01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 11 Johanna Oehler „Weltferne Klosterfrauen”? 11 Johanna Oehler 1. Einleitung. „Das Amt der Diakonissen hat (cid:1) außer dem Spotte der Welt noch das gegen „Weltferne Klos- sich,daß es leider unter den heutigen Christen Flensburg als etwas außerordentliches gilt,daß man es terfrauen“? von begabten,tüchtigen Jungfrauen,die ‘auch Die ersten Flensburger Diako- wohl noch einen Mann bekommen könnten,’ nissen 1874 bis 1895 und ihre nicht zu ‘begreifen vermag,’‘wie sie dazu Eintrittsmotivation kommen,’diesen Beruf zu wählen.“1 Mit diesen Worten klagte 1879 der Vorsteher der Flensburger 1Correspondenzblatt, 3. Jg, 1879, Nr. Diakonissenanstalt,Emil Wacker (1839-1913),über die Skepsis,die 7/8, [S. 3]. Die bibliographischen Angaben von der Bevölkerung den eintretenden Diakonissen entgegenge- für das Correspondenzblatt sind schwierig. bracht wurde. Das am 29. September 1874 gegründete Mutterhaus Die Seiten sind nicht paginiert, die Jahrgangs- wirkte für große Teile der Bevölkerung wie ein Hort weltfremder zählung begann jeweils nach dem Jahresfest „Klosterfrauen“.2Dennoch stieg in den folgenden Jahren die der Diakonissenanstalt im Oktober und die Er- Schwesternzahl kontinuierlich an. Gehörten der Einrichtung bei scheinungsweise war unregelmäßig. ihrer Gründung nur neun Frauen an,umfasste die Schwestern- 2Lebenslauf 1 Hedwig Marggraff, Jg. 1855. Im schaft 1880 bereits 60 und 1895 schließlich 137 Frauen.3 Folgenden werden die Lebensläufe, die die Diako- Warum entschieden sich so viele junge Frauen für ein Le- nissen vor ihrem Eintritt in die Diakonissenanstalt ben in der Diakonissengemeinschaft,also für ein Leben nach verfasst haben, mit LL 1 abgekürzt, die Lebensläufe, strikter Lebensordnung,ohne Gehalt,in Ehelosigkeit und in die sie anlässlich ihrer Einsegnung als Diakonisse Tracht? Aus welchem gesellschaftlichen Personenkreis und schrieben als LL 2. Die Lebensläufe befinden sich im His- welcher Altersgruppe setzte sich die Flensburger Schwes- torischen Archiv der Diakonissenanstalt Flensburg und ternschaft in den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens sind nicht paginiert. Für die Bereitstellung der Lebensläufe zusammen? Waren es vornehmlich Frauen aus den ländli- und die Unterstützung bei der Recherche danke ich Schwes- chen Unterschichten der Umgebung,die zuvor als Magd ter Irmgard Jürgensen, Diakonische Schwester aus Flensburg, gearbeitet hatten und nur eine geringe Bildung die für das Archiv der Flensburger Diakonissenanstalt zustän- besaßen?4Oder waren es großbürgerliche Frauen wie dig ist. Amalie Sieveking (1792-1859)5,die sich wie sie über 3Vgl. die Schwesternzahlen im Correspondenzblatt, 5. Jg., die „Frivolität und Leerheit“6ihres Lebens beklagten 1880, Nr. 1/2, [S. 1]; 20. Jg., 1895, Nr.1/2, [S. 1]. und nun auf der Suche nach einem „würdigen Le- 4So die ersten Diakonissen in der ältesten Diakonissenanstalt in bensberuf […] außer Haus“7waren? Wie viele der Kaiserswerth bei Düsseldorf, vgl. Prelinger, Catherine M.: Die deut- Frauen tatsächlich „müßig am Markt [standen], sche Frauendiakonie im 19. Jahrhundert. Die Anziehungskraft des weil sie keine bestimmte Pflicht oder Berufs-Ar- Familienmodells. In: Boetcher-Joeres, Ruth-Ellen; Kuhn, Annette beit [band]“8,wie der Vorsteher Emil Wacker es (Hgg.): Frauenbilder und Frauenwirklichkeiten. Interdisziplinäre Studi- 1883 in einem Aufruf im Correspondenzblatt for- en zur Frauengeschichte in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert mulierte,gilt es im Folgenden zu untersuchen. (Frauen in der Geschichte, 6). Düsseldorf 1985, S. 268–285, hier