Herausgegeben von Elisabeth Strowick • Ulrike Vedder 6 1 0 Wirklichkeit und Wahrnehmung 2 / Neue Perspektiven auf Theodor Storm 2 G • Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2013. 236 S. VI Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Bd. 27 X Herausgegeben von der Philosophischen Fakultät II / X Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin pb. ISBN 978-3-0343-1404-6 • CHF 75.– / €D 66.90 / €A 68.80 / € 62.50 / £ 50.– / US-$ 81.95 e g eBook ISBN 978-3-0351-0644-2 ol CHF 79.– / €D 74.38 / €A 75.– / € 62.50 / £ 50.– / US-$ 81.95 F e €D inkl. MWSt. – gültig für Deutschland und Kunden in der EU ohne USt-IdNr. · u Zeitschrift für €A inkl.MWSt. – gültig für Österreich e N D as Verhältnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit ist im 19. Jahrhundert einer Reihe • von Umbrüchen unterworfen, die sich im diskursiven Wechselspiel zwischen Ästhetik, k ti GERMANISTIK Medientechniken, Wahrnehmungsphysiologie und Literatur vollziehen. Wahrnehmung s ni avanciert dabei zum Experimentierfeld vor allem der realistischen Literatur, die verschiedene Kon- a zeptionen des Wirklichen erprobt und spezifische Formen der Beobachtung von Wahrnehmung m anhand moderner literarischer Darstellungsweisen entwickelt. r e G Der vorliegende Band untersucht Theodor Storms «unheimlichen Realismus» im Kontext solcher Formationen der Moderne. Die für Storms Werk so signifikanten Inszenierungen von Visualität, r ü Formen von Bildlichkeit sowie Figurationen von Nachträglichkeit und Gespenstischem gewinnen f t vor diesem Hintergrund Kontur und werden in poetologischer, kulturtheoretischer sowie episte- f ri mologischer Hinsicht analysiert. h c s Inhalt: Elisabeth Strowick/Ulrike Vedder: Wirklichkeit und Wahrnehmung. Neue Perspektiven auf eit Neue Folge • XXVI Theodor Storm • Christian Begemann: Figuren der Wiederkehr. Erinnerung, Tradition, Vererbung Z und andere Gespenster der Vergangenheit bei Theodor Storm • Ernst Osterkamp: Dämonisierender 2/2016 Realismus. Bemerkungen zu Theodor Storms Erzählkunst • Elisabeth Strowick: «Eine andere Zeit». Storms Rahmentechnik des Zeitsprungs • Ulrike Vedder: Dinge als Zeitkapseln Realismus und Unver- fügbarkeit der Dinge in Theodor Storms Novellen • Anne-Kathrin Reulecke: Dynamiken des Unaus- sprechlichen in Theodor Storms Novelle «Schweigen» • Ethel Matala de Mazza: Spuk als Gerücht Theodor Storms Volkskunde • Gerhard Neumann: Theodor Storms «Psyche». Ein Wahrnehmungs- modell des Realismus • Andrea Krauss: Linienführung Ästhetisches Kalkül in Storms «Schimmelrei- ter» • Liliane Weissberg: Bild und Tod in Theodor Storms «Aquis submersus» • Paul Fleming: Vom Kasus zum Fall Heyses «Auf Tod und Leben» und Storms «Ein Bekenntnis» • Anette Schwarz: «Bis hierher; niemals weiter». Krankheit als Grenze literarischer Darstellung in Theodor Storms Novelle «Schweigen». Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften Peter Lang AG • Internationaler Verlag der Wissenschaften Moosstrasse 1 • P. O. Box 350 • CH-2542 Pieterlen • Schweiz Tel : +41 (0) 32 376 17 17 • Fax : +41 (0) 32 376 17 27 [email protected] • www.peterlang.com Herausgegeben von Elisabeth Strowick • Ulrike Vedder 6 1 0 Wirklichkeit und Wahrnehmung 2 / Neue Perspektiven auf Theodor Storm 2 G • Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2013. 