Das Sozialunternehmen 30 Jahre Ambulant Betreutes Wohnen (ABW) für Behinderte der Stadt Nürnberg gGmbH 1982 1985 1990 2002 2012 erste WG zweite WG ABW-Angebote ABW-Angebote für 64 ABW-Angebote für 40 Personen Personen; 20 Jahre für 101 Personen; betreutes Wohnen 30 Jahre ABW 1 2 3 9 11 10 8 „Vor 30 Jahren wurde das ABW gegründet 4 13 14 und ist bis heute ein Riesenhit. Die Menschen 7 12 15 17 6 16 mit Behinderung werden in den verschiede- 18 nen Wohnungen und Wohngemeinschaften 43 19 betreut. Die Betreuer machen viele Sachen 5 20 21 mit den Betreuten wie kochen, backen, Aus- 41 42 22 23 flüge, Arztgänge, Freizeiten, Spiele, Einkäu- fe, Aufräumarbeiten in der Wohnung oder 24 25 einfach nur Gespräche, je nachdem was sich 26 27 28 30 der Betreute wünscht.“ 32 31 Zitat eines Bewohners aus dem ABW 29 33 34 35 36 37 38 39 40 Unsere aktuellen ABW-Angebote in Nürnberg WERKSTATT für Behinderte der Stadt Nürnberg gGmbH • www.wfb-nuernberg.de Unsere aktuellen ABW-Angebote 1 Bucher Hauptstraße 23 Galvanistraße 2 Senefelderstraße 24 Schwabacherstraße 3 Braillestraße 25 Nibelungenstraße 4 Tassilostraße 26 Glockendonstraße 5 Ossietzkystraße 27 Rothenburgerstraße 6 Fleischmannstraße 28 Gabelsbergerstraße 7 Wodanstraße 29 Heisterstraße 8 Aachenerstraße 30 Dallingerstraße 9 Rieterstraße 31 Oskar-von-Miller-Straße 10 Äußere Schopen hauerstraße 32 Pillenreutherstraße 11 Schmalkaldenerstraße 33 Haslerstraße 12 Martin-Richter-Straße 34 Montessoristraße 13 Momsenstraße 35 Wettersteinstraße 14 Wartburgstraße 36 Zuckmayerweg 15 Leipzigerstraße 37 Eibacher Hauptstraße 16 Cochlaeusweg 38 Neusalzerstraße 17 Äußere Sulzbacherstraße 39 Dr. Linnert Ring 18 Stresemannplatz 40 Dollnsteinerstraße 19 Siebmacherstraße 41 Petzoldstraße 20 Roonstraße 42 Wächterstraße 21 Feldgasse 43 Pleydenwurffstraße 22 Speyererstraße Inhalt Vorwort des Geschäftsführers Christian Schadinger 4 Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg Dr. Ulrich Maly 6 Grußwort des Bezirkstagspräsidenten des Bezirks Mittelfranken Richard Bartsch 6 Grußwort der Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung Irmgard Badura 7 Vor 30 Jahren fing alles an – Geschichte des ABW 8 Wo eine Lücke im Gesetz ist… 9 Von 1982 bis heute 10 Die Bewährungsprobe für das ABW 15 Ich kann essen was ich will 16 Fotoimpressionen und Gedanken aus dem ABW 18 Aus dem Leben eines Betreuers: Der ganz normale Wahnsinn 20 Aus dem Leben eines Betreuten: Ein Kaffeejunkie beim Gummibärchenwettessen 22 Antworten auf fünf Fragen aus dem ABW 24 ABW - ein Erfolgsmodell mit Zukunft 26 Impressum 27 3 Vorwort zum Jubiläum „30 Jahre Ambulant Betreutes Wohnen“ Wohnen, da wo andere wohnen - Musterbeispiel für „gelebte“ Inklusion 101 Personen werden heute vom Sozialunterneh- ren nicht möglich gewesen. Das Pflänzchen ABW hät- men Werkstatt für Behinderte der Stadt Nürnberg te sich vielleicht erst Jahrzehnte später entwickelt. Im gGmbH unterstützt, um selbständiges Wohnen im Bereich des ambulant betreuten Wohnens kann man Stadtteil zu ermöglichen. ohne Übertreibung sagen, dass die Stadt Nürnberg ein Vorreiter auf dem Weg der Inklusion war. Eine 30 jährige ErVOLKsgeschichte. Viele Angebote waren uns