Aachener Bausachverständigentage 2004 Risse und Fugen in Wand und Boden Register für die Jahrgänge 1975 bis 2004 Aachener Bausachverständigentage 2004 REFERATE UND DISKUSSIONEN Bleutge, Peter Die Novellierung des ZSEG durch das JVEG – Das neue Jus- tizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) Cziesielski, Erich; Beurteilung von Rissen im Putz von Wärmedämmverbund- Fechner, Otto; systemen aus technischer Sicht Schrepfer, Thomas Fechner, Otto WU-Beton bei hochwertiger Nutzung: mit Belüftung siche- rer! Ihle, Martin Risse in Betonwerkstein Klaas, Helmut Fugen und Risse in Verblendschalen und Bekleidungen Motzke, Gerd Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachver- ständigen – Auswirkungen der Zivilprozessrechtsreform in 1. und 2. Instanz Oswald, Rainer Praktische Erfahrungen bei hochwertig genutzten Räumen in WU-Betonbauwerken – Anmerkungen zur neuen WU- Richtlinie des DAfStb Ranke, Hermann Standards für die Bauzustandsdokumentation vor Beginn von Baumaßnahmen Rapp, Andreas; Fugen bei Parkettböden und anderen Holzbelägen Sudhoff, B. Schießl, Peter; Verformungsverhalten und Rissbildungen bei Calciumsul- Wiegrink,Karl-Heinz fat-Estrichen Die Spannungsbedingungen in Oberflächenschichten Schießl, Peter; Wassertransport in WU-Beton – Kein Problem! Beddoe, Robin Untersuchungsergebnisse Schubert, Peter Neue Erkenntnisse zu Rissbildungen in tragendem Mauer- werk Staudt, Michael Das neue JVEG aus der Sicht des BVS Weidhaas, Jutta Außergerichtliche Streitschlichtung durch den Sachverstän- digen Herausgegeben von Rainer Oswald AIBau – Aachener Institut für Bauschadensforschung und angewandte Bauphysik Aachener Bausachverständigentage 2004 Risse und Fugen in Wand und Boden Robin Beddoe Rainer Oswald Erich Cziesielski Hermann Ranke Otto Fechner Andreas Rapp Martin Ihle Peter Schubert Helmut Klaas Karl-Heinz Wiegrink Rechtsfragen für Baupraktiker Peter Bleutge Gerd Motzke Michael Staudt Jutta Weidhaas Register für die Jahrgänge 1975 bis 2004 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage Januar 2005 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2005 Ursprünglich erschienen bei Friedr. Vieweg & Sohn Verlag/GWV FachverlageGmbH, Wiesbaden 2005 www.vieweg.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge- schützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur- heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar- beitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Günter Schulz /Karina Danulat Technische Gesamtherstellung: NEUNPLUS1 Verlag & Service GmbH, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. ISBN 978-3-528-01764-4 ISBN 978-3-8348-2634-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-8348-2634-3 Risse und Fugen in Wand und Boden Vorwort Risse beunruhigen den nicht fachkundigen Bauherrn. Sie sind aber häufig harmlos und mit ver- tretbarem Aufwand nicht vermeidbar. Über die Bewertung von Rissen wird daher viel gestritten. Sie gehören zum Hauptarbeitsgebiet des Bausachverständigen. Neue oder modifizierte Bau- stoffe und Bauweisen haben immer wieder unerwartet neue Rissformen zur Folge. Die 30. Aachener Bausachverständigentage behandelten typische Rissprobleme bei Außen- wänden und Bodenbelägen und gaben praktische Hinweise für die Beurteilung und Vermei- dung. Hinsichtlich der alten Bauweise des verputzten Mauerwerks ergeben sich neue Probleme durch die modifizierten Steinmaterialien und Vermauerungstechniken. Bei Verblendschalen stand der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis der Dehnfugenanordnung im Mittelpunkt. Bei Wärmedämmverbundsystemen ist die sachgerechte Rissbewertung angesichts der vielen Aus- führungsvarianten und der weiterhin unklaren Regelwerksituation von großer Bedeutung. Bei harten Bodenbelägen sind Risse das häufigste Streitthema – detailliert angesprochen wurde die Rissvermeidung in Calciumsulfat-Estrichen (früher „Anhydritestrichen“), die Bewer- tung der weitgehend unvermeidbaren Fugen zwischen Parkettstäben und die Rissbewertung in Betonwerksteinbelägen. In engem Zusammenhang mit dem Rissethema steht die