SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Stephan Roll Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch Strategiewechsel zur Herrschaftssicherung S 16 August 2016 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2016 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Die vorliegende Publikation entstand in dem vom Aus- wärtigen Amt im Rahmen der Transformationspartner- schaften mit der arabischen Welt und der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekt »Elitenwandel und neue soziale Mobilisierung in der arabischen Welt« in Koope- ration mit der Friedrich- Ebert-Stiftung, dem Studien- werk der Heinrich Böll Stif- tung sowie dem Institut für Begabtenförderung der Hanns-Seidel-Stiftung. Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 7 Schwächung des präsidialen Machtzentrums 8 Das Außenministerium als Exekutivorgan und Propaganda-Abteilung 9 Die Militärführung im Hintergrund 11 Regimekonsolidierung als oberste außenpolitische Priorität 11 Zahlungsfähigkeit sicherstellen 13 Vermeidung externer Abhängigkeiten 15 Außenpolitischer Strategiewechsel 15 Diversifizierung der Außenbeziehungen 15 Beziehungen zu den Golfstaaten 17 Beziehungen zu Russland 18 Beziehungen zum Westen 22 Aufbau und Projektion von Hardpower 26 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 28 1. Politische und wirtschaftliche Reformen einfordern 28 2. Die richtigen Adressaten wählen 29 3. Konditionen (richtig) setzen 29 4. Allianzen innerhalb der EU und mit den USA bilden 30 Abkürzungen 30 Lektüre-Hinweise Dr. Stephan Roll ist Wissenschaftler in der SWP- Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika Problemstellung und Empfehlungen Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch. Strategiewechsel zur Herrschaftssicherung Der Militärputsch in Ägypten von Juli 2013 markierte den Beginn einer außenpolitischen Neuorientierung des Landes. Anders als in der 30-jährigen Mubarak-Ära, als Ägypten sein regionales wie internationales Auf- treten weitgehend mit seinen westlichen Partnern, allen voran den USA, abstimmte, setzt das Land nun auf außenpolitische Diversifizierung. Es vollzog einen Schulterschluss mit den drei Golfstaaten Saudi- Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Kuwait, und es intensivierte seine Beziehungen zu Russland. Dadurch hat Ägypten seine enge Anbindung an den Westen deutlich abgeschwächt. Mit dieser Neuorien- tierung ging das Bemühen einher, die eigenen mili- tärischen Handlungskapazitäten auszubauen. Ägypten hat seit dem Sommer 2013 Rüstungsgeschäfte im Umfang von rund 12 Milliarden US-Dollar abgeschlos- sen. Während in der Vergangenheit vor allem ameri- kanische Rüstungsgüter gekauft wurden, setzt die Führung in Kairo nun auf verschiedene Bezugsquel- len, darunter insbesondere Frankreich und Russland. Zudem hat Ägypten offensiv seinen militärischen Füh- rungsanspruch in der arabischen Welt untermauert – durch die Militärintervention in Libyen von Februar 2015 ebenso wie mit einer Initiative zur Gründung einer Armee unter dem Dach der Arabischen Liga. Die neue ägyptische Außenpolitik wird in dieser Studie durch den innerstaatlichen Kontext der außen- politischen Entscheidungsfindung erklärt. Im Mittel- punkt der Analyse stehen dabei nicht einzelne Ent- scheidungen, sondern die grundsätzlichen, stark innenpolitisch motivierten Ziele der Entscheidungs- träger sowie deren Strategien zur Zielerreichung. Für Präsident Sisi und das ihn stützende Militär hat es oberste Priorität, die Zahlungsfähigkeit des Landes aufrechtzuerhalten. Ein Staatsbankrott und die wirt- schaftlichen wie sozialen Verwerfungen, die damit