auch nur durch Partner möglich, die bei der Vermietung von Wohnraum nicht Visionen entstehen nicht im luftleeren Raum . Meist nur auf die maximal erreichbare Miethöhe aus wa- haben Visionen konkrete Bedürfnisse und Wünsche, ren. Eigentümer oder Verwalter von Wohnraum, die gepaart mit Zufällen zur Grundlage. So war es auch Ihren Beitrag zu einer pluralen und für alle offenen in Bezug auf das Erfolgsmodell des ambulant betreu- Gesellschaft leisten wollten und gezielt an Menschen ten Wohnens in Nürnberg. mit Behinderung vermieteten, waren und sind nicht Als 1982 die erste Werkstatt für behinderte Menschen selbstverständlich. Ein großer Dank gebührt der städ- in der Bertolt-Brecht-Straße bezogen werden konnte, tischen Tochter wbg, die immer ein offenes Ohr hatte standen die bisherigen Büroräume der „Werkstatt im und bei der aktuell 29 unserer Betreuten wohnen. Aufbau“ in der Fürther Straße leer. Eine große Veränderung erlebten wir im Jahr 2010, Horst Volk, Gründungsgeschäftsführer des Sozialun- als die Zuständigkeit für das ABW von der Stadt Nürn- ternehmens WERKSTATT, war ein findiger, wachsamer berg auf den Bezirk Mittelfranken überging. Es gab und pragmatischer Zeitgenosse. Warum nicht in die- große Befürchtungen, ob und in welcher Qualität sen Räumen ein Wohnprojekt für Menschen mit Be- das ABW in Zukunft angeboten werden kann. Rück- hinderung schaffen, die weitestgehend selbstständig blickend muss festgestellt werden, dass sich die Mit- leben wollten? arbeiter des Bezirks Mittelfranken mit großem Enga- Gesagt, getan. gement der für Sie neuen Aufgabe stellten. Mit allen Betreuten wurden Personenkonferenzen durchgeführt. Das waren die ersten Ansätze, um auch Menschen mit Die Sachbearbeiter des Bezirks ließen es sich nicht Behinderung ein möglichst „normales“ und selbstbe- nehmen, viele der Wohnungen zu besuchen um ein stimmtes Leben zu ermöglichen. Gefühl dafür zu bekommen, was ambulant betreutes Ohne das pragmatische und personenzentrierte Wohnen für die Menschen mit Behinderung bedeutet. Handeln des Sozialamts der Stadt Nürnberg, wären Leider muss aber auch festgestellt werden, dass seit viele ambulante Wohnangebote in den Anfangsjah- der Zuständigkeit des Bezirks Mittelfranken nicht mehr Zwei die sich verstehen: Yvonne Birauer und Karin Grimm in ihrer WG 4 Jörg Guntermann liebt Sauberkeit alle, für uns notwendigen Kosten, getragen werden sondern eher Berufung, in der man seine gesamte und unser inklusiver Leuchtturm ein „rotes Blinklicht“ Persönlichkeit einbringt. an der Spitze hat. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass wir in Zukunft die organisatorischen Kosten, welche Ich möchte allen institutionellen Kooperationspart- die Koordination von 18 Mitarbeitern und die Be- nern, allen Vermietern, Mitarbeitern, Eltern und An- treuung von 101 Personen in 61 unterschiedlichen gehörigen für die Zusammenarbeit in den letzten Wohnungen erzeugen, auch erstattet bekommen. Ein 30 Jahren danken. Gemeinsam konnten wir bisher Abbau von ambulanten Angeboten aus finanziellen ermöglichen, dass 101 Menschen mit Behinderung Gründen würde im Rahmen des Paradigmenwechsels ambulant betreut wohnen und damit