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Allegorische Texturen: Studien zum Prosawerk Clemens Brentanos PDF

276 Pages·1995·14.683 MB·German
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HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HANS FROMM UND HANS-JOACHIM MÄHL BAND 77 BETTINA KNAUER Allegorische Texturen Studien zum Prosawerk Clemens Brentanos MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1995 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort D 29 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Knauer, Bettina: Allegorische Texturen : Studien zum Prosawerk Clemens Brentanos / Bettina Knauer. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Hermaea ; N.F., Bd. 77) NE: GT ISBN 3-484-15077-7 ISSN 0440-7164 © Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro- nischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Buchbinder: Heinr. Koch, Tübingen Inhaltsverzeichnis Einleitung ι I. >DerSänger< 1. Entstehungsgeschichte und Problem der Anonymität 7 2. Die Liebe als hermeneutisches Prinzip und als Kommunikations- form 12 3. Tote Schönheit und »Schönheit der Handlung« 26 4. Symbiose und Differenz 32 5. Romantische Liebe in der »Prosa der Verhältnisse« 35 6. Textur als Struktur 42 7. Teppich und Blume: Das geistig-sinnliche Gewebe der Allegorie 48 8. Gewebe, Arabeske und Hieroglyphe 54 9. Die Gewebe- und Webmotivik im Spätwerk: Das Tuch des Webers Jürgo und die amaranthfarbene Decke Ameys 57 II. >Das Märchen von dem Myrtenfräulein< 1. Die zerrupfte Sternblume 71 2. Das zerstückte Myrtenfräulein 75 3. Der zerrissene Osiris und der verwundete Leib des Herrn 91 III. >Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter< 1. Romantische Geselligkeit 101 2. Phantasie im Horizont soziokultureller Diskurse 109 2.1. Wehmüllers Warenwirtschaft und die Dämonie des Tausch- werts 112 2.2. Wider den Gebrauchswert des Romantischen 120 2.3. Aufklärung über die Aufklärung 122 2.4. Der Scheincharakter von Kunst und Politik 125 3. Michaly: Romantischer Witz und orphischer Geist 129 4. Mitidika: Häßliche Hülle und schöner Kern 136 5. Die >Wehmüller< als Groteske 147 Exkurs: Kombination und vierfacher Schriftsinn 154 V IV. >Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen< 1. Vorüberlegungen 1.1. Das Märchen im Horizont von Quelle und Anspielung . . .. 166 1.2. Allegorie und Arabeske 169 2. Erzählen als Erinnern 171 3. Geistliche Arzneimittellehre 176 Exkurs: Poesiapermixta 184 4. DielnsignienFanferlieschens: Schürze, Fuß, Pantoffel 188 Exkurs: Weshalb Fanferlieschen einen Feennamen trägt? 194 5. Aufklärungsstaat, Revolution und Philisterwelt 198 6. Fanferlieschen und Laudamus: Brentanos kirchenpolitisches Bekenntnis 201 7. Eucharistie und Transsubstantiation 210 8. Die Legitimierung der Poesie im Gnadenakt: Fanferlieschens Trauerblumenlied 217 9. Geschichte im Zeichen der Apokalypse 222 10. Die Natur des Pumpelirio Holzebock 229 11. Ursulas Sendung 236 Exkurs: Todessymbol und Ewigkeit: Das alte Weib mit der blau- en Schürze 244 12. Die Turmgeschichte: Das Verhältnis von Prophetie und Erfüllung 246 13. Erlösung 252 Nachweis der Motti 259 Literaturverzeichnis 260 VI Einleitung Wenn die Welt nicht einmal allegorisch wäre, was bliebe dann noch, was bliebe den Entfernten. (Arnim an Bettine) ».. . und so läßt sich auch eigentlich nicht reden von der Poesie als nur in Poesie«.1 Dieses Wort Friedrich Schlegels gewinnt im Zusammenhang von Brentanos CEuvre eine ganz konkrete Bedeutung. Brentano wollte nicht, und er konnte es wohl auch nicht, von Poesie reden — als nur in Poesie. In dem