einhergingen, würden die Herrschaftskonsolidierung des neuen Regimes zumindest gefährden. Hauptinter- esse der außenpolitischen Entscheidungsträger ist es daher, neue Finanzquellen außerhalb Ägyptens zu erschließen. Zugleich ist das Regime darum bemüht, von externen Akteuren möglichst unabhängig zu bleiben. Andernfalls könnte es unter Druck geraten, Wirtschaftsreformen umsetzen zu müssen – was in der Bevölkerung sehr unpopulär wäre – oder gar das SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 5 Problemstellung und Empfehlungen politische System öffnen zu müssen. Außenpolitische Erstens sollte von der ägyptischen Führung deut- Diversifizierung sowie die »Aufwertung« des Landes lich aktiver und konkreter als bisher eine Verbes- im regionalen Machtgefüge sollen es Kairo ermögli- serung der Menschenrechtssituation im Land ein- chen, diesen Spagat zu vollbringen: einerseits externe gefordert werden. Im Mittelpunkt stehen sollten Hilfen zu generieren, andererseits außenpolitische dabei ein Ende exzessiver Polizeigewalt, die Freilas- Abhängigkeiten zu verhindern. sung politischer Gefangener sowie der Abbau recht- Zunächst schien es, als wäre die außenpolitische licher Restriktionen für die Zivilgesellschaft. Andern- Strategie der Sisi-Administration erfolgreich. Der falls droht nicht nur eine weitere Radikalisierung Staatsbankrott ließ sich abwenden, weil die Golfstaa- und damit eine Beschleunigung der Gewaltspirale ten Hilfszahlungen und Kredite in Höhe von mindes- im Land. Auch Wirtschaftsreformen würden ohne tens 25 Milliarden US-Dollar verfügbar machten. Zu- eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen gleich konnte Ägyptens Führung die Beziehungen schnell an ihre Grenzen stoßen. zu den westlichen Staaten weitgehend normalisieren, Zweitens sollten diese Forderungen nicht im ohne dafür Zugeständnisse hinsichtlich politischer Rahmen von – bislang wenig erfolgreicher – Hinter- oder wirtschaftlicher Reformen machen zu müssen. zimmerdiplomatie, sondern öffentlich gegenüber Dass das Sisi-Regime brutal gegen Opposition und Präsident Sisi und seiner Administration erhoben Zivilgesellschaft vorging, hatte somit kaum Konse- werden. Auf Arbeitsebene sollten parallel dazu die quenzen auf Seiten der internationalen Staaten- Kontakte zum ägyptischen Militär intensiviert wer- gemeinschaft. Spätestens Anfang 2016 wurde aller- den, denn diesem kommt – wie nicht zuletzt die dings deutlich, dass sich durch die neue Außenpolitik Außenpolitikanalyse zeigt – die zentrale Rolle im die Zahlungsfähigkeit des Landes mittel- und lang- politischen Entscheidungsprozess zu. fristig nicht sichern lässt. Die Anzeichen für eine Drittens sollte es zur Vorbedingung für die Vergabe schwindende Hilfsbereitschaft der Golfmonarchien von Entwicklungskrediten und insbesondere für mehrten sich. Gleichzeitig belasteten die Kosten der Budgethilfen gemacht werden, dass diese Forderungen expansiven Rüstungspolitik die ägyptischen Staats- schrittweise erfüllt werden. Das IWF-Kreditabkommen finanzen zusätzlich. Dies wog umso schwerer, als es mit seinen rein makroökonomischen Auflagen ist da- der Regierung trotz der politisch motivierten Renten- bei ein Schritt in die falsche Richtung; es sollte des- zuflüsse nicht gelungen war, die sozioökonomische halb von Deutschland und seinen europäischen Part- Lage zu verbessern. Um den Staatsbankrott abzuwen- nern in der gegenwärtigen Form nicht unterstützt den, musste sich die Sisi-Administration wieder stär- werden. Rüstungsgeschäfte mit Ägypten bedürfen ker auf die westlichen Staaten und die von ihnen keiner Konditionierung – sie sollten gänzlich