meist einen Her- hin zu einer inklusiven Gesellschaft einem Schildbür- zenswunsch erfüllen. gerstreich gleichkommen. Lassen Sie uns weiter gemeinsam daran arbeiten, Das Jubiläum gibt auch einmal die Möglichkeit Per- dass noch viel mehr Menschen mit Behinderung ein sonen ins Licht zu rücken, die sonst im Verborgenen „Leben so normal wie möglich“, also in der Mitte des arbeiten. Allen voran unsere Mitarbeiterinnen und Gesellschaft erLEBEN können. Hin zu einer wirklich Mitarbeiter, die mit ihrem hohen Einsatz das ambu- Inklusiven Gesellschaft. lante Wohnen für Menschen mit Behinderung erst er- möglichen. Betreuer im ABW sein, heißt in der Regel als Einzelkämpfer daran zu arbeiten, den Betreuten nur so viel Hilfe wie nötig zu geben um möglichst selbstständig und selbstbestimmt leben zu können. Wie viel Hilfe nötig ist, ändert sich jedoch häufig und oft kurzfristigst. Neben ihrer hohen pädagogischen Fachlichkeit, fundiertem Wissen über Hauswirtschaft sowie Kenntnissen in Mietrecht und vielem mehr, ist es vor allem die Kompetenz Veränderungen bei den Be- treuten war zunehmen und umgehend bedarfsgerecht zu reagieren. Schnelle Anpassung des Betreuungsum- fangs und eine gewachsene Vertrauensbasis zu den Betreuten ist die Grundvoraussetzung für langfristi- ges Leben in einer ambulanten Wohnform. Für unser Christian Schadinger Personal ist die Arbeit als Betreuer im ABW kein Job Geschäftsführer 5 Grußworte zum Jubiläum „30 Jahre Ambulant Betreutes Wohnen“ des Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg Dr. Ulrich Maly Liebe Leserinnen und liebe Leser, ein selbstbestimmtes Leben ist auch für Menschen mit auch, dass es immer wieder gelingt, Bewohnerinnen Behinderung ein Herzens wunsch. 30 Jahre ist es nun- oder Bewohnern ein Leben in ihren eigenen vier Wän- mehr her, dass das Experiment einer „Wohngemein den ohne Betreuung zu ermöglichen. schaft für Menschen mit geistiger Behinderung“ - so der damalige Arbeitstitel des Projekts - begann und Mein Dank gilt deshalb allen Verantwortlichen, den zu einer Erfolgsgeschichte wurde. Die Werkstatt für Betreuerinnen und Betreuern so wie den gesamten Behinder te der Stadt Nürnberg gGmbH (WfB) als Teams, die mit viel Engagement und Fachkompetenz Dienstleistungsträger des „Ambulant Betreu ten Woh- den Be wohnerinnen und Bewohnern zur Seite stehen. nens“ stellt den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Nach 30 Jahren erfolgreicher Arbeit in den ambulan- kompetentes Team aus Sozialpädagogen, Heilerzie- ten Wohngemeinschaften bleibt mir nur noch, Ihnen hungspflegern und Hilfskräften zur Seite, damit sie allen viel Glück und Erfolg für die nächsten Jahre mit im Rahmen ihrer Möglichkeiten so selbstständig wie auf den Weg zu geben. möglich leben können. Dafür mein Dank und meine allerherzlichsten Glückwünsche zum Jubiläum. Ich wünsche allen Betreuern, Betreuten und Freunden der Wohngemeinschaften weiterhin alles Gute. Die Idee einer Wohnform zwischen den beiden dama- ligen „klassischen“ Hilfeformen -Elternhaus beziehungsweise Heim oder völlig allei- ne zu wohnen - konnte eine wichtige Lücke schließen und die Betreuung bedarfsgerecht, aber auch zeitge- Dr. Ulrich