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1900: Zukunftsvisionen der Großmächte PDF

217 Pages·2002·53.068 MB·German
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SÖNKE NEITZEL (HRSG.) 1900: Zukunftsvisionen der Großmächte FERDINAND SCHONINGH PADERBORN • MÜNCHEN • WIEN • ZÜRICH Gedruckt mit Unterstützung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Titelbild: Titelblatt der Zeitschrift Jugend, V. Jahrgang, Nr. 1, Januar 1900. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Neitzel, Sönke (Hrsg.): 1900: Zukunftsvisionen der Großmächte/Hrsg.: Sönke Neitzel. Paderborn; München; Wien; Zürich: Schoningh, 2002 ISBN 3-506-76103-X Umschlaggestaltung: INNOVA GmbH, D-33178 Borchen Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier @ ISO 9706 © 2002 Ferdinand Schoningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schoningh GmbH, Juhenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schoningh, Paderborn ISBN 3-506-76103-X Bayerische V~)f 7 OAA - aa^ts-b;i büo•tn•• :"•'•'-• München Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 Rund um 1900. Runde Zahlen und Geschichte Von Michael Salewski 11 Endzeit. Zukunftsvorstellungen im russischen politisch- philosophischen Denken um 1900 Von Efft Böhlke 31 Außenpolitische Zukunftsvorstellungen in Deutschland um 1900 Von Sönke Neitzel 55 »Therapeutischer Nihilismus«. Zukunftsvisionen im »alten Österreich« um 1900 Von Lothar Höbelt und Teresa Stochel-Nahielska 81 Drei Konzeptionen von Frankreichs Rolle in der Welt im neuen Jahrhundert Von Martin Mayer 99 »A Greater Britain of British Race«. Zur Frage der Zukunft des britischen Weltreichs um 1900 Von Jürgen Elvert 127 Zukunftsvorstellungen in den Vereinigten Staaten zur Jahrhundertwende 1900/1901 Von Ragnhild Fiebig-von Hase 149 Vorstellungen vom Krieg vor 1914 Von Gerd Krumeich 173 Parallelen zur Jahrhundertwende? Endzeitvorstellungen im Kommunismus und im Nationalsozialismus Von Frank-Lothar Kroll 187 Literaturverzeichnis 197 Die Autorinnen und Autoren 215 Personenregister 217 Vorwort Die Jahrhundertwende von 1900 strahlte auf die Zeitgenossen eine ähnliche Magie aus wie auf uns der Milleniumwechsel einhundert Jahre später, ob- gleich es sich um eine denkbar inhaltsleere Zahl handelte, wie Michael Sale- wski in seinem einleitenden Beitrag provokant formuliert. Wie dem auch im- mer sei, »1900« hat die Zeitgenossen dazu inspiriert, sich intensiv mit den vorausgegangenen hundert Jahren auseinanderzusetzen. Aber auch der sein- erzeitige Zustand der Gesellschaft wurde kritisch beleuchtet, verbunden mit der Frage, was wohl das heranbrechende 20. Jahrhundert bringen werde. Diese zumeist publizistischen Reflexionen waren ein Spiegelbild des gesell- schaftlichen Zustandes, von Ängsten, Untergangsstimmung und Pessimis- mus ebenso wie von Hoffnung, Stolz und gespannter Erwartung. Sie bilden eine materialreiche Bestandsaufnahme, die es dem Historiker von heute in idealtypischer Weise ermöglicht, »in« die Zeit um 1900 zu schauen. Der Ver- such eines Bilanzabschlusses umfaßte alle Bereiche des gesellschaftlichen Le- bens, die Technik ebenso wie Literatur, Kunst und natürlich die Politik. In diesem Band geht es nicht darum, die äußerst disparaten Diskussionen an- läßlich der Jahrhundertwende in ihrer Gesamtheit darzustellen. Hier wird ein Untersuchungsgegenstand herausgenommen, der uns als Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts besonders interessant