Algebraische Zahlentheorie Rainer Vogt Sommersemester 2010 Inhaltsverzeichnis I Algebraische Grundlagen 4 1 Ringe und K¨orper 4 2 Teilbarkeitslehre 7 3 Polynomringe 10 4 K¨orpererweiterungen 12 5 Moduln und Algebren 18 6 Symmetrische Polynome 23 II Ringe ganzer Zahlen 25 7 Ganze Zahlen 25 8 Norm und Spur 31 9 Die Diskriminante 38 10 Ganze Basen 43 III Die Idealklassengruppe 48 11 Historische Vorbemerkungen 48 12 Dedekind-Ringe 51 13 Gebrochene Ideale 56 14 Gitter 59 15 Minkowski-Theorie 66 2 16 Die Klassenzahl 71 17 Der Einheitensatz 77 IV Verzweigungstheorie 81 18 Erweiterungen von Dedekindringen 81 19 Verzweigungen 88 20 Hilbert’sche Verzweigungstheorie 93 21 Zyklotomische Erweiterungen 99 22 Der Ring der ganzen Zahlen in Q(ζ) 104 23 Das Gauß’sche Reziprozit¨atsgesetz 111 24 Quadratische K¨orper 116 3 Teil I Algebraische Grundlagen In diesem Kapitel wiederholen und erg¨anzen wir Teile aus der Einfu¨hrung in die Algebra, die fu¨r uns wichtig sind. Wir bezeichnen diese Veranstaltung kurzmit“Einfu¨hrung”undbeziehenunsbeiZitatenaufdasSkriptvonHerrn R¨omer aus dem Jahr 2007. 1 Ringe und K¨orper Ringe UntereinemRingverstehenwirindieserVorlesungstetseinenkommutativen Ring mit Einselement. Ein Element a R heißt Nullteiler, wenn es ein b = 0 ∈ 6 in R gibt, so dass a b = 0. Ist 0 R der einzige Nullteiler, dann heißt R · ∈ nullteilerfrei. Einen nullteilerfreien Ring R = 0 nennen wir Integrit¨atsring. 6 Die Gruppe alle Einheiten von R bezeichnen wir mit R . Ist R = 0 und ∗ 6 R = R 0 , dann nennen wir R einen K¨orper. ∗ \{ } 1.1 Satz: (Einfu¨hrung 2.14) Jeder endliche Integrit¨atsring ist ein K¨orper. Ein Unterring S eines Ringes R ist eine Teilmenge mit 1 S, so dass die ∈ Addition und Multiplikation von R auf S eine Ringstruktur definieren. Wir nennen das Paar S R eine Ringerweiterung. ⊂ Ringhomomorphismen Ein Homomorphismus von Ringen ist eine strukturerhaltende Abbildung f : R R 1 2 → von Ringen. Explizit bedeutet das: f(1 ) = 1 R1 R2 f(x+y) = f(x)+f(y) x,y R 1 ∀ ∈ f(x y) = f(x) f(y) x,y R 1 · · ∀ ∈ Wir erinnern an Kernf = x R ; f(x) = 0 1 { ∈ } Bildf = f(x) R ; x R 2 1 { ∈ ∈ } Bild f ist ein Unterring von R und Kernf ist ein Ideal in R . 2 1 4 Ideale Ideale werden in dieser Vorlesung eine große Rolle spielen. Ein Ideal J in einem Ring R ist eine nicht-leere Teilmenge, so dass gilt x,y J x+y J und r x J x,y J, r R. ∈ ⇒ ∈ · ∈ ∀ ∈ ∀ ∈ Insbesondere ist (J,+) eine Untergruppe von (R,+). Ist J R ein Ideal, dann wird durch ⊂ x y x y J ∼ ⇐⇒ − ∈ eine A¨quivalenzrelation auf R definiert. Die A¨quivalenzklasse x von x ist gegeben durch x = x+J R. ⊂ Die Menge R/J aller A¨quivalenzklassen besitzt eine Ringstruktur, definiert durch x+y = x+y und x y = x y. · · Die Projektion p : R R/J, x x ist ein Epimorphismus von Ringen → 7→ mit Kern J. Wir nennen R/J Restklassenring modulo J. Er besitzt folgende universelle Eigenschaft. 