200 Jahre staatliche Lehrerbildung in Württemberg Thomas Wiedenhorn Ursula Pfeiffer-Blattner (Hrsg.) 200 Jahre staatliche Lehrerbildung in Württemberg Zur Institutionalisierung der staatlichen Lehrerausbildung Herausgeber Dr. Th omas Wiedenhorn Prof. Dr. Ursula Pfeiff er-Blattner Weingarten, Deutschland ISBN 978-3-658-03621-8 ISBN 978-3-658-03622-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-03622-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt 1 Ursula Pfeiffer-Blattner und Thomas Wiedenhorn Vorwort der Herausgeber ………………………………………… 7 2 Ursula Pfeiffer-Blattner und Thomas Wiedenhorn Eine Retrospektive auf 200 Jahre Lehrerbildung in Württemberg – unter epochalen, nationalen, geschlechts- und institutionenspezifischen Aspekten …………………………….... 9 3 Erich Müller-Gaebele und Thomas Wiedenhorn Die Anfänge der staatlichen Lehrerbildungsanstalt in Esslingen – Bernhard Gottlieb Denzel und die „Musterpflanze“ der württembergischen Lehrerbildung ……………………………..... 19 4 Erich Müller-Gaebele Von Esslingen nach Heilbronn - Die Expansion der seminaristischen Lehrerbildung in Württemberg ……………...... 43 5 Hans-Ulrich Grunder Ort und Gestalt der Lehrerinnen- und Lehrerbildung ………….. 69 6 Inna Tarassova Die „Schulmeisterschule“ von Carl August Zeller in Heilbronn. Anmerkungen zur Vorgeschichte der Entstehung des Lehrerseminars in Esslingen 1811 ………………………………... 93 7 Joachim Kremer Weit mehr als Grundversorgung: Die Musik am Esslinger Lehrerseminar und das Wirken der Seminarmusiklehrer Johann Georg Frech und Christian Fink …………………………………. 105 8 Folker Metzger Gustav Adolph Cornaro Riecke – Ein schulpädagogischer Sonderweg im Spannungsfeld von Professionalisierung, Politisierung und Institutionalisierung ………………………..… 129 1 Vorwort der Herausgeber Ursula Pfeiffer-Blattner und Thomas Wiedenhorn Mit vorliegendem Tagungsband ist die Intention verbunden, vor allem auf die Anfänge der staatlichen Lehrerbildung in Württemberg einzugehen. Dies lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven tun, die im Beitrag von Ursula Pfeiffer- Blattner und Thomas Wiedenhorn rückblickend auf 200 Jahre staatliche Lehrer- bildung systematisiert werden. Im Einzelnen geht es dann um die folgenden Themen: einmal repräsentieren die ersten Seminarrektoren einen Blick auf Lehr- erbildung, der sich der aufklärerisch-humanistisch ausgerichteten Volksbildung als Menschenbildung verpflichtet weiß. Erich Müller-Gaebele und Thomas Wie- denhorn zeigen mit Bezug auf das Theoriegerüst Bernhard Gottlieb Denzels, welches Potential seine Gedanken zur Lehrerbildung als Menschenbildung ent- halten. Zum zweiten gibt es so etwas wie eine Institutionengeschichte mit ihren je eigenen Gesetzen und Motiven. Wie die Institutionalisierung der Lehrerbil- dung weitergeht und welche Stationen sie nimmt, zeigt Erich Müller-Gaebele in seinem Artikel „Von Esslingen nach Heilbronn – Die Expansion der seminaristi- schen Lehrerbildung in Württemberg“. Regionale Besonderheiten, konfessio- nelle Motive und politische Erwägungen begleiten diese Entwicklung. Vor dem Hintergrund heutiger Erfahrung und Expertise zur Lehrerbildung unternimmt Hans-Ulrich Grunder dann den Versuch, die systematische Gestalt wie den ge- sellschaftlichen Ort der Lehrerbildung heute auszumessen. Es entstehen span- nende Vergleiche und kontroverse Ausblicke, die die weitere Diskussion über die mögliche oder nötige Neuordnung der