erscheint: die Zukunftserwartun^en. Inmitten einer scheinbar immer schnellebiger werdenden Zeit, in der die Er- rungenschaften der Technik und das Hochgefühl des Imperialismus ihrer Epoche den Stempel aufdrückten, waren Prognosen über die Zukunft en vogue. Was erwartete man vom beginnenden neuen Jahrhundert, wie würde sich die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation des eigenen Landes, des eigenen Kontinents, ja der Welt verändern? Welche Differenzen, welche Gemeinsamkeiten lassen sich hier zwischen den Großmächten aus- machen, die sich in einer denkbar unterschiedlichen außen- und innenpo iri- schen Lage befanden? Der Band vertieft und erweitert damit den Ansatz, den bereits 1997 Ute Frevert verfolgt hat1. Die Zukunftserwartungen waren ein Spiegelbild der zerfallenden Pemar- chie, eine Abbildung eines Staatensystems, das sich allmählich auflöste, S( ine neue Form aber noch nicht gefunden hatte. Ohne Zweifel hatte sich der eu- ropäische Kontinent in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gewal- tig verändert: Kriege, das Ausgreifen nach Übersee, der wirtschaftliche Auf- schwung, aber auch die immer stärker an Kraft gewinnende sozialistische Idee brachten die Großmächte innen- wie außenpolitisch in Bewegung. Blickt man hinter die Kulissen der immergleichen Jubelfeiern der europäi- Frevert, Zukunftsprognosen 8 Vorwort sehen Hauptstädte - die Amerikaner feierten den Jahrhundertwechsel übri- gens erst am kalendarisch korrekten Datum am 31. Dezember 1900 -, so of- fenbaren sich die tiefen Unterschiede: Das Zarenreich etwa war aufgebro- chen, den ökonomischen und politischen Anschluß zum Westen zu gewinnen; entsprechend heftig entbrannte die Debatte um Rußlands zukünf- tiges Verhältnis zu den Westmächten. War sein Schicksal deren Bekämpfung und Überwindung oder der friedliche Ausgleich mit ihnen? Die Jahrhun- dertwende erlebte eine Neuauflage dieses alten Disputes um die Standortbe- stimmung der russischen Nation. Auch das Deutsche Reich war, zumindest was den politischen Bereich an- belangt, von einer Aufbruchsstimmung ergriffen, die jedoch denkbar unter- schiedliche Ausprägungen aufwies. Während die SPD noch immer von der Vorstellung einer sozialistischen Weltrevolution beherrscht war, die Pazifi- sten glaubten, dem Wahnsinn von Rüstung und Krieg Einhalt gebieten zu können, ging es dem offiziellen, dem bürgerlichen und konservativen Deutschland darum, unangreifbares Weltreich zu werden, sich mit den größ- ten Mächten gleichberechtigt auf eine Stufe zu stellen. Schwer lastete das Be- wußtsein auf Teilen der Volksseele, daß eben dies noch nicht erreicht sei, ja daß man auf der Hut sein müsse, im sozialdarwinistischen Kampf der Na- tionen nicht unterzugehen. Es war eine Mischung aus Pessimismus und überschäumendem Optimismus, mithin ein Cocktail, der so sonst nirgend- wo zu finden war. In Österreich-Ungarn gab es eine solche Vermengung nicht, hier herr- schte auch im politischen Bereich eine Fin-de-siecle-Stimmung vor, die man in Deutschland nur in Literatur und Kunst kannte. Lothar Höbelt und Te- resa Stochel-Nabielska beschreiben eindrucksvoll diese niedergeschlagene Stimmung, einen Fatalismus, aus dem - von wenigen Ausnahmen abgese- hen - kaum großspurige Vorstellungen über die zukünftige Lage der Nati- on und schon gar nicht über die Veränderung des Weltstaatensystem er- wuchsen. Auch in Frankreich gab es kaum weiteichende Zukunftspläne im Sinne der