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Affektstörungen Studien über Ihre ätiologie und Therapie PDF

405 Pages·1913·12.355 MB·German
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MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE HERAUSGEGEBEN VON A. ALZHEIMER-BRESLAU UND M. LEWANDOWSKY-BERLIN HEFT 4 •• AFFEKTSTORUNGEN STUDIEN ÜBER IHRE ÄTIOLOGIE UNO THERAPIE VON DR. MED. LUDWIG FRANK SPEZIALARZT FÜR NERVEN- UND GEMÜTSKRANKHEITEN IN ZÜRICH, f!HEM. DIREKTOR DER KANTONALEN TRRENHEILANSTALT MÜNSTERLINGEN, THURGAU BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1913 ISBN-13: 978-3-642-93809-2 e-ISBN-13: 978-3-642-94209-9 DOI: 10.1007/978-3-642-94209-9 Copyright 1913 by Julius Springer in Berlin. Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1913 Dme1t der KlInIaI. Unlvere.\lts-Draokerel H. starts A. G. . Wllrlborg. Seinem hoch verehrten Lehrer und frUheren Chef Herrn Prof. Dr. phil., jUl'. et med. AUGUST FOREL in Yvorne emcr. Professor und Direktor der Psychiatrischen Klinik ßurghdlzli der U niveYSität Zürich Dankbarkeit und VeI'ehrung In gewidmet vom Verfasser. Inhalts -V erzeicbnis. SeIte Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . 1 Allgemeine psychologische Begriffe. . . . . 3 Die psychoneurotische Veranlagung. . . . . . . . 3 Das Zurückhalten, die Zurückstauung von Affekten 5 Die Affektverdrängung 5 Die Affektakkumulierung . . . . . . . . . . . . 5 Die Konversion der Affekte . . . . . . . . . . . f) Die Neubesetzung mit Affekt ......... . 5 Der Verdrängungsvorgang . . . . . . . . . . .. . 6 Fall 1. Verdrängung und Konversion eines Affektes 6 Der Vnterschied von Zurückstauung und Verdrängung 8 Die Ubertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . !) Die Affektinkontinenz . . . . . . . . . .'. . 10 Die Dissoziation von Vor~tellung und Affekt . 11 Die Determinierung der Übertragung . . . . . 11 Die Auslösungen von Affekt und Vorstel~ungen . . 12 Die Fähigkeit und die Unfähigkeit zur Übertragung 13 Die Verankerung der Gefühle ......... . 13 Der Autoerotismus und der Autismus ..... . 13 Die Gefühlsinversion . . . . . . . . . . . . . . 13 Die Verlegung der erogenen Zonen (Analerotismus) . 14 Die Affektsperrung . . . . 14 Die Repulsion der Affekte . 15 Psychologische Vorbemerkungen . . 16 Die Anwendung der Hypnose . . . 20 Für die Behandlung im Halbschlaf ungeeignete Fälle 24 Die kathartisch-analytische Behandlung im Halbschlaf . 25 Die verschiedenen Formen der Psychoneurosen 34 Die Neurasthenie ......... . 36 A. Erschöpfungsneurasthenie . . . . 36 Fall 2. Adolf A. . . . . . . . 41 Fall 3. Richard W. . . . . . . 42 B. Neurasthenische Zustände, bedingt durch Affektverdrängung . 42 Fall 4. Frau Marie B. Bedeutung der psychischen Vorgänge bei der Masturbation . . . . . . . . . . . . . . .. .... 45 ]!'all 5. Willi R. Sexuelle Neurasthenie 47 Fall 6. Karl J. Sexuelle Neurasthenie 47 Die Ärgerneurosen 47 Fall 7. Stephan P. 48 Die Eifersuchtsneurosen 50 Die Wutneurosen . . 51 Die Libidoneurosen . . 51 Die Schmerzneurosen . 52 Fall 8. Frau Susanne S. 53 Fall 9. Frau Nelly S. 59 Fall 10. J!'riedrich V. 69 VI Inhalts -Verzeichnis. Seite Neurosen des Müdigkeits- und Unlustgefühls. . 77 Fall H. Sebastian T. . . . . . . . . . 78 Der Schreibkrampf . . . . . . . . . . . . . 85 Neurose des Fremdgefühls. (Bedeutung der Mfektwirkungen in der oberfläch lichen Narkose. - Narkoseträume) . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Fall 12. Bernhard O. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Fall 13. Frau Therese R. Angst- und Schmerzneurose, Beispiel für die l':ntstehung von Determinanten durch die Verdrängung während der Operation ohne Narkose. . . . . . . . . . . . . 101 Das psychoneurotisehe Schwindelgefühl ................. 105 Fall 14. Georg M. ........................ 105 Bruchstücke aus der Analyse einer Agoraphobie. (Frau Marie J. Fall 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Fall 15. Paul T. . 107 Hysterische Dämmerzustande. . . . . . . 109 Fall 16. Bruno S. . . . . . . . . . 109 Die sog. neurasthenischen Verstimmungen. 114 Fall 17. Johanna Z. . 115 Fall 18. Clotilde J. 116 Fall 19. Franz W. 119 Die Angstneurosen. . . . . . . 135 Die psych.m'JUrotischen Angstzustande . . . . . . . . 135 Fall 2(J. Frau Ursula H. Einfacher Angstzustand 141 Fall 21. Frau Clara A. . .......... . 142 Die Angstiibertragungen ........................ 144 Fall 22. Frau Fanny T. Hypochondrischer Depressions. und Angst- zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Fall 23. Milly M. Ühertragung auf die Abwesenheit einer Person 145 Fall 24. Caroline H. Ubertragung auf den Eintritt der Dämmerung . 146 Fall 25. Dora H. Übertragung der Angst auf Gegenstände und das Sprechen ........................... 147 Fall :!6. Konrad M. Angst vor Leichen ............. 152 Fall 2.7. Margarete N. Angst vor Toten ........ . . . . . 153 Fall 2M. Frau Marie J. Bruchstücke aus einer Agora- und Claustro- phobie-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Fall 29. Kar! R. Bruchstücke aus der Krankengeschichte einer Straßen- angst bei einem Mann ....... 186 Psyehoneurotische Magen- und Darmstörungen 190 Fall 30. Gustav U. Magenneurose . 190 Fall 31. Christine C. Darmneurose . 209 Bemerkun~en über traumatische Neurosen 213 Fall 32. Natalie S. . . . . . . . . 214 Fall 33. .fohann V. . . . . . . . . 216 Schlafstörlmgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Fall 34. Hedwig F. Störung beim Einschlafen ........... 219 Fall 35. Frau Bertha S. Schlafstörung bei Abwesenheit des Mannes 222 Fall 36. Frau Beatrice S. Platzangst und Angst vor dem Nichtein- sohhfenkönnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Fall 37. Frau Mina R. Schlafstörung mit Angst vor Geisteskrankheit 250 Fall 3f.. Jakob G. Pathologische Träume ............. 264 Fall 3ll. Luise U. Schlafstörung durch Angstträume '.' ...... 266 Fall 40. Wilhelm Z. Angstzustande durch Narkoseträumc verursacht 271 Fall 41. Franz G. Ein Fall von Tagtraum ..... ' ....... 274 Die Rtörung des Schlaf()s durch den Sexualaffekt 277 Pavol' nocturnus . . . . . . . 278 Enur{sis nocjurna . . . . . . 278 Das psychonEurotische t;tottern 280 Fall 42. Xaver S. . . . . 282 Fall 43. Nelly T. . . . . 287 Fall 44. Georg B. . . . . 296 Über nervöse Zirkulationsstörungen . 309 Inhalts -Verzeichnis. VII Seite Die Erythrophobie oder die Verlegenheitsneurosen mit Errötungsfurcht 311 Fall 45. Hermann E. Eine Befangenheitsneurose . . . . . .. 313 Fall 46. Maria R. Bruchstücke aus einer Erythrophobie-Analyse 317 Die Zwangsneurosen ................ 3'22 Fall 47. Jakob N. Ein Fall von Zwangsdenken. 3:J2 Sexuelle Anomalien, Perversionen und Perversitäten . . . . . . 3:J6 Die psychische Reaktionsweise bei sexuellen Anomalien 337 Die erworbenen sexuellen Perversionen und Perversitäten sind psychoneuro- tische Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3:18 Die verschiedenen Modifikationen des Ablaufs der sexuellen Erregungen 3:19 Die frühzeitige Erregung als Komplexerlebnis 340 Fall 48. Betty T ......... . 340 Fall 49. Bertha M. . . . . . . . . 