DIE GRUNDLEHREN DER MATHEMATISCHEN WISSENSCHAFTEN IN EINZELDARSTELLUNGEN MIT BESONDERER BERUCKSICHTIGUNG DERANWENDUNGSGEBIETE HERAUSGEGEBEN VON J.1. DOOB· R. GRAMMEL· E. HEINZ· F. HIRZEBRUCH E. HOPF . H. HOPF . W. MAAK . W. MAGNUS F. K. SCHMIDT· K. STEIN GESCHAFTSFUHRENDE HERAUSGEBER B. ECKMANN UND B. 1. VAN DER WAERDEN ZURICH BAND 33 Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH ALGEBRA VON DR.B.L.VAN DER WAERDEN PROFESSOR DER MAlHEMATIK AN DER UNIVERSITÄT ZURICH UNTER BENUTZUNG VON VORLESUNGEN VON E. ARTIN UND E. NOETHER SECHSTE AUFLAGE DER MODERNEN ALGEBRA ERSTER TEIL Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH Geschäftsführende Herausgeber: Prof. Dr. B. ECKMANN, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich Prof. Dr. B. L. VAN DER WAERDEN, Mathematisches Institut der Universität Zürich ISBN 978-3-662-01381-6 ISBN 978-3-662-01380-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-01380-9 Alle Rechte, insbesondere da .. der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) oder auf andere Art zu vervielfältigen Copyright 1936, 1950, 1955 and 1960 by Springer-Verlag OHG, Berlin -Göttingen -Heidelberg © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg t 964 Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag ORG, Berlin . Göttingen . Reidelberg 1964 . Softcover reprint of the hardcover 6th edition 1964 Iibrary of Congress CataIog Card Number 64-21412 Titel-Nr. 5016 Aus dem Vorwort zur dritten Auflage. Schon in der zweiten Auflage wurde die Bewertungstheorie stark ausgebaut. Sie hat inzwischen in der Zahlentheorie und in der alge braischen Geometrie ihre Wichtigkeit immer mehr erwiesen. Daher habe ich das Kapitel Bewertungstheorie sehr viel ausführlicher und deutlicher gemacht. Vielfachem Wunsche entsprechend, habe ich die Abschnitte über Wohlordnung und transfinite Induktion, die in der zweiten Auflage weggefallen waren, wieder aufgenommen und darauf fußend die STEI NITzsche Körpertheorie wieder in voller Allgemeinheit gebracht. Einern Rat von ZARISKI folgend, wurde die Einführung des Poly nombegriffs leicht faßlich gemacht. Auch die Theorie der Normen und Spuren war verbesserungs bedürftig ; darauf hat mich Herr PEREMANS freundliehst aufmerksam gemacht. Laren (Nordholland), Juli 1950. B. L. VAN DER W AERDEN. Vorwort zur vierten Auflage. Der kürzlich ganz unerwartet verstorbene Algebraiker und Zahlen theoretiker BRANDT beschließt seine Besprechung der dritten Auflage dieses Werkes im Jahresbericht der D. M.V. 55 folgendermaßen: "Was den Titel anbetrifft, so würde ich es begrüßen, wenn in der vierten Auf lage der schlichtere, aber kräftigere Titel "Algebra" gewählt würde. Ein Buch, das so viel an bester Mathematik bietet, wie sie war, ist und sein wird, sollte nicht durch den Titel den Verdacht erwecken, als ob es nur einer Modeströmung folgte, die gestern noch unbekannt war und vielleicht morgen vergessen sein wird." Diesem Rat entsprechend, habe ich den Titel in "Algebra" umge ändert. Einem Hinweis von M. DEURING verdanke ich eine zweckmäßigere Definition des Begriffes "hyperkomplexes System" sowie eine Ergän zung der GALOIs-Theorie der Kreisteilungskörper, die mit Rücksicht auf ihre Anwendung in der Theorie der zyklischen Körper geboten erschien. Auf Grund von Zuschriften aus verschiedenen Ländern wurden mehrere kleine Berichtigungen vorgenommen. Allen Briefschreibern sei an dieser Stelle gedankt. Zürich, im März 1955. B. L. VA N DER W AERDEN. Inhaltsverzeichnis. SeIte Einleitung .... Erstes Kapitel. Zahlen und Mengen. § 1. Mengen ..... . 3 § 2. Abbildungen. Mächtigkeiten . . . 5 § 3. Die Zahlreihe . . . . . . . . . . 6 § 4. Endliche und abzählbare Mengen. 9 § 5. Klasseneinteilungen . . . 