ebook img

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust" : Strukturen und Funktionen der Mythisierung Bismarcks (1860-1918) PDF

250 Pages·1992·47.157 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust" : Strukturen und Funktionen der Mythisierung Bismarcks (1860-1918)

Rolf Parr „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust" Strukturen und Funktionen der Mythisierung Bismarcks (1860-1918) Wilhelm Fink Verlag München Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Umschlagabbilditng: Kladderadatsch, Nr. 32, 18. Juli 1876 Eayerlsche Staatsbibliothek München Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Parr, Rolf: „Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust": Strukturen und Funktionen der Mythisierung Bismarcks (1860 - 1918) / Rolf Parr. - München: Fink, 1992 ISBN 3-7705-2727-5 ISBN 3-7705-2727-5 © 1992 Wilhelm Fink Verlag, München Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort 9 2. Theoretischer Zugriff 12 2.1 Mythenbegriffe und Mythentheorien 12 2.2 Strukturale Mythentheorie: Claude Levi-Strauss 18 2.2.1 Mythen als sem-dialektische Modelle zur Auflösung von Widersprüchen 19 2.2.2 Das Problem diachroner historischer Varianten und das ,brico!age'-Konzept 28 2.2.3 Die Kritik an Levi-Strauss 32 2.2.4 Diskurstheoretische Erweiterungen 38 2.3 Narrative und diskursive Aspekte des Mythosbegriffs 45 2.4 Mythos - Ein Definitionsversuch 48 2.4.1 Quasi-mythische Narrationen 49 2.5 Synchrone Mythensysteme und Konfigurationen 50 2.5.1 Mythische Komponenten nationaler Stereotype 54 3. Vermittlungsleistungen des Bismarck-Mythos 55 3.1 Einzelne Symbole 58 3.1.1 „Wer nicht will mit deichen, muß weichen". ,Deich/Flut' - Bismarck als Deichhauptmann 58 3.1.2 ,Staatsschiff, ,Steuermann', ,Lotse' 66 3.1.3 .Fesseln sprengen' 68 3.1.4 .Boden' 80 3.2 Paradigma ,Staat' vs. Paradigma ,Zivilgesellschaft' 87 3.2.1 .Preußisch' vs. .deutsch' 88 3.2.2 .Politik' vs. .Familie' 91 3.2.3 .Wille' vs. .Gemüt' 93 5 3.3 Dioskurenpaare und historische Analogien 97 3.3.1 Wilhelm I./Bismarck/Moltke 98 3.3.2 „Goethe ist der Bismarck unsrer Litteratur." Aspekte der These von den .Zwei Deutschland' 102 3.3.3 Wagner und Bismarck 111 3.3.4 Zusammenfassung 115 3.4 Trickster-Konzeptionen 118 3.4.1 Dioskurenpaar zeugt Trickster 118 3.4.2 Applikation kunstliterarischer Dioskurenpaare 122 3.4.3 Applikation kunstliterarischer Trickster: Bismarck/Faust . . . 125 3.4.4 Bismarck als .Künstler' 129 3.5 Mythische Konfigurationen und Nationalstereotype 134 3.5.1 Das real-idealistische Chamäleon: Wandlung der Vorstellungen vom deutschen Nationalcharakter 135 3.5.2 Bismarck als .Real-Idealist' 140 3.5.3 Bismarck und Napoleon I. im Mythensystem 145 3.5.4 Der typische .Deutsche': Bismarck 152 4. Bismarcks ,Real-Idealismus' und die konservative Kuiturkritik - Fallstudien 157 4.1 Otto Lyon: „Politik ist Kunst". Bismarck-Mythisierung in der „Zeitschrift für den deutschen Unterricht" 157 4.1.1 Humanismus/Realismus-Streit im höheren Schulwesen . . . . 