236 S. VI Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Bd. 27 X Herausgegeben von der Philosophischen Fakultät II / X Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin pb. ISBN 978-3-0343-1404-6 • CHF 75.– / €D 66.90 / €A 68.80 / € 62.50 / £ 50.– / US-$ 81.95 e g eBook ISBN 978-3-0351-0644-2 ol CHF 79.– / €D 74.38 / €A 75.– / € 62.50 / £ 50.– / US-$ 81.95 F e €D inkl. MWSt. – gültig für Deutschland und Kunden in der EU ohne USt-IdNr. · u Zeitschrift für €A inkl.MWSt. – gültig für Österreich e N D as Verhältnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit ist im 19. Jahrhundert einer Reihe • von Umbrüchen unterworfen, die sich im diskursiven Wechselspiel zwischen Ästhetik, k ti GERMANISTIK Medientechniken, Wahrnehmungsphysiologie und Literatur vollziehen. Wahrnehmung s ni avanciert dabei zum Experimentierfeld vor allem der realistischen Literatur, die verschiedene Kon- a zeptionen des Wirklichen erprobt und spezifische Formen der Beobachtung von Wahrnehmung m anhand moderner literarischer Darstellungsweisen entwickelt. r e G Der vorliegende Band untersucht Theodor Storms «unheimlichen Realismus» im Kontext solcher Formationen der Moderne. Die für Storms Werk so signifikanten Inszenierungen von Visualität, r ü Formen von Bildlichkeit sowie Figurationen von Nachträglichkeit und Gespenstischem gewinnen f t vor diesem Hintergrund Kontur und werden in poetologischer, kulturtheoretischer sowie episte- f ri mologischer Hinsicht analysiert. h c s Inhalt: Elisabeth Strowick/Ulrike Vedder: Wirklichkeit und Wahrnehmung. Neue Perspektiven auf eit Neue Folge • XXVI Theodor Storm • Christian Begemann: Figuren der Wiederkehr. Erinnerung, Tradition, Vererbung Z und andere Gespenster der Vergangenheit bei Theodor Storm • Ernst Osterkamp: Dämonisierender 2/2016 Realismus. Bemerkungen zu Theodor Storms Erzählkunst • Elisabeth Strowick: «Eine andere Zeit». Storms Rahmentechnik des Zeitsprungs • Ulrike Vedder: Dinge als Zeitkapseln Realismus und Unver- fügbarkeit der Dinge in Theodor Storms Novellen • Anne-Kathrin Reulecke: Dynamiken des Unaus- sprechlichen in Theodor Storms Novelle «Schweigen» • Ethel Matala de Mazza: Spuk als Gerücht Theodor Storms Volkskunde • Gerhard Neumann: Theodor Storms «Psyche». Ein Wahrnehmungs- modell des Realismus • Andrea Krauss: Linienführung Ästhetisches Kalkül in Storms «Schimmelrei- ter» • Liliane Weissberg: Bild und Tod in Theodor Storms «Aquis submersus» • Paul Fleming: Vom Kasus zum Fall Heyses «Auf Tod und Leben» und Storms «Ein Bekenntnis» • Anette Schwarz: «Bis hierher; niemals weiter». Krankheit als Grenze literarischer Darstellung in Theodor Storms Novelle «Schweigen». Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften Peter Lang AG • Internationaler Verlag der Wissenschaften Moosstrasse 1 • P. O. Box 350 • CH-2542 Pieterlen • Schweiz Tel : +41 (0) 32 376 17 17 • Fax : +41 (0) 32 376 17 27 [email protected] • www.peterlang.com Zeitschrift für Germanistik Zeitschrift für Germanistik Neue Folge XXVI – 2/2016 Herausgeberkollegium Ulrike Vedder (Geschäftsführende Herausgeberin, Berlin) Alexander Košenina (Hannover) Steffen Martus (Berlin) Erhard Schütz (Berlin) PETER LANG Internationaler Verlag der Wissenschaften Bern · Berlin · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford · Wien Herausgegeben von der Philosophischen Manuskripte sind, mit zwei Ausdrucken ver sehen, Fakultät II / Institut für deutsche Literatur an die Redaktion zu schicken. der Humboldt-Universität zu Berlin Redaktion: Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird kei- Prof. Dr. Ulrike Vedder ne Haftung übernommen. (Geschäftsführende Herausgeberin) Dr. Brigitte Peters [email protected] Die Autor(inn)en von Abhandlungen und Dis- kus sio nen erhalten ein Belegheft sowie die PDF- Anschrift der Redaktion: Datei des Beitrages. Zeitschrift für Germanistik Humboldt-Universität zu Berlin Universitätsgebäude am Hegelplatz, Haus 3 Dorotheenstr. 