12 § 6. Geordnete Mengen . . . 13 § 7. Das Auswahlpostulat und der Wohlordnungssatz . 14 § 8. Die transfinite Induktion . . . . . . . . 17 Zweites Kapitel. Gruppen. § 9. Der Gruppenbegriff . . . . . 19 § 10. Untergruppen . . . . . . . 27 § 11. Das Rechnen mit Komplexen. Nebenklassen 30 § 12. Isomorphismen und Automorphismen .... 33 § 13. Homomorphie. Normalteiler. Faktorgruppen 37 Drittes Kapitel. Ringe und Körper. § 14. Ringe ....... . 41 § 15. Homomorphie und Isomorphie . . . . . . 47 § 16. Quotientenbildung . . . . . . . . . . . 49 § 17. Vektorräume und hyperkomplexe Systeme 52 § 18. Polynomringe . . . . . . 56 § 19. Ideale. Restklassenringe ..... . 59 § 20. Teilbarkeit. Primideale . . . . . . . 63 § 21. Euklidische Ringe und Hauptidealringe 65 § 22. Faktorzerlegung . . . . . . . 69 Viertes Kapitel. Ganze rationale Funktionen. § 23. Differentiation . . 73 § 24. Nullstellen . . . . 75 § 25. Interpolationsformeln 76 § 26. Faktorzerlegung 81 § 27. Irreduzibilitätskriterien 85 § 28. Die Durchführung der Faktorzerlegung in endlichvielen Schnitten. 88 § 29. Symmetrische Funktionen . . . . . . 90 Inhaltsverzeichnis. VII Seite § 30. Die Resultante zweier Polynome . . . . . . . . . . . 93 § 31. Die Resultante als symmetrische Funktion der Wurzeln 97 § 32. Partiälbruchzerlegung der rationalen Funktionen. 99 Fünftes Kapitel. Körpertheorie. § 33. Unterkörper. Primkörper . . 101 § 34. Adjunktion ............. 104 § 35. Einfache Körpererweiterungen . . . . . 105 § 36. Lineare Abhängigkeit von Größen über einem Schiefkörper . 110 § 37. Lineare Gleichungen über einem Schiefkörper 116 § 38. Algebraische Körpererweiterungen . . . . . . 118 § 39. Einheitswurzeln .............. 123 § 40. GALOIs-Felder (endliche kommutative Körper) . 128 § 41. Separable und inseparable Erweiterungen . . . 132 § 42. Vollkommene und unvollkommene Körper 1 37 § 43. Einfachheit von algebraischen Erweiterungen. Der Satz vom primitiven Element. . 138 § 44. Normen und Spuren 140 Sechstes Kapitel. Fortsetzung der Gruppentheorie. § 45. Gruppen mit Operatoren. . . . . . . . . . . 146 § 46. Operatorisomorphismus und -homomorphismus 149 § 47. Die heiden Isomorphiesätze . . . . . 150 § 48. Normalreihen und Kompositionsreihen 151 § 49. Direkte Produkte. . . . . . . . 1 55 § 50. Die Einfachheit der alternierenden Gruppe 158 § 51. Transivität und Primitivität. . . 160 Siebentes Kapitel. Die Theorie von GALOIS. § 52. Die GALoIssche Gruppe. . . . . . . . . . . 163 § 53. Der Hauptsatz der GALoIsschen Theorie . . . 166 § 54. Konjugierte Gruppen, Körper und Körperelemente . 169 § 55. Kreisteilungskörper . . . . . . . . . . . . . 170 § 56. Zyklische Körper und reine Gleichungen . . . 177 § 57. Die Auflösung von Gleichungen durch Radikale 180 § 58. Die allgemeine Gleichung n-ten Grades . 184 § 59. Gleichungen zweiten, dritten und vierten Grades 186 § 60. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal . 192 § 61. Die Berechnung der GALoIsschen Gruppe. Gleichungen mit symmetri- scher Gruppe . . . . . . .. . ........... 197 Achtes Kapitel. Unendliche Körpererweiterungen. § 62. Die algebraisch-abgeschlossenen Körper . . . . 200 § 63. Einfache transzendente Erweiterungen 206 § 64. Algebraische Abhängigkeit und Unabhängigkeit 209 § 65. Der Transzendenzgrad ..... . 213 § 66. Differentiation der algebraischen Funktionen. . 214 VIII Inhaltsverzeichnis. Neuntes Kapitel. Reelle Körper. Seite § 67. Angeordnete Körper 220 § 68. Definition der reellen Zahlen. . . 223 § 69. Nullstellen reeller Funktionen 230 § 70. Der Körper der komplexen Zahlen 235 § 71. Algebraische Theorie der reellen Körper 238 § 72. Existenzsätze für formal-reelle Körper 242 § 73. Summen von Quadraten ....... . 247 Zehntes Kapitel. Bewertete Körper. § 74. Bewertungen . . . . . 248 § 75. Perfekte Erweiterungen 254 § 76. Die Bewertungen des Körpers der rationalen Zahlen 260 § 77. Bewertung von algebraischen Erweiterungskörpern: Perfekter Fall. 262 § 78. Bewertung von algebraischen Erweiterungskörpern: Allgemeiner Fall 269 § 79. Bewertungen von algebraischen Zahlkörpern 271 § 80. Bewertungen des rationalen Funktionenkörpers LI (x) 276 § 81. Bewertung von algebraischen Funktionenkörpern 279 § 82. Die abstrakte RIEMANNsche Fläche. 283 Sachverzeichnis ...... . 286 Leitfaden. übersicht über die Kapitel der beiden Bände und ihre logische Abhängigkeit. Einleitung. Ziel des Buches. Die "abstrakte", "formale" oder "axiomatische" Richtung, der die Algebra ihren erneuten Aufschwung verdankt, hat vor allem in der Gruppentheorie, der Kärpertheorie, der Bewertungs theorie, der Idealtheorie und der Theorie der hyperkomplexen Zahlen zu einer Reihe von neuartigen Begriffsbildungen, zur Einsicht in neue Zusammenhänge und zu weitreichenden Resultaten geführt. In diese ganze Begriffswelt den Leser einzuführen, soll das Hauptziel dieses Buches sein. Stehen demnach allgemeine Begriffe und Methoden im Vordergrund, so sollen doch auch die Einzelresultate, die zum klassischen Bestand der Algebra gerechnet werden müssen, eine gehörige Berücksichtigung im Rahmen des modernen Aufbaus finden. Ein teil ung. An weisungen für die Leser. Um die allgemeinen Gesichtspunkte, welche die "abstrakte" Auffassung der Algebra be herrschen, genügend klar zu entwickeln, war es notwendig, die Grund lagen der Gruppentheorie und der elementaren Algebra von Anfang an neu darzustellen. Angesichts der vielen in neuerer Zeit erschienenen guten Darstellungen der Gruppentheorie, der klassischen Algebra und der Körpertheorie ergab sich die Möglichkeit, diese einleitenden Teile knapp (aber lückenlos) zu fassen. Eine breitere Darstellung kann der Anfänger jetzt überall finden!. Als weiteres Leitprinzip diente die Forderung, daß möglichst jeder einzelne Teil für sich allein verständlich sein soll. Wer die allgemeine Idealtheorie oder die Theorie der hyperkomplexen Zahlen kennenlernen will, braucht nicht die GALOIssche Theorie vorher zu studieren, und umgekehrt; und wer etwas über Elimination oder lineare Algebra nach schlagen will, darf nicht durch komplizierte idealtheoretische Begriffs bildungen abgeschreckt werden. 1 Für die Gruppentheorie sei verwiesen auf: SPEISER, A.: Die Theorie der Gruppen von endlicher Ordnung, 2. Auf!. Berlin: Springer 1927. Für die Körpertheorie auf: HASSE, H. : Höhere Algebra I, II und Aufgabensammlung zur Höheren Algebra. Sammlung Göschen 1926/27. HAUPT, 0.: Einführung in die Algebra I, 1I. Leipzig 1929. Für die klassische Algebra auf: PERRON, 0.: Algebra I, II. 1927. Für die lineare Algebra auf: DICKSON, L. E.: Modern algebraic Theories, Chicago 1926 (auch deutsch von E. BODEWIG, Leipzig 1929). v. d. Waerden, Algebra I, 6. Auf!. 2 Einleitung. Die Einteilung ist darum so gewählt, daß die ersten drei Kapitel auf kleinstem Raum das enthalten, was für alle weiteren Kapitel als Vorbereitung nötig ist: die ersten Grundbegriffe über: 1. Mengen; 2. Gruppen; 3. Ringe, Ideale und Körper. Die weiteren Kapitel des I. Bandes sind hauptsächlich der Theorie der kommutativen Körper gewidmet und beruhen in erster Linie auf der grundlegenden Arbeit von STEINlTZ in CRELLES Journal Bd. 137 (1910). Im 11. Band soll in möglichst voneinander unabhängigen Abschnitten die Theorie der Moduln, Ringe und Ideale mit Anwendungen auf algebraische Funk tionen, Elementarteiler, hyperkomplexe Zahlen und Darstellungen von Gruppen zur Behandlung kommen. Weggelassen mußten werden die Theorie der Abelschen Integrale und die der kontinuierlichen Gruppen, weil beide für eine sach gemäße Behandlung transzendente Begriffe und Methoden benötigen würden; weiter auf Grund ihres Umfanges die Invariantentheorie. Als bekannt vorausgesetzt sind die Determinanten, die übrigens nur ganz selten benutzt werden. Zur weiteren Orientierung sei auf das Inhaltsverzeichnis und vor allem auf den vorstehenden schematischen "Leitfaden" verwiesen, aus dem genau zu ersehen ist, wieviel von den vorangehenden Kapiteln zu jedem einzelnen Kapitel benötigt wird. Die eingestreuten Aufgaben sind meist so gewählt, daß man an ihnen erproben kann, ob man den Text verstanden hat. Sie enthalten auch Beispiele und Ergänzungen, auf die an späteren Stellen gelegentlich Bezug genommen wird. Kunstgriffe sind zu ihrer Lösung meist nicht erforderlich und sonst in eckigen Klammern angedeutet. Quellen. Das vorliegende Buch hat sich teilweise aus Vorlesungs ausarbeitungen entwickelt, und zwar wurden benutzt: eine Vorlesung von E. ARTIN über Algebra (Hamburg, Sommer semester 1926); ein Seminar über Idealtheorie, abgehalten von E. ARTIN, W. BLASCH KE, O. SCHREIER und dem Verfasser (Hamburg, Wintersemester 1926/27); zwei Vorlesungen von E. NOETHER, beide über Gruppentheorie und hyperkomplexe Zahlen (Göttingen, Wintersemester 1924/25, Winter semester 1927/28)1. Wo man in diesem Buch neue Beweise oder Beweisanordnungen findet, wird man sie oft auf die erwähnten Vorlesungen und Seminare zurückzuführen haben, auch dann, wenn nicht ausdrücklich die Quelle erwähnt ist. 1 Eine Ausarbeitung der zuletzt genannten Vorlesung von E. NOETHER ist erschienen in der Math. Zeitschrift Bd. 30 (1929) S.641-692. Erstes Kapitel. Zahlen und Mengen. Da gewisse logische und allgemein-mathematische Begriffe, mit denen der angehende Mathematiker vielfach noch nicht vertraut ist, in diesem Buch Verwendung finden, soll ein kurzer Abschnitt über diese Begriffe vorangehen. Auf Grundlagenschwierigkeiten1 soll dabei nicht eingegangen werden: wir stellen uns durchwegs auf den "naiven Standpunkt", allerdings unter Vermeidung von paradoxienerzeugenden Zirkeldefinitionen. Der Fortgeschrittene braucht sich von diesem Kapitel bloß die Bedeutung der Zeichen E, (, ), {\, V und { .. } zu merken und kann alles übrige übergehen. § I. Mengen. Wir denken uns, als Ausgangspunkt aller mathematischen Betrach tung, gewisse vorstellbare Objekte, etwa Zahlzeichen, Buchstaben oder Kombinationen von solchen. Eine Eigenschaft, die jedes einzelne dieser Objekte hat oder nicht hat, definiert eine Menge oder Klasse; Elemente der Menge sind diejenigen Objekte, denen diese Eigenschaft zukommt. Das Zeichen. m aE bedeutet: a ist Element von m. Man sagt auch geometrisch-bildlich: a liegt in m. Eine Menge heißt leer, wenn sie keine Elemente enthält. Wir nehmen an, daß es erlaubt ist, Folgen und Mengen von Zahlen (oder von Buchstaben usw.) selbst wieder als Objekte und Elemente von Mengen (Mengen zweiter Stufe, wie man bisweilen sagt) aufzu fassen. Diese Mengen zweiter Stufe können wieder Elemente von Mengen höherer Stufe sein, usw. Wir hüten uns jedoch vor Begriffsbildungen wie "die Menge aller Mengen" 11. dgl., weil diese zu Widersprüchen Anlaß geben; vielmehr bilden wir neue Mengen nur aus einer jeweils vorher abgegrenzten Kategorie von Objekten (zu denen die neuen Mengen noch nicht gehören). Sind alle Elemente einer Menge lJl zugleich Elemente von m, so heißt lJl eine Untermenge oder Teilmenge von m, und man schreibt: 1 Für diese vergleiche man A. FRAENKEL, Einführung in die Mengenlehre, 3. Auf!. (Berlin 1928), sowie HILBERT-BERNAYS, Grundlagen der Mathematik. Berlin I (1934), II (1939) und die dort zitierte Literatur. 1*