161 4.2 August Julius Langbehn: „Bismarck als Erzieher" 168 4.3 Michael Georg Conrad: „Bismarck der Künstler" und das ideologische Projekt der realistischen Wochenschrift „Die Gesellschaft" 170 4.4 Friedrich Lienhard: Neu-Idealismus 177 4.4.1 Lienhards Mythensystem: Bismarck, Napoleon, Königin Luise, Friedrich der Große, Goethe 183 5. Zusammenfassung 192 5.1 Digestivum: Die Ähnlichkeit der Dinge 196 6 6. Anhang 197 6.1 Literaturverzeichnis 197 6.2 Personenregister 217 6.3 Sachregister 226 6.4 Verzeichnis der Abbildungen 247 6.5 Schematische Darstellung des Bismarck-Mythos (Faltblatt) 7. Belegstellenarchiv (auf Mikrofkhe) 1 7.1 Einzelne Symbole 1 7.1.1 ,Deich/Flut', Bismarck als Deichhauptmann 1 7.1.2 .Fesseln sprengen' 16 7.1.3 .Staatsschiff' 17 7.1.4 .Boden', .Scholle', Bismarck als Bauer 25 7.2 Oppositionspaare und ihre Vermittlung 30 7.2.1 Charaktersynthese Vater/Mutter 30 7.2.2 .Wille/Gemüt' 34 7.2.3 .preußisch/deutsch' 42 7.2.4 .Volk/Fürsten' 44 7.2.5 Bismarck als .Realist' 45 7.2.6 Bismarck als .Idealist' 48 7.2.7 .Realismus/Idealismus' 50 7.2.8 Sonstige Vermittlungen 63 7.3 Positionstausch, Wandlungen 71 7.3.1 ,Keine Grundsätze' 71 7.3.2 .Atheist - Christ' 73 7.3.3 .bestgehaßt - vielgeliebt' 74 7.3.4 .konservativ - liberal' 75 7.3.5 .großdeutsch - kleindeutsch' 78 7.3.6 .franzosenfreundlich - franzosenfeindlich' 79 7.3.7 Sonstige Wandlungen 79 7.4 Dioskurenpaare 80 7.4.1 Bismarck/Goethe 80 7.4.2 Bismarck/Luther 85 7 7.4.3 Bismarck/Moltke 95 7.4.4 Bismarck/Schiller 98 7.4.5 Bismarck/Wagner 99 7.4.6 Bismarck/Wilhelm 1 101 7.5 Trickster-Konzepte 102 7.5.1 Bismarck als .Faust' 102 7.5.2 Bismarck als .Künstler' 116 7.5.3 .Ehrlicher Makler' 123 7.5.4 .Konzentration' 124 7.5.5 Kunstliterarische Trickster-Konzepte 125 7.6 Genealogische Reihen 129 7.7 Mythische Konfigurationen 132 7.8 Nationalstereotypen 145 7.8.1 Bismarck als Repräsentant des Deutschtums 145 7.8.2 Sonstige Aspekte der europäischen Nationalstereotypen . . . 166 7.9 Applikationen der Kunstliteratur 169 7.9.1 .Getreuer Eckart' 169 7.9.2 .Nibelungen' 174 7.9.3 Goethe-Applikationen 187 7.9.4 Schiller-Applikationen 188 8 1. Vorwort Mythen sind Geschichten, die zweifelsohne Geschichte gemacht haben. Läßt sich eine hi- storische Situation aus der deutschen Ge- schichte angeben, deren politische Interpreta- tion dem Modell eines Mythos folgte? Welche Funktion hätte die Anwendung dieses Mo- dells für die politische Interpretation dieser historischen Situation? Welches Verhältnis von Mythos und Ideologie zeichnete sich da- bei ab?1 Materialiter geht es in diesem Buch um die semantischen Strukturen und ge- sellschaftlichen Funktionen der Mythisierung des Reichskanzlers Otto von Bismarck in der biographischen Literatur des Kaiserreichs zwischen 1860 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs; theoretisch um eine Struktur-funktio- nale Reformulierung des Mythosbegriffs aus diskurstheoretischer Perspekti- ve mit dem Ziel, einen in literaturwissenschaftlichen Analysen operationali- sierbaren Terminus definitorisch zu präzisieren. Den Ausgangspunkt bildet ein Theorem der strukturalen Mythenanalyse von Claude Levi-Strauss, nämlich, daß es mythische Vermittlungsstrukturen zwischen Extremen sind, die die in einer kulturellen Formation bedeutenden Antagonismen narrativ zum Ausgleich bringen. Die aus den Widersprüchen resultierenden Skanda- le' kann es dabei „offensichtlich nur innerhalb eines Systems von Begriffen geben, das sich auf die Differenz" der „widersprüchlichen Attribute zweier einander ausschließender Ordnungen" verläßt. In den Mittelpunkt des Interesses rücken damit gerade diejenigen Orte narrativer bzw. diskursiver textueller Organisation, „wo diese Differenz, die bislang als selbstverständ- lich hingenommen wurde, ausgelöscht oder in Frage gestellt ist"2 und die Antagonismen versöhnt werden: die Mythen. Sie erzählen, „wie die Men- schen sich vorstellen müssen, daß die Dinge sich abgespielt haben, um Wi- dersprüche überwinden zu können".3 Solche kulturellen Vermittlungsleistungen können vielfältigen Bereichen