbeobachtung des Erlebten in kontrollierten Experimen- ten. Erst allmahlich gewann die Beobachtung und Messung von Verhalten an Gewicht und wurde dann in der modernen experimentellen Psychologie domi- nant. Das Wissen iiber unbewusste Vorgange entsteht durch messbare Zeitdis- krepanzen von Verhaltensdaten (Reaktionen) und dem Erleben (bewussten Vor- stellungen) in sorgfaltig kontrollierten Experimenten. Wir werden sehen, dass praktisch alle Gmndfunktionen auch unbewusst und unbemerkbar erfolgreich arbeiten. Die moderne Erforschung des Unbewussten geht dabei allerdings ganz- lich anders vor, als dies noch Freud vor iiber 100 Jahren durch das Bewusstma- chen des Verdrangten in der Psychoanalyse versuchte. So werden wir nicht selten in die „Tiefe" unbewusster Prozesse hinabsteigen und das bewusste Ich verlassen. Das Ich ist - bildlich gesprochen - ein Herr- scher, der vom Tun seines Volkes, das die Gmndlagen seiner Existenz bereit- stellt, nur iiber Boten und Berater erfahrt. Es ist ein Herrscher, der sich selbst nie in das Leben der einfachen Menschen begeben hat - er kennt es nur vom Horensagen. Deshalb scheint es so schwierig, wenn nicht sogar unmoglich, aus dem bewussten Erleben ins Unbewusste zu sehen. Letztendlich gehen allerdings samtliche Theorien und Modelle, die wir iiber Struktur und Funktionen der Psyche entwerfen, von Vorstellungen aus, die in unserem Bewusstsein entstehen. Dessen Gesetze stellen unerbittlich den Rah- men fur unsere Ideen dar und es spiegelt sich darin wider. Die Moglichkeit, an diesem Rahmen vorbei zu schauen, ist uns verwehrt. Auch unsere Wahr- nehmung ist ein Resultat der Kategorien, die in unserer Sprache vorgegeben werden. Sie arrangieren und zensieren damit auch die Vorstellungen von der Welt. Davon kann sich auch die psychologische Forschung nicht ablosen. Wie sollte sie auch, da sie von Menschen betrieben wird? Insofern ist ein kon- sequenter bewusstseinszentrierter Blick auf die psychischen Funktionen - wie er in diesem Buch geboten wird - zu rechtfertigen. Die unbewussten Vorgange bleiben so lange unsichtbar, bis durch Experimente deren Wirksamkeit belegbar ist. Erst dann kann dieses Wissen in der Brille des Bewusstseins wirksam werden - bildlich z.B. als Entspiegelung beschreibbar - um die Welt von nun an etwas praziser zu betrachten. „Wir sehen nur, was wir wissen." hat Goethe einmal geschrieben. Also: Je mehr man weiB, umso mehr sieht man. 15 1 Einfiihrung 1.5 Zum Buch Jedes Kapitel beginnt mit einem ersten Blick auf die festen Wissensinseln, die unabhangig vom politischen und gesellschaftlichen Wandel in der lOOjahrigen Geschichte der psychologischen Forschung relativ stabil geblieben sind. Diese erscheinen Experten haufig so subtil, dass sie kaum Erwahnung finden - fiir Einsteiger in die Materie stellen sie allerdings unverzichtbare „Einstiegshilfen" dar. Ich babe zudem versucht, die umfangreiche wissenschaftliche Fachter- minologie, soweit es ging, auBen vor zu lassen - das noch verbliebene „Fach- chinesisch" der Psychologie war allerdings notwendig. Der Stil und die Darstellungsebene des Buches liegen zwischen einer trocke- nen wissenschaftlichen und einer essayistischen Form - untermischt mit all- tagspsychologischen Beobachtungen zu den jeweiligen Themen. Diese sollen helfen, wieder zum Inhalt zuriickzufinden, wenn die Darstellung vielleicht etwas kompliziert und wenig interessant erscheint. Zur Vertiefung der Aus- fuhrungen sind am Ende jedes Kapitels einige Tipps mit Anregungen zum Ausprobieren, Anwenden und Nachdenken beigefiigt. Sie sollen helfen, Brii- cken zwischen dem psychologischen Wissen und dessen Anwendung zu bauen. Dazu gehort auch das genaue Beobachten von sich selbst und anderen Menschen. Neue Einsichten in die Welt und sich selbst fiihren im Idealfall zu einer Veran- derung der Wahrnehmung. Weil man Zusammenhange besser versteht, kann man Wesentliches von Unwesentlichem besser unterscheiden - man sieht von da an die Welt anders. Dies ist bei alien echten Experten der Fall - wie bei Arzten, Automechanikern, Kriminalkommissaren, Tierpflegern usw., die „mit einem Blick" die richtigen Beobachtungen machen und verstehen. „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie." funktioniert allerdings nur dann, wenn man die Theorie auch verstanden hat, und nicht nur auswendig wiedergeben kann. Wie am Beginn jedes Kapitels sichtbar, ist die Gliedemng des Buchs kreisfor- mig angelegt: Es ist eine Art Rundreise, die am Ende wieder an den Aus- gangspunkt zuruckfuhrt - das Ratsel des menschlichen Bewusstseins. 16 1.5 Zum Buch ITi -c: X3 L3 # r Aufmerksam- frootro" keit o 0 % O o o •2 1. Einfuhrung 2. Geschichte Weiterfiihrende Literatur Gerrig, R. J. & Zimbardo, P. G. (2008). Psychobgie. Miinchen: Pearson Studium. Miisseler, J. (Hrsg.) (2008). AHgemeine Psychobgie (2. Auf/age). Heidelberg: Springer. Myers, D. G. (2008). Psychobgie. Heidelberg: Springer. Spada, H. (Hrsg.) (2005). AHgemeine Psychobgie (3. Aufiage). Bern; Huber. 17 Was ist Psychologie? 2.1 Die psychologischen Schulen 23 2.1.1 Strukturalismus 24 2.1.2 Funktionalismus 26 2.1.3 Psychoanalyse 27 2.1.4 Behaviorismus 28 2.1.5 Gestaltpsychologie 29 2.1.6 Kognitive Psychologie 30 2.2 Psychologie als Wissenschaft 30 2.3 Natur-oder Geisteswissenschaft? 32 2.4 Erleben und Verhalten und das Dazwischen 37 2 Was ist Psychologie? u ■ ro ~ a; & L3 o. K> <c <& e o Aufm<"W fraot\on keit O m m X 0^ @ Cr Qj vo to o r* Qj CQ 1. Einfiihrung \ 2. Geschichte „Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die Andern es treiben. Willst du die Andern verstehn, blick' in dein eigenes Herz." (Friedrich von Schiller) Vom unsichtbaren inneren Erleben nahm noch Immanuel Kant (1724-1804) an, dass es sich der wissenschaftlichen Messbarkeit entziehe - mit der Begriin- dung, dass diesem die raumliche Dimension fehle. Nur fiinfzig Jahre nach Kants Tod begann Gustav Fechner (1801-1887), ein Physiker, Empfindungen und Sinneseindriicke objektiv zu messen. Die damit begriindete Psychophysik war ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Psychologie als empirischer Wissenschaft. Das, was wir heute unter Psychologie verstehen, ist also noch keine sehr alte Wissenschaft. Einer ihrer Griindervater, Hermann Ebbinghaus (1850-1909), meinte, dass die Psychologie zwar eine lange Vergangenheit, aber nur eine kurze Geschichte habe. Damit wollte er ausdriicken, dass Menschen sich zwar schon seit Anbeginn ihrer kulturellen Entwicklung mit den Ratseln der Psyche befasst haben, jedoch die Erforschung mit naturwissenschaftlichen Methoden erst Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen hatte. Die bis dahin aus- 20 schlieBlich auf Spekulationen bemhenden Theorien der menschlichen Psy- che konnten durch die neue empirische Vorgehensweise zum ersten Mai iiberpriift und in Frage gestellt werden. Der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Psychologie ist in der Griindung des „Instituts fiir experimentelle Psychologie" und somit des ersten psychologi- schen Forschungslabors in Leipzig durch Wilhelm Wundt (1832-1920) im Jahr 1879 zu sehen (►Abbildung 2.1). Forciert wurde die Geburt der neuen eigen- standigen Wissenschaft Psychologie durch die in jener Zeit - also um 1850 - angeregten Uberlegungen und Probleme in verschiedenen anderen, schon ein- deutig an naturwissenschaftlicher Forschung orientierten