Lehrerbildung anregen können. Über die Fachtagung hinaus werden Einzelbeiträge mit Bezug zum Gegen- stand hier publiziert, die einzelne Aspekte dieser württembergischen Lehrerbil- dung in den Blick nehmen. Zunächst stellt Inna Tarassova dar, welchen Einfluss Carl August Zeller über seine „Schulmeisterschule“ in Heilbronn auf das erste Lehrerseminar in Esslingen hatte. Mit dem Titel „Musikalische Grundbildung als wichtiger Aspekt der Lehrerausbildung“ befasst sich Joachim Kremer. Er weist damit auf einen gerade für Württemberg charakteristischen Aspekt der Lehrer- bildung hin, in dem sich noch einmal kirchliche und staatliche Tradition der Lehrerbildung treffen. Nach Bernhard Gottlieb Denzel hat Gustav Cornaro Riecke, der zweite Rektor des Esslinger Seminars, versucht, trotz des politischen Gegenwinds die Intentionen der Gründungszeit weiter zu führen. Darauf kon- zentriert sich Folker Metzger in seinen biographischen und systematischen Aus- führungen. T. Wiedenhorn, U. Pfeiffer-Blattner (Hrsg.), 200 Jahre staatliche Lehrerbildung in Württemberg, DOI 10.1007/978-3-658-03622-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 8 Ursula Pfeiffer-Blattner und Thomas Wiedenhorn Vorliegender Band fokussiert ein historisch-systematisches Thema und sei- ne regional besondere institutionelle Ausbildung. Die Herausgeber sowie das Autorenteam waren von der Motivation geleitet, dem historischen Datum der Eröffnung des ersten württembergischen staatlichen Lehrerbildungsseminars in Esslingen 1811 durch ein wissenschaftliches Symposium im Jahr 2011 Bedeu- tung zu geben und mit der Aufarbeitung seines systematischen und politischen Hintergrunds einen Beitrag in der Reihe der historischen Schulforschung im deutschsprachigen Südwesten zu leisten. Die Geschichte der staatlichen Lehrer- bildung in Württemberg ist damit längst nicht erschöpfend behandelt. Weitere regionale Studien sind notwendig, um die Vielgestaltigkeit der Lehrerbildungs- anstalten im deutschen Südwesten sichtbar werden zu lassen. Allen die zum Gelingen des Tagungsbandes beigetragen haben, möchten wir an dieser Stelle herzlich danken. 2 Eine Retrospektive auf 200 Jahre Lehrerbildung in Württemberg – unter epochalen, nationalen, geschlechts- und institutionenspezifischen Aspekten Ursula Pfeiffer-Blattner und Thomas Wiedenhorn Eine Einführung Die historischen Entwicklungsverläufe der Lehrerbildung und des Lehrerberufs sind eng an die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Rahmenbe- dingungen gebunden. Gekennzeichnet ist das Bildungssystem bis heute durch eine institutionell different angebundene Lehrerbildung und eine vertikale Glie- derung in ein „höheres“ und „niederes“ Schulwesen, das trotz vielfältiger Modi- fikationen, Annäherungen und Ausdifferenzierungen ein Grundmuster der Zwei- teilung manifestiert (Klieme u.a. 2007 S. 37). Die Ausbildung der Lehrkräfte für das höhere Schulwesen war durchgängig universitär angebunden (Terhart 2002, S. 50), wohingegen die Lehrer für das niedere Schulwesen als Lehrberuf organisiert waren. Es sind im niederen Schul- wesen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vorrangig die Schulmeister, die sich für die Reproduktion der erzieherischen Grund- und Fachkenntnisse verantwort- lich zeichnen. Als Zugangsvoraussetzung für die Teilnahme an der Ausbildung war lediglich ein Volksschulabschluss vorgesehen. Am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wird