der gesellschaftlichen Praxis zugeordnet sein. Abweichend vom ethnologi- schen Material, das Levi-Strauss untersucht hat, scheinen es bei neueren Mythen vor allem Figuren der Geschichte zu sein, die für die Vermittlung herangezogen werden: Arbeitsteilige gesellschaftliche Praxisbereiche und die daraus resultierenden diskursiven Dichotomien werden via Mythisie- rung einer historischen Figur miteinander vermittelt. So sieht Heinrich von 1 GerburgTreusch-Dieter: Sieben Fragen zum Begriff .Mythos'. In: Ästhetik und Kommunika- tion, 15. Jg. (1984), H. 56, S. 99f., hier: 100. 2 Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt/M. 1976, S. 429. 3 Claude L^vi-Strauss/Didier Eribon: Das Nahe und das Ferne. Eine Autobiographie in Gesprä- chen. Frankfurt/M. 1989, S. 156. 9 Treitschke die Größe historischer Helden generell „in der Verbindung von Seelenkräften, die nach der Meinung des platten Verstandes einander aus- schließen"4, begründet, was Friedrich Meinecke dann für Bismarck konkre- tisiert, den er als „die großartigste und erfolgreichste Synthese der alten Staatsräson der Kabinette und der neuen populären Gewalten"5 versteht. Auf Bismarck selbst schließlich wird, wenn es um solche Integrationskon- zepte geht, in vielen Biographien das Faust-Zitat „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust" angewendet, was ihn als prädestinierten Trickster er- scheinen läßt. Die Wirkungsmächtigkeit solcher mythischer Strukturen kann dadurch ver- stärkt und ausgedehnt werden, daß verschiedene Antagonismen durch mehrfache Überdetermination in einem Vermittlungsschritt gelöst werden (wenn auch nur diskursiv). Das ist etwa dann der Fall, wenn sich an die for- male Vermittlungsstruktur des Mythos wichtige Ideologeme anschließen las- sen, die historischen Figuren als Charaktereigenschaften zugesprochen wer- den. Der auf diese Weise generierte .Charakter' Bismarcks enthält dann Se- me, die sich, da sie auf der Grundlage von Antagonismen entstanden sind, auch an konkurrierende Diskurspositionen der wilhelminischen Gesell- schaft anschließen lassen. Die Mythisierungen Bismarcks stehen daher vor allem an den zentralen Nahtstellen solcher Konflikte wie .Revolution von oben' vs. Revolution von unten', ,Deutschtum' vs. ,Preußentum', .Staat' vs. .Zivilgesellschaft', .Familie'vs. .Öffentlichkeit', .Idealismus'vs. .Realis- mus'. Stellt sich das Verfahren der Mythisierung in dieser Hinsicht als eines der Sem-Totalisierung dar, so legt es im Falle Bismarcks zudem eine spezi- fisch deutsche Position innerhalb des Ensembles der Vorstellungen von den europäischen Nationalstereotypen fest: Und das rührt zumeist daher, daß unser Volkscharakter ein Gemisch von einander scheinbar widersprechenden Eigenschaften ist. Nicht in allen Persönlichkeiten zeigen sie sich natürlich alle und alle gleich stark, aber um so wärmer empfinden wir für den, der sie in wunderbarer Weise, wie sie nur aller paar Jahrhunderte einmal vorkommt, in sich vereinigt, und das thut Fürst Bismarck.6 In Kap. 2 wird zunächst ein theoretisches Analyseinstrumentarium entwickelt und versucht, den Mythos-Begriff in Weiterführung von Levi-Strauss als lite- raturwissenschaftlich operationalenTerminus neu zu bestimmen. Ausgegan- gen wird dabei von diskurstheoretischen Überlegungen zur elementaren Li- teratur und ihren diskursiven Organisationsformen. Darunter werden im Anschluß an Jürgen Link literarische Verfahren verstanden, die nicht auf die institutionalisierte Literatur beschränkt sind, sondern als diskursintegrie- rende (interdiskursive) Elemente in beliebigen (und häufig alltäglichen und Heinrich v. Treitschke, zit. n. Paul Liman: Fürst Bismarck nach seiner Entlassung. Leipzig 1901, S. 6. Friedrich Meinecke: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte. München/Berlin 1924, S. 518. Otto Kaemmel: Festrede. In: Reden und Vorträge gehalten bei der Vorfeier des 77. Geburtsta- ges Sr. Durchlaucht des Fürsten v. Bismarck am 31. März 1892. Dresden 1892, S. 18. 