unter- dominierten internationalen Geberorganisationen lassen werden. Nicht nur die Menschenrechtssituation zubewegen. Im Juli 2016 ersuchte Ägypten schließlich steht Waffenexporten entgegen. Auch die mit Rüs- den Internationalen Währungsfonds um Hilfe. Ein tungskäufen verbundene Erhöhung der ägyptischen Kredit über 12 Milliarden US-Dollar soll nun makro- Staatsschulden liegt nicht im Interesse Deutschlands ökonomische Reformen ermöglichen, um den wirt- und seiner europäischen Partner. schaftlichen Niedergang Ägyptens abzuwenden. Viertens sollten Deutschland und die anderen Deutschland und seine europäischen Partner soll- europäischen Staaten ihre Politik gegenüber Ägypten ten vor diesem Hintergrund ihre Politik gegenüber deutlich stärker als bisher koordinieren. Falls es nicht Ägypten anpassen. Dem außenpolitischen Taktieren gelingt, sich mit anderen Regierungen auf eine Kondi- der Sisi-Administration, das zuvorderst der eigenen tionierung von Hilfen zu verständigen, sollte Deutsch- Herrschaftssicherung dient, sollte mit einer Politik land ein solches Instrument zumindest in der eigenen begegnet werden, die auf nachhaltige politische wie Politik gegenüber dem Sisi-Regime konsequent an- wirtschaftliche Stabilisierung des mit 90 Millionen wenden. Menschen bevölkerungsreichsten Landes der arabi- schen Welt abzielt. Denn sollte Ägypten kollabieren, wären die Folgen für Europa – in Form wachsenden Migrationsdrucks und steigender terroristischer Be- drohung – unabsehbar. Bei der Ausarbeitung dieser Strategie sollten vor allem vier Punkte berücksichtigt werden. SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 6 Schwächung des präsidialen Machtzentrums Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 Durch den Sturz von Präsident Husni Mubarak Anfang würde das präsidiale Machtzentrum abermals den 2011 erlangte das ägyptische Militär einen noch stär- außenpolitischen Entscheidungsprozess dominieren.2 keren Einfluss auf Politik und Wirtschaft des Landes, Im Juli 2013 übernahm das Militär erneut die Macht; als dies bereits zuvor der Fall gewesen war. Während damit verlagerte sich der außenpolitische Entschei- die Generäle in der 30-jährigen Mubarak-Ära vor allem dungsprozess abermals in das Verteidigungsministe- eine Vetofunktion im politischen System innehatten, rium. Der vom Militär eingesetzte Übergangspräsident verließen sie nun ihre »Komfortzone« und übernah- Adly Mansour erfüllte lediglich eine repräsentative men eine deutliche aktivere Rolle in der Politikgestal- Funktion; in seinen Dekreten setzte er die Vorgaben tung.1 Besonders deutlich wurde diese Entwicklung der Militärführung unter Verteidigungsminister Abdel auch im außenpolitischen Entscheidungsprozess des Fatah al-Sisi um. Dies geschah auch, als ein neuer Chef Landes. Sowohl Präsidialamt als auch Außenministe- des Auslandsgeheimdienstes zu benennen war. Nur rium büßten an Bedeutung ein, während der Oberste einen Tag nach der Machtübernahme des Militärs wur- Militärrat (Supreme Council of the Armed Forces – de diese Position mit Farid al-Tuhami besetzt, einem SCAF), das höchste militärische Führungsgremium, ehemaligen Mentor und engen Vertrauten Sisis.3 Für seinen Einfluss formell wie informell schrittweise aus- den außenpolitischen Entscheidungsprozess deutete baute. Endgültig verfestigt wurde diese neue Macht- sich dadurch eine ähnliche Konstellation wie unter konstellation mit dem Militärputsch von Juli 2013, der Mubarak an. Anders als Mubaraks mächtiger Geheim- dem ehemaligen Verteidigungsminister Abdel Fatah dienstchef Omar Suleiman vermochte es Tuhami al-Sisi den Weg ins Präsidentenamt ebnete. allerdings nicht, sich als Schattenaußenminister zu profilieren. Ausschlaggebend dafür war, dass der Auslands- Schwächung des präsidialen Machtzentrums geheimdienst seit 2011 an politischem Gewicht verlo- ren hatte. Die Militärs übernahmen damals zunächst Bis 2011 dominierte das präsidiale Machtzentrum den die direkte Führung dieser Behörde, und auch nach – außenpolitischen Entscheidungsprozess. Präsident formaler – Übergabe ihrer Macht an den Staatspräsi- Mubarak war nicht nur gemäß der ägyptischen Verfas- denten behielten sie die faktische Kontrolle. Die Mit- sung oberster Entscheidungsträger. Auch faktisch arbeiter des Geheimdienstes wurden durch die Ver- hatte das Präsidialamt die federführende Rolle bei den fassung von 2014 explizit der Militärgerichtsbarkeit zentralen außenpolitischen Dossiers des Landes. Wich- tigster Emissär und engster Vertrauter Mubaraks war 2 Ähnlich wie Mubarak setzte Mursi bei wichtigen Dossiers nicht auf den Außenminister, sondern auf seinen engen Ver- der Chef des Auslandsgeheimdienstes (»Mukhabarat«), trauten Essam al-Haddad. Haddad, ein führendes Mitglied der Omar Suleiman, der direkt dem Präsidialamt unter- Muslimbruderschaft, wurde zum Assistenten für außenpoli- stand und zum Schattenaußenminister avancierte. tische Angelegenheiten und internationale Kooperation er- Das Machtvakuum, das nach dem erzwungenen Rück- nannt; damit war er ein zentraler Ansprechpartner ausländi- tritt Mubaraks im Februar 2011 entstand, wurde durch scher Regierungen. Vgl. Jannis Grimm/Stephan Roll, Ägyptens das Militär gefüllt. Der Oberste Militärrat übernahm Außenpolitik unter Muhammad Mursi. Innenpolitisches Kalkül und wirtschaftliche Handlungszwänge, Berlin: Stiftung Wissenschaft durch eine Verfassungserklärung die Befugnisse des und Politik, Oktober 2012 (SWP-Aktuell 58/2012), <www.swp- Staatspräsidenten und wurde damit auch oberster Ent- berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2012A58_ scheidungsträger in der Außenpolitik. gmm_rll.pdf> (Zugriff am 4.7.2016). Nach der Wahl Mohammed Mursis zum Staats- 3 Unter Mubarak hatte Tuhami die mächtige Verwaltungs- präsidenten im Juni 2012 sah es zunächst so aus, als kontrollbehörde geleitet. Ihre Aufgabe bestand darin, die Verwaltung und den öffentlichen Wirtschaftssektor zu über- wachen – eine für die Herrschaftsausübung wichtige Funk- 1 Vgl. Holger Albrecht/Dina Bishara, »Back on Horseback: tion. 2012 war Tuhami, der als erbitterter Gegner der Muslim- The Military and Political Transformation in Egypt«, in: bruderschaft galt, von Mursi seines Postens enthoben und in Middle East Law and Governance, 3 (2011) 1/2, S. 13–23 (17ff). den Ruhestand versetzt worden. SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 7 Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 unterstellt (Artikel 204); sie können so jederzeit von Das Außenministerium als Exekutivorgan den Generälen zur Rechenschaft gezogen werden. und Propaganda-Abteilung Tuhami selbst wurde Ende 2014 überraschend durch seinen Stellvertreter Khaled Fawzy abgelöst. Unklar Obwohl das Außenministerium wie bereits vor 2011 blieb, ob dafür, wie offiziell behauptet, tatsächlich kaum in den außenpolitischen Entscheidungsprozess gesundheitliche Gründe verantwortlich waren – oder einbezogen wurde, bildete es nach dem Sturz Muba- vielmehr die sogenannte Sisi-Leaks-Affäre, bei der an- raks doch eine wichtige Machtressource für die poli- gebliche Tonbandaufzeichnungen aus dem Präsidial- tische Führung. Mit über 950 Diplomaten und meh- amt von ausländischen Medien veröffentlicht wurden.4 reren tausend Angestellten gilt das Ministerium als Nachdem Sisi