Bauzustandsdokumentation („Beweis- sicherung“), die den Streit über Risse durch benachbarte Baumaßnahmen vermeiden helfen soll. Hier wurden Vorschläge zu Standards für diese Dokumentation unterbreitet. Über Art und Umgang der notwendigen flankierenden abdichtungstechnischen und bauphysi- kalischen Maßnahmen bei hochwertig genutzten wasserundurchlässigen Betonbauwerken gingen in zurückliegender Zeit die Meinungen weit auseinander. Die Beiträge der Tagung um- reißen kontrovers den heutigen Kenntnisstand und zeigen abschließend Lösungswege auf. Aktuelle juristische und berufsständische Themen rundeten die Tagung ab: Die Zivilprozessreform und das neue Sachverständigen-Vergütungsgesetz tangieren die ge- richtliche Tätigkeit des Sachverständigen unmittelbar. Die außergerichtliche Streitschlichtung wird ein immer bedeutenderes Betätigungsfeld, über die man Bescheid wissen sollte. Bei der Zusammenfassung der Podiumsdiskussionen wurde darauf geachtet, dass die kontro- versen Standpunkte klar formuliert dokumentiert sind, damit die Spanne des derzeitigen Kenntnisstandes ablesbar bleibt. Die Lektüre dieses Teils des Tagungsbandes wird daher dem Leser besonders ans Herz gelegt. Insgesamt bin ich sicher, dass der vorgelegte Band zu vielen Fragen des Tagungsthemas der Risse und Fugen in Wand und Boden kompetente Antworten geben kann und ich freue mich, dass durch die Veröffentlichung diese Informationen nicht nur von den Tagungsteilnehmern, sondern von einer breiteren Fachöffentlichkeit genutzt werden können. Prof. Dr.-Ing. Rainer Oswald Aachen, im November 2004 V Inhaltsverzeichnis Motzke,Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen – Auswirkungen der Zivilprozessrechtsreform in 1. und 2. Instanz . . . . . . . . . . . . 1 Weidhaas,Außergerichtliche Streitschlichtung durch den Sachverständigen . . . . . . . . 9 Bleutge,Die Novellierung des ZSEG durch das JVEG – Das neue Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Staudt,Das neue JVEG aus der Sicht des BVS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Schubert,Neue Erkenntnisse zu Rissbildungen in tragendem Mauerwerk . . . . . . . . . . 29 Klaas,Fugen und Risse in Verblendschalen und Bekleidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Cziesielski/Schrepfer/Fechner,Beurteilung von Rissen im Putz von Wärmedämm- verbundsystemen aus technischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Wiegrink/Schießl,Verformungsverhalten und Rissbildungen bei Calciumsulfat-Estrichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Rapp/Sudhoff,Fugen bei Parkettböden und anderen Holzbelägen . . . . . . . . . . . . . . . . 87 PRO + KONTRA – Das aktuelle Thema Wassertransport durch Bauteile aus Beton mit hohem Wassereindringwiderstand . . 94 Beddoe/Schießl,1. Beitrag: Wassertransport in WU-Beton – kein Problem! Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Fechner,2. Beitrag: WU-Beton bei hochwertiger Nutzung: mit Belüftung sicherer! . . . . 100 Oswald,3. Beitrag: Praktische Erfahrungen bei hochwertig genutzten Räumen in WU-Betonbauwerken – Anmerkungen zur neuen WU-Richtlinie des DAfStb . . . 103 Ihle,Risse im Betonwerkstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Ranke,Standards für die Bauzustandsdokumentation vor Beginn von Baumaßnahmen . . 126 Podiumsdiskussionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Verzeichnis der Aussteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Register 1975 – 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 VII Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen – Auswirkungen der Zivilprozessrechtsreform in 1. und 2. Instanz Prof. Dr. Gerd Motzke, VRiOLG München (Bausenat in Augsburg), Honorarprofessor für Zivilrecht und Zivilverfahrensrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg 1 Der Zustand bis zum 31.12.2001 Das macht den entscheidenden Unterschied Der Rechtszustand bis zum 31.12.2001 war in der Prozesslage für die Rechtsstreitigkei- dadurch gekennzeichnet, dass neben der ten nach neuem Recht aus. Das bedeutet, 1. Instanz auch die 2. Instanz, also das Be- dass das BG