in Deutschland so populären Weltreichslehre. Martin Meyer veranschaulicht, daß das Land voll und ganz von der Tagespolitik eingenommen war; die Fa- schoda- und Dreyfuss-Affären erschütterten das Land und ließen es zudem geraten erscheinen, den Glanz der eigenen Größe abseits der üblichen Para- meter wie Bevölkerungs- oder Wirtschaftswachstum zu messen. Diesbezüg- lich konnten es die Franzosen kaum mit den Deutschen, Briten oder Ameri- kanern aufnehmen. Deshalb trifft man eher auf sozialistische Visionen, die den ganzen europäischen Machtkampf endlich beendet sehen wollten oder - seitens der politischen Rechten - auf Vorstellungen über die zukünftige ko- loniale Größe, dem einzigen prestigeträchtigen Feld, in dem man den ande- ren »Großen« nicht heillos unterlegen war. Vorwort 9 Und Großbritannien? Wie dachten die Briten am Ende »ihres« Jahrhun- derts über die Zukunft? Im Vergleich zur deutschen Hysterie, dem öster- reichischen Fatalismus und der russischen Suche nach sich selbst hielten sich die Briten mit ihren Zukunftsvisionen eher zurück, denn es gab eigentlich nicht viel zu diskutieren. Das Erreichte mußte bewahrt werden, das Empire mußte als Bollwerk allen Angriffen auf die britische Weltmachtstellung trot- zen, so viel war klar. Umstritten war höchstens der Weg, wie dies erreicht werden konnte, ob nun in einer Politik der kleinen Reformen oder aber mit einem radikalen Schnitt, etwa der Umwandlung des Empires in einen Bun- desstaat. Die Befürworter dieses Schritts malten leidenschaftlich Horrorvi- sionen über das kommende 20. Jahrhundert an die Wand, ohne damit auf all- zu große Gegenliebe zu stoßen: Panikmache war nicht nach dem Geschmack der Briten, dafür stand ihr Land (noch) auf viel zu starken Beinen. 1906 straften die Wähler die Konservativen ab und entschieden sich damit gegen radikale Kuren. In den USA konnte man über die Ängste, den Fatalismus und die Sorgen mancher Europäer ohnehin nur lächeln. Zur Jahrhundertwende strotzten die Vereinigten Staaten vor Selbstbewußtsein. Die Amerikaner waren überzeugt von der Überlegenheit ihres liberal-kapitalistischen demokratischen Systems, waren überzeugt von dem herausragenden ökonomischen und außenpoliti- schen Stellenwert ihres Landes. Die USA waren nach allgemeiner Lesart das »promised land«, das »Land der Zukunft« oder, anders ausgedrückt, die Weltmacht des 20. Jahrhunderts. Bei aller Zuversicht meldeten sich aber auch kritische Stimmen zu Wort: So hatte die schwere Depression der 1890er Jah- re viele, durch die Industrialisierung bedingte soziale und ökonomische Schwachstellen des amerikanischen /<msez-/<zz're-Kapitalismus aufgedeckt. Forderungen nach Reformen wurden laut, nicht jedoch nach revolutionären Gegenentwürfen. Und schließlich wurde auch heftig darüber diskutiert, ob die USA ihren Weltmachtstatus wirklich mit den klassischen Insignien eu- ropäischer Expansionspolitik umsetzen sollten. Neben den eigentlichen Reflexionen zur Zeit unmittelbar um 1900 verfolgt der Band exemplarisch auch die Frage, ob die Vorstellungen, Hoffnungen, Ängste, Theorien u.a., die so zahlreich zur Zeit der Jahrhundertwende geäußert wurden, maßgebend auch für die Zukunftserwartungen der folgen- den Zeit waren. Gaben sie allen derartigen Vorstellungen eine - wenn auch nur grobe - Richtung vor? Oder gab es vielmehr Brüche und vollkommen neue Entwicklungen? Gerd Krumeich geht dieser Frage anhand der Kriegsvorstellungen vor 1914 nach. Die vieldiskutierten Bilder vom unvermeidlichen Krieg erlebten ihren Höhepunkt freilich erst in den internationalen Krisen unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Angestoßen wurden diese Gedanken je- doch von den Reflexionen zur Zeit der Jahrhundertwende, die zu diesem 10 Vorwort frühen Zeitpunkt allerdings kaum ernstgenommen wurden. 