berühmten Bekenntnisbrief an Philipp Otto Runge von 1808, an einen Künstler also, dem Brentano sich am nächsten verwandt fühlte, erklärt er gegenüber der Aufforde- rung des Malers, sich in ästhetischen Dingen auszutauschen, daß ihm zeit seines Lebens, zunächst durch Vernachlässigung, dann durch »nicht allzuweise« An- wendung, »alleThore philosophirender Abstraction gänzlich verschlossen geblie- ben« seien.2 Die Sprache Brentanos ist eine Sprache der Bilder. Wie diese beschaffen und zu verstehen sind, darüber gibt er in seinem Aufsatz für die Zeitschrift >Hesperus< selbst einen Hinweis, indem er allegorische Sinnbilder der Umschlagzeichnung auslegt: Die tiefere Bedeutung, das freie Gleichgewicht und die zierliche Zusammenstellung der hier geordneten Sinnbildlichkeiten erfreuen uns um so mehr, als wir in ihrer Aufstel- lung den Erfinder auf eine verständige Weise die zwei fehlerhaften Extreme der Allegorie vermeiden sehen, nämlich die Abgedroschenheit, und ihr Gegenteil die Ubersinnlichkeit.3 Abgedroschen, das versteht sich, sind Brentanos Bilder nie, und wider den Fehler der Ubersinnlichkeit steht er mit der ganzen Kraft seines sinnlich-ästhetischen Genies ein. Etwas anders verhält es sich schon mit den Kennzeichen »koquette (sogenannte malerische) Art« und »zusammengeknebelte Attribute«,4 die Bren- tano in Allegorien — eigentlich — vermieden wissen will. In einem nicht pejorati- ven Sinne aufgefaßt, impliziert die Charakteristik ja geradezu eine Leseanleitung für seine eigenen kunstvollen, aus heterogenen Elementen kombinierten allegori- 1 Friedrich Schlegel, Gespräch über die Poesie. In: Kritische-Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. München, Paderborn, Wien 1958 fr. Bd. II, S. 285. 2 Brentano-Runge, S. 19. 3 Werke II, S. 1046. 4 Ebd. I sehen Texte. Wenn der Dichter dabei seine Bildvokabeln auch nicht »aus tiefsin- nigen mystischen Brunnen geschöpft« hat, so daß »sieben Siegel« zur ihrem Verständnis »zu erbrechen« sind,5 so ist doch zu rechnen damit, daß er sich, wie die geschickte Apothekerin aus den >Rheinmärchen<, aus »eine[r] Büchse voll Zierlichkeit, eine[r] voll Lieblichkeit«, »voll Ahndung« und »voll Wahrheit«6 bediente, oder daß er, wie sein Märchenheld Gockel, bei seiner exemplarischen Leichenpredigt auf den Stamm- und Haushahn Alekryo, »vieles Erbauliche, Moralische, Historische, Allegorische, Medizinische, Mystische, selbst Politi- sche«7 in die poetische Rede einarbeitete. Es sind besonders die >Märchen<, an denen Brentanos Kunst der Kombination, der allegorisch-chiffrierten Textur und mitunter auch »koquett-zusammengeknebelten« Verbindung erotischer und reli- giöser Elemente eingehend studiert werden kann. Auf der Grundlage eines nahezu enzyklopädischen Materials, das er in der eigenen Bibliothek gesammelt hat, wie auch des souveränen und stets innovativen Gebrauchs ikonographischer Bildvokabeln entstehen Dichtungen wie die von >Fanferlieschen Schönefüßchen<, das in der Form der Spätfassung gleichsam eine Summe seiner Existenz als homo poeta und religiosus zieht. Bestimmungen der romantischen Allegorie als allegorisch-hieroglyphische Arabeske haben sich bislang einseitig auf Friedrich Schlegels Arabeskentheorie im >Brief über den Roman< bezogen. Ihre genuine poetische Ausdrucksqualität, ja bereits die Frage nach der Realisation der komplexen Allegorien-Theorie wurden dabei weitgehend vernachlässigt.8 Brentanos Spätwerk vom >Fanferlieschen< gibt das Exempel par excellence für das, was man allegorische Arabeske bezeichnen könnte und sollte. Philipp Otto Runges >Tageszeiten<, durch die — so Ludwig Tieck — »die phantastisch spielende Arabeske zu einem philosophischen, religiö- sen Kunstausdruck« erzogen wurde,9 bilden dabei im Bereich der »stummen malenden Poesie«10 das kongeniale Pendant zu Brentanos »ebenso tiefsinnigefr] Bildersprache«.11 In Runges Blättern ist »manches«, wie Tieck sagt, was dieser »wohl nur allein versteht, und es ist zu furchten, daß bey seiner verbindenden 'Ebd. 6FBA 17, S. 496. 