am 8. Juni 2014 das Präsidentenamt äußerst professionell – und dank seiner 135 Vertre- übernommen hatte, bemühte er sich kaum, die eige- tungen im Ausland auch als international hervor- nen außenpolitischen Handlungskapazitäten gegen- ragend vernetzt, zumal im Vergleich mit den Außen- über der Militärführung auszubauen. Zwar schuf er ressorts anderer arabischer Länder.7 Dem Amt kommt im Präsidialamt die Stelle eines »Nationalen Sicher- somit eine zentrale Rolle bei der Umsetzung außen- heitsberaters«, auf die im November 2014 die Karriere- politischer Entscheidungen zu. Im ersten Kabinett der diplomatin Fayza Aboul Naga berufen wurde. Ihre Nach-Mubarak-Ära, das vom SCAF Anfang März 2011 Ernennung richtete sich aber nicht gegen das Militär. eingesetzt wurde, hatte Nabil al-Arabi die Führung des Naga war unter Mubarak bis zur Ministerin für Pla- Ministeriums inne. Der Karrierediplomat war charis- nung und Internationale Kooperation aufgestiegen; matischer als sein Vorgänger Ahmed Aboul Gheit und diesen Posten behielt sie bis 2013. In dieser Zeit galt hatte aufgrund familiärer Beziehungen beste Kon- sie als Vertreterin von Militärinteressen innerhalb des takte in der ägyptischen Oberschicht.8 Durch al-Arabis Kabinetts.5 Als Nationaler Sicherheitsberaterin oblag Medienpräsenz wurde das Ministerium zumindest in ihr nun vor allem die Abstimmung zwischen verschie- der öffentlichen Wahrnehmung deutlich aufgewertet. denen staatlichen Akteuren. Eine solche Koordination Nur vier Monate nach seiner Ernennung wechselte war notwendig geworden, weil im Staatsapparat al-Arabi jedoch auf den Posten des Generalsekretärs insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit der Zivil- der Arabischen Liga. Ihm folgten der ehemalige Bot- gesellschaft Differenzen entstanden waren. Das schafter in Deutschland, Mohammed Orabi, und nur Außenministerium und die mit Wirtschaftsfragen einen Monat später, bei einer Regierungsumbildung befassten Ressorts plädierten offenbar dafür, eine im Juli 2011, Mohammed Kamel Amr. Letzterer ent- rechtsstaatliche Fassade aufrechtzuerhalten, wobei wickelte nach außen kaum eigenes Profil. Seine Ernen- sie die Beziehungen zu westlichen Staaten und inter- nung passte somit zum Vorgehen des SCAF, der seine nationalen Geberorganisationen im Blick hatten. Im Interessen vor allem durch militärnahe Technokraten Sicherheitsapparat des Landes hingegen verfolgte gewahrt sehen wollte.9 Nachdem Mohammed Mursi man zunehmend eine kompromisslose außergesetz- das Präsidentenamt angetreten hatte, wurde Amr in- liche Repressionspolitik.6 des zunehmend von Mursis außenpolitischem Berater Essam al-Haddad in den Schatten gestellt. 4 David D. Kirkpatrick, »Egypt’s President Replaces Influen- Nach dem Militärputsch von Juli 2013 wurde Nabil tial Intelligence Chief«, in: The New York Times (online), Fahmy, langjähriger Botschafter in Washington, zum 21.12.2014, <www.nytimes.com/2014/12/22/world/middle Außenminister ernannt. Fahmy brachte erkennbar east/egypts-president-replaces-intelligence-chief.html> (Zugriff am 4.7.2016). frischen Wind in das Ministerium. Aufgrund seiner 5 Offenbar war es auch der ehemalige Militärchef Feld- Herkunft – der Vater war Außenminister unter Präsi- marschall Tantawi, der Aboul Naga Ende 2014 für den Posten dent Sadat – und seiner langjährigen Erfahrung im der Nationalen Sicherheitsberaterin nominierte. Dina Ezzat, diplomatischen Dienst galt Fahmy als Schwergewicht »National Security Appointments«, in: Al-Ahram Weekly (on- line), 13.11.2014, <http://weekly.ahram.org.eg/News/7703/ 17/National-security-appointments.aspx> (Zugriff am 7 Vgl. Nael Shama, Egyptian Foreign Policy from Mubarak to 4.7.2016). Morsi. Against the National Interest, New York 2014, S. 82ff. 6 Jannis Grimm, Repressionen gegen Ägyptens Zivilgesellschaft. 8 Nabil al-Araby ist familiär eng mit dem Grandseigneur Staatliche Gewalt, Verengung des öffentlichen Raums und außergesetz- der ägyptischen Außenpolitik, Muhamed Hassanein Heikal, liche Verfolgung, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, verbunden. Juli 2015 (SWP-Aktuell 60/2015), S. 6, <www.swp-berlin.org/ 9 Stephan Roll, »Managing Change: How Egypt’s Military fileadmin/contents/products/aktuell/2015A60_gmm.pdf> Leadership Shaped the Transformation«, in: Mediterranean (Zugriff am 4.7.2016). Politics, 21 (2016) 1, S. 23–43 (27). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 8 Die Militärführung im Hintergrund im außenpolitischen Establishment des Landes. Zu- Oktober 2015 im Amt beließ. Unter Shoukry wurde dem wurden ihm politische Ambitionen nachgesagt; die Propaganda-Arbeit des Ministeriums deutlich ver- so war er bis zur Übernahme des Ministeramts Mit- stärkt. In den sozialen Medien veröffentlichte die ägyp- glied in der liberalen Dustur-Partei, die der ehemalige tische Regierung regelmäßig »Gegendarstellungen« Generaldirektor der Internationalen Atomenergie- zu kritischen Berichten über die Menschenrechtslage behörde, Mohammed al-Baradei, gegründet hatte.10 im Land,15 begleitet von immer schrilleren Stellung- Fahmy verteidigte zwar dem Ausland gegenüber die nahmen des Ministers.16 zunehmende staatliche Repression nach dem Militär- putsch, trat intern aber moderat auf.11 Vor allem pochte er auf eine gewisse Eigenständigkeit des Die Militärführung im Hintergrund Außenamts gegenüber dem mächtigen staatlichen Sicherheitsapparat. In der Militärführung wurde sein Durch die Änderung des verfassungsrechtlichen Rah- selbstbewusstes Auftreten daher zunehmend negativ mens nach 2011 hatte sich die Militärführung formal gesehen. Nach Sisis Übernahme des Präsidentenamtes zwar nur ein Mitspracherecht im politischen Entschei- im Juli 2014 wurde Fahmy überraschend entlassen. dungsprozess gesichert; doch ihr tatsächlicher Ein- Grund dafür soll gewesen sein, dass er sich weigerte, fluss ging weit darüber hinaus. Die Generäle lenkten die von der Staatssicherheit geforderte »Säuberung« nach dem erzwungenen Rücktritt Mubaraks aktiv den des Ministeriums von angeblich regimekritischen politischen Umbau des Landes.17 Dabei waren inner- Diplomaten durchzuführen.12 halb des SCAF unterschiedliche Personen für einzelne Fahmys Nachfolger Sameh Shoukry schien eher Politikfelder zuständig. Das außenpolitische Dossier bereit, die Anweisungen der Sicherheitsorgane um- wurde von Generalmajor Mohammed Said al-Assar zusetzen.13 Shoukry war Fahmy bereits 2008 als Bot- betreut. Obgleich al-Assar öffentlich sehr viel weniger schafter in Washington nachgefolgt, ein Amt, das er in Erscheinung trat als der jeweilige Außenminister, bis 2013 innehatte. Ihm eilte der Ruf eines Diploma- galt er bei Beobachtern als der eigentliche Strippen- ten voraus, der auf internationaler Bühne regelrecht zieher im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit aggressiv agiert.14 Tatsächlich vertrat Shoukry die 2011.18 Bereits unter Verteidigungsminister Tantawi Politik des Sisi-Regimes äußerst offensiv – zur Zufrie- hatte er Karriere im Bereich Rüstungsgüterbeschaf- denheit der Militärführung und des Präsidenten, fung und -produktion gemacht; 2003 wurde er zum der ihn bei einer weiteren Regierungsumbildung im Assistenten für Rüstungsangelegenheiten ernannt. In dieser Funktion gehörte er auch dem SCAF an, wo- durch er maßgeblich in dessen Entscheidungsfindung 10 »Foreign Minister Freezes Membership in Dostour Party«, ab 2011 eingebunden war. Die unmittelbare Zustän- in: Aswat Masriya (online), 17.7.2013, <http://en.aswatmasriya. com/news/view.aspx?id=8f3a1c71-2878-43f1-b4d9-9e57780 cf975> (Zugriff am 4.7.2016). 15 Insbesondere die Twitter-Kommunikation des Ministe- 11 Bei der entscheidenden Kabinettssitzung im August 2013 riums bzw. seines Sprechers wurde ausgebaut. Zudem ent- soll Fahmy sich dagegen ausgesprochen haben, die von Mus- stand der englischsprachige »Egypt MFA Blog«, über den das limbrüdern besetzten Plätze in Kairo und Giza gewaltsam Ministerium die »inkorrekte« Berichterstattung über Ägypten räumen zu lassen. Gespräche mit ägyptischen Diplomaten, richtigstellen und ein positives Bild des Landes vermitteln Kairo, Berlin, 2014 und 2015. will. Vgl. Mai Shams El-Din, »Egypt Launches English Blog 12 Offenbar hatte die Staatssicherheit eine Liste von Mit- to Counter ›Inaccurate Reports‹ by Foreign Media«, in: arbeitern des Außenministeriums erstellt, die aus dem Dienst The Guardian (online), 27.8.2015, <www.theguardian.com/ entlassen werden sollten. Interviews mit ägyptischen Diplo- world/2015/aug/27/egypt-foreign-ministry-blog-media> maten, 2015. (Zugriff am 4.7.2016). 13 Unter seiner Führung wurde angeblich eine Reihe von 16 Beispielsweise verglich Shoukry die Kritik an der Men- Diplomaten ihrer Posten enthoben, deren Namen zuvor von schenrechtssituation in Ägypten mit Nazi-Propaganda, siehe der Staatssicherheit an das Außenministerium übermittelt Yochi Dreazen/Siobhán O’Grady/John Hudson, »Egypt’s Top worden waren. Interviews mit ägyptischen Diplomaten, 2015. Diplomat Denies Cairo Is Cracking Down on Dissidents«, in: 14 Entsprechendes wurde über Shoukry, der von 2005 bis Foreign Policy (online), 8.2.2016, <http://foreignpolicy.com/ 2008 der Ständige Vertreter Ägyptens bei den Vereinten 2016/02/08/egypts-top-diplomat-denies-cairo-is-cracking-down- Nationen in Genf war, bereits in einer Botschaftsdepesche on-dissidents/> (Zugriff am 21.3.2016). der dortigen US-Vertretung berichtet. »Egypt’s Ambassador 17 Vgl. Roll, »Managing Change« [wie Fn. 9]. Shoukry and His Aggressive Delegation in Geneva«, Wikileaks, 18 Hadi Ibrahim, »Ingenieur der ägyptischen Außenpolitik« 2.7.2008, <https://wikileaks.org/plusd/cables/08GENEVA504_ (arabisch), in: News 24 Egypt (online), 20.9.2015, <http://bit.ly/ a.html> (Zugriff am 4.7.2016). News24Egypt> (Zugriff am 26.11.2015). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 9 Machtverschiebungen im außenpolitischen Entscheidungsprozess seit 2011 digkeit al-Assars erstreckte sich dabei auf die Bereiche General al-Assars dominierende Rolle bei außen- Außenpolitik, Öffentlichkeitsarbeit und Beziehungen politischen Entscheidungen seit 2011 ist allerdings zur Politik.19 Seine guten Kontakte nach Washington nicht der einzige Indikator für eine Machtverschie- nutzte er, um in den USA für Unterstützung des ägyp- bung zugunsten des Militärs. Vielmehr hat sich diese tischen Transformationsprozesses zu werben – vor auch auf struktureller Ebene vollzogen. Bereits unter allem aber auch für die dominante Rolle des Militärs Präsident Mursi setzte der SCAF durch, dass ihm – dabei.20 Zudem war al-Assar ein wichtiger Ansprech- anders als zu Mubaraks Zeiten – in der Verfassung ein partner für die ausländischen Botschaften in Kairo. Vetorecht für die Außenpolitik gewährt wird. Gemäß Als 2012 die Militärführung umgebildet wurde der unter Mursi 2012 implementierten Verfassung und Abdel Fatah al-Sisi die Position des Verteidigungs- war der »Nationale