ALEXANDER VON HUMBOLDT UND SPANIEN IM 19. JAHRHUNDERT: ANALYSE EINES REZIPROKEN WAHRNEHMUNGSPROZESSES Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Fakultät für Verhaltens- und empirische Kulturwissenschaften Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Vorgelegt von: Sandra Rebok März 2004 Erstbetreuer: Prof. Dr. Klaus-Peter Köpping Institut für Ethnologie, Universität Heidelberg Zweitbetreuer: Dr. Miguel Ángel Puig-Samper Mulero Instituto de Historia, Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Madrid Tag der mündlichen Prüfung: 15.07.2004 Danksagung An dieser Stelle möchte ich meinen Dank aussprechen an all diejenigen Personen und Institutionen, die mich auf dem langen Weg der Erstellung meiner Dissertation unterstützt bzw. dazu beigetragen haben, dass die Arbeit nun in dieser Form publiziert werden kann. Meine besondere Dankbarkeit gilt zunächst der fachlichen Beratung und Anleitung durch meinen Doktorvater Prof. Dr. Klaus-Peter Köpping am Institut für Ethnologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und den Zweitbetreuer Dr. Miguel Ángel Puig-Samper Mulero, der am Instituto de Historia des Consejo Superior de Investigaciones Científicas in Madrid tätig ist. Ihre zeitaufwendigen Hilfestellungen und Anregungen waren von groβem Wert für das Zustandekommen der vorliegenden Forschung und insbesondere für den in dieser Arbeit verfolgten interdisziplinären Ansatz. Des weiteren danke ich in dieser Hinsicht meinen Kollegen am Instituto de Historia des Consejo Superior de Investigaciones Científicas für ihre fachliche Unterstützung bei der Erarbeitung einiger mir zuvor nicht vertrauter Hintergrundszusammenhänge, darüber hinaus verschiedenen Mitarbeitern der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sowie auch Herrn Prof. Dr. Michael Zeuske von der Iberischen und Lateinamerikanischen Abteilung des Historischen Seminars der Universität zu Köln. Ebenso wichtig wie die fachliche Betreuung ist die finanzielle Unterstützung, die den zur Erstellung einer Dissertation notwendigen Freiraum gewährleistet. Mein besonderer Dank gilt daher der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn sowie dem Consejo Superior de Investigaciones Científicas für die Vergabe eines Doktoranden- Stipendiums. Es könnten noch viele Leute einzeln aufgezählt werden, die mir in den letzten Jahren bei diesem für mich sehr wichtigen Forschungsprojekt in der einen oder anderen Weise geholfen haben. Insbesondere möchte ich mich jedoch bei Aurelio Hinarejos Rojo sowie bei Friederike Meseberg für die erfolgten Korrekturarbeiten, ihre Hilfe bei der Übersetzung von Zitaten sowie die nicht zu unterschätzende technische Unterstützung bedanken. Schlieβlich seien an dieser Stelle auch meine Eltern genannt, die mir die Freiheit gaben, meine Studienrichtung nach meinen Neigungen zu wählen und mich auch bei der Entscheidung zur Promotion unterstützten. Sandra Rebok Madrid, Februar 2006 I EINLEITUNG.....................................................................................................1 II HUMBOLDTS BLICK AUF SPANIEN.........................................................21 II.1 HUMBOLDTS BILD DES ZEITGENÖSSISCHEN SPANIENS.....................................31 II.1.1 EXPLIZIT FORMULIERTE SPANIENSICHT HUMBOLDTS......................................37 II.1.2 INTERPRETATION DER IMPLIZITEN BEZUGNAHME AUF SPANIEN......................47 II.2 HISTORISCHE BEZUGNAHME: JOSÉ DE ACOSTA UND SEIN INTERPRETATIONSMODELL HISTORIA NATURAL Y MORAL...............................58 II.2.1 EXPLIZITE VERWEISE HUMBOLDTS AUF ACOSTA.............................................60 II.2.2 IMPLIZITE PARALLELEN ZWISCHEN ACOSTAS MODELL UND DEM HUMBOLDTSCHEN KONZEPT DER PHYSIKALISCHEN GEOGRAPHIE...................64 II.3 FAZIT: RAHMENBEDINGUNGEN DES HUMBOLDTSCHEN BLICKES AUF SPANIEN ............................................................................................................................70 III HUMBOLDTREZEPTION IN SPANIEN.....................................................77 III.1 HUMBOLDT IM SPIEGEL DER SPANISCHEN PRESSE...........................................83 III.1.1 MODERATE PRESSE...........................................................................................95 III.1.2 LIBERALE PRESSE............................................................................................114 III.1.3 INTERPRETATION.............................................................................................118 III.2. UNTERSCHIEDLICHE PERZEPTIONSMODI IN DER WISSENSCHAFTLICHEN UND INTELLEKTUELLEN WELT................................................................................123 III.2.1 EXPLIZIT KRITISCHE HUMBOLDTWAHRNEHMUNG..........................................126 III.2.2 EXPLIZIT POSITIVE HUMBOLDTWAHRNEHMUNG............................................131 III.2.3 WERTFREIE WISSENSCHAFTLICHE AUSEINANDERSETZUNG MIT HUMBOLDTS FORSCHUNG....................................................................................................144 III.2.4 IMPLIZITE AUSRICHTUNG AN HUMBOLDTS MODELL......................................148 III.3.5 ANALYSE DIESER PERZEPTIONSMODI.............................................................157 III.3 EDITIONS- UND WIRKUNGSGESCHICHTE DER HUMBOLDTSCHEN SCHRIFTEN161 III.4 REZEPTION DURCH WISSENSCHAFTLICHE INSTITUTIONEN............................182 III.5 POLITISCHE WAHRNEHMUNG.........................................................................194 III.6 FAZIT: HUMBOLDT AUS SPANISCHER PERSPEKTIVE.......................................208 IV EXKURS: ANWENDUNG DES NEW HISTORICISM..............................214 V SCHLUSSBETRACHTUNG.........................................................................221 VI QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS........................................245 VI.1 QUELLEN..........................................................................................................245 VI.1.1 MANUSKRIPTE.................................................................................................245 VI.1.2 UNVERÖFFENTLICHTE AKADEMISCHE ARBEITEN...........................................245 VI.1.3 ZEITSCHRIFTEN...............................................................................................246 VI.2 LITERATURVERZEICHNIS.................................................................................247 I EINLEITUNG Während sich der traditionelle Ansatz der Perzeptionspraktiken in der Ethnologie meist auf eine europäische Sicht der „exotischen“ bzw. fremden Kulturen beschränkt hat, soll in dieser Arbeit der Wahrnehmungsbegriff dahingehend erweitert werden, dass die Doppelseitigkeit dieses Prozesses thematisiert wird. Denn auch wenn die schriftlichen Aufzeichnungen eines solchen Zusammentreffens meist nur den Blick auf eine Seite eröffnen, handelt es sich doch stets um ein reziprokes Geschehen. Bekanntermaßen stellt der Perzeptionsprozess eine Annnäherung an eine fremde Realität dar, die – jeweils vom eigenen Standpunkt ausgehend – diese Perspektive mehr oder weniger bewusst mit einschließt. Das Ergebnis einer solchen Wahrnehmung ist somit eine spezifische Verbindung zwischen der Prägung durch die eigene und den Gegebenheiten der fremden Kultur. Dieser Sachverhalt ist wiederum immer auch beeinflusst von der persönlichen Interessenslage: welche Aspekte wahrgenommen werden bzw. welche nicht, gibt ebenso Aufschluss über das Fremde, wie über das Eigene. Dieses Verankertsein in einer spezifischen Ausgangslage, in