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Allahs Schatten über Attatürk PDF

437 Pages·1990·1.73 MB·German
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Peter Scholl-Latour Allahs Schatten über Atatürk Die Türkei in der Zerreißprobe Das Buch bietet einen Überblick über die verschiedenen Gruppierungen in der Türkei, mit denen der türkische Staat immer wieder konfrontiert wird. Dabei spannt der Autor einen Bogen von der PKK über islamistische politische Parteien, wie die "Tugend-Partei" bis zu anderen religiösen Gruppierungen, wie z.B den Aleviten. Ausführlich geht er auf die unterschiedlichen Bewegungen ein, die sich innerhalb der türkischen Volksgruppe in der Bundesrepublik aktiv entwickelt haben und die Deutschen unmittelbar betreffen. ISBN 3-88680-630-8 © 1999 by Siedler Verlag Karten: Adolf Böhm, München Schutzumschlag: Rothfos + Gabler, Hamburg Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!! Klappentext Die inneren Probleme der Türkei - man denke nur an den Kurden-Aufstand - finden ihren Niederschlag in der deutschen Innenpolitik. Darüber hinaus sind die deutschen Soldaten im Kosovo auf einem Territorium eingesetzt, das 500 Jahre lang dem Osmanischen Reich angehörte. Ob die Türkei Bestandteil der Europäischen Union wird, ist heute ungewisser denn je. Aber das Schicksal dieses befreundeten Landes ist mit der Zukunft Deutschlands auf vielfältige Weise verknüpft. Peter Scholl-Latour, der bereits 1951 seine ersten Türkei- Reportagen verfaßte, geht der Auseinandersetzung zwischen säkularem Kemalismus und islamischer Wiedergeburt nach. Im Sommer 1998 hat er intensiv im kurdischen Aufstandsgebiet recherchiert, im Sommer 1999 erkundete er die chaotische Situation im Kosovo, wo er auch auf türkische Soldaten stieß. Avantpropos Wer über die Türken und über die Türkei schreibt - nicht akademisch und abstrakt, sondern aus eigenem Erlebnis und mit persönlicher Anteilnahme -, läßt sich auf ein Wagnis ein. Ich bin mir dessen voll bewußt. Hier handelt es sich ja um ein Land, das uns nicht nur unmittelbar als Nachbar Europas angeht; ein beachtlicher Teil der deutschen Bevölkerung ist bereits türkischen Ursprungs. So wird der Kulturkampf zwischen säkularen »Aufklärern« und engagierten KoranGläubigen, der sich unter vielfältigen Aspekten der gesamten islamischen »Umma« bemächtigt hat, auch auf deutschem Boden ausgetragen. Die Beobachtungen, die ich im Aufstandsgebiet Südost-Anatoliens sammelte, werden auf Zustimmung oder Widerspruch bei einer halben Million Kurden stoßen, die in der Bundesrepublik leben. Am Ende dieses Buches widme ich dem Kosovo-Konflikt breiten Raum. Das hat seine Gründe. Die deutschen Soldaten der KFOR und ihre Verbündeten bewegen sich dort in einem unsicheren Territorium, dessen Problematik nur vor dem Hintergrund seiner langen osmanischen Geschichte gedeutet werden kann. P. S.-L. Aus Gründen der Diskretion und vor allem der Sicherheit für die Betroffenen habe ich in manchen Fällen die Namen meiner Gesprächspartner und den Ort unseres Zusammentreffens verändert. Bei der Niederschrift fremder Begriffe und Namen habe ich im Türkischen, das sich des lateinischen Alphabets bedient, gewisse Eindeutschungen - wie »Hodscha« statt »Hoca« - berücksichtigt. Soweit es sich um arabische Wörter handelt, die vom Türkischen übernommen und modifiziert wurden - wie »dinvedevlet« statt »din wa dawla« -, habe ich, wo immer möglich, der Originalform den Vorrang gegeben und mich an die übliche, allgemein verständliche Transkription gehalten. Für die Anhänger des weit verbreiteten Derwisch-Ordens zum Beispiel, die man in der Türkei als »Naksibendi« bezeichnet, wurde die ursprüngliche Schreibweise »Naqschbandi« beibehalten. INHALT Avantpropos Einstimmung Die armen Leute von Yakub Abdal Kurdistan Der türkische Alptraum Auf Vorposten in Hakkari Unter dem strengen Blick Khomeinis Heroinstadt Yüksekova Orientalische Jakobiner Wenig Raum für Kompromisse Der Scheiterhaufen Abrahams Auf den Spuren Helmuth von Moltkes Karawanserei der Seidenstraße Die letzten Christen Der Fluch der »Rotköpfe« Haci Bektas am Bosporus Ein armenischer Friedhof Die PKK greift an Selim der Grausame Die Islamisten »Unsere Minaretts sind unsere Lanzen« »Schleier ist Würde« Ein kemalistischer Playboy Im Viertel »Neu-Bosnien« Der Wolf hat Kreide gefressen Der »Wunderknabe« Turgut Özal An den Quellen der Mystik »... und Atatürk ist ihr Prophet« Türken in Deutschland Halbmond über Berlin Öcalan - Held oder Verräter? »Tag der offenen Moschee« Ramadan in Bonn Diaspora an der Donau Die Aleviten Tanz der Schamanen Eine anatolische Jeanne d'Arc Von der Adria zum Baikal-See Der böse Mann » Avropa« Kosovo Die Rache der Janitscharen Schwarz-Rot-Gold in Prizren »Madeleine Albright's War« Derwische gegen den Sultan Ein serbischer Groß-Vezir Intrigen im Grand Hotel Die Brücke über den Ibar Die Türken sind wieder da Zeittafel Anhang Kartenmaterial Einstimmung Die armen Leute von Yakub Abdal Yakub Abdal, 5. Dezember 1998 Atatürk kam nicht bis Yakub Abdal. Dabei ist das Dorf nur zehn Kilometer von der auswuchernden Metropolis Ankara entfernt. Aber Yakub Abdal gehört einer anderen Epoche an, ist in anatolischer Zeitlosigkeit erstarrt. Wir sind eben von der vierspurigen Autobahn abgezweigt, die nach Samsun am Schwarzen Meer führt, und schon umfängt uns die Steppe, baumlos, schwermütig, schier unendlich. Im fernen zentralasiatischen Kasachstan am Rande der Kisylkum- Wüste sieht es nicht anders aus. Das Dorf hat die Lehmkaten von einst durch unverputzte Ziegelmauern oder hastig verschalte Zementhäuser ersetzt. Mehr als fünfhundert Menschen leben nicht in Yakub Abdal. Es hat geregnet, und wir waten in tiefem Schlamm. Am düsteren Himmel treibt der eisige Wind Wolkenfetzen nach Süden, zerrt an den verkümmerten Ästen einer entblätterten Pappel. Am Horizont, wo die Sonne versinkt, flackert ein Karree aus Rot und Gold. Die Grasfläche des hügeligen Umlandes ist schmutzig gelb mit schwarzen Flecken wie das Fell einer Hyäne. Es begegnen uns nur wenige Menschen im buckligen Labyrinth der Gassen. Die Frauen hüllen den Kopf in weitfallende Schleier und tragen noch die geblümte Pluderhose aus osmanischer Zeit. Sie huschen an den Fremden wie Schemen vorbei. Die Mädchen wenden das bleiche Gesicht zu Boden, hüten sich, den Eindringlingen auch nur einen Blick zu schenken. Ebenso teilnahmslos drängt das Vieh einzeln streunende Kühe, Schafe und Ziegen - an uns vorbei. Die Kinder hingegen beäugen uns unbefangen mit Neugier und mit Respekt. Wir haben einen älteren Mann in einem unförmigen Mantel angesprochen. Er stellt sich uns bereitwillig als Lotse zur Verfügung. Seine Augen blicken freundlich aus dem stoppelbärtigen, verhärmten Hirtenantlitz. »Sie sind an einem besonderen Tag gekommen«, erklärt er meinem Begleiter Hayrettin, der an der Universität Köln an seiner Promotion in Politologie arbeitet. »Es werden heute in Yakub Abdal zwei Hochzeiten gefeiert.« Tatsächlich klingt jetzt die Festmusik zu uns herüber. Ein Trommler und ein Flötenspieler kommen uns entgegen, als würden sie eine Beerdigung anführen. Die beiden sind erbärmlich gekleidet. Die Paukenschläge begleiten die wimmernden Töne eines primitiven Blasinstruments aus Schilf oder Bambusrohr. Heiterkeit kann dabei nicht aufkommen. Mich erinnert diese jammernde Weise an das Ächzen des »Kagni«, jenes für Anatolien seit der Frühzeit der kriegerischen Hethiter typischen Ochsenkarrens, der mit vollen, scheibenförmigen Holzrädern ausgestattet ist und bei meinem ersten Türkei- Besuch im Sommer 1951 die ländlichen Verbindungswege beherrschte. Aber noch ganz andere, historische Reminiszenzen weckt die Kakophonie der Hochzeitsmusikanten. Als Mehmet II., der Eroberer, im Jahr 1453 zum siegreichen Sturm auf Konstantinopel ansetzte, hatten die christlichen Einwohner von Byzanz wochenlang einer ähnlich barbarischen und monotonen Totenklage von tausend Pauken und Blasinstrumenten lauschen müssen, die damals mächtig und bedrohlich aus den Zeltlagern der Janitscharen zu ihnen herüberklangen wie die Kunde ihres unvermeidlichen Untergangs. Der Einheimische im zerbeulten Mantel lädt uns zum Hochzeitsmahl ein. Wir seien als Gäste hochwillkommen, und unsere Gegenwart werde als Ehre betrachtet. Aber vorher will er uns noch die wenigen Sehenswürdigkeiten seines Dorfes zeigen. Immerhin kann er eine bescheidene Ambulanzstation des Roten Halbmondes vorweisen und eine von privaten Stiftungen finanzierte Schule. Auf der grob getünchten Mauer dieser Behelfskonstruktion blickt das Porträt des Staatsgründers Atatürk überdimensional und heroisch auf den wuchtigen Rohbau der nahen, noch unvollendeten Moschee. Aber man lasse sich nicht täuschen. Der »Vater der Türken«, der Held von Gallipoli, der Schöpfer