1900 war eben nicht 1912. Frank-Lothar Kroll zeigt zum Schluß skizzenhaft auf, inwieweit in den prägenden Ideologien des 20. Jahrhunderts - im Kommunismus und im Na- tionalsozialismus - das Gedankengut der Jahrhundertwende weiterlebte und greift dabei insbesondere auf die Erlösungsvisionen und Heilsverheißungen dieser Ideologien zurück. Der vorliegende Band ist hervorgegangen aus der Sektion »Jahrhundert- wende und Zukunftsvisionen«, die auf dem 43. Deutschen Historikertag 2000 in Aachen abgehalten worden ist. Für die Publikation konnte der Teil- nehmerkreis erweitert werden und somit ein »rundes« Bild des Themas im internationalen Vergleich hervorgebracht werden. Abschließend danke ich allen, die zum Erscheinen dieses Buches beigetra- gen haben. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktoranden Alexander Bra- kel, der mir bei den redaktionellen Arbeiten in bewährter Weise eine große Hilfe gewesen ist. Mainz, im Dezember 2001 Sönke Neitzel An dieser Stelle noch ein Hinweis zur Benutzung des abschließenden Literaturverzeichnisses Es ist zur leichteren Handhabung nach Beiträgen geordnet. Rundum 1900. Runde Zahlen und Geschichte von MICHAEL SALEWSKI 1. Das neue Jahrtausend hat am 1. Januar 2000 angefangen, und die aufgeregten Diskussionen um die Frage, ob nach der eisernen Logik der Mathematik nicht eigentlich der 1. Januar 2001 diesen Neuanfang markiere, sind ver- stummt - vorübergehend, denn man darf vermuten, daß sie um den Dezem- ber 2099 wieder aufgenommen werden. Das war schon im Dezember 1899 so, als der Leutnant von Versewitz aus der Zeitschrift »Jugend« reimte: »Paßt mir nun mal nicht, für hundert Mark neunundneunzig zu kriegen«1, und die gelehrten Zeitgenossen Wilhelms II. verwiesen auf Goethe und Schiller, die im Dezember 1799 darüber diskutiert hätten, wann eigentlich das neue Sä- kulum beginne. Vielleicht haben die beiden Dichterfürsten sich auch an die Diskussionen vom Dezember 1699 am Hofe von Versailles erinnern können, denn auch damals hatte sich die höfische Gesellschaft nicht einigen können, wann denn eigentlich das 18. Jahrhundert anfange. Weiter reichen die Erin- nerungen nicht, vor allem haben sich trotz heftiger Bemühungen bisher kein- erlei Quellen auffinden lassen, die etwas darüber verrieten, wie die Menschen denn den vorvergangenen Jahrtausendwechsel begangen haben - das Jahr 1000 ist ein ganz besonderes, denn die Zahl 1000 besaß seit jeher, besonders aber im Mittelalter und auch in der Zeit des Dritten Reiches eine geradezu »magische« Bedeutung. Weil auch die Mediävisten des 19. und einige des 20. Jahrhunderts dieser »Magie« verfallen waren, wurde in das Jahr 1000 allerlei hineingeheimnist, und selbst »moderne« Darstellungen tun sich schwer mit einer nüchternen Analyse der Reichspolitik Ottos III.2 Es gibt viele dieser »magischen Zahlen«, auch heute noch und wie selbst- verständlich. Natürlich haben sie nichts mit Magie zu tun, aber an das Phäno- men menschlichen Aberglaubens streifen sie schon. So sind niemals in Deutschland mehr Ehen geschlossen worden als am 8. August 1988 und am 9. September 1999, und wer immer bei einer Zulassungsstelle sich um ein Auto- kennzeichen bemüht, das »rund« sein oder das aktuelle Jahr ausweisen soll, wird in der Regel bedauernd darauf hingewiesen, daß diese Nummern längst 1 Die nachfolgenden Überlegungen basieren wesentlich auf meinem Aufsatz, Salewski, Neujahr. 