Aufschluss hierüber können das Schwes- S.271. ternverzeichnis mit den Lebensdaten der Dia- 5Die Hamburger Kaufmanns- und Senatorentochter entwickelte 1824 den konissen und ihre handgeschriebenen Lebens- ersten „Entwurf einer Regel für eine barmherzige Schwesternschaft“ aus pro- läufe geben. Sie geben Auskunft darüber, testantischen, karitativ tätigen Frauen. Zu Sievekings Leben und Schwestern- welche beruflichen Erfahrungen die Frauen schaftskonzeption vgl. insbes. Baumann, Ursula: Protestantismus und Frauen- gemacht haben,an welchen Leitbildern sie emanzipation in Deutschland. 1850 bis 1920 (Geschichte und Geschlechter, 2). sich orientierten und wie sie sich und ihrer Frankfurt/Main 1992, S. 39-44; Schmidt, Jutta: Beruf: Schwester. Mutterhaus- Familie gegenüber diesen Bruch mit der diakonie im 19. Jahrhundert (Geschichte und Geschlechter, 24). Frankfurt am „weiblichen Normalbiographie“9begrün- Main/New York 1998, zugl. Diss. Univ. Heidelberg 1994, S. 36-60. deten. Ziel ist es,aus der statistischen 6Sieveking zit. n. Baumann, S. 39. Auswertung und den Lebensläufen ein 7Sieveking in einem Vortrag über die „Stellung des weiblichen Geschlechts auf dem differenziertes Bild der Eintrittsmotiva- Gebiete der inneren Mission“ in Berlin, 25. April 1849, zit. n. Baumann, S. 39. tionen der Flensburger Diakonissen zu 8Correspondenzblatt, Jg. 7, 1883, Nr. 6/7, [S. 7]. 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 12 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 13 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 14 14 Johanna Oehler „Weltferne Klosterfrauen”? Vorangehende Seiten: erhalten und auf diese Weise die Beurteilungen von Zeitge- Die Diakonissenanstalt im Jahre ihrer Eröffnung nossen und Historikern zu überprüfen. Nicht zuletzt gilt es je- 1874. doch auch,das besondere „Flensburger“ Profil der kleinen Schwesternschaft an der Grenze zwischen deutschem und dä- Alle Bilder dieses Beitrags stammen aus dem Ar- nischem Sprachraum herauszuarbeiten. chiv der Diakonissenanstalt Flensburg. 2. „Diakonisse“ – eine neue Lebensform im 19. Jahrhundert. Zur Zeit Rechte Seite: der Gründung der Flensburger Diakonissenanstalt 1874 war Helene Dreyer (1849-1939) war die erste Flens- „Diakonisse“ noch eine relativ neue Lebensform. Als Begrün- burger Diakonisse. Nach ihrer Ausbildung im Hen- der der protestantischen Mutterhausdiakonie gilt Theodor riettenstift in Hannover 1869 war sie 1870/71 Fliedner (1800-1864). Seine 1833 gegründete Diakonissenan- im deutsch-französischen Krieg im Lazarett in Ol- stalt in Kaiserswerth bei Düsseldorf wurde zum Vorbild zahl- denburg und anschließend als Gemeindeschwester reicher deutscher und internationaler Diakonissenanstalten. in Flensburg tätig. Später leitete sie unter ande- Bald nach seiner Gründung wurden weitere Mutterhäuser in rem das Martha-Stift in Hamburg und die Kran- Dresden (1844),Utrecht (1844),Berlin (1847),Breslau (1850) kenhäuser in Husum, Wilster und Tönning. und Stockholm (1851) gegründet.101881 bestanden bereits 26 deutsche und 24 außerdeutsche Mutterhäuser mit rund 5000 Diakonissen.11 Alle eintretenden Frauen erhielten zunächst eine qualifi- 9Dausien, Bettina: Biographie und Geschlecht. zierte Berufsausbildung in der Krankenpflege. Damit nahmen Zur biographischen Konstruktion sozialer Wirklich- die Diakonissenanstalten eine Voreiterrolle ein,denn eine allen keit in Frauenlebensgeschichten (IBL Forschung Frauen offenstehende qualifizierte Ausbildung für Lohnwärte- 1). Bremen 1996, zugl. Diss. Univ. Bremen rinnen in der Krankenpflege gab es bis dahin nicht.12Nach ih- 1996, S. 39. rer Krankenpflegeausbildung