die Lehrerausbildung für das niedere Schulwesen in vielen Landesteilen in staatlich initiierte Lehrerseminare verlagert. Damit erfolgt aus schulpädagogischer Sicht eine orts-, personen- und inhaltsgebundene Fest- schreibung mit staatlich-institutionellem Regelwerk. Die Lehrerbildungsan- stalten werden zum Subsystem einer modernen Gesellschaft auf der Basis einer staatlichen Steuerungsinstanz nach einheitlichen Ausbildungsformen, -verfahren und Qualitätsmaßstäben (ebd.). Die soziale und intellektuelle Diskrepanz be- gründet einerseits die Festschreibung eines „in freier Auseinandersetzung mit Wissenschaft“ gebildeten Gymnasiallehrers (Händle 1995, S. 616) und dem seminaristisch geschulten Volksschullehrer andererseits, der keine höhere Bil- dung, sondern Lehrstoffe, eine Unterrichtsmethode und ein pädagogisches Selbstverständnis besitzt (Gesk 1999, S. 81). T. Wiedenhorn, U. Pfeiffer-Blattner (Hrsg.), 200 Jahre staatliche Lehrerbildung in Württemberg, DOI 10.1007/978-3-658-03622-5_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 10 Ursula Pfeiffer-Blattner und Thomas Wiedenhorn Der staatliche Aspekt der württembergischen Lehrerinnenausbildung Das Gebiet des heutigen Baden-Württembergs setzte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus rund 600 Kleinstaaten mit unterschiedlichsten territorialen, politischen und bürokratischen Zuständigkeiten zusammen (Holtz 2011). Als Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation obliegt die Staatgewalt dem römisch-deutschen Kaiser. Nach einigen militärischen Niederlagen wechselt Württembergs Herrscher Friedrich ins Lager Napoleons und bringt so das König- reich einem nationalen Einheitsstaat näher. Für das 18. und 19. Jahrhundert konstatiert die moderne Geschichtsschrei- bung einen gesellschaftlich-epochalen Wandel der deutschen Kleinstaaten hin zu einem modernen deutschen Flächen- und Einheitsstaat (Herrlitz u.a. 2005). Zu- nächst weisen die Indizes nicht auf eine schnelle Realisierung der politischen und sozialen Hoffnungen einer aufkeimenden Volksbestrebung hin, die absolu- tistische Staatform abzulösen, wie sie die Forderungen der Französischen Re- volution 1789 geweckt hatten. Vor allem zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte es im deutschen Südwesten keinen Anschein die Krise der ständischen Gesell- schaft mit Hilfe einer breiten Aufklärungsbewegung lösen zu können (vgl. Baumgart 2007, S. 84). Weite Teile der Bevölkerung lebten am Existenzmini- mum, an eine politische Mitsprache des liberalen Bürgertums war überregional nicht zu denken. Zudem blieben die Mängel im Bildungssystem bestehen, da das Niveau der Elementar- und Stadtschulen in der Regel beschämend war (Zymek 2009, S. 67). Im Vormärz (1815-1848) führten regional ungleichzeitige Transformations- prozesse, die auf der Grundlage von Verwaltungsreform, Bauernbefreiung, Ein- führung der Gewerbefreiheit und Heeresreform stattfanden, zu einer allmäh- lichen Ablösung der Stände- durch die Leistungsgesellschaft. Dabei bildeten gesellschaftliche Restriktionen die größten Hindernisse hinsichtlich der Emanzi- pation der Lehrerausbildung von der kirchlichen Oberaufsicht und der Ausbil- dung eines einheitlichen Lehrerstandes als Berufsgruppe. Thomas Nipperdey sieht in der Parallelität der Entwicklungsverläufe jedoch eine „Gleichzeitigkeit von Ausbau und Restriktion“ (zit. nach Herrlitz u.a., S. 