Krieg in der Tiefsee Unerklärliche Seebeben, die Tausende von Menschenleben fordern, und verdächtige Unterwasseroperationen ganzer Flottenverbände, die angeblich ozeanographische Forschungen betreiben, alarmieren die Militärs und Wissenschaftler der US-Abwehr und erzeugen Panik in politischen Kreisen der westlichen Hemisphäre. Die ORCA, die revolutionäre Neuentwicklung auf dem Gebiet des U-Boot-Baues, wird klargemacht und auf Unterwasserjagd geschickt. Die Männer des ORCA-Projekts – erfahrene Tiefseeforscher und Techniker – sollen in die tödlichen Tiefen tauchen und die Pläne des Gegners durchkreuzen. Ein Rennen auf Leben und Tod beginnt. Fanatiker haben die Gigabombe in die Tiefen des Ozeans versenkt. Die X-Zeit läuft – und nur eine winzige Chance verbleibt der Tiefseepatrouille, das Attentat gegen die Menschheit zu verhindern. MARTIN CAIDIN ALARM IN DER TIEFSEE Utopischer Roman Deutsche Erstveröffentlichung WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN HEYNE-BUCH Nr. 3129 im Wilhelm Heyne Verlag, München Titel der amerikanischen Originalausgabe THE LAST FATHOM Deutsche Übersetzung von Wulf H. Bergner Copyright © 1967 by Martin Caidin Printed in Germany 1968 Umschlag: Atelier Heinrichs & Bachmann, München Umschlagbild: Karl Stephan, München Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Freisinger Tagblatt, Dr. Franz Paul Datterer oHG., Freising 1 Drei Tage und Nächte lang wühlte der Sturm den nördlichen Pazifik auf. Eisige Luft strömte von der Arktis im Nordwesten herab, schob dunkle Wolkenberge vor sich her über die auf gewühlte See und zwang selbst dem Wasser die Richtung auf. Die Wogen marschierten in end loser Reihe von einem Horizont zum anderen; wo ihre weißen Kämme sich über Wellentälern erhoben, zerteilte der Sturm die Gischt mit sol cher Gewalt, daß Wasserstaub und Luft nicht voneinander zu unterscheiden waren. Auch zwischen Tag und Nacht gab es kaum noch einen Unterschied denn schiefergraue Wol kenmassen verdeckten die Gestirne. Zwölfhundert Meter unter der vom Sturm aufgewühlten Oberfläche herrschte tiefes Schweigen. Hier unten in der ewigen Nacht strömte ein kalter Fluß langsam an den fast senkrechten Steilwänden vorbei, die den Aleu tengraben im Süden begrenzten. Das kalte Wasser bewegte sich in der Stunde kaum ein einhalb Kilometer weit. Ein Nebenfluß dieses Unterwasserstroms zweigte in einen Spalt ab, der die Steilwand des Grabens an einer Stelle bis zum Boden durchschnitt. Hier lagen riesige Felsbrocken aufgehäuft, die Verschiebungen der Oberfläche in den Spalt hatten stürzen las sen. Das nächste Seebeben konnte bereits eine Katastrophe bringen, denn die Wände der Schlucht waren geschwächt und einsturzge fährdet. Dann würde sich ein Erdstoß nach Norden bis zur Küste Alaskas ausbreiten, und unter Wasser würden ganze Gebirge durch die Erschütterung zusammenbrechen und in der Tiefe des Aleutengrabens versinken. In dieser Schlucht am Boden der gewaltigen Klippen des Grabens schwebte eine Stahlkugel an ihrem Haltekabel. Die Stahlkugel hing ge nau hundert Meter über dem Meeresboden in der Dunkelheit. Eingehende Untersuchungen hatten gezeigt, daß dies der beste Platz war, denn hier lag eine schwache Stelle der Erd kruste. Nun war es Zeit. Im Innern der Stahlkugel betätigte ein Zeit schalter einen anderen Schalter und brachte dadurch eine komplizierte Reaktion in Gang. Diese Reaktion war in weniger als einer Tau sendstelsekunde beendet. Die Stahlkugel exis tierte augenblicklich nicht mehr. Elfhundert Meter unter der stürmischen Meeresoberfläche entstand plötzlich ein klei ner Stern. Mehrere Pfund Plutonium, die Hül le der Kugel und ihr gesamter Inhalt ver schwanden. Elfhundert Meter unter dem Nordpazifik entstand ein glühender Punkt mit einer Temperatur von vierzig Millionen Grad. Einen unendlichen Augenblick lang war es am Meeresboden so heiß wie im Sonnenin nern. Alles, was sich in unmittelbarer Nähe dieser Wärmequelle befand, wurde sofort in Gas verwandelt. An der Stelle, an der sich vor her die Stahlkugel befunden hatte, herrschte jetzt ein Druck von zwei Millionen Atmosphä ren. Dieser Druck breitete sich nach allen Seiten aus und verwandelte Wasser in überhitztes Gas. Der ursprünglich winzige Stern wurde zu einer gewaltigen Energiekugel. Eine Schock welle pflanzte sich durchs Wasser fort. In Se kundenbruchteilen hämmerte sie gegen die schwachen Stellen in der Steilwand des Aleu tengrabens. Der schwere Schlag brachte einen Teil der Steilwand zum Einsturz. Während die Fels massen in Bewegung gerieten, pflanzte sich das Seebeben durch den Spalt fort. Unter der leuchtenden Feuerkugel senkte sich der Mee resboden, während radial verlaufende Spalten und Risse von diesem gemeinsamen Mittel punkt ausgingen. Die flammende Kugel stieg zur Meeresober fläche auf, pulsierte, zog sich zusammen und dehnte sich wieder aus. Sie folgte der Schock welle, die ihr Kommen ankündigte, und übte dicht unter der Oberfläche noch immer einen Druck von fünfundvierzig Atmosphären aus. Dann stieg sie in Form einer riesigen Wasser säule aus dem Meer auf. Unter normalen Um ständen hätte die Wassersäule fast zwei Kilo meter Höhe erreicht. Aber der Sturm wütete noch immer und schlug sofort zu. Die Wassersäule zerstob zu Schaum. Zwanzig Sekunden später erinnerte nur noch eine Gischtwolke, die sich ebenfalls rasch auflöste, an dieses Ereignis, das ein menschlicher Beobachter nur aus nächster Nähe wahrgenommen hätte. Am Meeresboden zeigten sich erst jetzt die Auswirkungen dieser Explosion in elfhundert Meter Tiefe. Obwohl durch die Atomexplosion gewaltige Energiemengen freigesetzt worden waren, bestand ihre Wirkung vor allem in der Kettenreaktion, die sie innerhalb der Erdkrus te auslösen sollte. Dies war der eigentliche Zweck der Explosion: sie sollte einen Berg zum Einsturz bringen, der wiederum andere mit sich reißen würde ... Am Ufer der Fairweather Range an der Küste Alaskas geriet die Erdkruste in Bewegung. Die Druckwelle pflanzte sich unter Wasser fort und verursachte eine neue Kettenreaktion. Die Bewegung der Erdkruste erzeugte in diesem Gebiet starke unterirdische Spannungen. Der felsige Untergrund der Bergkette war diesen Spannungen nicht gewachsen; Sekunden spä ter brachen riesige Felsenmassen zusammen und erzeugten neue Stöße, von denen die Erd kruste erschüttert wurde. Diese Stöße wurden von Seismographen in allen Erdteilen registriert. Ein kurzes Beben erschütterte den nordamerikanischen Konti nent. Im Südosten Alaskas überstürzten sich nun die Ereignisse. Selbst die Luft geriet sichtbar in Bewegung, als sich Druckwellen aus der Erde in die Atmosphäre fortpflanzten. Entsetzte Au genzeugen starrten mit offenem Mund die schneebedeckten Gipfel der Bergkette an, die vor ihren Augen zu schwanken begannen, als schüttle jemand einen riesigen Teppich aus. Ein dumpfes Grollen ertönte, als überall La winen abgingen. Wolken aus Schnee, Staub und Geröll stiegen auf, wurden vom Wind er faßt und fortgerissen. In einem fast zweihun dert Kilometer langen Küstenstreifen kam es zu ähnlichen Naturerscheinungen, während die Berge zitterten und schwankten. Riesige Geiser entstanden und schickten kochendes Wasser hoch in die Luft. Schwefeltümpel bro delten stinkend, und der Wind riß auch ihre Flüssigkeit mit sich. Gewaltige Erdspalten bildeten sich plötzlich ohne vorherige Warnung; an einigen Stellen zerriß die Erdoberfläche buchstäblich. Am Awekat River begannen die Häuser einer klei nen Siedlung wild zu schwanken, als sich die Erde in ihrer Nähe öffnete. Die Bewohner der Häuser hatten kaum noch Zeit, ins Freie zu stürzen, als der Riß breiter wurde und sie alle verschlang. Im Nordwesten der Litkana Bay wurde ein Teil der Insel Capemont fünfzehn Meter hoch gehoben und wieder hinabgestürzt. Als die In sel im brodelnden Wasser verschwand, über lebten von den sechzig Männern und Frauen eines Fischerdorfes nur drei die Katastrophe. Aber die Erschütterungen wirkten sich nicht nur auf die Küstenebene oder die Gipfel der Fairweather Range aus. Auf See trieben zwei Fischerboote im Wind. Die Männer an Bord