standen den Diakonissen neben 10Vgl. Schmidt, S. 153. der Krankenpflege auch die Tätigkeit in Warteschulen,Schu- 11Vgl. Baumann, S. 47. len,Kinderheimen,Mägdeherbergen oder im hauswirtschaftli- 12Zur Geschichte der Krankenpflege vgl. chen Bereich der Einrichtungen offen. Schmidt, S. 22-30. Die Leitungsstruktur orientierte sich an dem hierarchischen 13So zum Beispiel in Wicherns „Rettungshaus“, Hauseltern-Prinzip,das im 19. Jahrhundert und teilweise über dem „Rauhen Haus“, in den Herbergen zur Hei- die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus für diakonische Anstalten mat und später in nahezu allen diakonischen Ein- charakteristisch ist.13So standen ein Vorsteher als Hausvater, richtungen, vgl. Häusler, Michael: Vom Gehilfen der die Anstalt nach außen vertrat und die Schwesternschaft zum Diakon. In: Röper, Ursula; Jüllig, Carola auch in geistlicher Hinsicht unterwies,und eine Oberin als (Hgg.): Die Macht der Nächstenliebe. Einhundert- Hausmutter,die für „Haushaltung“ und die Ausbildung in der fünfzig Jahre Innere Mission und Diakonie 1848- Krankenpflege zuständig war,an der Spitze der Schwestern- 1998. Unveränd. Nachdruck der Ausg. zur Aus- schaft.14Die Diakonissen nahmen die Rollen der Töchter ein stellung 1998, 2. Aufl., Stuttgart 2007. S. 112- und verpflichteten sich zu unbedingtem Gehorsam gegenüber 119, hier S. 114. den Hauseltern. Bestandteil dieser elterlichen Entscheidungs- 14Vgl. hierzu ausführlicher Prelinger, die in der gewalt war auch das Sendungsprinzip.15Allein Vorsteher und familienähnlichen Struktur der Anstalt einen der Vorsteherin entschieden über Arbeitsbereich und Einsatzort der Hauptgründe für den Erfolg der Diakonissenanstal- Diakonissen. Als „Töchter“ erhielten sie statt eines Gehalts ein ten sieht, dies., S. 273ff. sowie hierauf Bezug Taschengeld,das für alle Schwestern unabhängig von ihrer Po- nehmend Umland, Eva-Maria: ‚Mein Lohn ist, daß sition gleich war. Diese Änderung sollte auch der Vorstellung ich darf!’. Anziehungskraft und Probleme der Kai- entgegenwirken,Diakonisse sei allein ein Erwerbs- und Ver- serswerther Mutterhausdiakonie in der zweiten sorgungsberuf für ledige Frauen.16 Hälfte des 19. Jahrhunderts. Magisterarbeit Univ. Ein Ehelosigkeitsgelübde,wie es von katholischen Schwes- Bielefeld 1992, S. 44-50. tern erwartet wurde,lehnte der Begründer Fliedner mit Verweis 15Vgl. Schmidt, S. 140. auf die „evangelische Freiheit“ strikt ab.17Dennoch wurde 16Vgl. Schmidt, S. 139. auch von den Diakonissen die lebenslängliche Ehelosigkeit er- 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 15 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 16 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 17 Johanna Oehler „Weltferne Klosterfrauen”? 17 wartet. Als Zeichen der Gebundenheit an die Linke Seite: Arbeits-,Glaubens- und Dienstgemeinschaft Emil Wacker (1839-1913) war von 1876 bis 1910 Vorsteher der Diakonis- diente die einheitliche Diakonissentracht. In- senanstalt. dem die Diakonissen eine Haube trugen, symbolisierten sie,dass sie nun „unter der 17Vgl. Köser, Silke: Denn eine Diakonisse darf kein Alltagsmensch sein. Kol- Haube waren“,also sich fest für ein eheloses lektive Identitäten Kaiserswerther Diakonissen 1836 - 1914 (Historisch-theo- Leben als Diakonisse entschieden hatten und logische Genderforschung, 2). Leipzig 2006, zugl. Diss. Univ. Erfurt o. J., S. eine Heirat für sie nicht mehr in Frage kam.18 226. Ebenso Wacker im Correspondenzblatt: „Es wird den Diakonissen durch- Mit dem Tragen der Tracht verdeutlichten die aus kein Gelübde in Betreff der Dauer ihres Dienstes auferlegt. Es wird jedoch Diakonissen,dass