Verbindung mit einer zudem interessengesteuerten Annäherung an das Fremde führt dazu, dass jede Wahrnehmung des Fremden unterschiedlich verläuft und in diesem Sinne jeder Perzeptionsprozess einzigartig ist. In der vorliegenden Untersuchung werden diese Zusammenhänge exemplarisch dargestellt an den reziproken Wahrnehmungsstrategien zwischen dem preußischen Reisenden und Wissenschaftler Alexander von Humboldt (1769-1859) und der damaligen Kolonialmacht Spanien als politisch-kultureller Einheit. Der zeitliche Rahmen dieser Untersuchung wird mit dem Spanienaufenthalt des Gelehrten im Jahr 1799 beginnen und sich auf sein ganzes weiteres Leben erstrecken. Im Fall Spaniens wird der Fokus ebenfalls auf Humboldts Lebenszeit gerichtet, jedoch wird sich der untersuchte Zeitraum auf das ganze 19. Jahrhundert ausdehnen, um zusätzlich noch die Wahrnehmung seiner Person in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod einzubeziehen. Es handelt sich somit um eine Analyse innerhalb dieses begrenzten historischen Zeitrahmens, obgleich in der Schlussbetrachtung zusätzlich die heutzutage in Spanien vorzufindende Sicht auf Humboldt beleuchtet und in ihrer historischen Bedingtheit begründet wird. Eine Besonderheit des hier dargestellten Ansatzes ist, dass einerseits die Wahrnehmung eines einzelnen Mannes thematisiert wird, andererseits die eines ganzen 1 Landes – also einer Gesellschaft, die sich zwar aus unterschiedlichen Facetten zusammensetzt, trotzdem aber eine Gruppe ähnlich geprägter Personen ist, die sich in demselben soziopolitischen bzw. ideologischen Rahmen bewegen. Hierbei ist zudem interessant zu sehen, dass völlig unterschiedliche Strömungen sowie Interessenslagen innerhalb der diversen Realitäten dieses Landes zu verzeichnen sind. Deutlich wird dies bei der in dieser Untersuchung immer wieder vorgenommenen Gegenüberstellung einer politischen versus einer wissenschaftlichen Wahrnehmung, des weiteren innerhalb der liberalen versus der konservativen Sektoren sowie auch hinsichtlich einer offiziellen versus einer inoffiziellen Repräsentation Humboldts. Somit ist bei der Analyse des kollektiven Wahrnehmens durch eine Gruppe stets zu unterscheiden zwischen einer individuellen, inoffiziellen sowie einer staatlich gelenkten, offiziellen Rezeptionsstrategie. Auch in individueller Hinsicht hat es hierbei große Unterschiede gegeben, da sich je nach eigener Tätigkeit, politischer Orientierung oder ideologischer Ausrichtung ein anderer Blick auf Humboldt ergab – woraus für diese Arbeit die Notwendigkeit resultierte, auch die Sicht einzelner Personen vorzustellen. Anhand der detaillierten Aufschlüsselung dieser Zusammenhänge soll zusätzlich auch die Komplexität eines solchen Perzeptionsprozesses exemplarisch dargestellt werden. Des weiteren ist an dieser Stelle noch zu vermerken, dass diese Studie einen zwischen der Ethnologie und der Geschichtswissenschaft angesiedelten interdisziplinären Ansatz vertritt. Dies ergab sich aus der Konstellation des Themas selbst, welches mit der Untersuchung eines Perzeptionsprozesses ein als ethnologisch zu bezeichnendes Anliegen aufgreift, dieses aber in einem historischen Kontext untersucht bzw. seine historische Kontextualität thematisiert. Somit hätte ein einseitig auf eine dieser beiden wissenschaftlichen Disziplinen ausgerichtetes Forschungsparadigma nicht den angestrebten umfassenden Blick ermöglicht. Unterstützt wurde diese, sich zwischen den Disziplinen befindende Sicht, darüber hinaus noch durch den Umstand, dass die vorliegende Arbeit am Institut für Ethnologie der Universität Heidelberg durch meinen Erstbetreuer Prof. Dr. Klaus-Peter Köpping angeleitet wurde. Erarbeitet aber wurde sie im Rahmen meiner mehrjährigen Zusammenarbeit mit Dr. Miguel Ángel Puig-Samper am Instituto de Historia (Abteilung Wissenschaftsgeschichte) des Consejo Superior de Investigaciones Científicas in Madrid. Anregungen, Informationen sowie Hilfestellungen von beiden Seiten haben schließlich zu der im Anschluss dargestellten interdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Thema geführt. 2 Über den berühmten preußischen Gelehrten Alexander von Humboldt und seine Amerikaexpedition sind bislang unzählige Studien und Forschungsarbeiten veröffentlicht worden, die die unterschiedlichsten Facetten seines Lebens, seines Werkes sowie der Auswirkungen seiner wissenschaftlichen Arbeit beleuchtet haben. Nichtsdestotrotz gibt es jedoch Aspekte, die bisher nur sehr begrenzt Eingang in diese Untersuchungen gefunden haben: sein Aufenthalt in Spanien bzw. seine lebenslangen Beziehungen zur Iberischen Halbinsel in unterschiedlichster Hinsicht, des weiteren die Bedeutung, die diesem Land in seinem groβen Reise- und Forschungsprojekt zukam sowie auch die spanische Rezeptionsgeschichte seiner Person und seines Werkes. Vor seinem Aufbruch in die Neue Welt verbrachte Humboldt fünf Monate auf dem spanischen Festland, in denen er sämtliche Vorbereitungen für seine bahnbrechende Forschungsreise traf, die er von 1799 bis 1804 unternahm. Da in der internationalen Humboldtforschung seine Spanienreise stets nur stark verkürzt dargestellt wird – sich die Beschreibung meist lediglich auf eine Erwähnung der Eckdaten derselben, also Barcelona, Valencia, Madrid und La Coruña begrenzt – soll im Folgenden kurz auf die Reiseroute eingegangen werden:1 Zusammen mit seinem französischen Reisebegleiter Aimé Bonpland2 war Humboldt am 3.1. des Jahres 1799 von Südfrankreich aus über den Pass La Junquera nach Spanien gekommen. Am 7.1. unternahm er in Gerona geographische Vermessungen; seine Ankunft in Barcelona, wo er sich in der Fontana de Oro einquartierte, erfolgte einen Tag später. In dieser Stadt führte er bis Ende Januar an mehreren Tagen zahlreiche 1 Um die Reiseroute durch die Iberische Halbinsel im Detail sowie chronologisch nachzuvollziehen, kann man sich auf folgende Arbeiten stützen: Alexander von HUMBOLDT, „Über die Gestalt und das Klima des Hochlandes in der iberischen Halbinsel”. Hertha. Zeitschrift für Erd-, Völker-und Staatenkunde. Stuttgart; Tübingen: Cotta, 1825, S. 5-23. Alexandre de HUMBOLDT, Recueil d’observations astronomiques, d’opérations trigonométriques et de mesures barométriques, faites pendant le cours d’un voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent, depuis 1799 jusqu’en 1803. 2 Bände. Paris: Schoell, 1808- 1811, hier: Bd. 1, (Das Kapitel „Observations faites en Espagne et aux isles Canaries” auf S. 3-33 enthält genaue Messungen bzw. die entsprechenden Daten, wann diese durchgeführt wurden). Ebenso lassen sich Informationen hierzu in einem auf den 12.5.1799 datierten Brief an den Freiherrn Franz Xaver Zach finden, publiziert in Ilse JAHN; Fritz G. LANGE (Hg.), Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1787- 1799. Berlin: Akademie-Verlag, 1973, S. 667-676; sowie in: Germán BLEIBERG, Alejandro de Humboldt y España, unveröffentlichte Dissertation, Universidad de Madrid, 1958 (Historisches Archiv der Universidad Complutense, Sign. 3824). Allerdings soll darauf hingewiesen werden, dass die in diesen Quellen angegebenen Daten in einzelnen Fällen nicht übereinstimmen. 2 1773 (La Rochelle, Frankreich) – 1858 (Uruguay), Botaniker und Mediziner. Mehr Informationen zur Person Bonplands in: Heinz SCHNEPPEN, Aimé Bonpland: Humboldts vergessener Weggefährte. Berliner Manuskripte zur Alexander von Humboldt-Forschung, Heft 14. Berlin: Alexander-von-Humboldt- Forschungsstelle, 2000. 3 wissenschaftliche Erhebungen durch3; zudem unternahm er mit Bonpland von dort aus mehrtägige Ausflüge zum Berg Montserrat, des weiteren nach Tarragona, um römische Ruinen zu besichtigen und ebenso nach Sagunt, von wo aus sie die Reiseroute in Richtung Madrid angingen. Am 26.1. kamen sie nochmals nach Barcelona, übernachteten am 28.1. in der Venta de Lionet, am 29.1. in Los Munjos, am 30.1. in Figueretta und am 31.1. in Col de Balaguer. Von dort aus unternahmen sie erneut Messungen in den Ruinen des alten Sagunt, wohin sie zurückgekehrt waren, da Humboldt bei seinem ersten Aufenthalt dort aufgrund der Bewölkung nicht die beabsichtigten Untersuchungen vornehmen hatte können. Am 2.2. nächtigten sie in der Venta de la Sienita, gingen am 5.-7.2. ihren Arbeiten in Valencia nach, und verbrachten den 9.2. erneut in den Ruinen Sagunts sowie dem Schloss Morviedro. Von der Venta de Morente bestiegen sie zum Pass von Almansa, kamen am Berg El Bonete vorbei, an welchem Humboldt wiederholt Höhenberechnungen unternahm, passierten anschließend die Venta del Rincón, Albacete, Provencio, Quintanar de la Orden, Alcázar de San Juan, Corral de Almaguer, die Ebene von Ocaña, das Tal des Flusses Tajo und besuchten Aranjuez, wo sie vermutlich bereits eine Unterredung mit dem sächsischen Gesandten Baron Philippe von Forell (1758-1808) hatten. Über Valdemoro gelangten sie schließlich am 23.2. nach Madrid4; dort verweilten sie einige Wochen, beschäftigt mit den Vorbereitungen der Expedition, und unternahmen anlässlich der für die Erteilung der Genehmigung notwendigen Unterredung mit dem damaligen spanischen König Karl IV. diverse Reisen nach Aranjuez. Als weitere Daten sind überliefert, dass Humboldt am 4.3. mit seinen Beobachtungen in Madrid am Palast des Herzogs von Infantado5 begann und am 2.5. die geographische Position des Palastes von Aranjuez vermaß. Am 13. dieses Monats6 erfolgte die Abreise der beiden Wissenschaftler nach La Coruña, wobei ihre Route sie hier über El Escorial, den Bergpass bei Guadarrama, León, Medina de Campo, Tordesillas, Venta de Almaraz, Villalpando, Benavente, Astorga und verschiedene Orte Galiciens wie Villafranca, Los Nogales, Sobrado und Lugo führte, bis sie schließlich nach 13-tägiger Reise am 26. 5. über Guitiriz und Betanzos in La Coruña ankamen. Noch am selben Tag widmete sich Humboldt erneut diversen Messungen in der galicischen Stadt, in welcher sie sich 10 3 Humboldt selbst erwähnt als Daten den 11.1., den 15.1. sowie den 26.1.1799. 4 In einem Brief an Reinhard und Christine von Haeften vom 28.2.1799 teilt er diesen mit, dass er 5 Tage zuvor in Madrid angekommen war. Siehe: JAHN; LANGE, 1973, S. 648. 5 Ibidem, S. 676. 6 Die Abreise hat anscheinend früher stattgefunden als geplant, denn am 12.5. informierte er von Zach in einem Schreiben, dass er drei Tage später loszufahren gedenke. Siehe: JAHN; LANGE, 1973, S. 676. 4 Tage aufhielten, bis es am 5.6. zur lang ersehnten Abreise nach Amerika kam. Zunächst nahm ihr Schiff aber Kurs auf die Kanarischen Inseln, wo sie am 17.6. die Insel Graciosa besichtigten und vom 19.6.-25.6. auf Teneriffa verweilten. Dort erhielten die sie während ihres 6-tägigen Aufenthaltes in Santa Cruz, La Laguna sowie dem Tal von La Orotava die Möglichkeit, umfangreiche Beobachtungen und wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen sowie den höchsten Berg Spaniens, den Pico del Teide, zu besteigen.7 Somit diente ihnen ihre Reise durch Spanien auch als wissenschaftliche Vorbereitung für die berühmte Amerikaexpedition, da sie hier jene Art von Untersuchungen vornahmen, mit denen sie auch auf dem Neuen Kontinent ihre Arbeit einleiteten. Wie oben dargestellt, nutzten beide Forscher während ihrer gesamten Spanienreise die Gelegenheit, umfassende Studien bzw. Messungen – vor allem in geographischer, geologischer sowie klimatologischer Hinsicht – derjenigen Regionen anzufertigen, durch welche sie ihr Weg führte.8 So erprobte Humboldt seine neuen Messinstrumente – den Sextanten, das Chronometer, das Barometer sowie das Thermometer – die er in Paris erworben hatte, bestimmte mit ihnen die Höhe über dem Meeresspiegel sowie die astronomische Lage geographisch interessanter Orte und untersuchte insbesondere auch die geologische Formation der Hochebene Kastiliens; während sich sein französischer Kollege unterdessen dem Sammeln und Klassifizieren der spanischen Flora widmete. Angesichts des Umstandes, dass Humboldt bei derartigen Untersuchungen in Spanien auf nur wenige Vorarbeiten zurückgreifen konnte, sondern vielmehr mit seiner Vermessung der Iberischen Halbinsel Neuland betrat, muß dies zum einen als hervorragende wissenschaftliche Leistung bewertet werden, zum anderen der bedeutende Beitrag berücksichtigt werden, den er hiermit zur naturwissenschaftlichen Erforschung dieses Landes beigesteuert hat.9 Darüber hinaus ebnete er den Weg für neue Studien, vor allem hinsichtlich der geographischen 7 Eine ausführliche Darstellung seines Aufenthaltes auf Teneriffa befindet sich in: Ottmar ETTE, Alexander von Humboldt. Reise in die Äquinoktialgegenden des Neuen Kontinentes. 2 Bände. Frankfurt a. M.; Leipzig: Insel, 1999, hier: Bd. 1, Kap. 2; sowie in den veröffentlichten Tagebücher: Margot FAAK (Hg.), Alexander von Humboldt. Reise durch Venezuela. Bd. 12. Berlin: Akademie-Verlag, 2000, S. 81- 99. 8 Eine detaillierte Studie über die von Humboldt in Spanien vorgenommenen Untersuchungen bietet folgende Dissertation: Karl FÖRSTER, Die Iberische Halbinsel als Arbeitsgebiet Alexander von Humboldts: Spanische Reise im Jahr 1799. Inaugural-Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig. Leipzig, 1923. 9 Erst viele Jahre später veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Forschungen in Spanien in der geographischen Zeitschrift Hertha, siehe: HUMBOLDT, 1825. 5 Erfassung Spaniens. Zu nennen sind hier vor allem die zwei erstellten Höhenprofile – durchgeführt von Valencia bis La Coruña, sowie von der Sierra Nevada bis zu den Pyrenäen – womit diese beiden Reisenden die ersten waren, die erkannt haben, dass sich Madrid auf einer Hochebene befindet. Seinen Aufenthalt in Madrid nutzte Humboldt zur intensiven Vorbereitung seiner Amerikareise: sowohl in diplomatischer Hinsicht, um von dem spanischen König Karl IV. die hierfür erforderliche Erlaubnis zu erhalten, als auch in naturwissenschaftlicher, weswegen er unverzüglich Kontakt zu den in der Hauptstadt ansässigen Gelehrten und Forschungsreisenden sowie den wissenschaftlichen Institutionen10 aufnahm und sich in der Zusammenarbeit mit diesen die notwendigen Kenntnisse über den amerikanischen Kontinent aneignete. An dieser Stelle soll vorweggenommen werden, dass sich seine Kontakte zu den Mitgliedern der wissenschaftlichen Kreise Spaniens keineswegs auf seinen Aufenthalt in diesem Land beschränkt haben. Auch im Verlauf seiner Reise ließ er diesen lange Berichte mit einer Beschreibung seiner Tätigkeiten sowie erste Resultaten zukommen – die in Spanien bereits veröffentlicht wurden, während er sich noch in der Neuen Welt befand.11 In einigen Fällen entwickelte sich aus diesem Briefkontakt sogar eine über viele Jahre hinweg bestehende berufliche Zusammenarbeit. Wie an späterer Stelle noch ausführlich dargestellt wird, begann Humboldt im Anschluss an seine Amerikaexpedition anhand der ersten Chronisten das intensive Studium der spanischen Quellenlage zur Conquista. Durch die Aufarbeitung der spanischen Geschichte über dieses bedeutsame historische Ereignis stellte er wieder die Verbindung zu demjenigen Land her, von dem aus seine einzigartige Expeditionsreise seinen Anfang genommen hatte. Es ist bemerkenswert, dass die Relevanz Spaniens für die humboldtsche Amerikaexpedition und deren wissenschaftliche Ausarbeitung, sowie auch seine lebenslange Verbindung mit der spanischen Welt, bislang kaum von der internationalen Humboldtforschung aufgegriffen worden ist. Selbst in Spanien hat man sich nur in geringem Maße mit diesem Sachverhalt befasst; Alexander von Humboldt und seine Werke sind dort heutzutage vergleichsweise nur wenig bekannt und lediglich unzureichend bearbeitet worden. Ein bereits im Jahr 1933 erfolgter Aufruf des Madrider 10 Detaillierte Informationen hierzu bietet folgender Artikel: Miguel Ángel PUIG-SAMPER, „Humboldt, ein Preuße am Hofe Karls IV.”. In: Ottmar ETTE; Walther L. BERNECKER (Hg.), Ansichten Amerikas. Neuere Studien zu Alexander von Humboldt. Frankfurt a. M.: Vervuert, 2001, S. 19-49. 11 Siehe hierzu nähere Ausführungen in Kapitel III.1. 6 Professors Amando Melón y Ruíz de Gordejuela – eines der bedeutendsten spanischen Humboldtforscher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – zu einer weiteren Erforschung des preußischen Wissenschaftlers in Spanien blieb lange Zeit unbeachtet.12 Dies mag zunächst erstaunlich anmuten, läßt sich allerdings dadurch erklären, daß Humboldts Expedition zu einer Zeit durchgeführt worden war, in welcher sich die verschiedenen Regionen Spanisch-Amerikas gerade im Prozeß der Ablösung von ihrem Mutterland befanden. Daher wird seine Reise mehr in Verbindung mit einem in Unabhängigkeitsbestrebungen befindlichen Amerika gesehen, als in Bezug zur spanischen Metropole; aus diesem Grund waren es stets auch vorwiegend lateinamerikanische Wissenschaftler, die sich mit Humboldts Person und Werk beschäftigt haben. Diese wiederum nahmen den Preußen umgehend als Vorkämpfer für ihre politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Anspruch, schufen in diesem Zusammenhang gar einen Mythos um seine Person, so dass es für spanische Wissenschaftler schwierig wurde, sich diesem in neutraler Weise anzunähern. Um aufzuzeigen wie dieses Thema bisher in der internationalen Humboldtforschung behandelt worden ist und damit die Forschungsdesiderate zu eruieren, die einer intensiveren Bearbeitung bedürfen, befassen sich die folgenden Ausführungen mit einer historiographischen Analyse dieser Zusammenhänge:13 Bereits Ende des 19. Jahrhunderts thematisierten einzelne Autoren mit Humboldts Spanienaufenhalt zusammenhängende Aspekte. Hier ist zunächst einmal Alexandre Daguet mit seiner Schrift Les Barons de Forell. Ministres d’Etat à Dresde et à Madrid zu nennen. Obwohl sich diese Abhandlung auf die Familie Forell bezieht, widmet er dem genannten Thema einen großen Abschnitt, insbesondere bezüglich der administrativen Vorbereitung der Reise, der Kontakte mit den spanischen Wissenschaftlern sowie der politischen Rahmenbedingungen, welche der Preuße in der spanischen Hauptstadt antraf und unter denen er die Vorbereitung seiner Reise anging.14 12 Amando MELÓN Y RUÍZ DE GORDEJUELA, Alejandro de Humboldt en la América española. Discurso leido en la solemne apertura del curso académico 1932 a 1933. Universidad de Valladolid: Tip. Cuesta, 1933, S. 19-29. 13 Eine gute Übersicht hierüber bietet: Miguel Ángel PUIG-SAMPER, „La investigación humboldtiana en España. Antecedentes y perspectivas”. Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas. Bd. 37. Köln; Weimar Wien: Böhlau, 2000, S. 347-356; Miguel Ángel PUIG-SAMPER, „España en la memoria de Humboldt y en el olvido de los humboldtianos“. Matices, Köln, Nr. 23, Herbst 1999, S. 44-45. 14 Alexandre DAGUET, Les Barons de Forell. Ministres d’Etat à Dresde et à Madrid. D’après des documents inédits et des lettres égalment inédits d’Alexandre de Humboldt. Lausanne: Imprimerie Lucien Vincent, 1872, S. 81-117. 7
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