3'U Die Symptome der frühzeitigen Erregung 3·~6 Die Folgen der frühzeitigen Erregung . 3i8 Die Einengung der erogenen Zone . . . 3i8 Die Ursachen der Frigidität . . . . . . 3i8 Die Folgen mangelhafter sexueller Aufklärung . 3i9 Anomalien der Auslösung sexueller Gefühle beim Weibe 354 Die Folgen der Sexualverdrängung 356 Die Repulsion der Libido . . . . 358 Die psychische Impotenz 359 Vaginismus und Kongressophobip . 360 Sadismus und Masochismus ..................... . 362 Fall 50. David R. Sadismus und Masochismus bei Homosexualität und Flagellation . . . . . . . . . 363 Der Fetischismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3U6 Fall 51. Simon R. i:5chuhfetischismus ..... . 367 Fall 52. Anton B. Lederfetischismus mit Sadismus 37:1 Fall 53. Paul T. Kleider- (Masken-)Fetischismus. 37:.: Der Exhibitionismus. . . . . . 384 Fall 54. Jost U. 384 Die erworbene Homosexualität . 385 Fall 55. Bernhard T. 389 Fall 56. Karl H. 392 SchluBwort 396 Einleitung. Nachdem ich seit längerer Zeit auf Grund zahlreicher Beobachtungen, die Anfang der 90 er Jahre besonders durch die Studien über Hysterie von Breuer und Freud gefördert wurden, zu einer bestimmten Methode der Behandlung psychoneurotischer Zustände gekommen bin, möchte ich im folgenden ein objektives Prüfungsmaterial und die für mich daraus resultierenden Auffas sungen veröffentlichen. Als meine Aufgabe betrachte ich es, das Material so wiederzugeben, wie es sich mir dargeboten hat. Nach dem Erlernen der von mir angewendeten Methode wird so eine Nachprüfung ermöglicht werden. Ich nenne meine Arbeit "Studien", weil sie keine systematische Darstellung der Psychoneurosen geben will. Eine gewisse Einteilung des Stoffes war im Interesse der Übersichtlich keit nicht zu umgehen. Die Eigenart der Fälle gestattet oft nicht die wichtigsten und interessantesten Beispiele zu zitieren, weil die Wahrung des Berufsgeheim nisses uns eine Reserve auflegt. Die Krankengeschichten, die ich als Belege anführe, haben nur insoweit äußere Verschiebungen erlitten, als es nötig war, die Patienten vor der Preisgabe des ärztlichen Geheimnisses zu schützen. Auf die Reproduktion einer Anzahl von Krankengeschichten mußte ich verzichten, weil Änderungen ohne Entstellungen unmöglich gewesen wären. Einige Kranken geschichten habe ich schon früher veröffentlicht; ich gebe sie des Zusammen hanges wegen und auch gleichzeitig in der Absicht wieder, um es dem Leser, der solche Fälle mit Interesse verfolgt, zu ermöglichen, die Heilresultate weiter zu kontrollieren. Nach reiflicher Überlegung sehe ich davon ab, in die einzelnen Krankengeschichten Erklärungen einzuschieben. Abgesehen davon, daß hier durch das Lesen sehr erschwert und schleppend wird, dürften sich nach den vorausgeschickten Erläuterungen die psychologischen Zusammenhänge, soweit dies möglich ist, von selbst ergeben. Ich entschloß mich zur Veröffentlichung meiner Studien und Beobach tungen, weil die der kathartischen Behandlung zugängigen Fälle so zahlreich sind und die Erlernung der von mir angewendeten Methode keine Schwierig keiten bietet. So scheint es mir Pflicht zu sein, die Veröffentlichung meines Materials nicht weiter hinauszuschieben. Mitten in der Praxis stehend, ist es mir unmöglich, eingehende Literaturangaben zu machen oder auch die Autoren zu zitieren, die die gleiche Ansicht gewonnen haben. Wer die einschlägige Literatur verfolgt, hat diese Nachweise nicht nötig und ich verzichte gerne von vornherein auf alle Prioritätsansprüche. Ich beschränke mich darauf, Frank, Affektstörungen. 