sie eine bewusste Ent- angenommen, daß jede Diakonissin sich an ihr Amt als an ihre Lebensaufgabe scheidung gegen ein Leben als „Alltags- in Glauben und Liebe gebunden weiß“, Correspondenzblatt, 1. Jg.,1877, Nr. mensch“19und für das Leben in einer ver- 6, [S. 3]. bindlichen Glaubensgemeinschaft getroffen 18Mit Haube und dunkelblauem Mantel war die Tracht von Fliedner in Anleh- hatten. nung an die Bekleidung der verheirateten Frauen aus dem rheinischen Bürger- Religiöser Hintergrund der Gründerper- tum Mitte des 19. Jahrhunderts konzipiert worden und sollte den Diakonissen sönlichkeiten der Diakonissenanstalten und so unabhängig von ihrer Herkunft die Würde einer verheirateten Bürgersfrau vieler Diakonissen waren die Erweckungsbe- verleihen, vgl. Sticker, Friederike Fliedner, S. 170. wegungen des 19. Jahrhunderts.20Die reli- 19Friederike Fliedner, zit. n. Sticker, Friederike Fliedner, S. 162. giösen Erneuerungsbewegungen,die Impulse 20Zur kurzen Einführung vgl. insbes. Benrath, Gustav Adolf: Die Erweckung aus dem Pietismus aufnahmen und im Laufe innerhalb der deutschen Landeskirchen 1815-1888. Ein Überblick. In: Brecht, des 19. Jahrhunderts fast alle protestanti- Martin; Gäbler, Ulrich u.a. (Hgg.): Geschichte des Pietismus, Bd. 3: Der Pietis- schen Territorien im deutschen und außer- mus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Göttingen 2000, S. 150- deutschen Sprachraum erfassten,richteten 271; Jung, Martin H.: ‚Morgendämmerung des Reiches Gottes’. Erweckungs- sich gegen den Rationalismus und seine bi- bewegungen in Europa im 19. Jahrhundert, in: Reller, Jobst (Hg.): Seelsorge, belkritischen Konsequenzen und traten für Gemeinde, Mission und Diakonie : Impulse von Ludwig Harms aus Anlass sei- eine Re-Christianisierung der Gesellschaft nes 200. Geburtstages (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermanns- ein. Wichtig war ihren Anhängern neben dem burger Mission, 18) Ber-lin/Münster 2009, S. 13-28. intensiven individuellen Bibelstudium das 21Vgl. Jung, Martin H.: Der Protestantismus in Deutschland von 1815 bis Engagement in missionarischen und karitati- 1870 (Kirchen-geschichte in Einzeldarstellungen III/ 3). Leipzig 2000, ven Vereinen und diakonischen Stiftungen. S.121-139. Anhänger der Erweckungsbewegungen grün- 22Vgl. Kaiser, Jochen-Christoph: Innere Mission und Diakonie. In: Röper, Ur- deten ab den 1830er Jahren „Rettungshäu- sula; Jüllig, Carola (Hg.): Die Macht der Nächstenliebe. Einhundertfünfzig Jah- ser“ für verwaiste Kinder und Jugendliche re Innere Mission und Diakonie 1848-1998. Unveränd. Nachdruck der Ausg. sowie Mägdeherbergen,Vereine zur Resozi- zur Ausstellung 1998. 2. Aufl. Stuttgart 2007, S. 14-43, hier S. 16. alisierung von Gefangenen und zahlreiche 23Vgl. hierzu u.a. Weitling, Günter: Die Erweckungsbewegung in Nordschles- andere diakonische Einrichtungen.21Grund- wig. In: Meinhold, Peter; Göbell, Walter u.a. (Hgg.): Schleswig-Holsteinische legend für die diakonischen Einrichtungen Kirchengeschichte. Bd. 5: Kirche im Umbruch. Neumünster 1989, S. 369-414; war stets ihre Doppelausrichtung,denn Ziel ders.: Die historischen Voraussetzungen des ‚Kirchlichen Vereins für Indre Mis- war,das soziale Handeln mit Evangelisation sion in Nordschleswig’ und dessen Verbindung zur reichsdänischen Indre Missi- zu verbinden.22 on bis zur Jahrhundertwende (Schriftenreihe des Vereins für Schleswig-Holstei- Auch im nördlichen Schleswig-Holstein nische Kirchengeschichte R 1, 23). Flensburg 1971, zugl. theol. Diss. Univ. kam es Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Kiel, 1970. Erweckungsbewegung.23Die „Nordschles- 24Vgl. Riese, Ingrid: Die Indre Mission in Nordschleswig 1864 – 1920. In: wigsche Erweckungsbewegung“,die auf die Schriften der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig, 9 Zeit zwischen dem deutsch-dänischen Krieg (1964), S. 1-66. 