1.2 Satz: (Einfu¨hrung3.5)Seif : R S einHomomorphismusvonRingen, → J Kernf einIdeal.DanngibtesgenaueinenHomomorphismusvonRingen ⊂ f : R/J S, so dass f = f p. Weiter gilt → ◦ Bildf = Bildf, Kernf = p(Kernf) = (Kernf)/J. Sei R ein Ring und A R eine beliebige Teilmenge. Das kleinste Ideal von ⊂ R, das A enth¨alt, wird mit (A) bezeichnet und heißt das von A erzeugte Ideal. “Kleinst” bedeutet dabei, dass (A) J gilt, falls J ein Ideal ist, das ⊂ A enth¨alt. Man pru¨ft leicht nach, dass (A) existiert: (A) = J;J R Ideal,A J { ⊂ ⊂ } \ EinIdeal,dasvoneinemeinzigenElementerzeugtwird,heißtHauptideal.Ein Integrit¨atsring, in dem jedes Ideal ein Hauptideal ist, heißt Hauptidealring. Ein Beispiel ist Z. Sind I,J Ideale von R, dann sind auch I+J und I J Ideale. Wir definieren ∩ das Produktideal I J als das von der Menge x y R;x I,y J erzeugte · { · ∈ ∈ ∈ } Ideal. 5 1.3 Aufgabe: (1) Zwei Ideale I,J von R heißen coprim, falls I +J = R. Zeigen Sie: Sind I und J coprim, dann gilt I J = I J. · ∩ (2) Sei R = 0 ein Ring. Zeigen Sie: R ist genau dann ein K¨orper, wenn 0 6 { } und R die einzigen Ideale von R sind. Ein Ideal P R heißt Primideal, wenn P = R und fu¨r alle a,b R mit ⊂ 6 ∈ a b P folgt, dass a P oder b P. Ein Ideal M R heißt maximales · ∈ ∈ ∈ ⊂ Ideal, wenn M = R und fu¨r alle Ideale J R mit M J R folgt, dass 6 ⊂ ⊂ ⊂ J = M oder J = R. Es gilt 1.4 Satz: (Einfu¨hrung 4.10 und 4.12) Sei J ein Ideal im Ring R. Dann gilt (1) J ist ein Primideal R/J ist ein Integrit¨atsring. ⇐⇒ (2) J ist maximal R/J ist ein K¨orper. ⇐⇒ Quotientenringe Jeder Unterring R eines K¨orpers K ist ein Integrit¨astring. Umgekehrt kann jeder Integrit¨atsring R in einem K¨orper K eingebettet werden, z.B. in seinem Quotientenk¨orper Q(R) (s. Einfu¨hrung 4.6 und 4.7). Sei T = R 0 . Dann \{ } besteht Q(R) aus den A¨quivalenzklassen von Paaren (a,b) R T unter der ∈ × A¨quivalenzrelation (a ,b ) (a ,b ) a b = b a . 1 1 2 2 1 2 1 2 ∼ ⇐⇒ · · Die A¨quivalenzklasse von (a,b) wird u¨blicherweise mit a bezeichnet. Die Re- b chenregeln sind die der Bruchrechnung. Wir erinnern an die universelle Ei- genschaft des Quotientenk¨orpers. 1.5 Satz: Sei R ein Integrit¨atsring und Q(R) sein Quotientenk¨orper. Die kanonische Einbettung ι : R Q(R), a a ist ein Monomorphismus von → 7→ 1 Ringen. Ist f : R S ein Ringhomomorphismus, so dass f(R 0 ) S , ∗ → \{ } ⊂ dann gibt es genau einen Ringhomomorphismus. f : Q(R) S, so dass → f = f ι. ◦ 1.6 Bemerkung: Sei R = 0 ein Ring. K ein K¨orper und f : K R ein 6 → Homomorphismus von Ringen, dann ist f injektiv. Insbesondere ist f in 1.5 injektiv. 6 Charakteristik Es gibt genau einen Ringhomomorphismus ϕ : Z R → fu¨r jeden Ring R. Sein Kern ist ein Ideal in Z, insbesondere also eine Un- tergruppe von (Z,+). Dann gibt es genau ein n N, so dass n Z = Kerϕ. ∈ · Dieses n ist die Charakteristik von R, bezeichnet mit char(R). 