2 Einleitung. meine Ansichten so darzustellen, wie sie sich mir auf Grund meiner Studien und Beobachtungen ergaben. Diese führen von selbst dazu, daß ich im wesent lichen auf den ursprünglichen Anschauungen von Breuer und Freud fuße. Es erscheint mir müßig, mich in weitläufiger Weise speziell mit den Theorien Freuds auseinanderzusetzen. Dem beschäftigten Praktiker ist es unmöglich, dem Tempo der Entwickelung der Ansichten dieses Forschers und seiner jetzigen "Ordensschule" zu folgen. Die wesentlichsten Unterschiede meiner Auffas sungen und der der Freudschen Schule ergeben sich am ehesten auf Grund meiner Darlegungen selbst. Streift man all das von den Freudschen Theorien ab, was sich als reine Spekulation und Deutung annehmen läßt, so wird man klar erkennen können, daß im wesentlichen der prinzipielle Unterschied zwischen der Freudschen "Psychoanalyse" und der von mir geübten Methode - die ich lediglich im Interesse der Hervorhebung des Unterschiedes "Psychoka tharsis" nenne - kein allzu großer ist. Die Psychokatharsis ist nichts anderes, als eine bestimmte Art einer Psychoanalyse; denn die Katharsis bedeutet das Abreagieren eines Affektes, der mit früher erlebten Ereignissen assoziativ ver bunden ist. All~ früher erlebten Ereignisse stehen aber in einem gewissen Zusammenhang. Die Behandlung besteht nun im wesentlichen im Abreagieren der Affekte und im Aufsuchen, Analysieren dieses Zusammenhanges, der sich in der Regel von selbst ergibt. Die psychokathartische Behandlung im Halb schlafzustand, wie ich sie nennen möchte, ist ein rein objektives, ich möchte sagen, rein wissenschaftlich experimentelles Vorgehen für jeden, der die Methode richtig anzuwenden versteht. Die Methode wird uns psychologisch verständ lich durch die klassischen Forschungen Freuds über das Traumleben. Die Freudsche Schule müht sich ab, den psychologischen Inhalt der phantastisch ausgestalteten, verschobenen und verdichteten Vorgänge im Traumleben mit Hilfe einer geistreichen, wissenschaftlich aber nicht stichhaltigen Traumdeutungs kunst zu entwirren. Daß dies in einer Reihe von Fällen möglich ist, kann für den, der einen tieferen Einblick in diese Vorgänge gewonnen hat, nicht zweifel haft sein. Ebensowenig kann es zweifelhaft sein, daß es dem mit besonderer Beobachtungsgabe und virtuoser Fähigkeit zu feinster GefühlseinsteIlung aus gestatteten Arzt möglich ist, aus dem, was der Patient erzählt, wie er es erzählt und was er verschweigt, llerauszulesen, was dessen Seele bewußt oder unbewußt drückt. Ebensowenig kann es zweifelhaft sein, aus dem Assoziationsexperiment Jungs gewisse Schlüsse zu ziehen. Darüber hege auch ich nicht den geringsten Zweifel. Aber alle diese Methoden sind Methoden für ganz einzelne, aber durch aus nicht für eine größere Zahl von Arzten und noch weniger von Laien, die diese Methode in Kursen erlernen und dann als Kurpfuscher Schaden stiften. Dabei erleidet die Objektivität dieses Vorgehens zweierlei Einbrüche: Erstens dadurch, daß die Anhänger dieser Methode unter der einseitigen Einstellung stehen, alle Regungen der menschlichen Seele seien durch den Sexualaffekt, natürlich nur "im weitesten Sinne gemeint", verursacht und zweitens da durch, daß alle Deutungen der Produkte der Phantasie im Wachen wie im Traume und nicht weniger auch beim Assoziationsexperiment immer wieder mindestens im gleichen Maße unter der Komplexwirkung des Arztes stehen, wie unter der des Patienten. Häufig dürfte die erstere überwiegen. Diese einseitigen Ein stellungen, die Suggestibilität und Suggestion, fallen bei der psychokatharti schen Behandlung im Halbschlaf hinsichtlich des Inhalts der reproduzierten Allgemeine psychologische Begriffe. 