1864 bis 1920 datiert wird,24konnte Ende des 25Die organisatorische Sammlung der Bewegung fand 1886 mit der Grün- 19. Jahrhunderts insbesondere unter der länd- dung des „Kirchlichen Vereins für Indre Mission in Nordschleswig“ statt, der lichen Bevölkerung zahlreiche Anhänger ge- sich vor allem volksmissionarische Aufgaben zum Ziel setzte, vgl. Weitling, Er- winnen und wurde mit ihrer Vereinsarbeit25 weckungsbewegung, S. 373-383. 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 18 Albertine von Lüderitz (1857-1927) war von 1883 bis 1927 Oberin und den zahlreichen Versammlungen „die alles der Diakonissenanstalt. dominierende Kraft im Kirchenleben Nord- schleswigs“26. Der langjährige Rektor der Diako- 26Weitling, Günter: Die Indre Mission und ihre Nachwirkungen in der nissenanstalt Emil Wacker,27der auch als „Weg- Geschichte des Grenzlandes Nordschleswig. In: Schriften des Vereins für bereiter“28und „Lehrvater“29der Nordschleswig- Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte (SSHKG), R. II, 45 (1992), schen Erweckungsbewegung bezeichnet wird, S. 9-23, hier S. 15. wurde zur theologischen Autorität der kirchen- 27Wacker war von 09.08.1876 bis 01.10.1910 Rektor der Diakonis- freundlichen und stark lutherisch geprägten Be- senanstalt, vgl. Ramm, Hans Joachim: Anfänge von Innerer Mission und wegung.30Ein bedeutendes geistliches Zentrum Diakonie. In: Meinhold, Peter; Göbell, Walter u.a. (Hgg.): Schleswig- der „Nordschleswigschen Erweckungsbewe- Holsteinische Kirchengeschichte, Bd. 5: Kirche im Umbruch. Neumün- gung“ wurde daher die Diakonissenanstalt Flens- ster 1989, S. 291–368, hier S. 316ff. burg. 28Weitling, Günter: Die historischen Voraussetzungen, S. 66. 29Ebda. 3. Die Flensburger Diakonissenanstalt 30Vgl. Weitling, Günter: Kirchliche Erweckung und nationaler Gedan- 3.1 Vorgeschichte und Gründung der Flensburger Diako- ke. Die nordschleswigsche Erweckungsbewegung und ihre Nationalisie- nissenanstalt. Flensburg und das gesamte Schles- rung (Schriften der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordsch- wig-Holstein blieben bis zur Gründung der Dia- leswig 54), Apenrade 1986, S. 63f. konissenanstalt 1874 weitestgehend unberührt 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 19 Johanna Oehler „Weltferne Klosterfrauen”? 19 von diakonischen Initiativen.31In Flensburg wurde 1847 nach Folgende Seiten: dem Vorbild des „Rauhen Hauses“ ein Rettungshaus für „Bedingungen für die Aufnahme von Probe- Mädchen und Jungen,das „Martinstift“,gegründet.32Im „Asyl schwestern“, in: 19. und 20. Jahresbericht der Neuendeich“ bei Glückstadt fanden ab 1850 weibliche Strafent- evangelisch-lutherischen Diakonissenanstalt zu lassene eine Unterkunft,33in Altona bestanden neben dem 1832 Flensburg. Michaelis 1892-1894, Flensburg von der Senatorentochter Amalie Sieveking (1794-1859) gegrün- 1895, S. 34f. deten „Frauenverein für Armen- und Krankenpflege“34von 1835 seit 1859 ein Kinderhospital35und seit 1865 das „Marthaheim“, 31Zu einem Überblick zu den vorhandenen dia- eine Dienstmädchenherberge,in der später auch zahlreiche konischen Initiativen vgl. Schwarz, Eberhard: Flensburger Diakonissen tätig waren.36 Die schleswig-holsteinische Landeskirche in der Neue Impulse erhielt die Diakonie in Schleswig-Holstein preußischen Provinz, in: In: Meinhold, Peter; durch den deutsch-dänischen Krieg 1864. In den Lazaretten wa- Göbell, Walter u.a. (Hgg.): Schleswig-Holsteini- ren 15 Diakone aus dem Rauhen Haus in Hamburg und 38 Dia- sche Kirchengeschichte, Bd. 5: Kirche im Um- konissen aus Berlin und Kaiserswerth im Einsatz und verhalfen bruch. Neumünster 1989, S. 291–368, hier der männlichen und weiblichen Diakonie auch in Schleswig- S.214. Holstein zu mehr Ansehen.37Zudem entstanden in der Folgezeit 32Vgl. Ramm, S. 345. in Flensburg,aber auch an zahlreichen anderen Orten „Vereine 33Vgl. Ramm, S. 344. zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger“.38 34Vgl. Baumann, S. 42. Doch erst auf dem während des deutschen Kirchentages 1867 35Vgl. Ramm, S. 305. in Kiel stattfindenden „Kongress für Innere Mission“,dessen 36Vgl. Ramm, S. 309. Präsident Johann Hinrich Wichern war,wurden Themen wie Ar- 37Zur Diakonie und zur Tätigkeit der Diakonis- menfürsorge und Möglichkeiten der engeren Bindung kirchen- sen vgl. Weitling, Kirchliche Erweckung, S. 45- ferner Bevölkerungsgruppen an die Gemeinden konkreter und in 52. größerem Rahmen diskutiert. Noch im selben Jahr wurde die er- 38Vgl. Jenner, Harald: Diakonissenanstalt ste schleswig-holsteinische Diakonissenanstalt,die „Ev. Diako- Flensburg. Entwicklung und Bedeutung 1874 nissenanstalt für Schleswig-Holstein in Altona“,unter dem Vor- bis 1933 (Schriften der Gesellschaft für Flens- sitz Karl Leonhard Biernatzkis39gegründet. burger Stadtgeschichte, 44). Flensburg 1992, Ebenfalls im Anschluss an den Kongress konnte der Reise- zugl. Diss. Univ. Kiel 1991, S. 50. prediger des „Centralausschusses für Innere Mission“ Johannes 391815-1899, 1855 Generalsekretär beim Hesekiel40die Gründung eines Frauenvereins zur Armen- und Centralausschuß für Innere Mission, 1861-1896 Krankenpflege in Flensburg um Pastor Christian Bruhn41anre- Pastor in Altona, vgl. Hammer, Friedrich: Ver- gen,der sich die Förderung der weiblichen Diakonie zum Ziel zeichnis der Pastorinnen und Pastoren der setzte.42Idee des Vereins war,Flensburger Frauen,die später in Schleswig-Holsteinischen Landeskirche 1864- Flensburg als Gemeindediakonissen arbeiten sollten,in anderen 1976 (Schriften des Vereins für Schleswig-Hol- Mutterhäusern zu Diakonissen ausbilden zu lassen. 1869 wurden steinische Kirchengeschichte, Sonderband). die ersten beiden Flensburgerinnen entsandt. Eine davon war die Neumünster [1991], S. 36. 20-jährige Helene Dreyer. Sie nahm zwei Jahre später ihre Arbeit 401815-1899, 1863-1868 Reiseprediger des als Gemeindediakonisse in Flensburg auf.43 Centralausschusses für Innere Mission, vgl. Jen- Über die Aktivitäten des Flensburger Vereins hinaus entstan- ner, S. 234. den in Schleswig und Kiel Initiativen,um eine Ausbildungsstätte 411824-1887, 1865-1887 Diakonus in Flens- für Krankenpflegerinnen zu gründen. Um „in einheitlicher Liebe burg (St. Nikolai), Hammer, S. 54, und Treue dem Werke neue Bahnen zu eröffnen und neue Teil- 42Vgl. Ramm, S. 313f. nahme zu erwecken“,wurde auf Pastor Christian Bruhns Vor- 43Vgl. Jenner, S. 52. schlag 1873 ein „Landesausschuss zur Förderung der Diakonis- 44Wilhelm Toosbüy, 1831-1898, vgl. Jenner, sensache in Schleswig-Holstein“ gegründet. Ausschlaggebend S. 233. für den Standort Flensburg wurde schließlich,dass der Flensbur- 45Das 1785 erbaute Gebäude war 1802 durch ger Bürgermeister Wilhelm Toosbüy44finanzielle Mittel aus der die Hospital-Stiftung der Kaufleute Anna und Hospitalstiftung der Kaufleute Gotthard und Anna Hansen und Gotthard Hansen als Krankenhaus Flensburgs er- das bestehende Hospitalgebäude45für die Gründung der Landes- worben worden, vgl. Jenner, S. 23f. 01 Oehler 12.01.2011 21:43 Uhr Seite 20
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