Disziplinen: In der Physik fingen einige Forscher an, systematisch die Eigenschaften und Leistungen des menschlichen Wahrnehmungsapparates zu erforschen. Man begann bei der Bestimmung der Absolutschwellen (Welche Reize konnen Menschen noch wahrnehmen, welche nicht mehr?) und der Unterschieds- schwellen (Welche Reize konnen Menschen gerade noch unterscheiden?). Die damals entwickelten Untersuchungsmethoden geniigen im Prinzip auch den gegenwartigen Anspriichen. Wir kennen diese Techniken vom Augen- und Ohrenarzt. Rente ist die daraus entstandene Psychophysik eine Teildisziplin der Psychologie, in der diese und ahnliche Grundfragen der menschlichen Erkenntnisgrenzen ausgelotet werden. Sict V -T un Abbildung 2.1 Wundt (in der Mitte) um 1908 im Kreise seiner Mitarbeiter. Es wird ein Reaktionszeit- experiment nachgestellt, bei dem er selbst als Versuchsperson fungierte. Seine Mitarbeiter waren als Ver- suchsleiter und -protokollanten tatig. Quelle: Boring, E. G. (1957). A History of Experimental Psychology, second edition, Appleton-Century-Crofts. In der Biologie wurde durch das epochale Werk Charles Darwins (1809-1882) „Uber die Entstehung der Arten" („On the origins of species"; erschienen 1859) eine ganz neue Sichtweise des Menschen und seiner Psyche angeregt. 21 2 Was ist Psychologie? Danach konnte der Mensch (Homo sapiens) nicht mehr als eine exklusive Einzelerfindung verstanden werden, sondern als das Resultat einer schier endlosen Schopfungsreihe, die sich iiber hunderte Millionen von Jahren hin- gezogen hatte - die Evolution. Nicht nur korperliche Merkmale, sondern auch psychische, wie z.B. Emotionen, haben danach eine stammesgeschichtliche Entwicklung mit tierlichen Vorlaufern hinter sich. Bei naherer vergleichender Betrachtung lassen sich bei Menschen allerdings zwei psychische Funktionen finden, in denen sie sich sehr deutlich von alien anderen Tieren des Planeten unterscheiden: Die eine ist das Bewusstsein und die andere ist der Wille. Durch den kombinierbaren Einsatz beider wird Han- deln durch Einsicht und sogar auch gegen die eigenen Bediirfnisse und Triebe ermoglicht. Mit Hilfe von Bewusstsein und Wille sind Menschen in der Lage, Triebaufschub oder Triebverzicht zu leisten, was als notwendige Voraus- setzung fiir die Entstehung der menschlichen Zivilisation, sowohl in kulturel- ler als auch in technischer Hinsicht, angesehen werden kann. Trotz dieser Besonderheiten gibt es in der Funktionsweise der menschlichen Psyche natiir- lich noch viele Ahnlichkeiten mit denen der uns artverwandten Tiere. Diese betreffen eine Vielzahl der dem Bewusstsein nicht zuganglichen Prozesse, die man bei Vorgangen der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit, beim Lernen, dem Gedachtnis, bei der Motivation oder den Emotionen nachweisen kann. Phys Medi Philosophie Abbildung 2.2: Die Entstehung der Psychologie im Schnittpunkt der Physik, Biologic, Medizin und Philosophie Zu erwahnen ist ebenfalls eine eher stille Entwicklung in der Medizin des 19. Jahrhunderts. Insbesondere in der Psychiatrie und Nervenheilkunde wurden immer mehr Falle korperlicher Erkrankungen dokumentiert, die keine korper- liche Ursache besaben. Hierzu gehoren z.B. Schmerziiber- und Schmerzunemp- findlichkeit, Lahmungen oder Erblindungen. Etwas spater fasste Freud diese durch psychische Ursachen entstandenen Krankheiten als Hysterien zusam- men. Es gelang ihm sogar, einige der Symptome unter Hypnose aufzuheben - was allerdings keine langfristige Wirkung hatte. In diesem Zusammenhang ist noch zu erwahnen, dass es unter Hypnose ebenfalls moglich ist, kurzzeitig bei gesunden Menschen ahnliche Krankheitssymptome kontrolliert hervorzurufen. 22