7 Werke III, S. 689f. 8 Eine Ausnahme stellt Günter Oesterles Interpretation von E.T. A. Hoffmanns »Goldnem Topf< dar. Günter Oesterle, Arabeske, Schrift und Poesie in E.T. A. Hoffmanns Kunstmärchen »Der goldene Topf«. In: Athenäum I, 1991. S. 69 — 107. 9 Ludwig Tieck, Eine Sommerreise. Zitiert nach dem Abdruck in: Philipp Otto Runge, Hinterlasse- ne Schriften. 2 Bde. Hrsg. von dessen ältesten Bruder. Göttingen 1965. (Deutsche Neudrucke, Reihe Texte des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Walther Killy). Bd. II, S. 539. 10 Vgl. Brentanos Nachruf auf Runge: Andenken eines trefflichen deutschen Mannes und tiefsinni- gen Künstlers. In: Werke II, S. 1039. "Werkeil, S. 1039. 2 reichen Phantasie, er noch tiefer in das Gebiet der Willkühr gerät«.12 Die Erfüllung von Tiecks Begehren nach hermeneutischer Initiation übernimmt Brentano für seine Märchen selbst. So bereitet er seine Leserin Charlotte von Ahlefeldt auf die Logik seiner exzentrischen Phantasie vor: »Wie würden Sie die Hände überm Kopf zusammenschlagen, wenn ich Ihnen so ein Märchen bis in die kleinsten Wendungen erklären könnte«.13 Im Wechselspiel von Phantasie und Verstand stellen Brentanos Allegorien hermeneutische Verlockungsspiele dar, die - er selbst drückt dies im anfangs zitierten Aufsatz sehr moderat aus — sinnlich »erfreuen« und auf eine »verständige Weise« den Geist beschäftigen. 1803 schreibt er an die Geliebte Sophie Mereau: wir müßen dem Frommen den Eindruck eines religieusen Geheimnißes geben, dem Einfältigen wie ein Wohnhauß der Gespenster, dem irrenden Ritter ein verzaubertes Schloß erscheinen, jeder tiefsinnige muß uns mit Ehrfurcht betrachten, und alle Kinder, alle Engel müßen uns lieben, [...] in dem wir uns im innern, in dem Geheimniß unsrer Liebe, so durchdringen, daß unsre Oberfläche, Blätter und Blüthe und Frucht die Menschen entzücken.14 Brentanos »Sinnbilder [sjeiner Lebensliebe«15 und seines Liebeslebens und die Sinnbildlichkeit seiner Poesie gründen in denselben hermeneutischen Vorausset- zungen. Hinter einer bunten, Blätter und Blüten treibenden Oberfläche locken Geheimnisse, die er Savigny schmackhaft macht als »verborgnfe] Früchte unter der Erde, keine Kartoffeln, sondern wunderbare unerkannt heilsame Wur- zel[n]«.16 Ästhetisch-zauberhaft, artistisch konstruiert und durchdacht, wächst Brentanos allegorisch kombinierende Kunst aus dem berühmten Jean Paulschen »Doppelzweig des bildlichen Witzes«: Der bildliche Witz kann entweder den Körper beseelen oder den Geist verkörpern. Ursprünglich, wo der Mensch noch mit der Welt auf einem Stamme geimpfet blühte, war dieser Doppel-Tropus noch keiner; jener verglich nicht Unähnlichkeiten, sondern verkündigte Gleichheit; die Metaphern waren, wie bei Kindern, nur abgedrungene Synonymen des Leibes und Geistes. Wie im Schreiben Bilderschrift früher war als Buchstabenschrift, so war im Sprechen die Metapher, insofern sie Verhältnisse und nicht Gegenstände bezeichnet, das frühere Wort, welches sich erst allmählich zum eigentlichen Ausdruck entfärben mußte. Das tropische Beseelen und Beleiben fiel noch in eins zusammen, weil noch Ich und Welt verschmolz. Daher ist jede Sprache in Rücksicht geistiger Beziehungen ein Wörterbuch erblasster Metaphern.17 12 Tieck, Eine Sommerreise. In: Runge, Hincerlassene Schriften, Bd. II, S. 539. 13 Clemens Brentano. Dichter über ihre Dichtungen. Hrsg. von Werner Vordtriede in Zusammenar- beit mit Gabriele Bartenschlager. München 1970. S. i8jf. 14 8. September. FBA 31, S. 177. "FBA29, S. 475. 16 Juli 1800. FBA 29, S. 226. "Jean Paul, Vorschule der Ästhetik §50. In: Werke in zwölf Bänden. Hrsg. von Norbert Miller. Nachworte von Walter Höllerer. München, Wien 1975. Bd. 9, S. 184. 3 Brentano hat die Polarität von Geistlichem und Sinnlichem, Seele und Körper, die der kombinierende Witz zu überwinden strebt, in seiner frühen Erzählung >Der Sänger< gleichsam auf »einem Stamme geimpfet« und den Vorgang lakonisch so formuliert: »Die Materie dringt aus der Materie, und der Geist aus dem Geiste, aber beide sind innig verbunden, unzertrennlich und eins.«18 Der ursprünglichen Ausdrucksenergie der Poesie, ihren »erblasste[n] Metaphern« nachforschend, spricht Brentano in dieser Erzählung in Hieroglyphen der Liebe und der »Bilder- schrift« der Natur. Vermittelt über die Vorstellung des sinnlich-geistigen ur- sprünglichen Gottes- und Naturgewebes ist der allegorischen Textur eine fluktu- ierende dynamische Wechselbeziehung von anschaulichem Bild und geistiger Verweisung eingeschrieben, wobei Schönheit und Abstraktion keine Gegenpole darstellen. Interpretatorisch gilt es darauf zu antworten durch Darstellung der Ästhetik dieses Textes in Abwechslung mit der Semantik des Begriffs. Es ist die Sprache der Bilder selbst, die dabei die Mitte halten läßt, denn, wie Gottfried Willems grundlegend formulierte, »im darstellenden Bild [ist] immer der Bezug auf eine nur durch das Wort zu leistende Bedeutungssetzung beschlossen. Dem Wort wohnt ein verdunkeltes Bild, dem Bild ein verstummtes Wort inne«. Dies »ist Voraussetzung dafür, daß sich das Wort zur bildlichen Rede und das Bild zum vielsagenden Bildwerk gestalten, daß Wort und Bild sich aneinander an- schließen und gegenseitig ergänzen können«.19 Im >Sänger< wird ein Wurzel- Motiv von Brentanos Logik der Bilder wie das seines Schreibens insgesamt faßbar. Es kann sowohl die Entwicklung der Formen und Funktionen des Allegorischen in seinem Werk als auch besonders die auf den Ursprungsgedanken von »einem Stamme« zurückgehende Funktion der kombinatorischen Allegorie verdeutli- chen. Daß Brentanos Bilder-Denken ein Denken des Ursprungs einschließt, zeigen die mythischen Modelle, mittels derer er seine Poesie zu begründen sucht. Im >Märchen von dem Myrtenfräulein< chiffriert Brentano seine Opfer- und Märty- rervorstellung vom Dichter, die bis ins religiöse Spätwerk hinein ein kontinu- ierlich entfaltetes Thema seines CEuvres bildet. Darüber hinaus wird an diesem Märchen deutlich, in welch subtiler Form Brentano seine Quellentexte, hier Giambattista Basiles Märchen >La Mortella<, liest, interpretiert, perspektiviert und in neuen, allegorischen Kontext stellt. Neben den allegorischen Strukturen sind es die hermeneutischen Implikatio- nen in Brentanos Poetologie, die auf den folgenden Seiten analysiert werden sollen. Wie fruchtbar — das heißt auch: wie theoriegeschichtlich folgenreich und ,8FBA 19, S. 59. 19 Gottfried Willems, Kunst und Literatur als Gegenstand einer Theorie der Wort-Bild-Beziehun- gen. Skizze der methodischen Grundlagen und Perspektiven. In: Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposion 1988. Hrsg. von Wolfgang Harms. Stuttgart 1990. S. 414—429. Hier: S. 423. 4

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