Maly mäß sicherstellen. Der damalige Werkstattleiter Horst Volk und das So- zialamt als Geld gebende Stelle mussten vor 30 Jah- ren rechtliches Neuland betreten, weil diese Art der Hilfestellung sozialhilferechtlich nicht explizit erwähnt war - und sie taten gut daran. Denn ent standen ist zum Wohle behinderter Menschen ein Angebot, das Ihnen die Teilhabe am Leben erleichtert. Mittlerweile ist die ambulante Wohnform längst mehr als etab liert und hat dafür gesorgt, dass die Tendenz immer mehr weg geht von einer Unter bringung im Heim hin zu Betreutem Wohnen. Erfreulich ist in dieser Hinsicht des Bezirkstagspräsidenten von Mittelfranken Richard Bartsch Liebe Leserinnen und liebe Leser, als vor 30 Jahren mehr aus Verlegenheit eine bisher Bestreben nach mehr Selbstständigkeit und Eigenver- als Büroraum genutzte Wohnung in eine Wohnge- antwortung allgegenwärtig. meinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung umgenutzt wurde war der Begriff „Ambulantes betreu- tes Wohnen“ noch Neuland und mit vielen Fragezei- Ein Grund für den Erfolg des „Ambulanten betreu- chen versehen. Doch schon nach kürzester Zeit stellte ten Wohnens“ der Werkstatt für Behinderte der Stadt sich heraus, dass die Bewohner die neu gewonnene Nürnberg ist wohl darin zu suchen, dass die Be- Freiheit schätzen und sehr davon profitieren. Heute wohner Vertrauen haben. Wer in der Werkstatt auf nach dem Paradigmenwechsel hin zu mehr Selbstbe- ihre Bedürfnisse eingeht und sie fordert und fördert, stimmung der Menschen mit Behinderung ist das der wird dies wohl auch in der WG tun. Man muss 6 immer bedenken: Auch für den Bewohner ist es ein rungen sorgt, ist wieder ein Schritt mehr auf unserem großer Schritt vom Heim in die Wohngemeinschaft, der gemeinsamen Weg getan. sicherlich mit Ängsten und Befürchtungen verbunden ist. Mit freundlichen Grüßen Die Sorge für Menschen mit Behinderung der unter- schiedlichsten Art ist eine den Bezirken vom bayeri- schen Gesetzgeber übertragene Aufgabe. Wir sind bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht alleine. Richard Bartsch Viele Institutionen und Träger bemühen sich ebenfalls erfolgreich darum, Menschen zu helfen. Die Werk- statt für Behinderte gGmbH der Stadt Nürnberg tut dies seit Jahrzehnten sehr erfolgreich und so freue ich mich, gemeinsam mit Ihnen dieses Jubiläum begehen zu können. Wenn die vorliegende Festschrift dabei hilft, Ihre und unsere Bemühungen im sozialen Bereich ein Stück weit mehr in den Köpfen der Leser zu verankern und so für mehr Verständnis für Menschen mit Behinde- der Beauftragten für die Belange der Menschen mit Behinderung der Bayerischen Staatsregierung, Irmgard Badura Liebe Bewohnerinnen und Bewohner, liebe Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter, liebe Leserinnen und Leser, ich finde, dass ein schönes zu Hause eine Grundvo- Es gibt vieles, das Menschen mit Behinderung gut raussetzung für ein glückliches Leben ist. Frei nach können. Sie sind Ihren Mitmenschen gegenüber dem Motto: „My Home is my Castle.“ Deshalb ist es ebenbürtig. Deshalb tut man gut daran, sie in erster wichtig, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, Linie als Menschen mit einer Behinderung zu sehen dieses Motto umzusetzen. Deshalb ist möglichst viel und sie – auch in unserem Sprachgebrauch – nicht Auswahl nötig, um zu entscheiden, wo, wie und mit länger auf ihr Defizit zu reduzieren. wem man leben möchte. Das gilt auch und ganz besonders für Menschen mit Behinderung. Selbstbe- Für die Zukunft wünsche ich der „Werkstatt für Behin- stimmung in diesem Bereich ist nicht nur ein großer derte der Stadt Nürnberg gGmbH“ Erfolg, Kraft und Wunsch der betreffenden Personen, sondern spätes- vor allem Kreativität um sie zu meistern. Auf die näch- tens seit der Unterzeichnung der UN-Behinderten- sten 30 Jahre! rechtskonvention eine Verpflichtung. Deshalb freue ich mich sehr, „der Werkstatt für Be- hinderte der Stadt Nürnberg gGmbH“ zu 30 Jahren „Ambulant betreutem Wohnen“ gratulieren zu kön- Ihre Irmgard Badura nen. Damit wurde damals sowohl von der Werkstatt selbst als auch von den Kostenträgern Neuland betreten. Ein Erfolgsmodell entstand. Dies zeigt, dass sich Institutio- nen – nicht allein für Menschen mit Behinderung! - stets weiterentwickeln und den gesellschaftlichen Gegeben- heiten anpassen müssen. Dies ist eine Herausforderung, jeden Tag aufs Neue. Deshalb ist es wichtig „dranzublei- ben“ und immer zu überlegen, wie man besser werden kann. Selbstbestimmung gibt es nie genug. 7 Vor 30 Jahren fing alles an Erste Wohngemeinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung In der Fürther Straße hatte der damalige WfB Ge- Mit der Entscheidung, einen ambulant betreuten schäftsführer – Horst Volk – sein Büro. Der Neubau Wohnbereich einzurichten, konnten wir die Lücke WfB Langwasser war fast fertig und so zog die Ge- schließen zwischen Wohnheim und Elternhaus auf schäftsleitung 1982 in die neuen Räumlichkeiten in der einen Seite sowie selbstständigem alleine Woh- Langwasser ein. Was tun mit der angemieteten Woh- nen auf der anderen Seite. Selbstverständlich musste nung Fürther Straße? Diese Frage wurde schnell be- dieses neue Angebot finanziert werden. Das Sozi- antwortet: „Wir gründen eine Wohngemeinschaft für alamt der Stadt Nürnberg wurde ein wertvoller und Menschen mit geistiger Behinderung“. Keiner der Be- wichtiger Partner. teiligten ahnte, welche Entwicklung nun begann. Gisela Ascherl Die WG Fürther Straße war Neuland für die ersten Sozialdienstleistung 3 Bewohner und für die WfB. Von Anfang war der Grundsatz klar: „So viel Hilfe wie nötig – so viel Selbstbestimmung wie möglich“. Für die Bewohner/ innen bedeutete dies ein zaghaftes Ausprobieren der neuen „Freiheit“. Gemeinsam lernten wir, damit um- zugehen: • Fehler dürfen gemacht werden. • Aus Fehlern kann man lernen. • Entscheidungen muss man selbst treffen. • Man trägt selbst Verantwortung für sich und die eigene Zukunft. • Beratung und Unterstützung muss man einfor- dern, wenn man sie braucht. • Offenheit und respektvoller Umgang miteinander sind wichtig. Ein Bewohner dieser ersten WG lebt seit vielen Jahren in einer eigenen Wohnung und wird immer noch am- Seit über dreißig Jahren im ABW, bulant von uns unterstützt. Er ist somit seit 30 Jahren jetzt auf einem Außenarbeitsplatz: der „dienstälteste“ Bewohner in unserem ABW. Urgestein Gerhard Kulzer. 