der modernen Republik von Ankara wird zwar in Yakub Abdal gebührend und untertänig geehrt; heimisch ist Atatürk mitsamt seiner westlichen Staatsdoktrin hier nicht geworden. Auf der Zementwand der Schule triumphiert er nicht als jener stürmische Erneuerer, der seinen türkischen Nationalstaat dem islamischosmanischen Schlendrian entreißen und die laizistische Republik auf europäische Sitten, auf europäische Ordnung ausrichten wollte. An dieser Stelle thront er gewissermaßen als Wiedergeburt sultanischosmanischer Macht, als »Gazi«, als siegreicher Feldherr des Islam, der die griechischchristlichen Ungläubigen, die 1922 mit ihrer Armee bis in die Nachbarschaft von Yakub Abdal vorgedrungen waren, aus Anatolien vertrieb. Ihm wird hier, von der autoritätsgewohnten, einfältigen Landbevölkerung als dem »ebedi chef« - man beachte die semantische Mischung aus Arabisch und Französisch - als »unsterblichem Führer« gehuldigt, als dem neuen Padischah und nicht als dem Verkünder einer schwer verständlichen, säkularen Ideologie. Die anatolische Republik, die Mustafa Kemal Pascha, wie der aus Saloniki gebürtige General bis zum Jahr 1934 genannt wurde, aus der Konkursmasse des osmanischen Imperiums als Nationalstaat hinüberrettete, mußte dem einfachen Bauernvolk Anatoliens fremd und verwirrend erscheinen. Auf ähnliche Weise waren ja auch die gebieterischen Anordnungen und Edikte des Obersten Herrn am Bosporus in den vergangenen Jahrhunderten unterwürfig akzeptiert und bauernschlau umgangen worden, ob es sich nun um das »Timar«-System der Sipahi-Pfründe handelte, mit dem Mehmet II. einst die vorherrschende Agrarordnung revolutionierte, oder um das ausgeklügelte Rechtssystem, das Süleyman der Prächtige, »Kanuni« oder Gesetzgeber von seinen Untertanen genannt, erließ. Im anatolischen Hochland war auch die halbherzige Modernisierung der »Tanzimat« verhallt, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts eine verfrühte Hoffnung auf radikale Neuerungen der Pforte weckte, und auch jener turbulente Aufbruch der Jungtürken, die unter der französischen Parole »Union et Progrès« um die letzte Jahrhundertwende angetreten waren, nationalistischer Vorläufer des von Anfang an militärisch ausgerichteten Kemalismus. Wer hatte unter diesen armseligen Bauern, Hirten und Pächtern jemals die erlauchten »Firmane« des Sultans und Kalifen zu diskutieren gewagt, wo es doch relativ einfacher war, ihnen mit gebeugtem Rücken und in devoter Scheinanpassung auszuweichen? Das stolze Credo Atatürks, das in jeder türkischen Ortschaft anzutreffen ist, ist auch in Yakub Abdal in kräftigen lateinischen Lettern unter sein Bildnis gepinselt: »Ne mutlu Türküm diyene« - in der Übersetzung: »Welches Glück wird dem zuteil, der sagen kann, ich bin ein Türke!« -, und dennoch bleiben wir bei der Feststellung, zu der uns der auf Eboli und auf Christus bezogene Buchtitel Carlo Levis angeregt hat: Atatürk ist wohl nicht bis Yakub Abdal gelangt. Seine Formel: »Es gibt verschiedene Kulturen, aber es gibt nur eine Zivilisation, die europäische«, hat hier nie Gültigkeit gewonnen. Unser dörflicher Führer, der sich unter dem Namen Tengiz vorgestellt hat, nimmt Hayrettin bei der Hand und weist auf ein altes, bescheidenes Gebetshaus - viel weniger anspruchsvoll als die neue »Cami« aus rohem Beton, die am Dorfrand mit ragenden Minaretts auf ihre Vollendung wartet. Diese moderne Moschee wurde durch freiwillige Zuwendungen der Gläubigen oder durch Gaben reicher privater Spender errichtet, aber ihr Imam oder Hodscha, ihr Vorbeter oder Prediger, wird vom Regierungsamt für Religiöse Angelegenheiten in Ankara benannt. Er erhält von dieser kemalistischislamischen Behörde auch sein Salär. Sogar der Text seiner religiösen Ermahnungen und Aufrufe wird ihm von dort rigoros vorgeschrieben. Da wirkt das grün bemalte Holzhäuschen mit seinem windschiefen Turm unter dem Halbmond, das seit Jahrhunderten als Grabstätte eines heiligen Mannes die Pilger anzieht, weit inniger und weihevoller. Wir sind an das Grab, an die »Türbe« des frommen »Pir« aus dem Mittelalter getreten, und meine beiden muslimischen Begleiter erstarren mit erhobenen Händen zur Rezitation der Eröffnungssure des Koran, der »Fatiha«. Über den Sarkophag ist ein grünes Tuch gebreitet mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, daß es

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