24 Jahresabonnement(s) zum Preis von D-10099 Berlin 150.– SFR, 130.– €, 139.– €*, 143.– €**, Tel.: 00493020939609 105.– £, 158.– US-$ Fax: 00493020939630 pro Jahrgang zzgl. Versandspesen https://www.projekte.hu-berlin.de/zfgerm/ Jahresabonnement(s) für Studierende Redaktionsschluss: 01.02.2016 gegen Kopie der Immatrikulationsbescheinigung 105.– SFR, 91.– €, 98.– €*, 100.– €**, Erscheinungsweise: 3mal jährlich 72.– £, 110.– US-$ Bezugsmöglichkeiten und Inseratenverwaltung: * €-Preise inkl. MWSt. – gültig für Deutschland Peter Lang AG ** €-Preise inkl. MWSt. – gültig für Österreich Internationaler Verlag der Wissenschaften Hochfeldstraße 32 – Individuelles Online-Abonnement: CH-3012 Bern € 130.00/$ 158.00 Tel.: 0041313061717 – Online-Abonnement für Institutionen: Fax: 0041313061727 € 260.00/$ 316.00 [email protected] – Online-Bezug einzelner Artikel: http://www.peterlang.net/ € 15.00/$ 20.00 ISSN 2235-1272 © Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2016 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhaltsverzeichnis Schwerpunkt: Tagebuch und Diaristik seit 1900 Konferenzberichte (hrsg. von Sabine Kalff und Ulrike Vedder) Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Ro- SABINE KALFF, ULRIKE VEDDER – Tagebuch und manpoetik (1400–1700) (Internationales Arbeits- Diaristik seit 1900. Einleitung 235 gespräch in Wolfenbüttel v. 14.–16.10.2015) (Se- PETER UWE HOHENDAHL – Posthume Provoka- bastian Speth) 403 tion: Carl Schmitts „Glossarium. Aufzeichnun- Deutsche Pornographie in der Aufklärung (In- gen der Jahre 1947–1951“ 243 ternationale Tagung in Erfurt v. 21.–23.10.2015) (Katja Barthel) 405 SABINE KALFF – Auf der Nachtseite des Lebens. Die Ästhetik des Schreckens in Ursula von Kar- Kafka und die Musik (Symposium in Berlin v. dorffs Kriegstagebuch „Berliner Aufzeichnungen 29.–31.10.2015) (Michael Navratil) 409 1942 bis 1945“ 262 Humanum und Nihilismusgefahr. Funktionen SIGRID WEIGEL – Hannah Arendts „Denktage- des Humanismus-Konzepts 1930–1950 (Inter- buch“ (1950–1973): Vom persön lichen Tagebuch disziplinäre Tagung in Jena v. 24.–26.9.2015) zum Arbeitsjournal 283 (Sophie Picard) 411 ROLAND BERBIG – Das Leben in Ordnung brin- „Show don’t tell“. Konzepte und Strategien nar- gen – abstine et sustine. Franz Fühmanns Taschen- rativer Anschaulichkeit (Interdisziplinäre Tagung kalender 293 in Göttingen v. 2.–4.6.2015) (Lea Fricke, Lena Walter) 415 BIRGIT DAHLKE – Die DDR im Tagebuch: Am Beispiel von Christa Wolf, Volker Braun, Erwin Szenarien der Ausnahme in der Populärkultur Strittmatter und Manfred Krug 316 (Tagung in Siegen v. 17.–19.9.2015) (Sonja Le- wan dowski) 417 DANIEL WEIDNER – Spiegel, Werkstatt, Chronik: Der Tagebuchroman bei Robert Walser, Max Wiederkehr des Werks? Zur Gegenwart des lite- Frisch und Uwe Johnson 332 rarischen Werkbegriffs (Symposium in Hannover v.21.10.