51), die überhaupt nicht durch Kontinuität gekennzeichnet ist. In der Allgemeinen Pädagogik und Schulpädagogik „wurden theoriefähige Begriffe entwickelt, mit denen im gesellschaftlichen Diskurs über Bildung und Erziehung gerungen werden konnte“ (vgl. Koselleck 1990, S. 20). Von staatli- cher Seite werden zunehmend mehr Bildungsinstitutionen eingerichtet, um von dort aus eine allgemeine Grundbildung zu garantieren. Die wichtigsten Voraus- setzungen sind die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeführten lan- desherrlichen Edikte und Reglements zur Verbesserung der ländlichen Ele- Eine Retrospektive auf 200 Jahre Lehrerbildung in Württemberg 11 mentarschulversorgung. Vor dem Hintergrund des steigenden Lehrerbedarfs entpuppt sich die stringentere Durchsetzung der Schulpflicht als direktes staatli- ches Steuerungsinstrument (vgl. Friederich 1978). In die Zeit fällt in Württemberg die Gründung der ersten institutionell ange- bundenen Lehrerbildungseinrichtung. Anders als die private Vorgängeranstalt das Alumneum war sie gekoppelt an die königlichen Direktiven und Satzungen und stand unter der Oberaufsicht des Königlichen Konsistoriums. Gesichert bleibt so auf Dauer eine staatliche Einflussnahme in Fragen der Haushalts-, Per- sonalpolitik und konzeptionellen Ausrichtung (Jung 1961, S. 30) der Institution. Die Aufgabe der Lehrerbildungsanstalt sollte aus Sicht der königlichen Verwal- tung in der Ausbildung von Volksschullehrern liegen, die über die „Integration von Bildung zu Multiplikatoren bürgerlicher Kultur“ (zit. nach Stratmann 2006) werden sollten. Aufgrund der mehrheitlich ländlichen Herkunft der Zöglinge erfordert dies einen schwierigen Erziehungs- und Anpassungsprozess. Geschlechtsspezifischer Aspekt der württembergischen Lehrerinnenausbildung Die Bedeutung der Kategorie „Geschlecht“ und der soziokulturell geprägten Ge- schlechterdifferenz spielen für den rekonstruktiv-historischen Diskurs im Kon- text von subjektorientierter Sozialisations- und Bildungsforschung eine zuneh- mend wichtigere Rolle. Geschichtlich sind es gesellschaftliche und institutionelle Vorgaben in Form von Gesetzen und gesellschaftlichen Normen, die eine Ent- wicklung der Lehrerinnenbildung nach genderspezifischen Deutungsmustern und Wissensbeständen ermöglicht und einem hierarchisch strukturierten Kultursys- tem der Zweigeschlechtlichkeit entgegentreten helfen (Lemmermöhle 2001, S. 327). Bis Mitte des 19. Jahrhunderts liegen dem Bildungswesen die zentralen Differenzierungs- und Identitätskategorie „Nation“ und „Geschlecht“ zugrunde. „Begriffslogisch kommt dem Geschlecht ein ähnlicher Status zu wie Klasse, Ethnizität oder Nationalität“ (Frerichs 2000, S. 37). Das erste urkundlich nachgewiesene Seminar für Lehrerinnen wurde 1803 von Ernestine von Krosigk in Berlin eröffnet. In Bayern richtete die Regierung 1814 ein weltliches Seminar für Frauen ein, das alle zwei Jahre zwölf junge Frauen für eine zweijährige Ausbildung aufnahm (Albisetti 2007, S. 83f.). Die württembergische Lehrerinnenbildung begann mit der institutionellen Einfüh- rung der ersten Bildungsanstalten 1837 in Markgröningen. Dennoch bleibt sie bis weit ins 20. Jahrhundert einer männlich-religiös konstruierten Machttradierungs- bzw. Reproduktionsinstanz unterworfen. Als länderübergreifende Legitimation für die Implementierung von Lehre- rinnenbildung lassen sich zwei Argumentationslinien ausmachen: