Abwehrfermente Das Auftreten blutfremder Substrate und F ermente im tierischen Organismus unter experimentellen, physiologischen und pathologischen Bedingungen. Von Emil Abderhalden Direktor des Physiologischen Instituts der Universitat zu Halle a. S. Vierte, bedeutend erweiterte Auflage Mit 55 Textfiguren und vier Tafeln Berlin Verlag von Julius Springer 1914 ISBN-13: 978-3-642-89492-3 e-ISBN-13: 978-3-642-91348-8 001: 10.1007/978-3-642-91348-8 Copyright 1912 by Julius Springt!r. Ins Russische, Englische, Franz6sische und Spanische tibersetzt. Softcover reprint of the hardcover 4th edition 1912 Meinen treuen Mitarbeitern. a* Vorwort zur ersten Auflage. 1m Jahre 1906 habe ich in meinem Lehrbuche der physiologischen Chemie den Versuch unternommen, die AbwehrmaBregeln des tierischen Organismus gegen die durch korperfremde Zellen erzeugten Produkte mit Stoffwechselvorgangen der einzelnen Korper zellen in Zusammenhang zu bringen. 1ch stellte mir vor, daB die Korperzellen nach dem Eindringen korper-, blut- resp. plasma-und zellfremder Substanzen nicht mit GegenmaBregeln antworten, die den Organ- und Blut zellen vollstandig neuartig sind. 1ch suchte vielmehr die ganze Frage der sog. 1mmunitatsreaktionen in enge Beziehungen zu Prozessen zu bringen, die den Zellen vertraut und daher gelaufig sind. Von den dort ge gebenen Gesichtspunkten aus habe ich das Problem der Verteidigung des tierischen Organismus gegen das Ein dringen korper-, blutplasma- und zellfremden Materials experimentell in Angriff genommen und zunachst die Frage gepriift, ob das Blutplasma normalerweise bestimmte Fermente enthalt, und ob nach Zufuhr von fremdartigem Material sich in diesem solche nach weisen lassen, die vorher fehlten. Es ergab sich, daB in der Tat nach der Zufuhr von korperfremden Stoffen Fermente im Blutplasma erscheinen, die imstande sind, diese fremdartigen Produkte abzubauen und - VI - dadurch ihres spezifischen Charakters zu berauben. Damit war in einwandfreier Weise wenigstens eine AbwehrmaBregel des tierischen Organismus gegen das Eindringen fremdartiger Stoffe klargestellt. Ich habe sofort der Beziehungen dieser Befunde zur ImmunWit und speziell auch zur Anaphylaxie gedacht und bin ferner experimentell der Frage naher getreten, ob der tierische Organismus fiir die von Mikroorganismen abgegebenen Stoffe Fermente spe zifischer Natur mobil macht. Ferner interessierte mich die Frage, ob die beim Abbau der einzelnen Substrate sich bildenden Abbaustufen von Fall zu Fall, je nach der Art der dem Organismus fremden Zellen besonderer Natur sind und dadurch sich viel leicht mancherlei Erscheinungen, die im Gefolge be stimmter Infektionen auftreten, erkHiren lassen. SchlieBlich konnte bei der Schwangerschaft der Nachweis erbracht werden, daB der Organismus sich der zwar arteigenen, jedoch plasmafremden Bestand teile, die dem Elute wahrscheinlich von den Ze~en der Chorionzotten aus zugefiihrt werden, ebenfalls mittels Fermenten erwehrt. Diese Beobachtung ermoglicht eine Erkennung der Schwangerschaft. Eine Fiille von einzelnen Problemen schlieBt sich den erhobenen Befunden an. Fragestellungen aller Art· aus dem Gebiete der Immunitatsforschung harren der Lasung. Ohne Zweifel steht manche bereits be kannte Tatsache mit unseren Befunden in engster Beziehung. Es ware verlockend, schon jetzt aus der - VII - Fillle von Einzelbeobachtungen das herauszugreifen, was geeignet ist, der von mir vertretenen Anschauung iiber das Wesen der AbwehrmaBregeln des tierischen Organismus gegen die Invasion korperfremder Stoffe und ZeUen aUgemeinere Bedeutung zu geben. Ich habe vorUiufig davon Abstand genommen, well allein schon die Aufzililung verwandter Beobachtungen und vor aUem eine Diskussion all der gegebenen ErkHirungs versuche den Umfang des kleinen Werkes auBer ordentlich vergroBert und ferner auch die Obersicht lichkeit der DarsteUung gestort hatte. Dazu kommt noch, daB es flir den auf dem Gebiete der spezieUen Immunitatsforschung nicht aktiv Mitarbeitenden auBer ordentlich schwer ist, sich in aU die im Laufe der Zeit mitgeteilten, oft wechselnden Vorstellungen und Theorien hineinzudenken und vor allem in der zum Tell recht mannigfaltigen Ausdrucksweise und Nomen klatur sich zurecht zu finden. Theorie und tatsach lich Festgestelltes bilden auf diesem Forschungsgebiete ein ganz besonders inniges Gewebe, so daB es nur dem durch unmittelbare Mitarbeit mit allen Problemen dieses Gebietes Vertrauten moglich sein diirfte, die Grenze zwischen Hypothese und Tatsache scharf zu ziehen. Ich habe mich aus diesen Grunden damit begniigt, diejenigen Arbeiten zu nennen, die entweder eng mit meinen Forschungen zusammenhangen oder durch umfassende Literaturubersichten geeignet sind, dem Leser als QueUe zu weiteren Studien auf den erwahnten Forschungsgebieten zu dienen. Nur durch - VIII - diese Beschrankung war es moglich, ein, wie ich hoffe, klares Bild der Entwicklung meiner eigenen For schungen zu geben und zu zeigen, auf welchem Wege ich zur Feststellung der gegen die fremdartigen Stoffe mobil gemachten Fermente gekommen bin. Ferner solI im Zusammenhang dargestellt werden, von we1chen Vorstellungen ausgegangen wurde und welche Aus blicke sich auf verschiedene Forschungsgebiete er offnen. Die vorliegende zusammenfassende Darstellung ist erfolgt, wei! ein Tei! der experimentell in Angriff ge nommenen Probleme in letzter Zeit so weit gefordert worden ist, daB ein Ruckblick auf die in zahlreichen Veroffentlichungen niedergelegten Beobachtungen mir niitzlich erschien, und ferner vor aHem das weitere Studium der einzelnen Fragestellungen Institute er fordert, die uber Mittel und Einrichtungen verfiigen, wie sie mir nicht zu Gebote stehen. Der einzeIne vermag bestimmte Probleme immer nur bis zu einem gewissen Punkte zu fordern. Er iibernimmt das von den verschiedensten Seiten bis zu einer bestimmten Hohe aufgefiihrte Gebaude. Er priift, ob das Geriist werk - die vorhandenen Arbeitshypothesen - noch weiter ausreicht oder aber durch ein neues ersetzt werden muB, und vor allem stellt er fest, ob der Bau selbst fest gefiigt ist. Dann baut er weiter, zumeist nur ein winziges Stiick. Leicht verbaut der einzelne sich durch ein zu mannigfaltig angelegtes Geriistwerk den Dberblick iiber das Ganze. Andere kommen dann IX - und priifen, was solider Bau ist, und riicken die un richtig eingelegten Bausteine zurecht und geben den ungeniigend behauenen den letzten Schliff. Je der neue Arbeiter bringt neue Werkzeuge, neue Ideen und zahlreiche Erfahrungen mit und packt den ganzen Bau von anderen Gesichtspunkten an. Die Geriiste fallen und schlieBlich erhebt sich ein gewaltiges Ge baude, das kaum verdi.t, wie mannigfaltig die Bau plane waren, die ihm zugrunde gelegt wurden. So moge auch dieser Beitrag zur Kenntnis der Zellfunk tionen nurals ein Versuch betrachtet werden, dem vorhandenen Bau einen weiteren Stein einzufiigen und ein Geriistwerk zu errichten, auf dem weiterge baut werden kann. Zum Schlusse mochte ich meinen Mitarbeitem, die durch ihre rastlose Tatigkeit es ermoglicht haben, daB in relativ kurzer Zeit eine groBe Zahl von Einzel versuchen durchgefiihrt und verschiedene Probleme gleichzeitig von verschiedenen Seiten aus bearbeitet werden konnten, meinen herzlichsten Dank aus sprechen. Halle a. S., den IS. April I9I2. Emil Abderhalden. Vorwort zur zweiten Auflage. Obwohl seit der Abfassung der ersten Auflage erst ein J ahr verstrichen ist. konnte die zweite in rnanchen Punkten erweitert werden. Es sind bereits eine stattliche Anzahl von Untersuchungen auf ver schiedenen Gebieten teils durchgefiihrt. tells in An griff genornrnen worden. Es wird am Schlusse des kleinen Werkes iiber die wichtigsten Resultate be richtet. Der Name Schutzferment ist fallen gelassen worden, weil leicht durch ihn die VorsteUung geweckt werden kannte, als waren diese, durch plasrnafrernde Stoffe hervorgerufenen Ferrnente unbedingt ein Schutz. Die Bezeichnung "Abwehrferrnent" soU zurn Ausdruck bringen, daB der tierische Organisrnus sich zu ver teidigen sucht. Oft wird er durch Abbau blut- resp. plasrnafrerndern Material seine Eigenart nehrnen, rnanchrnal diirften jedoch durch die Abwehrfermente Abbaustufen gebildet werden, die viel schadlicher sind, als das angegriffene Substrat. Mage die neue Auflage die gleiche freundliche Aufnahrne finden, wie die erste! Halle a. S., den I5. Juni I9I3. Emil Abderhalden. Vorwort zur dritten Auflage. Naeh nieht ganz drei Monaten war die 2. Auflage vergriffen, ein erfreuliehes Zeiehen dafiir, daB das er sehlossene Arbeitsgebiet viel Interesse gefunden hat. Die Zahl der auf den gegebenen Grundlagen mit den mitgeteilten Methoden ausgefiihrten Arbeiten hat die Zahl Einhundertundzwanzig iibersehritten! J ede Woehe bringt neue Arbeiten! Ieh weiB nieht, ob ich mich dariiber ungeteilter Freude hingeben darf. Die grund legenden Arbeiten, die in der Ausarbeitung des Dialy sierverfahrens und der optischen Methode zu einem gewissen AbsehluB gekommen sind, sind im Laufe von etwa zwalf J ahren entstanden. Schon vor sechs Jahren war der "theoretische" Teil, der auf die Mag lichkeit einer Serodiagnostik der Organfunktionen hin wies, fertiggestellt. Auf breiter GrundJage wurde der Tierversuch herangezogen. Alle Maglichkeiten wurden studiert. Immer traten wieder Zweifel auf, die be seitigt werden muBten. Es ergab sich das iiberraschende Resultat, daB bei Starungen bestimmter Organe nur EiweiBkarper aus diesen zum Abbau gelangen. Diese Ergebnisse wurden nicht mitgeteilt und nur die Er fahrungen veraffentlicht, die bei der Untersuchung der Schwangerschaft erhalten worden waren. Dieser Zu stand gestattet eindeutige SchluBfolgerungen. Die