3 Vorstellungen nahezu ganz weg - soweit sich eben die Suggestion bei psychi schen Vorgängen überhaupt ausschalten läßt. Die Verschiedenheiten im Ver fahren, das immer wieder den Zweck hat, das im Unterb ewußtsein aufgespeicherte pathogene Material bewußt zu machen, bestehen - darauf möchte ich noch mit Nachdruck hinweisen - im wesentlichen noch darin, daß es bei der psycho kathartischen Methode zum wirklichen, oft mit elementarer Gewalt einsetzenden Abreagieren der verdrängten Affekte kommt, während man es sich bei der Freudschen Psychoanalyse damit genügen läßt, lediglich den roten sexuellen Faden aller Erlebnisse aufzusuchen bis in die früheste Kindheit zurück, bis zum ersten Daumenlutschen - dem "ersten Wonnesaugen". Allgemeine psy«:\hologische Begriffe. Unter Psychoneurosen verstehe ich, mich dem heutigen, nicht ganz glück lichen Sprachgebrauch anschließend, alle lediglich auf Affektstörungen zurück führbaren Neurosen. Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich feststellen, daß es Menschen gibt mit einer ganz eigenartigen affektiven Reaktionsweise. Wie ich schon früher hervorgehoben habe 1), lassen sich die so Veranlagten am ehesten mit den Künstlernaturen vergleichen. Wie diese sich vom Durchschnittsmenschen durch ihre psychische Reaktionsweise unterscheiden, so tun dies auch die mit einer psychoneurotischen Veranlagung. Nach zahlreichen Beobachtungen ent wickeln sich Psychoneurosen nur bei solchen ganz besonders gearteten Indi viduen, die sich schon von frühester Jugend auf vom normalen Durchschnitts menschen unterscheiden. Diese andersartige psychische Reaktionsweise ist lediglich durch die Anlage bedingt. Diese Anlage erweist sich als eine leicht vererbbare. In intellektueller Hinsicht ist die Auffassungs- und Kombinations fähigkeit, wie die Phantasietätigkeit solcher Individuen eine viel lebhaftere als die des Durchschnittsmenschen, häufig auch die Leistungen des Gedächt nisses ganz außerordentliche, solange nicht funktionelle Beeinträchtigungen durch die Neurose stattgefunden haben. Ganz besonders aber unterscheiden sie sich vom Durchschnittsmenschen durch ihr ganzes Affektleben. Die Ein drücke, die sie von der Außenwelt empfangen, verursachen tiefere Bahnungen, die Spur, die sie hinterlassen, scheint weniger leicht usuriert zu werden; der durch sie ausgelöste Affekt ist intensiver und birgt häufig die Gefahr in sich, zu stark zu werden. In frühester Jugend erfolgt so eine Bahnung durch erste, für das Individuum zu intensive Eindrücke. Diese Eindrücke werden für die Entstehung der späteren Neurose von ausschlaggebender Bedeutung. Infolge der starken Gefühlsbetonung bei den einzelnen Erlebnissen nehmen solche Individuen im Laufe der Jahre eine Unmasse von Eindrücken in sich auf, die eine Pathogenität in sich schließen. Durch ihre gesteigerte Erinnerungsfähig keit haben sie auch die Möglichkeit, Erlebtes leicht und in lebhafter Weise mit der früheren Affektbetonung zu reproduzieren. Im gesellschaftlichen Leben zeichnen sich solche Menschen durch ihre Lebhaftigkeit aus; sie selbst werden durch die Erzählungen anderer leicht, noch mehr z. B. durch ihre ihnen besonders beliebte Lektüre, auch im Theater hingerissen. Dann wieder sind 1) Die Psychanalyse, Verlag von Ernst Reinhardt, München 1910. 