–23.10.2015) (Elisabeth Weiß) 420 ELKE SIEGEL – „die mühsame Verschriftlichung meiner peinlichen Existenz“. Wolfgang Herrn- dorfs „Arbeit und Struktur“ zwischen Tagebuch, Blog und Buch 348 Besprechungen * TOBIAS KRAFT – Alexander von Humboldts Ame- ANNA GAJDIS: Baltische Sirenen. Repräsentanz, rikanische Reisetagebücher und sein Nachlass: Relevanz und Identitätsbildung der deutschen aktuelle Fragen aus Forschung und Edition 373 Autorinnen im östlichen Ostseeraum um 1800 ALEXANDER KOŠENINA – „Kontinuierliche Bil- (Carola Hilmes) 424 der geschichten“: Mit „Max und Moritz“ über- SILVY CHAKKALAKAL: Die Welt in Bildern. Erfah- windet Wilhelm Busch die Grenzen von Malerei rung und Evidenz in Friedrich J. Bertuchs „Bilder- und Poesie 386 buch für Kinder“ (1790–1830) (Anja Pompe) 426 234 Inhaltsverzeichnis PETRA WERNER: Naturwahrheit und ästheti- STEPHANE PESBEL, ERIKA TUNNER, HEINZ LUN- sche Umsetzung. Alexander von Humboldt im ZER, VICTORIA LUNZER-TALOS (Hrsg.): Joseph Briefwechsel mit bildenden Künstlern; TOBIAS Roth – Städtebilder. Zur Poetik, Philologie und In- KRAFT: Figuren des Wissens bei Alexander von terpretation von Stadtdarstellungen aus den 1920er Humboldt. Essai, Tableau und Atlas im amerika- und 1930er Jahren (Hermann Haarmann) 449 nischen Reisewerk; DAGMAR HÜLSENBERG, INGO Eiji KOUNO: Die Performativität der Satire bei SCHWARZ (Hrsg.): Alexander von Humboldt. Karl Kraus: Zu seiner „geschriebenen Schauspiel- Gutachten und Briefe zur Porzellanherstellung kunst“ (Rainer Rosenberg) 450 1792–1795 (Sarah Bärtschi) 428 WOLFGANG BENZ, PETER ECKEL, ANDREAS MARK-GEORG DEHRMANN: Studierte Dichter. NACHA MA (Hrsg.): Kunst im NS-Staat. Ideolo- Zum Spannungsverhältnis von Dichtung und gie, Ästhetik, Protagonisten; GREGOR STREIM: philologisch-historischen Wissenschaften im Deutschsprachige Literatur 1933–1945. Eine Ein- 19.Jahrhundert (Andrea Albrecht) 431 führung (Ralf Schnell) 452 JOHAN SCHIMANSKI, ULRIKE SPRING (Hrsg.): MATTHIAS AUMÜLLER: Minimalistische Poetik. Passagiere des Eises. Polarhelden und arktische Zur Ausdifferenzierung des Aufbausystems in Diskurse 1874 (Inge Stephan) 433 der Romanliteratur der frühen DDR (Bernadette UWE LINDEMANN: Das Warenhaus. Schauplatz Grubner) 455 der Moderne (Björn Weyand) 435 HANS DIETER ZIMMERMANN (Hrsg.): Künstler im GUDRUN KÜHNE-BERTRAM, HANS-ULRICH LES- Gespräch. Die West-Berliner Akademie der Künste. Fotografien von Karin Gaa (Roland Berbig) 458 SING (Hrsg.): Wilhelm Dilthey: Briefwechsel, Bd. II: 1882–1905 (Ralf Klausnitzer) 437 MICHAELA REINHARDT: TheaterTexte – Litera- RUDOLF HIRSCH, ELLEN RITTER† (Hrsg.): Hugo rische Kunstwerke. Eine Untersuchung zu poe- tischer Sprache in zeitgenössischen deutschen von Hofmannsthal: Sämtliche Werke. Kritische Theatertexten (Johannes Birgfeld) 459 Ausgabe. Aufzeichnungen, Bd. XXXVIII: Text, Bd. XXXIX: Erläuterungen (Timo Günther) 439 CHRISTINE KUTSCHBACH, FALKO SCHMIEDER JÖRG SCHUSTER: „Kunstleben“. Zur Kulturpoe- (Hrsg.): Von Kopf bis Fuß. Bausteine zu einer Kulturgeschichte der Kleidung (Olaf Briese) 463 tik des Briefs um 1900 – Korrespondenzen Hugo von Hofmannsthals und Rainer Maria Rilkes CARSTEN JAKOBI, CHRISTINE WALDSCHMIDT (Urs Büttner) 442 (Hrsg.): Witz und Wirklichkeit. Komik als Form ästhetischer Weltaneignung (Stephan Braese) 465 ALEXANDER HONOLD: Einsatz der Dichtung. Li- teratur im Zeichen des Ersten Weltkriegs (Peter Sprengel) 443 UDO BERMBACH: Houston Stewart Chamberlain. Informationen Wagners Schwiegersohn − Hitlers Vordenker (Michael Weichenhan) 446 Eingegangene Literatur 468 235 SABINE KALFF, ULRIKE VEDDER Tagebuch und Diaristik seit 1900. Einleitung Das Tagebuch hält für seine literaturwissenschaftliche Erforschung – wie auch für seine sozial-, kultur-, medien- und geschlechterhistorische sowie seine psychologische und so- ziologische Erfassung1 – eine ganze Reihe von Herausforderungen bereit, die aus seinem hybriden Charakter resultieren. So kann es z.B. als historisches Dokument – als Ego- dokument oder Selbstzeugnis2 – ebenso betrachtet werden wie als literarischer Text aus dem Bereich der Autobiographik, als Schreibübung oder literarisches Experimentierfeld. Oder auch als Strategie zur Vermeidung literarischen Schreibens, wie Maurice Blanchot notiert, wenn er das Tagebuch als „Schutzvorrichtung gegen die Gefahr des Schreibakts“ bezeichnet, als einen „Anker, den man am Grund des Alltäglichen hinscharren läßt“.3 Das Tagebuch kann mithin je nach Funktion unter den Aspekten des Historischen oder des Literarischen betrachtet werden, changiert damit aber auch zwischen dem Literarischen und dem Nichtliterarischen, dem Privaten und dem Öffentlichen sowie dem Individuellen und dem Paradigmatischen. So wirft die Position des Tagebuchs zwischen historischem Dokument und literari- schem Text die Frage auf, ob es sich überhaupt um ein fiktionales Genre handelt. Inwie- weit sich das im Sinne einer Entgegensetzung von Authentizität und Fiktionalität so ein- fach verneinen lässt, wie etwa durch Philippe Lejeune,4 ist ein offener Diskussionspunkt.5 Hält man aber zumindest fest, dass alle Tagebücher, auch jene von diskutabler Quali- tät, literarisch sind,6 so geht damit einher – ohne zu bezweifeln, dass autobiographische Texte fiktionale Elemente enthalten und sich der Entwurf der eigenen Identität manches Schriftstellers kaum anders liest als der einer Romanfigur –, dass Tagebücher als autobio- graphische Texte grundsätzlich referentiell sind.7 Sie schildern, gleichwie verfremdet, lite- rarisiert und fiktionalisiert, eine Realität, die zumindest in Grundzügen überprüfbar ist, bei deren erwähnten Personen es sich um historisch nachweisbare Gestalten handelt etc. Andernfalls hat man es entweder mit einem fiktionalen Tagebuch oder einer Fälschung zu tun, die mit den Erwartungen an ein Tagebuch, die es trotz aller gegenläufigen Merkmale 1 Vgl. BUNKERS, HUFF (1995, 1), HOLM (2008, 10). 2 Vgl. SCHULZE (1996), VON KRUSENSTJERN (1994). 3 BLANCHOT (1982, 254). 4 Vgl. LEJEUNE (2009, 203). Bereits GRÄSER (1955, 105) nannte das Tagebuch ebenfalls ein nichtfiktionales Genre. 5 MAYER, WOOLF (1995, 17). Dieser Band über frühmoderne Autobiographik bzw. Life-Writing, der die Tradi- tion bis zur Antike zurückverfolgt, bezeichnet die Vielzahl der autobiographischen Genres ohne Umstände als literarisch, im Gegensatz etwa zu HOLDENRIED (2000, 26). 6 Eine strikte Unterscheidung zwischen literarisch und historisch hat z.B. GRÄSER (1955, 105) zu der proble- matischen Einschätzung bewogen, Anne Franks Tagebuch sei ein literarisch irrelevantes „historisches Doku- ment“. Vermutlich ist auch seine systematische Nichtbeachtung von weiblichen Tagebüchern das Resultat eines qualitativen Urteils. 7 Vgl. LEJEUNE (1994, 39) zur Autobiographie. © Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVI (2016), H. 2, S. 235–242 236 SABINE KALFF, ULRIKE VEDDER zu erfüllen hat, souverän umzugehen weiß.8 Denn für Produktion und Rezeption des Tagebuchs gelten trotz aller Subjektivität des Aufgezeichneten die transindividuellen Codes, die sich in der ‚Geschichte des Schreibens‘ […] herausgebildet ha- ben […]. Noch das persönlichste Tagebuch unterliegt kulturellen Prägungen und arbeitet mit den geistesgeschichtlich verfügbaren Ausdrucksmitteln und Darstellungskonventionen. […] Das Subjektive und Private ist zugleich das Paradigmatische und Repräsentative.9 Eine ähnlich komplexe Forschungslage zeigt sich bei der Frage nach Form bzw. Form- losigkeit des Tagebuchs. Zwar besteht sein zentrales formales Merkmal darin, dass seine Niederschrift fortlaufend erfolgt und die Einträge unter einem jeweiligen Datum vorge- nommen werden. Der kleinste gemeinsame Nenner ist mithin das Datum,10 eine Gemein- samkeit mit dem Jahreskalender, d.h. mit einem Genre, das eine wichtige Inspira tion für das moderne Tagebuch bildet.11 Doch was in diese Form eingetragen wird, kann in größter Formlosigkeit geschehen. Weiterhin besteht Konsens, dass das Tagebuch eine Prosaform darstellt.12 Das heißt nicht, dass es nicht alles mögliche Andere enthalten kann: Gedich- te, Zitate, dramatische Szenen, Zeichnungen, Zeitungsausschnitte, Fotos, Eintrittskarten, To-do-Listen. Vor allem in der Moderne bietet das Tagebuch auf systematische Weise eine „Form, in der die Auflösung der Form […] Gestalt annimmt“,13 denn in den stets neu ansetzenden, unterschiedlichsten Einträgen – „das immer Unabgeschlossene“14 – muss keine übergreifende Perspektive, keine romanhafte Folgerichtigkeit oder dramaturgi- sche Spannung herrschen. Trotzdem, darauf hat Arno Dusini vehement hingewiesen, sei das Tagebuch nicht „durch Strukturen von ungewohnt hohem Komplexitäts grad“15 ge- kennzeichnet. I. Die literaturwissenschaftliche Forschung zum Tagebuch hat, angefangen mit Richard M. Meyers Skizze einer Entwicklungsgeschichte des Tagebuchs (1898), eine Reihe grund- legender Arbeiten und spannender Aspekte vorgelegt, weist aber auch bemerkenswerte Desiderata auf. Meist werden die Tagebücher von Autorinnen so sehr vernachlässigt, dass der Eindruck entsteht, es handele sich um ein fast ausschließlich von männlichen Schrift- stellern bedientes Genre.16 Dabei gab und gibt es viele Frauentagebücher, die allerdings seltener veröffentlicht wurden. Dass das Tagebuch ein von Autorinnen häufig genutztes 8 Zum Phänomen gefälschter Tagebücher vgl. z.B. REULECKE (2013). 9 HAGESTEDT (2014, VIIIf.). 10 Zur Zentralität des Datums vgl. LEJEUNE (2009, 179). 11 Vgl. LEJEUNE (2009, 59). 12 Vgl. GRÄSER (1955, 113). 13 GUNTERMANN (1991, 9). 14 Vgl. WUTHENOW (1990, X): „Eben der Verzicht auf die zusammenfassende Perspektive, das immer Un - abgeschlossene, ist das entscheidende Merkmal des Tagebuchs.“ 15 DUSINI (2005, 68). 16 WUTHENOW (1990) und BOERNER (1969) nennen kaum eine Diaristin. Auch BLUHM (1991) benennt neben Ruth Andreas-Friedrich nur Gretha von Jeinsen, deren Tagebuch Die Palette (1949) er jedoch als bloße Beigabe zu den Strahlungen Ernst Jüngers, ihres Ehemanns, betrachtet (S. 168). HOCKE (1978) bietet in seiner um- fassen den Anthologie Europäische Tagebücher aus vier Jahrhunderten sieben (!) weibliche Tagebücher. © Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVI (2016), H. 2, S. 235–242
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