2 Eickhoff, Kaiser. 12 Michael Salewski vergeben sind. Im Volksmund heißen die magischen oft auch »Schnapszah- len«, und bisher hat sich die seriöse Wissenschaft (welche eigentlich fühlte sich zuständig?) meines Wissens damit noch nicht befaßt. Eine solche »Schnaps- zahl« ist der 11.11., genauer: der 11.11. 11.11 Uhr: der Beginn des Karnevals. Erinnert man daran, daß an einem 11.11. 11 Uhr im Jahr 1918 der Waffenstill- stand nach dem Ersten Weltkrieg in Kraft trat, so ist etwas von der seltsamen Ambivalenz zu spüren, die diese »Schnapszahl« zum Ausdruck bringt.3 »Magische«, »runde« und »Schnaps« - Zahlen gehören in den Alltag wohl jedes Menschen. Zumindest dürfte es wenige geben, die nicht die »runden« Geburtstage als etwas Besonderes nehmen, ähnliches gilt für Hochzeits- und Todestage, für Firmen- und Dienstjubiläen. So erhält jeder Beamter anläßlich seines 25-jährigen oder - falls er es erreicht - 40-jährigen Dienstjubiläums ei- ne Urkunde von seinem Dienstherrn, meist mit einer kleinen finanziellen Gratifikation verbunden, und nur weil die Zahl »rund« ist, werden diese Be- amten mit der Vollendung ihres 65. Lebensjahres in der Regel pensioniert. Die Magie der »runden« Zahl wirkt aber auch, wenn man innerorts nur »50« oder »30« Kilometer pro Stunde fahren darf (warum nicht 52 oder 28?), wenn auf Landstraßen eine Höchstgeschwindigkeit von »100« km/h gilt, (warum nicht 95 oder 105?), und wer sich beispielsweise einen Bußgeldkata- log ansieht, dem wird auffallen, daß auch die Bußgelder »gerundet« sind. Kaffee pflegt in 500g-Packungen angeboten zu werden, Butter in solchen von 250g. Als eine Kaffeefirma es wagte, ein Päckchen Kaffee mit 400g (zu entsprechend reduziertem Preis) zu vermarkten, erhob sich unter den Ver- brauchern ein Sturm der Entrüstung; flugs kehrte die Firma reumütig zu den 500g-Packungen zurück. All dies sind banale Feststellungen, die sicherlich beliebig zu vermehren wären. Sie sollen nur die These belegen, daß die seit einigen Jahrzehnten - et- wa seit 1970 - geradezu grassierende historische Jubiläumssucht unmittelbar mit einem anthropologischen Grundbedürfnis der Menschen, genauer: der Menschen der westlichen, »abendländischen« Welt verbunden ist. Die Tech- nikgeschichte hat hinlänglich deutlich gemacht, wie Eisenbahn, Telegraph und Fahrpläne zusammenwirkten, um die »Normalzeit« entstehen zu lassen und ein Bewußtsein von »Pünktlichkeit«, das es zuvor nie gegeben hatte. Die Industrialisierung hat zur zeitlichen Uniformierung ebenso beigetragen wie sich mit ihr das Prinzip der »runden« Zahlen durchsetzte (z. B. 12-, 10-, 8- Stundentag).4 In diesem Zusammenhang ließe sich auch an das metrische Sy- Denkt man an die berühmte Definition des Beginns des Ersten Weltkrieges in Thomas Manns »Zauberberg«, so ließe sich fast spekulieren, der U.U. 11 Uhr markiere in gewollter Umkehr das Ende des »argen Tanzvergnügens«. Vor allem Joachim Radkau und Ernst Schivelbusch (Die Eisenbahnreise) haben auf diese bis- her wenig erforschten Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Radkau, Zeitalter; Schivelbusch, Geschichte.

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