Algebra und Zahlentheorie Walter Gubler 4. Februar 2010 Vorwort Dies ist ein Skript zu meiner Vorlesung “Algebra und Zahlentheorie fu¨r Lehramt” im Sommersemester 2007 an der Universit¨at Dortmund. Fu¨r die Erstellung des Skriptes danke ich Raphael Bolinger. Wir m¨ochten denLeserbitten, allf¨alligeDruckfehlerodermathematischeIrrtu¨mer an [email protected] oder [email protected] zu melden. Walter Gubler Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen der Zahlentheorie 5 1.1 Natu¨rliche und ganze Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2 Teiler und Primzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.3 Der euklidische Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.4 Primfaktorzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.5 Der Primzahlsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2 Gruppentheorie 29 2.1 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.2 Nebenklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.3 Faktorgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.4 Endliche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3 Ringtheorie 49 3.1 Ringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.2 Ideale und Restklassenringe . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3.3 Hauptideale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.4 Euklidische und faktorielle Ringe . . . . . . . . . . . . . 66 4 Arithmetik modulo n 73 4.1 Der Ring Z/mZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.2 Die Eulersche Phi-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4.3 Mult. zahlentheoretische Funktionen . . . . . . . . . . . 84 4.4 Potenzreste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.5 Quadratische Reste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3 4 INHALTSVERZEICHNIS 5 K¨orper 111 5.1 Polynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5.2 K¨orpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5.3 Algebraische Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.4 Zerf¨allungsk¨orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5.5 Eisenstein-Irreduzibilit¨atskriterium . . . . . . . . . . . . 131 6 Galois-Theorie 135 6.1 Normale K¨orpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.2 Separable K¨orpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . 138 6.3 Galois-Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.4 Aufl¨osbare Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6.5 Zyklotomische K¨orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 6.6 Konstruktion mit Zirkel und Lineal . . . . . . . . . . . . 153 6.7 Aufl¨osung algebraischer Gleichungen . . . . . . . . . . . 161 7 U¨bungen 171 Index 181 Literatur 185 Kapitel 1 Grundlagen der Zahlentheorie 1.1 Natu¨rliche und ganze Zahlen Man kann die natu¨rlichen Zahlen mit Hilfe der folgenden fu¨nf Peano- Axiome aufbauen. Wir wollen dies in diesem Abschnitt bis zu einem gewissen Punkt pedantisch durchfu¨hren und dann fu¨r die weiteren Ei- genschaften auf die Literatur hinweisen. 1.1.1. Die fu¨nf Peano-Axiome sind im Einzelnen: (P1) 0 ∈ N 0 (P2) Fu¨r alle n ∈ N gibt es genau ein n∗ ∈ N , den Nachfolger von n 0 0 (P3) 0 ist kein Nachfolger, d.h. es gibt kein n ∈ N mit n∗ = 0 0 (P4) Ist n∗ = n∗, so ist n = n 1 2 1 2 (P5) Fu¨r T ⊆ N gilt das Induktionsprinzip, d.h. aus 0 – 0 ∈ T (Induktionsanfang) und – t ∈ T ⇒ t∗ ∈ T (Induktionsschritt) folgt T = N 0 5 6 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN DER ZAHLENTHEORIE Wiek¨onnenwirnunnachdenobigenAxiomen”1”definieren?DieAnt- wort ist recht einfach: Wir setzen sie schlicht und ergreifend als den Nachfolger von ”0”. Analog k¨onnen wir uns so induktiv jede weitere Zahl n ∈ N erschließen, also: 0 1 := 0∗, 2 := 1∗, 3 := 2∗,... Damit erhalten wir insgesamt N := {0,1,2,3,...}. 0 Proposition 1.1.2. Fu¨r alle n ∈ N := N \{0} gibt es ein m ∈ N so, 0 0 dass n = m∗ Beweis: SeiT := {m∗|m ∈ N }∪{0}dieMengederNachfolgervereinigt 0 mit der Null. Zu zeigen ist, dass T = N . 0 Wir argumentieren hier mit vollst¨andiger Induktion, d.h. mit (P5). (cid:136) Der Induktionsanfang 0 ∈ T ist trivialerweise erfu¨llt. (cid:136) Sei fu¨r den Induktionsschritt nun t ∈ T. Zu zeigen ist, dass dann auch t∗ ∈ T. Dies folgt sofort aus der Definition von T. Dies bedeutet aber die Surjektivit¨at der Nachfolgerabbildung N : N → 0 N, n (cid:55)→ n∗. Mit (P4) haben wir zudem die Injektivit¨at gegeben. Damit ist N also insbesondere bijektiv. 1.1.3. Die Addition zweier Zahlen n,m ∈ N verankern wir mit n+ 0 0 := n und definieren sie induktiv nach m. Sei also n+m definiert. Wir setzen im Induktionsschritt n+m∗ := (n+m)∗ Damit haben wir n+m fu¨r ein festes n definiert und durch Induktion nach n erhalten wir die Addition. Proposition 1.1.4. Die Addition ist kommutativ und assoziativ. Beweis: Wir zeigen die Kommutativit¨at mit vollst¨andiger Induktion. Hierbei gehen wir in drei Schritten vor: i) Zu zeigen ist: (m+n)∗ = m∗+n Beweis durch vollst¨andige Induktion nach n bei festem m ∈ N 0 1.1. NATU¨RLICHE UND GANZE ZAHLEN 7 I.A.) Als Induktionsanfang ist (m + 0)∗ = m∗ = m∗ + 0 erfu¨llt nach Definition der Addition. I.S.) Fu¨r den Induktionsschritt gelte nun die Induktionsannahme (m + n)∗ = m∗ + n fu¨r ein n ∈ N . Zu zeigen ist, dass 0 (m+n∗)∗ = m∗+n∗. Wir erhalten: (m+n∗)∗ = ((m+n)∗)∗ = (m∗+n)∗ = m∗+n∗ Die erste und dritte Gleichheit gelten hier nach Definition der Addition; die zweite folgt aus der Induktionsannahme. ii) Wir zeigen m+0 = 0+m wiederum mit vollst¨andiger Induktion, diesmal nach m. I.A.) Fu¨rm = 0istdieAussagetrivialerweiseinjedemFallerfu¨llt. I.S.) ImInduktionsschrittgeltenunm+0 = 0+mfu¨reinm ∈ N . 0 Zuzeigenistalsom∗+0 = 0+m∗.Zusammenmitdemersten Schritt erhalten wir hier: m∗+0 = (m+0)∗ = (0+m)∗ = 0+m∗ iii) Im dritten und letzten Schritt ist nun nur noch die eigentliche Behauptungnachzuweisen,alsom+n = n+m.Auchhierarbeiten wir wieder mit der vollst¨andigen Induktion. I.A.) Nach dem zweiten Schritt wissen wir, dass m+0 = 0+m erfu¨llt ist. I.S.) Gelte also nun m+n = n+m fu¨r ein n ∈ N . Wir zeigen, 0 dass m+n∗ = n∗+m und sind damit fertig: m+n∗ = (m+n)∗ = (n+m)∗ = n∗+m Die Kommutativit¨at w¨are damit also gezeigt. Die Assoziativit¨at bleibt zur U¨bung. Definition 1.1.5. Eine Relation ≥“ heißt Ordnung auf einer Menge ” M, wenn sie folgende Bedingungen erfu¨llt: 8 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN DER ZAHLENTHEORIE i) Reflexivit¨at, d.h. ∀n ∈ M : n ≥ n ii) Antisymmetrie, d.h. ∀m,n ∈ M : m ≥ n∧n ≥ m ⇒ m = n iii) Transitivit¨at, d.h. ∀n,m,p ∈ M : m ≥ n∧n ≥ p ⇒ m ≥ p Eine Ordnung heißt total, wenn ∀n,m ∈ M : m ≥ n∨n ≥ m. Beispiel 1.1.6. =“ stelltaufjedermindestenszweielementigenMenge ” keine Totalordnung dar. Beispiel 1.1.7. DieTeilmengenrelation ⊆“ stelltaufderPotenzmenge ” P(X) einer beliebigen Menge X eine Ordnung dar, sofern |X| ≥ 2. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine Totalordnung, denn fu¨r x ,x ∈ X mit x (cid:54)= x gilt {x },{x } ∈ X, aber {x } (cid:54)⊆ {x } und 1 2 1 2 1 2 1 2 {x } (cid:54)⊇ {x }. 1 2 Definition 1.1.8. Wir wollen nun noch explizit eine Ordnung auf N 0 definieren. Fu¨r m,n ∈ N sagen wir m ist gr¨oßer gleich n“ (m ≥ n) 0 ” genau dann, wenn es ein k ∈ N gibt mit m = k+n. 0 Proposition 1.1.9. ≥“ ist eine Totalordnung auf N . ” 0 Beweis: Der Beweis sei hier zur U¨bung gegeben. 