8 „Wo eine Lücke im Gesetz ist, muss man die eben mit Fantasie schließen...“ Norbert Roth, Behindertenbeauftragter der Stadt Nürnberg erinnert sich So, oder zumindest so ziemlich ähnlich war der Satz, ich für die Zukunft weiterhin alles Gute und ungebro- mit dem der damalige Werkstattleiter Horst Volk die chene Schaffenskraft. Reaktion auf sein Schreiben an das Sozialamt Nürn- berg kommentierte (der Satz war wohl seiner Ausbil- Norbert Roth dung als Sozialarbeiter geschuldet, der grundsätzlich Behindertenbeauftragter der Stadt Nürnberg für Bürokratie wenig empfänglich war ...). Einfach mal ein Antrag gestellt Das Schreiben von Horst Volk war vom 30.03.1982 und enthielt – ganz harmlos – einen Antrag auf einen Zuschuss für die gerade neu eingerichtete Wohnge- meinschaft der WfB-Beschäftigten in der Fürther Stra- ße 80a, den ehemaligen Büroräumen der Werkstatt. Der Sozialausschuss des Stadtrats Nürnberg beschloss daraufhin im Mai 1982, einen Betrag von 5000 DM für die Einrichtungskosten zu genehmigen. Das war der unauffällige Beginn einer Erfolgsgeschichte, die wir noch heute, nach mehr als 30 Jahren, würdigen können. Die erwähnte „Lücke im Gesetz“ bestand nun darin, dass für die Bewohner der betreuten Wohngemein- schaften nicht nur die nach dem damaligen Bundes- sozialhilfegesetz zustehenden Leistungen, wie für den Lebensunterhalt, die Miete, Heizung usw., sondern auch die Kosten der externen Betreuung durch Sozi- alpädagogen der WfB anfielen. Solche Kosten waren aber konkret nicht im BSHG erwähnt, also: wo keine Rechtsgrundlage, eigentlich auch keine Kostenüber- nahme. Denn das BSHG kannte nur zwei Formen der Hilfen: Die so genannte „offene“ Hilfe, also außer- halb von Einrichtungen oder Heimen, oder die „ge- schlossene“ Hilfe, also die Hilfe in Einrichtungen oder Heimen. Betreute Wohngemeinschaften waren aber keines von beiden. Alles Auslegungssache Ein bewährter Grundsatz in der Verwaltungspraxis heißt; Wenn etwas nicht ausdrücklich verboten ist, ist es erlaubt... Also machten wir uns vom Sozialamt zu- nutze, dass die Bestimmungen über die Gewährung von Eingliederungshilfe nicht abschließend waren, sondern mit etwas gutem Willen, aber natürlich den- noch legal, durchaus eine gewisse Auslegung über die Art und Form der Hilfe zuließen: Die Betreuungs- kosten waren „geboren“, die Wohngemeinschaften konnten anlaufen und – wie man sieht – laufen sie bis heute ungebrochen. Mittlerweile ist diese Art der Be- treuung neben „offen“ und „geschlossen“ allgemein anerkannt und wird zunehmend die vollstationäre Un- Die damalige Entscheidung war wegweisend terbringung in Heimen oder Einrichtungen mehr und für die Erfolgsgeschichte des ABW. mehr ersetzen können. Für alle Beteiligten wünsche 9 Von 1982 bis heute Die Entwicklung des ABW in Zahlen Der Bedarf an Wohngemeinschaften und betreutem Einzelwohnen war enorm. Dies zeigt die rasante Ent- wicklung unseres ABWs am Beispiel der Wohnge- meinschaften: 18 Wohngruppen - 10 Wohngruppen Stand 2012 WG seit Personen Fürtherstr. 1982 aufgelöst 3 Personen Roonstr. 1985 5 Personen Äuß. Schopenhauer 1985 4 Personen Tassilo 18 1985 aufgelöst 4 Personen Tassilo 18 1986 aufgelöst 2 Personen Tassilo 20 1986 aufgelöst 2 Personen Tassilo 20 1987 aufgelöst 2 Personen Buch 1988 6 Personen Philipp-Kittler 1989 aufgelöst 4 Personen Braille 1989 3 Personen Senefelder 1990 5 Personen Berchinger 1990 aufgelöst 4 Personen Eibach 1993 aufgelöst 2 Personen Die Unterstützung im hauswirtschaftlichen Bereich ist ein Rieterstr. 2003 5 Personen wichtiger Bestandteil der ambulanten Betreuung. Oskar-von-Miller 2006 2 Personen Wodanstr. 2007 4 Personen Wodanstr. 2009 4 Personen Äuß. Sulzbacher 2011 4 Personen Der Anspruch an Wohnraum hat sich im Laufe der 18 Wohngruppen 8 WGs aufgelöst 65 Personen Zeit verändert und führte dazu, dass wir WGs auflös- ten und mit gesamten Wohngruppen in neue Räume In den 80iger Jahren standen die Wohngruppen im umgezogen sind. Auch bei Einzelwohnenden gibt es Mittelpunkt des Interesses. Jährlich wurden Wohnun- immer wieder Anlässe, den Wohnraum zu wechseln. gen für WGs angemietet und nur vereinzelt waren Größe der Zimmer, Gemeinschaftsräume, Bad / Du- Einzelwohnungen gefragt. Dies veränderte sich in sche, WC extra, evtl. Balkon, Internet / TV Anschluss, den 90iger Jahren, der Trend ging hin zu Einzelwoh- N-ERGIE-Kosten, Anbindung an öffentliche Verkehrs- nungen. Seit 2000 sind Wohngruppen als Wohnform mittel, Stadtteil und auch die Ausstattung der Woh- gesellschaftlich auf breiter Basis anerkannt und somit nung sind jeweils wichtige Entscheidungskriterien. wieder attraktiv. Das Spektrum unseres ambulant be- Wohnungssuche, Wohnungsverwaltung, Ausstattung treuten Wohnens etablierte sich in vielfältigster Form. der Gemeinschaftsräume und Renovierung / Instand- haltung sind zeit- und kostenintensive Aufgaben des Unser Stand Juni 2012: Trägers. Ebenso gehören hierzu die Abwicklung der 42 Personen leben in 10 Wohngruppen Ersteinzüge und Umzüge innerhalb des ABWs. Men- 41 Personen leben allein in einer Wohnung schen mit Behinderung können selbst entscheiden, wo (davon 3 mit Kindern) und mit wem sie wohnen – eine wichtige Aussage der 18 Personen leben als Paar zusammen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit (davon 1 Paar mit Kind) Behinderungen. Hierzu bedarf es aber einer Finanzie- 101 Personen gesamt rungsgrundlage, welche dies mit berücksichtigt. Wohnraum ABW Stand Juni 2012 Umzüge Die Anmietung von Wohnraum erfolgt bei Wohn- Häufigkeit Männer Frauen gesamt gruppen immer durch die WfB. Einzelwohnungen Kein Wechsel 34 19 53 werden mittlerweile von den Bewohnern/innen direkt einmal 13 11 24 angemietet. In den Anfängen war es aber durchaus zweimal 11 4 15 erforderlich, dass wir als Träger Einzelwohnungen dreimal 5 1 6 angemietet haben, denn Vermieter hatten oft noch viermal 0 0 0 fünfmal 0 1 1 Zweifel an Menschen mit Behinderung direkt zu ver- sechsmal 0 0 0 mieten. Dieses Vorurteil ist inzwischen aber über- siebenmal 0 1 1 wunden. Meist sind es bewusste Entscheidungen der achtmal 1 0 1 Besitzer, ihren Wohnraum Menschen mit Behinderung gesamt 64 37 101 zu überlassen. Die positive Zusammenarbeit mit d er wbg Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Nürnberg war und ist immer sehr hilfreich 10
Description: