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Albrecht Dürer PDF

176 Pages·1970·68.635 MB·German
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A l b r e c h t D ü r e r H e i n z L ü d e c k e V E B E . A . S e e m a n n - V e r l a g , L e i p z i g on keinem der alten deutschen beln und Dächern, der Straßen quetschender Enge und Künsder wissen wir biographisch der Kirchen ehrwürdiger Nacht. «Item dieser obgemeldete Albrecht Dürer der Ältere hat sein Leben mit großer soviel wie von Dürer; er ist der Mühe und schwerer Arbeit zugebracht und von nichts erste, der als Persönlichkeit aus der anderem Nahrung gehabt, denn was er für sich, sein Weib mittelalterlichen Anonymität her­ austritt. Er schrieb, wie wir heute und Kind mit seiner Hand gewonnen hat. Darum hat er sagen würden, Memoiren, ein Ge­ gar wenig gehabt. Denn er hielt ein ehrbar christlich Le­ denkbuch, von dem leider nur ben, war ein geduldiger Mann und sanftmütig, gegen jeder­ Bruchstücke auf uns gekommen sind, und zeichnete als mann friedsam; und er war fast (= sehr) dankbar gegen Gott.» .Dürer hat seinen Vater zweimal gemalt, in den Dreiundfünfzigjähriger eine Familiengeschichte auf, in die 26 Jahren 1490 und 1497. Das erste Bild betont die Gottes­ er die Hauschronik seiner Eltern übernahm. Dazu besitzen wir rund dreißig Briefe von seiner Hand und das Tagebuch furcht und Demut, das zweite die aus Sorgen erwachsene seiner Reise in die Niederlande. Würde des «künstlichen reinen Mannes», der «weniger Dürers Vater war aus dem «Königreich zu Hungern» na ch Worte» war. Das Vaterporträt von 1490 hatte ein Bildnis der Mutter Deutschland eingewandert. Eytas (Ajtos) hieß das im zum Gegenstück, das seit dem 17. Jahrhundert verschol­ Komitat Bekes gelegene Dorf, wo die Vorfahren des len ist Ob wir es, vor die Wahl gestellt, gegen die Kohle­ Malers die Rinder- und Pferdezucht betrieben. Sein Groß­ zeichnung eintauschen würden, die Dürer im Todesjahr vater Anthoni kam in die Stadt Gyula zu einem Gold­ 104 seiner Mutter, 1514, von deren Antlitz gefertigt hat? Dieses schmied in die Lehre. Anthonis Sohn Albrecht erlernte kostbare Blatt, auf dem Liebe mit sachlicher Wahrhaftig­ das väterliche Handwerk und blieb auf der Gesellenwan­ keit vereinigt ist, gehört zu den größten Denkmälern der derung in Nürnberg. Dort heiratete er 1467 die fünfzehn­ realistischen Tradition. Und so gewiß wir sind, daß diese jährige Tochter Barbara des Goldschmiedemeisters Hie­ Porträtzeichnung ähnlich ist, so wenig sehen wir in ihr ronymus Holper, seines Dienstherm. Albrecht Dürer, ge­ boren am 21. Mai 1471, war das dritte von 18 Kindern. einen Einzelfall. Sie verbildlicht nicht nur das Schicksal Im 15. Jahrhundert gab es im Komitat Bekes keine fremden der Handwerkerwitwe Barbara Dürer, sondern das der Siedlungen. Der typisch deutsche Künsder Dürer könnte von Not und überschwerer Arbeit abgehärmten Mütter also väterlicherseits magyarischen Blutes sein. Mehrere überhaupt, durch die Jahrhunderte hin. Von dieser einen zeitgenössische Bildnisse - wie ein Gemälde in kirchlichem aber meldet ihr Sohn, sie habe «oft die Pestilenz gehabt, viele andere schwere merkliche Krankheit», habe «große Besitz in Kromefiz, das Hans von Kulmbach zugeschrie- Armut gelitten, Verspottung, Verachtung, höhnische ben w ird, und die Medaille von Hans Schwarz - scheinen es 143 zu bestätigen. Jedenfalls haben der Name Dürer (= Türer) Worte, Schrecken und große Widerwärtigkeit», doch sei sie nie «rachsüchtig» geworden. und das Wappen mit der geöffneten Tür ihren Ursprung in Es ist schwer zu verstehen, warum ein Goldschmied­ der Verdeutschung des ungarischen ajto = Tür. Liest man, was Dürer von seinen Eltern berichtet, so er­ ehepaar in so kümmerlichen Verhältnissen lebte. Selbst steht vor einem die alte deutsche Stadt, wie sie im Oster­ wenn man die hohe Kinderzahl berücksichtigt, so wird spaziergang des «Faust» beschrieben ist, mit ihren niedri­ man, um den Druck zu erklären, der auf der Familie Dürer gen Häusern und dumpfen Gemächern, mit ihren Hand­ lastete, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situa­ werks- und Gewerbesbanden, mit dem Druck von Gie­ tion in Nürnberg die Hauptschuld geben müssen. 5 KINDHEIT UND LEHRJAHRE Seit dem 13. Jahrhundert setzten sich die Produktions­ und Handelsstädte mit wachsendem kämpferischen Elan gegen das Feudalsystem zur Wehr, das immer mehr zum Hemmnis des ökonomischen und sozialen Fortschritts wurde. Gegen den untergangreifen Feudalismus und seine Entartungen, voran das Raubritterunwesen und den Ab­ laßhandel, waren sich die Städtebürger in der gesamten Vorreformationszeit einig, vom armen Schneidergesellen bis zum reichen Bürgermeister. Dieses Zusammenstehen gegen den äußeren Feind führte zwar manchmal zu Burg­ frieden, nie aber natürlich zu echter innerer Harmonie. Im 14. Jahrhundert empörten sich in vielen deutschen Städten die Handwerker gegen die Nutznießer ihres Fleißes, die Geschlechter oder - wie wir heute sagen - Patrizier, die meist als Großkaufleute zu Vermögen und Macht ge­ kommen waren, und forderten eine gerechte Organisation der Stadtverwaltung. In einer R eihe von Städten erlangten die Zünfte eine mehr oder minder starke Beteiligung an der Regierung. Man­ cherorts jedoch siegten die Patrizier über die andrängen­ den demokratischen Kräfte. In Nürnberg war 1348 der sogenannte Große Aufstand, dessen Führer, ein Plattner (Harnischmacher) mit dem Spitznamen «der Geißbart», wahrscheinlich als langbärtiger Mann mit helmähnlicher Mütze in der «Apokalypse» der Marter des hl. Johannes zuschaut. Die Aufständischen hatten die Mehrheit im Rat Der bl. Hieronymus. Aus: Epistolare beati Hieroymi (1492) und errichteten Zünfte, wie es sie in den meisten Gewerbe­ macht hatte nicht nur im politischen, sondern auch im städten schon seit langem gab. 1349 kam der in Prag resi­ kulturellen Bereich restaurative, ja reaktionäre Folgen. dierende Luxemburger Karl IV. den Geschlechtern zu Zum Unterschied vom nahen Augsburg, wo die Zünfte Hilfe, die er im Streit mit dem Haus Wittelsbach um die mitregierten, war Nürnberg eine der deutschen Groß­ Königs- und Kaiserwürde als Bundesgenossen brauchte städte des 15. Jahrhunderts, die sich am langsamsten dem und von denen mancher als Kuxenbesitzer aus dem tsche­ Humanismus öffneten. Modernes Ideengut drang zuerst chischen und slowakischen Bergbau Profite zog. Durch durch die Juristen in die Reichsstadt ein; der Rat mußte das militärische Eingreifen der Reichsgewalt fiel die Allein­ sie beschäftigen, um mit der Reichsjustiz Schritt zu halten, herrschaft abermals an das Patriziat Die Zünfte wurden die sich das römische Recht zum Vorbild nahm. In Dürers aufgelöst und bis zum Ende der reichsstädtischen Ver­ fassung Nürnbergs unter Napoleon (1806) nicht wieder Geburtsjahr übersiedelte dann der Astronom und Gräzist zugelassen. Regiomontanus nach Nürnberg. Ihn zog nicht etwa das Zur Dürer-Zeit herrschte seit rund anderthalb Jahrhun­ geistige Klima, sondern die Kunstfertigkeit der Nürnber­ derten der Kleinere oder Engere Rat, bestehend aus 34 ger Handwerker an, die seine Instrumente bauten. 1484 Patriziern und der meist schweigenden Minorität von acht ließ sich der Arzt Hartmann Schedel, der Verfasser der Handwerksmeistern. Daneben tagte bei feierlichen Ge­ «Weltchronik», an der Pegnitz nieder. 1487 wurde Konrad legenheiten ein Größerer Rat, der rein dekorative Funk­ Celtis auf der Nürnberger Burg zum Dichter gekrönt. Er tionen hatte. Das Handwerk war eingeteilt in das die le- hielt sich oft in Nürnberg auf, und um ihn sammelte sich ein vorwiegend patrizischer Humanistenkreis. Das Patri­ bens- und kriegswichtigen Berufe umfassende Geschwo­ rene Handwerk und die Freie Kunst Es wurde durch die ziat beanspruchte nämlich jetzt die neue Bi ldung, die es so lange abgewehrt hatte, als sein Standesprivileg. Dürers Herren an der Rüg, Deputierte des Kleineren Rates, und Ringen um Wissen und gesellschaftliche Geltung war - deren Behörde, das Rugsamt, streng überwacht. seine Reisen nach Italien einbegriffen - ein Teil des Kamp- Die gewaltsame Wiederherstellung der patrizischen Vor- 6 fes um die demokratische Aneignung des Humanismus, Michael Wolgemut ging, wie die meisten spätgotischen den in der nächsten Generation Hans Sachs auf seine Weise Maler, im Schaffen seiner Werkstatt auf - keine geniale weiterführte. Persönlichkeit, aber ein nüchtern-tüchtiger Meister, der sich auf seine Art mit weit über Nürnbergs Grenzen hin­ Dürer besuchte von etwa 1477 bis 1483 eine der sogenann­ ausreichendem Erfolg bemühte, die alten kirchlichen The­ ten Trivialschulen, die etwas mehr als das ABC boten. Nachdem er sie absolviert hatte, nahm ihn sein Vater als men mit neuem Leben zu erfüllen. Was er seinen Lehr- Lehrling in die eigene Werkstatt. Die Goldschmiedelehre jungen zu geben hatte, waren das solide Handwerk und die legte in dem begabten Jungen den Grund zu der Genauig­ ikonographische Tradition. Dürer hat ihn als knorrigen 37 Zweiundachtzigjährigen porträtiert. keit und Sauberkeit der Arbeitsweise, die dann den Künst­ Wolgemut war mit der Witwe des Hans Pleydenwurff ver­ ler auszeichnete. Besonders aber wurde hier die Meister­ heiratet, der uns in seinem psychologisch und farblich schaft des Kupferstechers vorbereitet Ist doch die Technik überraschend feinen Konterfei des Grafen Löwenstein des Kupferstechens aus dem Gravieren der Goldschmiede (Nürnberg, Germanisches National-Museum) eines der und Plattner hervorgegangen. schönsten deutschen Bildnisse des 15. Jahrhunderts hin­ Das früheste erhaltene Werk von Dürers Hand stammt aus 63 terlassen hat. Pleydenwurff - auch e r der Eigentümer einer der Zeit der väterlichen Lehre: das nachträglich aus der Erinnerung «1484» datierte Selbstbildnis, das aber auch Werkstatt - zählt zu den Meistern, die die Nürnberger etwas später entstanden sein kann. Die Troddeln der Malerei von dem böhmischen Einfluß lösten, der ihren Kappe an der linken Kopfseite sind roh hinzugefugt; die Stil infolge der engen Prager Beziehungen im ersten Ja hr­ an der rechten wellig herabfallenden Haare verraten schon hundertdrittel bestimmt hatte. In diesem Veränderungs­ die vielgerühmte Kunst, das Haar mit äußerster Feinheit prozeß gab es eine rebellenhaft-realistische Episode, die an abzubilden und es als Mittel des psychischen Ausdrucks zu benutzen. Das erstaunlichste aber ist, daß damals, als Bauherr und Bauleute. Aus: Das Narrenschiff (1494) Selbstdarstellungen sogar in Italien selten waren und fast nur «in der Assistenz» vorkamen, d. h. als Handelnde oder Zuschauende in einem religiösen Bildzusammenhang, ein Anfänger auf den Gedanken verfiel, seine eigene Person al s Studienobjekt zu wählen. Wir werden noch von der Rolle des Selbstporträts in Dürers Schaffen zu sprechen haben. Was diese Silberstiftzeichnung anbetrifft, so liegt es nahe, einen Anstoß zu vermuten, der mit der früh ge­ weckten Neigung korrespondierte. Ein Priester schenkte dem Rat von Nürnberg eine Sammlung antiker Münzen, die durch den älteren Dürer und andere Meister vergoldet und versilbert und 1486 der Ratsbibliothek überwiesen wurden. Könnten nicht diese «Kaiserangesichte» den Lehrling, der sie bewunderte, zu dem reliefartig anmu­ tenden Experiment veranlaßt haben, gleichzeitig etwa mit dem stilistisch ähnlichen Silberstiftporträt des Vaters (Wien, Albertina)? Damals begann sich Dürer seiner Berufung bewußt zu werden. «Und da ich nun säuberlich arbeiten konnte, trug mich meine Lust mehr zu der Malerei denn zum Gold­ schmiedehandwerk. Das hielt ich meinem Vater vor. Aber er war nicht wohl zufrieden, denn ihn reute die verlorene Zeit, die ich mit der Goldschmiedelehre hatte zugebracht. Doch ließ er mir’s nach, und da man zählte nach Christi Geburt 1486, am St.-Endres-Tag, versprach mich mein Vater in die Lehrjahre zu Michael Wolgemut, drei Jahre lang ihm zu dienen. In der Zeit verlieh mir Gott Fleiß, daß ich wohl lernte. Aber ich viel von seinen Knechten leiden mußte.» 7 die beiden Tafeln so auffällig voneinander unterschieden sind. Ma n fühlt, daß Dürer in ein em Bereich des Schauens und Denkens lebte, der seinem Lehrer verschlossen war. Der aus Naturstudien montierte landschaftliche Hinter­ grund bei Wol gemut ist der Kulisse eines p rovinzlerisehen Porträtphotographen ähnlich. Bei Dürer thront die Maria inmitten der wirklichen Natur, die sich rechts von dem Thronsessel zum Fernblick weitet Bei Wolgemut sind die heiligen Personen und die knienden Stifterfiguren noch gleichsam Schemata, die etwas tausendmal Gesagtes wie­ derholen. Bei Dürer finden wir individuelle Menschen, die im Begriff sind, die Handlung, an der sie teilhaben, m it ihrem ganzen Wesen zu vollziehen. Zwischen dem Lehrer und dem Schüler liegt der Beginn der modernen Kunst, deren Hauptziel das Menschliche und die Natur­ wahrheit sind. Aber wir haben weit vorgegriffen und müssen in die Wol­ gemut-Werkstatt zurückkehren, die den Jüngling Dürer auf ein künstlerisches Verfahren verwies, das bald für ihn sehr wichtig werden sollte. Wolgemut wandte sich als einer der ersten deutschen Maler dem Holzschnitt zu, der seit dem Anfang des Jahrhunderts fernab von den Maler­ werkstätten als ein besonderer Gewerbezweig herange­ wachsen war. Von 1488 an arbeiteten Wolgemut und sein Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurff an den rund 650 Holz­ schnitten - den Zeichnungen und den unter ihrer Verant­ wortung gefertigten Stöcken -, die Schedels «Weltchro­ nik» schmücken sollten, und es ist anzunehmen, daß Dürer ihnen dabei helfen mußte. Die neueste Forschung schreibt ihm Details und ganze Bilder zu. Dies kam dem Neunzehnjährigen zustatten, als er im Früh­ Christus am Kreuz. Aus: Opus speciale missarum (1493) jahr 1490 auf di e Wan derschaft ging. Die sichtbaren Spu ­ ren, die der Geselle Dürer auf seinem Wanderweg zurück­ Konrad Witz erinnernde wuchtig-statuarische Menschen­ gelassen hat, sind Buchholzschnitte. So wissen wir, daß er gestaltung des Meisters des Tucher-Altars (um 1440/50). in Basel und Straßburg, den Humanisten- und Drucker­ Von den machtvollen Standfiguren dieses Altars (Nürn­ städten, Station gemacht hat Vorher war er in Colmar berg, Frauenkirche) scheint eine Verbindungslinie zu Dü­ gewesen, um Martin Schongauer zu besuchen und von rers «Vier Aposteln» zu führen. Dergleichen lag außerhalb ihm zu lernen, war aber erst nach dessen Tod (1491) in der Sphäre Michael Wolgemuts, der das Exempel der nie­ der elsässischen Reichsstadt eingetroffen. derländischen Spätgotik, das ihm teils direkt, vorwiegend wohl aber durch die Kupferstiche Martin Schongauers DIE GESELLENWANDERUNG verfügbar war, nürnbergisch enggeistig interpretierte. Auch die in Nürnberg blühende Kunst des scharf charak­ 1492 kam Dürer nach Basel. Sein erster selbständiger terisierenden, fast grimassierenden Bildnisses wurde von 135 Wolgemut und seinen «Knechten» ausgeübt Buchholzschnitt ist der Titel zu einer dort gedruckten Sammlung von Briefen des Bibelübersetzers Hieronymus. Vergleichen wir eines der späten Gemälde Wolgemuts, Der Holzstock (Universitätsbibliothek Basel) trägt auf der die «Anna selbdritt», mit Dürers kurz vorher gemaltem 136 Rückseite die zweifellos eigenhändige Signatur «Albrecht «Rosenkianzfest», so sehen wir, wie weit der Lehrer zwan­ 9 Dürer von nörmergk». Der Einundzwanzigjährige brachte zig bis fünfundzwanzig Jahre nach dem Eintritt des Schü­ einen neuen Stil nach Basel, indem er - die Bemühungen lers in seine Werkstatt hinter diesem zurückgeblieben war. Aber es ist nicht nur Dürers größeres Können, durch das Wolgemuts und Pleydenwurffs fortsetzend - das Ringen 8 um realistische Raumwiedergabe und Plastizität, das in Tafelbilder gemalt worden sein, die neuerdings Dürer zu­ der Malerei seit Jan van Eyck und Masaccio ein Haupt­ geschrieben werden, wahrscheinlich die ersten, an denen problem war, auf den Holzschnitt übertrug. Durch dieses er nicht nur Gehilfendienste geleistet hat. Wir nennen Wagnis übertraf der junge Fremde die einheimischen Illu­ einen «Christus in der Grabhöhle» (Karlsruhe, Kunsthalle) stratoren, die sich mit flächigen Umrißzeichnungen be­ und den im zweiten Weltkrieg verlorengegangenen Des­ gnügten. Der angesehene Drucker und Verleger Johannes sauer «Christophorus». In diesem Gemälde mag die Er- 140 Amerbach m achte ihn zum Leiter einer We rkstatt, die den innerung an einen primitiven Holzschnitt aus einem «Hei­ Bilderschmuck zu einer geplanten Ausgabe der Komödien ligenleben» des Nürnberger Druckers Hans Sensen­ des römischen Dichters Terenz hersteilen sollte. Für den schmidt wieder aufgestiegen sein, das Dürer als Kind und mäzenatischen Verleger Johann Bergmann von Olpe illu­ Lehrling durchblätterte und benutzte. strierte Dürer den «Ritter vom Thurn», eine aus dem Die im Deutschland des 13. Jahrhunderts entstandene Fas­ sung der uralten Christophoruslegende war in der Refor- Französischen übersetzte Geschichtensammlung, und mations- und Vorreformationsepoche populär. Schon der dann das satirische «Narrenschiff» Sebastian Brants. Er 116 älteste datierte deutsche Holzschnitt (1425) hat die Ge­ wuchs an diesen beiden Aufgaben zu einer Freiheit und schichte von dem starken Mann aus Kanaan zum Thema, Originalität, die in der Frühzeit des Holzschnitts kaum der um Christi willen arme Leute über einen Fluß trug und ihresgleichen hatten. Indem er sich mit den Texten aus­ eines Tages von einem Knäblein um diese Hilfe gebeten einandersetzte und ihre moralischen Lehren gesellschafts­ kritisch aktualisierte, schuf e r dramatisch zugespitzte Sze­ wurde, das der Weltenherrscher war und seinen Träger nen, die uns von den Konflikten einer Zeit berichten, in Christophorus taufte. Viele Bürger und Bauern, die auf der das Geld in die Feudalgesellschaft eindrang. Erlösung vom klerikalen und profanen Feudaljoch hoff­ Dürer verließ Basel, ohne die Arbeit am «Narrenschiff» ten, erblickten in dem beliebten Heiligen, der zu den «Not­ vollendet zu haben, und zog nach Straßburg weiter. Dort helfern» zählte, eine Verkörperung der Kraft des Volkes, war er in einer Malerwerkstatt tätig, zeichnete aber neben­ durch die das reine, in seinem Ursprung humane, ja armen­ bei noch einige Buchillustrationen. Sein Kanonblatt für freundliche Christentum vom Ufer der alten Zeit zu dem ein «Missale» (1493) und sein Titelbild für den erst 1502 der neuen hinübergerettet wird. Dürer hat das Christo- gedruckten 4. Band einer Ausgabe der Schriften des aus phorusmotiv immer wieder aufgegriffen, in Zeichnungen, der Kirche ausgestoßenen Pariser Kanzlers Gerson er­ dem Holzschnitt von 1511 und in zwei Kupferstichen, aus weisen ihn als einen Menschen - und Landschaftsgestalter denen die Begeisterung für die Sache der sozialen und 122 von hohem Rang. kirchlichen Erneuerung leuchtet. Luther pflegte die Evan­ Während des Aufenthaltes in Straßburg könnten einige gelischen zu mahnen, «rechte Christoffel» zu sein. Der hi Christophorus. 1511 Der hl. Christophorus. Aus: Heiligenleben (1475) 9 Stachel in der Brust und grübelte darüber nach, wie er «zur Welte sollte leben» - ein Suchender, der die verwir­ rende Problematik der Jahrhundertwende in der Zerris­ senheit des eigenen Herzens mitempfand. In der Epoche um 1500 war das «Erkenne dich selbst!» eine Forderung, die von den Humanisten nach antikem Muster im Geist der werdenden bürgerlichen Persönlich­ ke itsmoral erhoben wurde. So heißt es in Brants «Narren­ schiff»: «E s hat kein Weiser je begehr t, daß er m öcht reich sein hier auf Erd, sondern daß er lernt kennen sich...» Traf dieser Vers auf den jungen Maler zu? Brachten die folgenden Jahre ihm die Beruhigung, die das Bewußtsein des eigenen Müssens und Könnens gewährt? Die Zeich- 65 nung und das Gemälde von 1493 lassen es vermuten. Der 1 Zweiundzwanzigjährige scheint seine Entscheidung ge­ troffen zu haben. Ernst und gefestigt blickt er der Aufgabe entgegen, die ihn erwartet. Er fühlt, daß er die Kraft er­ worben hat, sich zu behaupten und auf seine Weise im Widerstreit des Alten und des Neuen mitzureden, und er ist stolz darauf. Nach einer alten Überlieferung soll Dürer das auf Perga­ ment gemalte Bild mit dem blaublühenden Eryngium (Mannestreue) aus Straßburg nach Nürnberg gesandt haben, um sich einem Mädchen zu präsentieren, das seine Eltern für ihn als Ehefrau ausgesucht hatten. «Und als ich wieder heimgekommen war, handelte Hans Frey mit mei­ nem Vater und gab mir seine Tochter mit Namen Jung­ frau Agnes und gab mir zu ihr 200 Gulden und hielt mir die Hochzeit, die war am Montag vor Margarethen im 1494. Jahr.» Dürer gewann durch die Heirat zweierlei: «mein Agnes». (1494) Anschluß an eine hö here Gesellschaftsschicht - der e rfin­ derische Mechaniker Frey war mit Ratsfamilien verschwä­ Doch wir müssen noch bei dem Reifeprozeß verweilen, gert - und durch die Mitgift die Möglichkeit, sich selb­ der sich in Dürer auf seiner Gesellenwanderung vollzog. ständig zu machen. Die Federzeichnung mit der Unter­ Er ist von den drei Selbstbildnissen abzulesen, mit denen schrift «mein Agnes», kurz nach der Hochzeit hingewor­ er fern von der Heimat Rechenschaft über sein Wollen und fen, verrät eine gewisse Zärtlichkeit. Doch sonst gedachte Werden legte, den Federzeichnungen von 1492 und 1493 Dürer der Gefährtin nie anders als str eng sachlich. Sie war und dem Gemälde von 1493. Der in sein Mannesalter Ein­ geschäftstüchtig und verkaufte die Druckgraphik ihres tretende setzte mit diesen Blicken in das eigene Wesen Ma nnes auf Messen und Märkten. fort, was er in der väterlichen Werkstatt begonnen hatte, und wurde damit zu einem Pionier des neuzeitlichen DIE ERSTE REISE NACH VENEDIG Selbstbildnisses überhaupt. Die Kommentatoren der Zeichnung von etwa 1492, des 64 Mit der Erwähnung der Hochzeit enden Dürers Angaben sogenannten Erlanger Selbstbildnisses, haben an Hölder­ über den eigenen Lebenslauf. Wir wissen daher nicht ur­ lins Frage «Warum schläft denn nimmer nur mir in der Brust der Stachel?“ erinnert und an das Gedicht «Ich saß kundlich genau, was den Jungverheirateten bewog, schon auf einem Steine» des Walther von der Vogelweide; auch im Herbst 1494 die Vaterstadt abermals auf längere Zeit ein Vergleich mit Goethe hat sich eingestellt: «... so per­ zu verlassen und sich Venedig, die Perle der Adria, als Ziel sönlich und unmittelbar wie ein Gedicht des jungen Goe­ zu wählen. Äußere Antriebe mögen im Spiel gewesen sein. the ...» Das alles ist richtig. Der Einundzwanzigjährige, Im tiefsten aber war es wohl das unbefriedigende Gefühl, dem dieses zerwühlte Antlitz gehörte, trug in der Tat den als habe er auf seiner Gesellenwanderung nicht genug 10

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