1.1.10. Fu¨r N definieren wir die Multiplikation wiederum induktiv 0 nach n mit festem m. Fu¨r den Induktionsanfang w¨ahlen wir analog zur Addition m·0 := 0. Falls m · n schon fu¨r ein n ∈ N definiert ist, so setzen wir weiter 0 m·n∗ := m·n+m Ab jetzt wollen wir wie gewohnt ”n+1” statt ”n∗” schreiben. DieMultiplikationistkommutativundassoziativaufN .Hinzukommt, 0 dass sie mit der Addition die Distributivgesetze erfu¨llt. Sowohl dieses als auch die Vertr¨aglichkeit der Addition und Multiplika- tion mit ”≥” kann man einzig mit den Peanoaxiomen herleiten.1 Satz 1.1.11 (Satz vom kleinsten Element). Ist T ⊆ N , T (cid:54)= ∅, so hat 0 T ein kleinstes Element. 1Vergleiche hierzu S.Landau, Grundlagen der Analysis“ ” 1.1. NATU¨RLICHE UND GANZE ZAHLEN 9 Beweis: Auch dieser Beweis gliedert sich in mehrere Schritte. Zun¨achst zeigen wir die Behauptung fu¨r endliche Teilmengen von N . Im zweiten 0 Schritt weiten wir die Aussage dann aus. i) Zun¨achstzeigenwiralsomittelsvollst¨andigerInduktionnachn := |T|, dass jede endliche Teilmenge von T ein minimales Element hat. Fu¨r n = 1 ist T = {t} und t somit kleinstes Element. Gelte fu¨r den Induktionsschritt die Aussage nun fu¨r ein n ∈ N . 0 Zu zeigen ist, dass eine Teilmenge T mit |T| = n + 1 auch ein kleinstes Element hat. Wir w¨ahlen ein festes t ∈ T und definieren T(cid:48) := T\{t }. Da- 1 1 mit ist |T(cid:48)| = n und T(cid:48) besitzt nach Induktionsvoraussetzung ein kleinstes Element t(cid:48) . Da ≥“ nach Proposition 1.1.9 eine Total- min ” ordnung auf N darstellt, gilt fu¨r dieses nun entweder t(cid:48) < t , 0 min 1 womit t auch das kleinste Element von T ist, oder aber es gilt min t > t , was dazu fu¨hrt, dass t das kleinste Element von T ist. min 1 1 In jedem Fall besitzt T ein kleinstes Element, womit der erste Schritt gezeigt w¨are. ii) Zu zeigen ist nun, dass auch unendliche Teilmengen T von N ein 0 kleinstes Element besitzen. Wir w¨ahlen hierzu t ∈ T und T := {t ∈ T|t ≤ t }. Beachte, dass 0 0 0 hier insbesondere T endlich ist2 und aus t ∈ T folgt T (cid:54)= ∅. 0 0 0 0 Nach dem ersten Schritt besitzt T nun ein kleinstes Element t 0 min unddiesesistdamitauchkleinstesElementvonT,dennistt ∈ T, so gilt entweder t ≤ t oder t > t wegen der Totalordnung auf 0 0 N . 0 Im ersten Fall folgt: t ∈ T ⇒ t ≤ t 0 min Fu¨r den zweiten Fall erhalten wir: t ≤ t < t ⇒ t < t min 0 min 2Nach Definition von endlich 10 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN DER ZAHLENTHEORIE In jedem Fall ist also t ≤ t und somit minimal in T. Und eben min dies war zu zeigen. 1.1.12. ImFolgendenwirdeineverbesserteVersiondervollst¨andi- gen Induktion eingefu¨hrt. Sie unterscheidet sich nicht wesentlich von der bisher bekannten, vereinfacht allerdings den einen oder anderen Be- weis ungemein. Sei in diesem Sinne eine Aussage A(n) fu¨r jedes n ∈ N 0 gegeben, so gilt, dass aus i) A(0) ist wahr (Induktionsanfang) ii) Wenn A(m) wahr ist fu¨r alle m < n, so gilt auch A(n) (Indukti- onsschritt) die Gu¨ltigkeit von A(n) fu¨r alle n ∈ N folgt. 0 Beweis: Wir fu¨hren den Beweis durch Widerspruch. Sei hierzu T := {n ∈ N |A(n) falsch}. Zu zeigen ist, dass T = ∅. 0 Angenommen, T (cid:54)= ∅. Nach Satz 1.1.11 hat T ein kleinstes Element in n ∈ N . Somit ist nach Definition von T die Aussage wahr fu¨r alle 0 0 m < n . 0 Nach dem Induktionschritt ist aber A(n ) wahr. Dies ist ein Wider- 0 spruch zu n ∈ T. Es folgt die Behauptung. 0 Definition 1.1.13. Wir definieren die ganzen Zahlen Z durch Z := N ∪−N = {0,±1,±2,±3,...} 0 Wir setzen wie u¨blich die Addition ”+” und die Multiplikation ”·” auf Z fort. Damit gelten insbesondere die Assoziativit¨at und die Kommu- tativit¨at fu¨r ”+” und ”·”, sowie die Distributivit¨atsgesetze.