1* 4 Allgemeine psychologische Begriffe. sie befähigt, durch das Erzählen ihrer eigenen Erlebnisse und der damit frei werdenden Affekte andere zu fesseln oder auch hinzureißen. Es sind meist die lebhaften und geistreichen Personen in der Gesellschaft, mit vielseitigen, besonders künstlerischen Interessen ausgestattet, die sehr bald durch ihre an ziehende Eigenart auffallen. Sie sind eben nicht gewöhnliche Herdenmenschen. Die ganz leichte Ansprechbarkeit ihres Gemütes stempelt sie zu Künstlernaturen. Alle Psychoneurotiker sind entweder selbst Künstler oder Dilettanten, oder sie haben ein ganz besonderes Verständnis auf irgend einem Kunstgebiete. Dazu sind sie vor allem befähigt durch die Intensität ihres Gefühlslebens. Sie sind die Menschen, die die Kunst zu genießen verstehen; ihnen bietet jede Kunst etwas. Fast alle sind sehr musikalisch, zum mindesten können sie Musik in hohem Grade genießen, auch wenn sie niemals Musikunterricht hatten. So können manche Patienten in der Katharsis ganze Musikstücke mit jedem Ton oder auch ganze Konzerte im Traum wieder durchleben, ohne daß sie jemals irgendwelchen Musikunterricht genossen hatten. Bleiben solche Menschen in der Gesundheitsbreite - denn zum Glück kommt es nur bei einem kleinen Teil so veranlagter Menschen zur Ausbildung einer Psychoneurose -, so sind sie für ihre Nebenmenschen von außerordentlicher Bedeutung. Denn sie ver stehen es, das Leben in edlem Sinne zu genießen und es anderen zu verschönern. Die außerordentlich leichte Ansprechbarkeit ihres Gefühlslebens läßt sie Dinge herausfühlen und beobachten, die anderen entgehen. MitteIst ihrer spielend leichten Kombinationsfähigkeit können sie meist rasch und sicher das Heraus gefühlte verwenden. Diese Individuen haben außerordentlich viel Gemein sames mit den Typen, die wir zu den Depressivmanischen rechnen müssen. Sie sind in der Regel außerordentlich liebevoll und liebebedürftig, haben aus gesprochensten Familiensinn und starkes Freundschaftsbedürfnis. Sie sind in hohem Maße aufopferungsfähig, nahezu ausnahmslos von besserer, edler Ge sinnung, ethisch hochstehend und sehr gewissenhaft. Gerade ihre altruistischen Gefühle und ihre Gewissenhaftigkeit werden ihnen häufig verhängnisvoll, weil diese sie veranlassen, ihre Affekte aus Rücksicht auf ihre Umgebung zu ver drängen. Sie haben alle ein sehr starkes Mitleidsgefühl. Dieses Mitleidsgefühl erreicht bei solchen Menschen oft einen so hohen Grad, daß sie sich mit dem Leidenden identifizieren und das gleiche an sich in der Vorstellung durchleben. Es spielt dieses Gefühl deshalb eine große Rolle bei der Entstehung und Aus bildung der Psychoneurosen. Außerdem liegt es in ihrer psychischen Reaktions weise, daß sie lieber selber leiden und dulden, als einen andern in solchem Zu stande sehen. Dadurch werden sie veranlaßt, all das Unangenehme, das sie berührt, mit sich abzumachen, in sich zu bekämpfen, zu verdrängen. Beim Erleben affektbetonter Ereignisse werden ihre Gefühle viel leichter, viel stärker und nachhaltender ausgelöst als beim Durchschnittsmenschen. Da diese Re aktionsweise in der Anlage bedingt ist, so finden wir die ersten psychischen Traumen selbstverständlich schon in der ersten Jugendzeit. Nun macht sich aber diese Reaktionsweise nicht nur beim Erleben mit Affekt geltend, sondern auch dann, wenn solche Individuen an das Erlebte wieder erinnert werden. Der normale Mensch kann seine mit starken Gefühlen einhergehenden Erlebnisse entweder mit sich verarbeiten oder abspalten oder, was das Gewöhnliche ist: er hat das Bedürfnis, sich darüber auszusprechen. Dadurch findet ein Ab reagieren, ein Ausgleichen des zu stark empfundenen Affektes statt. Das

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