grundsätzlich auch an die vom rufungsgericht (BG), Tatsacheninstanz ge- Sachverständigen festgestellten Tatsachen wesen ist. Das bedeutete, dass abgesehen einschließlich dessen Bewertungen gebun- von Zurückweisungsmöglichkeiten hinsicht- den ist. Das hat einen erheblichen Verantwor- lich neuen Tatsachenvortrags die 2. Instanz tungszuwachs zur Folge, denn die Ergänzung an die Tatsachenfeststellungen der 1. Instanz oder Lösung von diesen Feststellungen ge- nicht gebunden war. Es konnte und durfte lingt nur unter eingeschränkten Vorausset- neu Beweis erhoben werden, wenn das BG zungen. dies für geboten gehalten hat. §525ZPO a.F. (= alte Fassung) hat dies deutlich zum Hinweis: Ausdruck gebracht, wenn es dort hieß, vor Ein Gutachten eines anderen Sachverständi- dem BG werde der Rechtsstreit in den durch gen konnte auch nach dem bis 31.12.2001 die Anträge bestimmten Grenzen neu verhan- geltenden Prozessrecht nur dann gemäß delt. Der dem zugrunde liegende Tatsachen- §412ZPO eingeholt werden, wenn das Ge- stoff war der aus der ersten Instanz und der richt das Gutachten für ungenügend erachtet Tatsachenvortrag aus der 2. Instanz, soweit hat. Hieran hat sich im Zuge der Reform dem nicht Verspätungsregeln entgegenstan- nichts geändert. Aber zusätzliche Anforde- den. Freilich behielten die in 1. Instanz erho- rungen schränken die Möglichkeit der Einho- benen Beweise ihren Wert, aber die Beweis- lung eines anderen Gutachtens oder die Er- aufnahme konnte auch wiederholt werden. gänzung des vorliegenden Gutachtens ein. Gutachten konnten ohne weiteres ergänzt oder ein weiteres Gutachten eingeholt wer- den, wenn das erste Gutachten ungenügend 2 Die Reform – Ziele und Folgen war. Hieran hat sich nach §412ZPO zwar Die Reform der ZPO und in der Folge des Be- nichts geändert; jedoch muss nach neuem rufungsrechts mit Wirkung ab 1.1.2002 ver- Recht für das BG entweder eine Rechtsver- folgt folgende Ziele: letzung durch die 1. Instanz (§513 Abs.1, §546ZPO) hinzukommen oder es müssen 2.1 Stärkung der 1. Instanz ausreichend konkrete Anhaltspunkte für Am Ende der 1. Instanz muss eine Entschei- Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dung stehen, die von den Parteien wirklich der entscheidungserheblichen Feststellun- akzeptiert werden kann. Die Parteien sollen gen vorliegen (§529 Abs.1 Nr.1ZPO). erkennen, dass das Gericht alle Chancen Sah das Berufungsgericht auf der Grundlage nutzt, um eine umfassende Prüfung des vor- des bisherigen Vortrags in erster Instanz die getragenen Sachverhalts vorzunehmen. Ziel Sache nicht so wie das Erstgericht, konnte ist, dass die meisten Verfahren in der ersten der Sachverhalt neu bewertet werden, was Instanz auch zu einem endgültigen Abschluss allerdings in gewissem Umfang auch die Not- kommen. Die einschlägige Bundesrats-Druck- wendigkeit der Wiederholung der Beweisauf- sache 536/00 führt außerdem an, der Zivil- nahme einschloss. Eine irgendwie geartete prozess müsse bürgernäher, effizienter und Bindung der 2. Instanz (Berufungsgericht) an durchschaubarer werden. Den Richtern die in der 1. Instanz getroffenen Feststellun- müssten gesetzliche Möglichkeiten geschaf- gen bestand nicht. fen werden, den Zivilprozess noch präziser Motzke/Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen 1 auf seine gesellschaftliche Funktion, der zü- Verfahren einbringen. Das schließt Erörte- gigen Herstellung von Rechtsfrieden und rungspflichten und Hinweispflichten ein. Da- Rechtssicherheit, zuschneiden zu können. bei ist der Hinweis des Gerichts auf die Not- Eine Reform des Zivilprozesses müsse die wendigkeit eines Sachverständigenbeweises strukturellen Rahmenbedingungen dafür ver- oder der Ergänzung der Beweisthemen für ei- bessern, dass die Prozessparteien schnell zu nen Sachverständigenbeweis nach §144 ZPO ihrem Recht kommen und eine Entscheidung ein besonderer Aspekt dieser materiellen erhalten, die sie verstehen und akzeptieren. Prozessleitung nach §139ZPO. Diesbezüg- Die Parteien sollten erkennen, dass das Ge- lich wird in Zukunft auch erwogen werden richt alle Chancen nutzt, um eine umfassende müssen, den Sachverständigen bereits bei Prüfung des vorgetragenen Sachverhalts vor- der Abfassung der Beweisfragen einzuschal- zunehmen. Dann würden mehr Prozesse in ten. Denn wenn die 1. Instanz vom Grundsatz erster Instanz endgültig abgeschlossen wer- her in erster Linie und allein die Aufgabe hat, den können. den Sachverhalt festzustellen, was bei tech- nischen Sachverhalten und den Unzuläng- Daraus folgt das Gebot zur Stärkung lichkeiten der Parteiherrschaft über den Tat- der 1. Instanz. sachenstoff zu Defiziten führen kann, könnte Das bedeutet: Der in erster Instanz fehlerfrei erwogen werden, den Sachverständigen in festgestellte Sachverhalt soll auch in der einem möglichst frühen Stadium einzubin- 2. Instanz Bestand haben. den. Die Erörterungs- und Hinweispflicht des Gerichts nach §139ZPO könnte also durch- Daraus folgt eine veränderte Struktur aus Auswirkungen auch auf das Innenverhält- der 2. Instanz. nis des Gerichts zum Sachverständigen ha- Nur wenn das BG aufgrund konkreter An- ben. haltspunkte ernstliche Zweifel an der Richtig- Das Gericht hat nunmehr nach §278ZPO die keit oder Vollständigkeit der entscheidungs- Pflicht, eine von der mündlichen Verhandlung erheblichen Tatsachen in der 1. Instanz hat, getrennte Güteverhandlung zu führen. Die sollen diese im Berufungsverfahren überprüft diesbezügliche Euphorie ist allerdings zwi- werden können. Also geht nach der Vorstellung schenzeitlich wiederum verflogen. Deren Ab- der Reform mit der Stärkung der 1. Instanz die schaffung steht jedoch angesichts totaler Umgestaltung der 2. Instanz einher. Der Sinnlosigkeit einer besonderen Regelung be- Rechtssuchende soll sich grundsätzlich darauf vor. Denn die Richter haben derartige Güte- verlassen können, dass die in erster Instanz versuche schon immer gemacht, wozu die fehlerfrei festgestellten Tatsachen im höheren Vorschrift in §278 Abs.1ZPO auch anhält. Rechtszug Bestand haben. Das Berufungs- Eine eigenständige Protokollierung und For- verfahren soll auch beschleunigt werden. Das malisierung werden nicht mehr für geboten wird erreicht, indem aussichtsloseBerufun- gehalten. gen in einem schriftlichen Verfahren nach Außerdem kam es zur Einführung des Einzel- §522ZPO behandelt werden können. Außer- richters bei den Landgerichten als primär zur dem soll es bei Verfahrensfehlern der 1. Instanz Entscheidung berufenen Richter (§348ZPO). nur noch auf Antrag einer Partei zur Zurück- Die Kammer entscheidet damit grundsätzlich verweisungdes Rechtsstreits in die 1. Instanz nur ausnahmsweise, was jedoch Sache des kommen (§538ZP0). jeweiligen Präsidiums ist (§348ZP0). Der Ge- schäftsverteilungsplan eines Gerichts kann 2.2 Auswirkungen nämlich vorsehen, dass u.a. in Bau- und Ar- Das hat Konsequenzen für das Gericht, die chitektensachen sowie Ingenieursachen die Parteien und eventuell im Vorfeld der Begut- Kammer anstelle des Einzelrichters entschei- achtung auch für den Sachverständigen. det. Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Ver- wirklichung dieser Möglichkeit sämtliche Folgerungen für das Gericht Bau-, Architekten- und Ingenieursachen not- An erster Stelle steht eine verstärkte Hinweis- wendig vor der Kammer verhandelt werden und Leitungspflicht des Gerichts nach § 139 müssten. Die Kammer hat nach §348aZPO ZPO. Das Gericht hat sich seit 1.1.2002 stär- die Möglichkeit, in Sachen ohne besondere ker als bisher in die Klärung des Streitstoffes Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher einzuschalten; das Gericht soll sich im Rah- Art wie auch dann, wenn die Sache keine men eines kooperativen Prozessstils in das grundsätzliche Bedeutung hat, den Rechts- 2 Motzke/Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen streit zur Entscheidung dem Einzelrichter (Rich- Für diese neuen Tatsachen gilt §531ZPO ter dieser Zivilkammer) zu übertragen. Erfah- n.F., der wie folgt im Absatz 2 lautet: „Neue rungsgemäß wird davon häufig auch bei den Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zu- Gerichten Gebrauch gemacht, wo Baukam- zulassen, wenn sie 1. einen Gesichtspunkt mern als Spezialkammern gebildet worden betreffen, der vom Gericht des ersten sind, weil anders der Geschäftsanfall nicht Rechtszuges erkennbar übersehen oder für mehr bewältigt werden kann. unerheblich gehalten worden ist; 2. infolge ei- Im Hinblick auf die Verschärfung der Aus- nes Verfahrensmangels im ersten Rechtszug schlussregeln neuen Vorbringens in der ersten nicht geltend gemacht wurden oder 3. im ers- Instanz, sollen die Parteien und das Gericht an- ten Rechtszug nicht geltend gemacht worden gehalten werden, den Sachverhalt umfassend sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit aufzubereiten. Das schließt eine Verschärfung der Partei beruht. oder „Stärkung“ der richterlichen Prozesslei- tung und Prozessleitungsbefugnisse mit ein. Das betrifft §139ZPO und bezweckt, dass die 4 Bindungswirkung erstinstanzlicher Parteien und ihre Anwälte mehr als bisher Feststellungen durch eine offene und rechtzeitige Information Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt zu einer stärkeren, gleichzeitig aber auch ge- bindet das Berufungsgericht. zielteren Aktivität veranlasst werden sollen. Das Die Bindung entfällt, wenn die Feststellung Gericht soll also, so die Bundesrats-Druck- fehlerhaft ist (§513, 546ZPO n.F.). Das ist sache 536/00, S.159, nicht mit seiner Sicht gegeben, wenn bei der Feststellung Verfah- unnötig hinter dem Berg halten, insbesondere rensfehler unterlaufen sind. Die Bindung ent- seine Meinung nicht erst im Urteil äußern, son- fällt, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an dern in einem möglichst frühen Stadium. der Richtigkeit und Vollständigkeit begründen und deshalb eine neue Feststellung geboten ist (§529 Abs.1 Nr.1). Die Bindung entfällt, 3 Auswirkungen auf das wenn die Berufung zulässig neue Tatsachen Berufungsverfahren vorbringt, die also nicht auszuschließen sind, Das BG nimmt den von der 1. Instanz festge- und die bei Beweis ihres Vorliegens Anlass stellten Sachverhalt, sofern keine konkreten sein können, den Sachverhalt neu zu bewer- Anhaltspunkte für Fehlerhaftigkeit oder Un- ten. vollständigkeit vorliegen, zum Ausgangspunkt. Dieser Sachverhalt wird durch das Erstge- richt verbindlich – in den aufgezeigten Gren- 5 Das Berufungsgericht als zen – auch für das BG festgestellt. Rechtsprüfungs- und nicht mehr Diese Bindungswirkung ist das absolut Neue Tatsacheninstanz und für die Parteien eminent Bedeutsame. Das bedeutet zugleich die verstärkte Verant- Konsequenz: wortung des Sachverständigen für die Rich- Das Berufungsgericht ist in erster Linie tigkeit seiner Feststellungen wie auch Bewer- Rechtsprüfungsinstanz und keine Tatsachen- tungen. Wegen dieser Bindungswirkung sind instanz mehr. Zur Tatsacheninstanz wird das alle Verfahrensbeteiligten einschließlich des Berufungsgericht nur, wenn ausnahmsweise Sachverständigen als Beweismittel gehalten, Bedarf für einen Einstieg in die Sachverhalts- diesem neuen Stellenwert der festgestellten ermittlung besteht. Die Voraussetzungen Tatsachen Rechnung zu tragen. hierfür müssen entweder durch Verfahrens- §529ZPO neue Fassung (n.F.) bringt dies fehler in erster Instanz geschaffen worden wie folgt zum Ausdruck: „Das Berufungsge- sein oder es müssen konkrete Anhaltspunkte richt hat bei seiner Verhandlung und Ent- für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollstän- scheidung zugrunde zu legen: 1. die vom Ge- digkeit der getroffenen Feststellungen beste- richt des ersten Rechtszuges festgestellten hen. Diese können auch durch neue Tat- Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhalts- sachen begründet werden. Aber insoweit punkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollstän- werden den Parteien, die grundsätzlich zum digkeit der entscheidungserheblichen Fest- Sachverhalt in der 1. Instanz so vortragen stellungen begründen und deshalb eine er- müssen, dass die Feststellungen für das neute Feststellung gebieten; 2. neue Tatsachen, zweitinstanzliche Verfahren ebenfalls taugen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.“ Grenzen gezogen. Motzke/Tatsachenfeststellung und -bewertung durch den Sachverständigen 3