1.7 Satz: (Einfu¨hrung2.19)DieCharakteristikeinesIntegrit¨atsringsistent- weder 0 oder eine Primzahl. Primk¨orper Ist R ein Integrit¨atsring der mindestens einen Teilk¨orper enth¨alt. Dann ist der Durchschnitt aller Teilk¨orper von R der kleinste Teilk¨orper, genannt Primk¨orper von R. Ist char(R) = 0, ist ϕ : Z R injektiv. Falls R einen Primk¨orper hat, ist → dieser Q. Das Beispiel Z zeigt, dass R keinen K¨orper zu enthalten braucht. Ist char(R) = p und p prim, dann ist die induzierte Abbildung ϕ : Z/p R → nach 1.2 injektiv. Also enth¨alt R den Primk¨orper F = Z/p. p 1.8 Aufgabe: Sei K Teilk¨orper eines Integrit¨atsringes R. Dann definieren die Addition und Multiplikation in R eine K-Vektorraumstruktur auf R. Zeigen Sie: Ist dim R endlich, dann ist R selbst ein K¨orper. K 2 Teilbarkeitslehre 2.1 Konvention: Wenn wir es nicht ausdru¨cklich anders formulieren, sind alle betrachteten Ringe Integrit¨atsringe. Gilt a x = b in R, nennen wir a einen Teiler von b und schreiben a b. Da · | jedes a R und b selbst stets Teilern von b sind, nennen wir sie die trivialen ∗ ∈ Teiler von b. a und b aus R heißen assoziiert, wenn (a) = (b). Wir schreiben a b. ∼ Offensichtlich ist a b genau dann, wenn a b und b a. ∼ | | 2.2 Definition: Sei R ein Integrit¨atsring und 0 = a R R . ∗ 6 ∈ \ (1) a heißt irreduzibel, wenn aus a = b c folgt, dass b R oder c R ∗ ∗ · ∈ ∈ (d.h. a l¨asst sich nur trivial faktorisieren). 7 (2) a heißt prim, wenn aus a b c folgt, dass a b oder a c. Ist a = 0, dann | · | | 6 ist a genau dann prim, wenn (a) ein Primideal ist. 2.3 Satz: (Einfu¨hrung Abschnitt 5) In einem Integrit¨atsring R gilt (1) a b x R mit a x = b ∗ ∼ ⇐⇒ ∃ ∈ · (2) jedes Primelement ist irreduzibel. (3) Sind a = p ... p = q ... q zwei Faktorisierungen von a in Prim- 1 m 1 n · · · · elemente, dann ist m = n und nach einer geeigneten Umnummerierung gilt p q . i i ∼ EinzentralesThemadieserVorlesungwirddieZerlegbarkeitinPrimelemente sein. 2.4 Definition: Ein Integrit¨atsring R heißt faktoriell, wenn sich jedes Ele- ment 0 = a R R als Produkt von Primelementen schreiben l¨asst. ∗ 6 ∈ \ 2.5 Satz: (Einfu¨hrung 5.6 und 5.7) (1) In einem Hauptidealring R sind fu¨r 0 = a R R ¨aquivalent: ∗ 6 ∈ \ (i) a ist prim. (ii) a ist irreduzibel. (iii) (a) ist maximales Ideal. (2) Ein Hauptidealring ist faktoriell. In einem Hauptidealring kann man Teilertheorie idealtheoretisch betreiben. 2.6 Definition: Sei R Integrit¨atsring. Ein Element d R heißt gr¨oßter ∈ gemeinsamer Teiler von a ,...,a aus R, wir schreiben d = ggT(a ,...,a ), 1 n 1 n wenn gilt: (1) d a fu¨r i = 1,...,n i | (2) Aus x a fu¨r i = 1,...,n folgt x d. i | | Ein Element v R heißt kleinstes gemeinsames Vielfaches von a ,...,a , 1 n ∈ wir schreiben v = kgV(a ,...,a ), wenn gilt 1 n (1) a v fu¨r i = 1,...,n. i | 8 (2) Aus a w fu¨r i = 1,...,n folgt v w. i | | d und v brauchen nicht zu existieren und, wenn sie existieren, sind sie h¨ochstens bis auf Assoziiertheit eindeutig. In faktoriellen Ringen kann man d und v u¨ber die Primfaktorzerlegungen bestimmen, in Hauptidealringen gilt 2.7 Satz: (Einfu¨hrungAbschnitt5.14.U¨bung)SeiReinHauptidealringund seien a ,...,a R. Dann gilt 1 n ∈ (1) d = ggT(a ,...,a ) (d) = (a )+...+(a ) = (a ,...,a ), 1 n 1 n 1 n ⇐⇒ (2) a,b R sind teilerfremd x,y R mit 1 = x a+y b, ∈ ⇐⇒ ∃ ∈ · · (3) v = kgV(a ,...,a ) (v) = (a ) ... (a ). 1 n 1 n ⇐⇒ ∩ ∩ Aus (1) ergibt sich, dass der ggT(a ,...,a ) = d eine Darstellung 1 n d = x a +...+x a 1 1 n n mitx Rbesitzt.OftistmanansolchenDarstellungeninteressiert.IstRein i ∈ euklidischer Ring, dann erlaubt der euklidische Algorithmus die Berechnung einer solchen Darstellung (s. Einfu¨hrung 5.15). Wir erinnern: 2.8 Definition: Ein euklidischer Ring ist ein Integrit¨atsring R zusammen mit einer Abbildung δ : R 0 N, genannt Grad- oder Normabbildung, so \{ } → dass gilt (1) δ(x) δ(x y) x,y R 0 . ≤ · ∀ ∈ \{ } (2) Ist a R und b R 0 , dann gibt es q,r R, so dass ∈ ∈ \{ } ∈ a = qb+r mit r = 0 oder δ(r) < δ(b). 2.9 Aufgabe: Zeigen Sie: Sei R euklidischer Ring und x R 0 . Dann ∈ \{ } gilt δ(1) δ(x). Gleichheit gilt genau dann, wenn x R . ∗ ≤ ∈ 2.10 Satz: (Einfu¨hrung Abschnitt 5.11) Ein euklidischer Ring ist Haupt- idealring. 9 3 Polynomringe Sei R ein Ring und R[X] der Polynomring u¨ber R. Wir erinnern an den Divisionsalgorithmus. 3.1 Satz: (Einfu¨hrung 6.7) Seien f,g R[X], g = 0 und der Leitkoeffizient ∈ 6 von g aus R . Dann gibt es eindeutig bestimmte Polynome q,r R[X], so ∗ ∈ dass f = q g +r mit r = 0 oder gradr < gradg. · Als Folgerung erh¨alt man 3.2 Satz: (Einfu¨hrung 6.8) Ist K ein K¨orper, dann ist K[X] ein euklidischer Ring und damit auch Hauptidealring. Sei r R. Dann definiert die Einsetzabbildung ∈ n n E : R[X] R, f = a Xi a ri =: f(r) r i i → · 7→ ! ! i=0 i=0 X X einenRinghomomorphismus.Giltf(r) = 0,heißtr Nullstelle vonf.Istr R ∈ Nullstelle von f R[X], dann ist (X r) ein Teiler von f. ∈ − Wir interessieren und fu¨r Primelemente in R[X]. 3.3 Satz: (Einfu¨hrung 6.12) Sei R ein Ring J R ein Ideal und J R[X] ∩ ⊂ das von J in R[X] erzeugte Ideal. Dann gilt (1) J R = J ⊂ (2) R[X]/J = (R/J)[X] ∼ (3) J R ist Primideal J R[X] ist Primideal. ⊂ ⇐⇒ ⊂ 3.4 Satz: (Einfu¨hrung 6.5) R[X] ist genau dann ein Integrit¨atsring, wenn R ein Integrit¨atsring ist. In diesem Fall gilt (R[X]) = R . ∗ ∗ 3.5 Satz: (Einfu¨hrung Abschnitt 7) Sei R Integrit¨atsring und a R ∈ (1) a ist prim in R a ist prim in R[X]. ⇐⇒ (2) a ist irreduzibel in R a ist irreduzibel in R[X]. ⇐⇒ (3) R ist faktoriell R[X] ist faktoriell. ⇐⇒ 10
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