Verteidigungsrat« bei allen Ent- ministers – des obersten militärischen Befehlshabers – scheidungen zu konsultieren, die die nationale Sicher- übernahm, wurden die meisten älteren Generäle im heit betreffen (Artikel 197). Mangels einer Definition SCAF in den Ruhestand versetzt. Nicht so der zu die- des Sicherheitsbegriffs fallen darunter auch außen- sem Zeitpunkt 68-jährige al-Assar, dessen Zuständig- politische Entscheidungen. Der Nationale Verteidi- keit sogar noch erweitert wurde.21 Als Mohammed gungsrat fand zwar auch in der alten Verfassung Er- Mursi vom Militär abgesetzt wurde, war es al-Assar, wähnung; allerdings wurde nun explizit bestimmt, der auf Arbeitsebene den Putsch gegenüber der Admi- dass er mehrheitlich mit Militärs zu besetzen sei. Der nistration in Washington verteidigte.22 Er entwarf in entsprechende Artikel findet sich nahezu unverändert den darauffolgenden Monaten wohl auch die Leit- in der Verfassung von 2014 wieder, die nach dem linien für Ägyptens Außenpolitik unter Präsident Sisi Militärputsch ausgearbeitet wurde. Dabei wurde die und steuerte die ägyptische Rüstungsbeschaffungs- Stellung des Militärs, vor allem aber jene des Verteidi- politik.23 Im September 2015 wurde er von Sisi zum gungsministers, im politischen System noch weiter Staatsminister für Militärproduktion berufen und da- gestärkt. Artikel 234 stellt sicher, dass dieser zumin- mit auch formal in den regierungsinternen Entschei- dest für zwei Legislaturperioden nicht ohne Zustim- dungsprozess eingebunden. Dabei unterstand al-Assar mung des SCAF ausgewechselt werden kann. Zusam- noch immer dem Verteidigungsminister Sedqi Sobhi, mengenommen ergibt sich dadurch ein rechtlicher zu dessen Portfolio das Ministerium für Militär- Rahmen, der die Militärführung – durchaus im Unter- produktion gehörte. schied zur Mubarak-Ära – nicht nur qua Gesetz wei- testgehend gegen politische Einflussnahme immuni- siert, sondern sie gleichzeitig zum wichtigsten Ent- 19 Vgl. Ministry of Military Production, »Biographie des scheider bei allen Fragen der Außen- und Sicherheits- Ministers für Militärproduktion« (arabisch), <www.momp. politik des Landes macht. Wie zu zeigen sein wird, gov.eg/Ar/Minister.aspx> (Zugriff am 26.11.2015). hatte diese Machtverschiebung indes keineswegs Aus- 20 U.S. Institute of Peace, Podiumsdiskussion »Future of Egypt« mit Mohamed Said al-Assar und William Quandt, wirkungen auf die grundsätzliche innenpolitische C-Span, 25.7.2011, <www.c-span.org/video/?300679-1/future- Funktion der ägyptischen Außenpolitik. egypt> (Zugriff am 4.7.2016). 21 Stephan Roll, »Ägypten: Mursi einigt sich mit den Gene- rälen«, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 14.8.2012 (»Kurz gesagt«), <www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz- gesagt/aegypten-mursi-einigt-sich-mit-den-generaelen.html> (Zugriff am 4.7.2016). 22 Laura Rozen, »US Presses Egypt for Swift Return to Civilian Rule, against Arbitrary Arrests«, in: Al-Monitor (online), 4.7.2013, <www.al-monitor.com/pulse/tr/contents/ articles/originals/2013/07/obama-egypt-morsi-israel-turkey- yaalon-hagel-rice-blinken.html#> (Zugriff am 4.7.2016). 23 So war er der Verhandlungsführer bei wichtigen Waffen- geschäften, etwa dem Kauf von 24 Rafale-Kampfjets in Frank- reich, den Präsident François Hollande im Februar bekannt gab. Vgl. »Rafale: six mois d’intenses négociations avec l’Égypte«, in: Le Figaro.fr, 13.2.2015, <www.lefigaro.fr/societes/ 2015/02/13/20005-20150213ARTFIG00177-rafale-six-mois-d- intenses-negociations-avec-l-egypte.php> (Zugriff am 4.7.2016). SWP Berlin Ägyptens Außenpolitik nach dem Putsch August 2016 10