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Alexandra Bruchmann_Textband_Zwischen Emulation und Dekonstruktion PDF

421 Pages·2012·2.67 MB·German
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1│EINLEITUNG 1 ZWISCHEN EMULATION UND DEKONSTRUKTION Rezeption der diskursiven Künstlerfigur Rembrandt in der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ALEXANDRA BRUCHMANN TEXTBAND 1│EINLEITUNG 2 Diese Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Ich danke allen ganz herzlich, die ihre Entstehung begleitet und unterstützt haben. Tag der Disputation: 13. Juli 2011 Gutachter: Prof. Dr. Stefan Grohé Prof. Dr. Ursula Frohne © 2012 Alexandra Bruchmann © für die abgebildeten Werke siehe Abbildungsverzeichnis Abbildung Titelseite Textband / Abbildungsband: Ken Aptekar, Circle of Rembrandt, 1992, © Ken Aptekar / Foto: Ken Aptekar Diese Arbeit enthält Quellenangaben bzw. Verweise in Form von URLs zu Websites Dritter. Für deren Inhalte sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich und ich übernehme keinerlei wie auch immer geartete Haftung dafür. Die URLs wurden zuletzt von mir zu dem jeweils dazu genannten Datum auf Richtigkeit und Gültigkeit überprüft. Ich erkläre hiermit, keinerlei Einfluss auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung, die Inhalte oder die Urheberschaft dieser Websites zu haben, distanziere mich von sämtlichen Inhalten, die nach dem jeweils genannten Datum verändert wurden und mache mir diese Inhalte in keinem Fall zu eigen. 1│EINLEITUNG 3 INHALTSVERZEICHNIS 1 EINLEITUNG 5 2 METHODE UND POSITIONIERUNG 19 2.1 „Wer erhellt wen?“ – Zur intertextuellen Methode 19 2.2 Emulation und Dekonstruktion des Künstlermythos als Funktionen 26 künstlerischer Aneignungen 2.3 Forschungsstand 40 3 DAS REMBRANDTBILD IM WANDEL DER ZEIT 51 3.1 Konstituierung des diskursiven Rembrandts bis zur Mitte 54 des 20. Jahrhunderts 3.2 Der diskursive Rembrandt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 65 3.3 Rembrandt-Rezeption in der bildenden Kunst bis zur Mitte des 79 20. Jahrhunderts 4 PROZESSUALE FAKTUR UND HELLDUNKEL 96 4.1 Winfred Gaul – Abschied von Rembrandt 106 4.2 Francis Bacon – Spannung zwischen abstrakten Zeichen und figurativer 114 Darstellung 4.3 Pablo Picasso – „Ich fing also an zu kritzeln und es wurde Rembrandt“ 124 4.4 Horst Janssen – In „Seiner“ Manier 132 4.5 Ken Aptekar – Meister der Illusion 139 4.6 Zusammenfassung 145 5 MEMENTO MORI 149 5.1 Hermann Nitsch – Opfertod 158 5.2 Francis Bacon – Fleisch und Kreuzigung 170 5.3 Marc Mulders – Kadaver und Leichen als Christussymbole 180 5.4 Patrick Raynaud – Anatomien 191 5.5 Zusammenfassung 198 1│EINLEITUNG 4 6 INSZENIERTE IDENTITÄT 202 6.1 Francis Bacon – Selbststudien 210 6.2 Horst Janssen – Selbsterforschung oder Selbstinszenierung? 220 6.3 Arnulf Rainer – Rembrandt überzeichnet 230 6.4 Yasumasa Morimura – Selbstreflexionen als Rembrandt 241 6.5 Ken Aptekar – Identität zwischen innerem Erleben und äußerer 254 Inszenierung 6.6 Zusammenfassung 259 7 KÜNSTLERMYTHEN 263 7.1 Pablo Picasso – Schöpferische und sexuelle Potenz des Künstlers 271 7.2 Ken Aptekar I – Verhältnisse mit den Hausangestellten 280 7.3 Ken Aptekar II – Der „jüdische“ Rembrandt 287 7.4 Zusammenfassung 296 8 AUTORSCHAFT, AUTHENTIZITÄT UND WERT 300 8.1 Larry Rivers – Rembrandt als Markenlogo 309 8.2 Sigmar Polke – Original oder Fälschung? 319 8.3 Carl Fredrik Reuterswärd – Signaturen 327 8.4 Ken Aptekar – Rembrandt oder nicht? 334 8.5 Sophie Calle – Die Aura gestohlener Meisterwerke 346 8.6 Zusammenfassung 356 9 SCHLUSSBETRACHTUNG 359 BIOGRAFIEN 371 LITERATURVERZEICHNIS 377 ABBILDUNGSBAND (SEPARATES PDF-DOKUMENT) Abbildungen Abbildungsverzeichnis 1│EINLEITUNG 5 1│EINLEITUNG „Dear Rembrandt, you don’t know me. How could you? You’ve been dead for over 300 years. Still, I couldn’t resist writing“, schreibt der amerikanische Maler Ken Aptekar am 15. März 1995 in einem Brief an Rembrandt, der in der Herbstausgabe des Art Journal im gleichen Jahr erschien.1 Ganz selbstverständlich spricht er seinen holländischen Künstlerkollegen dabei in der zweiten Person an, als handle es sich bei ihm um ein real existierendes Gegenüber. „I thought you’d be interested to hear from a 20th-century painter who’s been thinking about you”, führt Aptekar seinen Brief fort. „Plus, I’ve got some questions that only you can answer.” Diese Fragen beziehen sich auf Rembrandts Beziehungen zu Frauen, auf sein Verhältnis zum Judentum sowie auf seinen Status als eine der berühmtesten Künstlerfiguren überhaupt. Es sind Fragen, die Aptekar als Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts persönlich beschäftigen und mit denen er sich auch in seinen Arbeiten künstlerisch auseinandersetzt. Was er somit anstrebt, ist einen Dialog mit Rembrandt zu führen, bei welchem dieser ihm Rede und Antwort steht – obwohl er sich der Tatsache bewusst ist, dass sein vermeintliches Gegenüber bereits seit langer Zeit verstorben ist. Auch meint er, dass sich der Holländer womöglich dafür interessieren könnte, dass ein Maler des 20. Jahrhunderts, den er aufgrund der historischen Distanz unmöglich kennen kann, über ihn nachdenkt. Die Aussagen Aptekars stehen somit scheinbar im Widerspruch zueinander. Bei dem historischen Rembrandt, welcher von 1606-1669 in den Niederlanden gelebt hat und jenem Rembrandt, den Aptekar in seinem Brief adressiert, kann es sich nicht um ein und dieselbe Person handeln. Antworten auf seine Fragen kann Aptekar nicht von einem Rembrandt der Vergangenheit erwarten, wohl aber von einem Rembrandt der Gegenwart. Doch wer ist dieser Rembrandt der Gegenwart, für den sich Aptekar ganz offensichtlich interessiert? Martin Hellmold unterscheidet in seiner Publikation Rembrandts Einsamkeit. Diskursanalytische Studien zur Konzeption des Künstlersubjekts in der Moderne2 zwischen dem historischen Rembrandt und dem, was er als diskursive 1 Aptekar 1995, S. 12. 2 Hellmold 2001. 1│EINLEITUNG 6 Künstlerfigur bezeichnet. Diese sei nicht in der Vergangenheit anzusiedeln, sondern ein Produkt der Rezeption der gegenwärtigen Zeit, was jedoch nicht gleichbedeutend mit der Unterscheidung zwischen einem wahren und einem verfälschten Rembrandtbild sei: „Unabhängig von der Faktizität jenes historischen Rembrandts, der einmal gelebt und gemalt hat, sind alle Aussagen, die im Bezug auf diese Person getroffen werden, lediglich Beiträge zu dieser diskursiven Künstlerfigur. Das Verhältnis zwischen historischer und diskursiver Figur ist demnach nicht das zwischen wahr und falsch, sondern ein anderes: Das Bewusstsein (oder die Vorstellung) von der Existenz der historisch-empirischen Figur fungiert als Legitimation der diskursiven Künstlerfigur und aller Aussagen, die über diese vermittelt werden.“3 Auf ähnliche Weise versteht auch Mieke Bal in Reading „Rembrandt“4 den diskursiven Rembrandt der Gegenwart. Um dessen Fiktionalität zu betonen, setzt sie seinen Namen durchweg in Anführungszeichen: „… ‚Rembrandt’ is a cultural text, rather than a historical reality. […] In this study, the name of an author is meant as a shorthand for his complex of reading of certain works as works by a particular artist. In order to keep in mind this definition of the author, I shall put the name ‚Rembrandt’ in quotation marks, as the title of a text, whenever I am using the name in my own argument.”5 Die Beschäftigung mit der Figur des Künstlers und den damit in Zusammenhang stehenden Diskursen rückte insbesondere seit der Jahrtausendwende erneut in den Fokus der kunsthistorischen Forschungen. So postulierte zuletzt ein internationales Symposium der Wiener Universität für angewandte Kunst die Wiederkehr des Künstlers,6 welche sich nicht nur in der bildenden Kunst selbst, sondern vor allem auch im wissenschaftlichen Diskurs äußere. Damit ist jedoch nicht ein Rückfall in die überkommene Künstlerbiografik gemeint, welche auf der Verknüpfung von Leben und Werk eines Künstlers basiert, sondern es geht stattdessen darum, die Künstlerfigur als ein Konstrukt darzustellen und als solches zu analysieren. Besteht zwar auch dieses Konstrukt unter anderem aus den vermeintlichen biografischen Fakten sowie den Werken eines Künstlers, schließt es darüber hinaus auch 3 Hellmold 2001, S. 5. 4 Bal 1991. 5 Bal 1991, S. 8. 6 Fastert/Joachimides/Krieger (Hg.) 2011. 1│EINLEITUNG 7 sämtliche weitere Diskurse, in denen die jeweilige Figur eine Rolle spielt, mit ein.7 Das Konzept der diskursiven Künstlerfigur knüpft letztlich vor allem an zwei bedeutende Essays von Roland Barthes und Michel Foucault an, welche Ende der 1960er Jahre erschienen sind und die Auseinandersetzung mit dem Künstlersubjekt auf neue theoretische Füße stellten. Beziehen sich diese Essays zwar auf den literarischen Autor, sind sie letztlich fast bruchlos auf den bildenden Künstler übertragbar. Sie entstanden zu einer Zeit, als in den Literaturwissenschaften ein allgemeines Umdenken einsetzte, innerhalb dessen der Autor als sinnstiftende Instanz eines Werkes verabschiedet wurde und auch dem Text selbst nur eine sekundäre Rolle bei der Bedeutungskonstituierung zukam. Stattdessen fungierte nun der Leser als wesentlicher Bezugspunkt der Interpretation von Literatur.8 Beide Essays kritisieren die bis dahin gängige Lesart von Literatur, die ein Werk primär biografisch deutet. So meint Roland Barthes drastische Formulierung vom „Tod des Autors“,9 welchen er 1968 verkündete, dass die Leser wichtiger als der Autor wären. Ein Text ist seiner Meinung nach ein „Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“, welche miteinander in Dialog träten, sich parodierten und einander in Frage stellten. Der Ort, an dem diese vielfältigen Schriften zusammenträfen, wäre – entgegen der modernistischen Autonomievorstellung – „nicht der Autor (wie man bislang gesagt hat), sondern der Leser.“10 Die Bedeutung eines Werkes ist, nach Barthes, somit nicht mehr vom Autor als dessen Schöpfer endgültig festgelegt, sondern konstituiert sich erst im Rezeptionsvorgang durch den jeweiligen Leser. Michel Foucault, der im darauf folgenden Jahr 1969 die Frage „Was ist ein 7 Den unterschiedlichen Konzepten von Künstlerfiguren widmete sich im Jahr 2008 auch ein großer Ausstellungszyklus der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin mit dem Titel Kult des Künstlers. Das thematische Spektrum der Ausstellungen reichte dabei von Künstlermythen, welche im 19. Jahrhundert vorherrschend waren, über konkrete künstlerische Positionen, wie Hans von Marées oder Joseph Beuys, hin zu Dekonstruktionen des Künstlermythos in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Alle Ausstellungen sind aufgelistet in Ausst. Kat. Kult des Künstlers 2008. Vgl. weiterhin Ausst. Kat. Tempel der Kunst 2008 sowie Ausst. Kat. Dekonstruktionen 2008. 8 Neben der französischen poststrukturalistischen Kritik am Autor, welcher die beiden Essays angehören, sind in diesem Kontext die in Deutschland entstandene Rezeptionsästhetik (Robert Jauß, Wolfgang Iser) sowie die Empirische Literaturwissenschaft zu nennen, vgl. dazu vor allem Jannidis/Lauer et al. 2007, S. 20-25. Dieser einleitende Text zu der Publikation Jannidis (Hg.) 2007 fasst zudem die unterschiedlichen Fokussierungen auf den Autor, den Text und den Leser zusammen und gibt darüber hinaus einen Überblick der Literatur zum Thema Autorschaft. 9 Barthes 2007. 10 Barthes 2007, S. 190, 192. 1│EINLEITUNG 8 Autor?“11 stellte, argumentierte, dass der Autor ein fiktives Konstrukt wäre, welches im Rezeptionsvorgang erst geschaffen würde, was auf das Bedürfnis der Leser zurückginge, ein künstlerisches Werk mit einer Person zu verbinden, um Beziehungen zwischen Leben und Werk herzustellen. Jedoch wäre ein Werk letztlich ein Text, der in Beziehung zu anderen Texten stünde. Zwei umfangreiche Publikationen der 2000er Jahre formulierten Foucaults Frage um zu Was ist ein Künstler? So erschien 2003 ein Sammelband zu einer Tagung, welche zwei Jahre zuvor in Loccum stattgefunden hatte, in dem die Künstlerfigur von unterschiedlichen Perspektiven aus, wie Selbstinszenierung oder Autorschaft, beleuchtet wurde.12 Ebenso stellt Verena Krieger in einer Monografie von 2007 die Frage danach, was ein Künstler sei und wie sich dessen Konzept in den vergangenen Jahrhunderten gewandelt habe.13 Beide Publikationen belegen nicht nur die Aktualität dieses Diskurses innerhalb der kunsthistorischen Forschung, sondern auch die Relevanz des Foucault’schen Autorkonzeptes für die Frage nach der Künstlerfigur. Foucault bezeichnet Autor und Werk in seinem Aufsatz als erste, solide und grundlegende Einheit. Der Autorname habe wie ein Eigenname eine hinweisende Funktion und diene als Äquivalent für eine Beschreibung. Übertragen in den Kontext der bildenden Kunst bzw. dieser Arbeit hieße dies, „Rembrandt“ wäre gleichbedeutend mit dem „Maler der Nachtwache“.14 Doch die Verbindung eines Eigennamens mit dem benannten Individuum und die Verbindung des Autornamens mit der diskursiven Autorfigur funktionieren nach Foucault nicht in dergleichen Weise. Wenn man erführe, dass bestimmte Informationen über ein Individuum nicht den Tatsachen entsprächen, bezöge sich der Name immer noch auf die gleiche Person. Wenn man jedoch bewiese, dass die Werke eines Autors nicht von dessen Hand stammten, so zöge dies das Funktionieren des Autornamens in Mitleidenschaft. „[…] ein Autorname ist nicht einfach ein Element in einem Diskurs […]; er hat bezogen auf den Diskurs eine bestimmte Rolle: er besitzt 11 Foucault 2007. 12 Hellmold/Kampmann et al. (Hg.) 2003. Auch in diesem Band wird der Künstler als diskursive Figur definiert, was durch die Kursivstellung des Wortes in der Einleitung (S. 9-15) verdeutlicht wird: „Den Künstler kann man betrachten […] als ein intertextuell und intermedial erzeugtes Image, als einen Gegenstand von populärer und Fach-Presse oder des direkten Austauschs der Kunstrezipienten, als ein Element des kulturellen Wissens, als ein Produkt der Kulturindustrie und Bestandteil ihrer Marketingstrategien, als ein soziologisches Phänomen, als einen Auslöser psychischer Prozesse wie Identifikation und Projektion, als eine Heldenfigur, ein Idol oder ein kulturelles Stereotyp und vieles andere mehr. Hellmold/Kampmann et al. (Hg.) 2003, S. 9. 13 Krieger 2007. 14 Vgl. Foucault 2007, S. 209 sowie die Ausführungen von Hellmold 2001, S. 16-22 zu diesem Text. 1│EINLEITUNG 9 klassifikatorische Funktion; mit einem solchen Namen kann man eine gewisse Zahl von Texten gruppieren, sie abgrenzen, einige ausschließen, sie anderen gegenüberstellen. Außerdem bewirkt er eine Inbezugsetzung der Werke zueinander“, meint Foucault.15 Er definiert den Autor weiterhin als einheitliches Wertniveau, als einheitliches Feld eines begrifflichen und theoretischen Zusammenhangs, als stilistische Einheit sowie als bestimmten historischen Moment. Übertragen in den Kontext dieser Arbeit fungiert auch der Künstlername Rembrandt als klassifikatorische Funktion einer gewissen Anzahl von Werken, die miteinander in Verbindung stehen. Der Unterschied des Künstlernamens zu einem Eigennamen offenbarte sich bei Rembrandt in besonderem Maße, als sich ab den 1960er Jahren zunehmend einige der berühmtesten Kompositionen des Meisters als Werke von Schülern oder Nachahmern entpuppten. Insbesondere die zahlreichen Selbstporträts wurden dabei in Mitleidenschaft gezogen. Galten diese zuvor als Ausdruck der Innerlichkeit des autonom schaffenden, einsamen Künstlergenies, erwiesen sie sich nun als Kopien seiner Schüler, welche diese zu Übungszwecken in seinem Atelierbetrieb angefertigt hatten. Die Verbindung zwischen dem Autornamen und den Werken war damit nicht mehr gegeben, wodurch das vorherrschende Rembrandtbild zunehmend ins Wanken geriet.16 Im Sinne einer solchen diskursiven Künstlerfigur scheint auch Ken Aptekar jenen Rembrandt aufzufassen, an den er seinen Brief adressiert. Gegen Ende dieses Briefes schreibt er: „There are the facts of that life, few of which are known, and then there are the paintings, those sublime and majestic and confusing traces of the long-gone you.“17 Damit nennt er zwei wesentliche Bestandteile dessen, was den historischen Rembrandt für die Gegenwart greifbar macht: die Fakten über sein Leben und seine Werke. Immer wieder hatte die kunsthistorische Forschung versucht, diese miteinander in Einklang zu bringen. Neu bekannt gewordene biografische Fakten und zahlreiche Neuzuschreibungen von Werken, welche später durch ebenso viele Abschreibungen abgelöst wurden, stifteten dabei jedoch mehr Verwirrung als Klarheit. Doch es ist gerade dieses Rätsel, diese Ungewissheit, die Aptekar dazu anregt, weiterzudenken und Fragen zu stellen. „Now it is our pleasure and responsibility to create their meaning“, meint er in Bezug auf Rembrandts 15 Foucault 2007, S. 210, vgl. auch S. 215-16. 16 Vgl. Kap. 3.2 dieser Arbeit. 17 Aptekar 1995, S. 13. 1│EINLEITUNG 10 Werke.18 Es ist also nicht der historische Rembrandt, der als Schöpfer seiner Werke auch deren Bedeutung auf ewig festlegt, sondern es sind die Rezipienten der Gegenwart, die für die Werke neue subjektive Bedeutungen erschaffen. Diese Bedeutungskonstituierung im Rezeptionsvorgang versteht Aptekar nicht nur als persönliches Vergnügen, sondern geradezu als Pflicht – für sich selbst, aber auch für alle anderen Rezipienten der Werke Rembrandts, denn er spricht hier im Plural. Damit geht Aptekar weit über das, was von dem historischen Rembrandt überliefert ist, hinaus. Er betrachtet die Werke des Holländers im Hinblick auf Fragen, die für ihn selbst in der Gegenwart relevant sind und beendet seinen Brief mit den Worten: „I would appreciate your help, and await your reply! Yours truly, Ken Aptekar.“19 Er erhofft sich somit im Dialog mit der diskursiven Künstlerfigur Rembrandt Antworten auf die Fragen zu finden, die ihn beschäftigen. Diesen Dialog setzt Aptekar anhand seiner eigenen Werke auch künstlerisch um: In diesen zitiert er Details aus Vorbildern Rembrandts, die er zuvor mithilfe des Computers bearbeitet hat. Darüber legt er Glasplatten, in welche er Text eingravieren lässt, der wiederum auf die zitierten Werke Bezug nimmt. Im Zusammenspiel von Bild und Text setzt er sich unter anderem mit Rembrandts charakteristischem Malstil auseinander, mit dem inszenierten Charakter seiner Porträts, den Beziehungen zu seinen Lebensgefährtinnen Geertge Dircx und Hendrickje Stoffels, seiner vermeintlichen Affinität zum Judentum, der Autorschaft seiner Selbstbildnisse sowie dem Verhältnis zu seinen Auftraggebern. Auf diese Weise entstehen neue Lesarten von Rembrandts Gemälden, mit denen Aptekar ebenfalls einen Beitrag zu der diskursiven Künstlerfigur leistet und damit das bestehende Rembrandtbild fortschreibt. Ebenso wie Aptekar beschäftigen sich noch weitere Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihren eigenen Werken mit Rembrandt, darunter Winfred Gaul, Francis Bacon, Pablo Picasso, Horst Janssen, Hermann Nitsch, Marc Mulders, Patrick Raynaud, Arnulf Rainer, Yasumasa Morimura, Larry Rivers, Carl Fredrik Reuterswärd, Sigmar Polke und Sophie Calle. So unterschiedlich wie die künstlerischen Kontexte, welchen diese Künstler entstammen, sind auch die Fragen, welche sie dem diskursiven Rembrandt in ihren Bezugnahmen stellen. Dabei reichen die Auseinandersetzungen von direkten Bildzitaten bis hin zu stilistischen 18 Aptekar 1995, S. 13. 19 Aptekar 1995, S. 13.

Description:
Übertragen in den Kontext dieser Arbeit fungiert auch der Künstlername. Rembrandt als Gemäldeproduktion zwischen 1642-52, die als eines der Rätsel in Rembrandts Laufbahn gilt. Vgl. Wetering 2006, S. Malern leicht den Akt des Malens am Pinselstrich verfolgen kann, scheinen. Rembrandts
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