10 operativen) Diskursarten begegnen.7 Im dritten, die Materialien präsentie- renden Teil werden die Vermittlungsleistungen der Bismarck-Mythisierung für den Zeitraum von 1860 bis 1918 systematisch nach solchen elementar-lite- rarischen Kategorien an konkreten Texten belegt und erläutert, d.h. einzel- ne Symbole, Sentenzen, Metaphern, literarische Applikationen usw. werden quer durch das gesamte Korpus untersuchter Texte in ihrer Funktionalität für die Mythisierung der Figur ,Bismarck' verfolgt. Der Untersuchungs- zeitraum kann dabei als synchroner Schnitt aufgefaßt werden. Denn konsti- tuiert sich der Bismarck-Mythos in den späten 60er Jahren als Folge der auch diskursiv bedeutenden Kriege von 1862 (Dänemark) und 1866 (Österreich), so ist er bereits unmittelbar nach der Reichsgründung in allen relevanten Aspekten voll ausgebildet, um sich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs na- hezu identisch zu reproduzieren. Erst in der Weimarer Republik zeichnet sich dann seine ,Dekonstruktion' ab, deren Evolutionstendenz auf den Na- tionalsozialismus vorausweist.8 Das vierte Kap. präsentiert exemplarische Fallstudien, die die Relevanz der erarbeiteten Aspekte in zusammenhängen- den Analysen aufweisen. Der auch empirischen Dimension des hier versuch- ten theoretischen Zugriffs trägt ein Belegstellenarchiv Rechnung, das dem Band aus Platzgründen in Mikroficheform beigegeben ist. Ebenfalls weitge- hend ausgespart mußten diejenigen Aspekte bleiben, die bereits an anderer Stelle veröffentlicht sind und auf die hier nur hingewiesen werden kann.9 Vorworte sind zugleich die institutionalisierten Orte, Dank abzustatten: Wulf Wülfing für kontinuierliche Diskussionsbereitschaft und langjährige in- tensive gemeinsame Arbeit in dem DFG-Projekt „Historische Mythologie", aus dessen Zusammenhang diese Arbeit nicht zuletzt hervorgegangen ist; der Universitätsbibliothek Heidelberg für die Möglichkeit, die Bismarck- Bibliothek sowie den Nachlaß des Badischen Staatsministers Arthur von Brauer einsehen zu können; der Stadtbibliothek München für die Erlaubnis zur Benutzung der Briefe Friedrich Seeßelbergs an Michael Georg Conrad; der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bewilligung des Druckko- stenzuschusses. Den Dank des Schülers für viele theoretische Anstöße und die Betreuung dieser Arbeit schulde ich Jürgen Link. 7 Vgl. Jürgen Link: Elementare Literatur und generative Diskursanalyse. München 1983. 8 Vgl. 40 Jahre Woche. Von Bismarck zu Hitler. In: Die Woche, 41. Jg. (15.3.1939), H. 11, Titel- blatt u. S. 3. 9 Rolf Parr: Bismarck-Mythen - Bismarck-Analogien. In: kultuRRevolution, Nr. 24 (1991), S. 12-16; ders.: .Mythisches Denken', .Struktur des Mythos', .Struktur der Mythen'. Zur Mythenanalyse von Claude L6vi-Strauss. In: Walter A. Koch (Hg.): Natürlichkeit der Sprache und der Kultur. Acta CoUoquii. Bochum 1990, S. 215-231; WulfWülfing/Karin Bruns/Rolf Parr: Historische Mythologie der Deutschen 1798-1918. München 1991. 11 2. Theoretischer Zugriff 2.1 Mythenbegriffe und Mythentheorien Das Sprachzeichen .Mythos' präsentiert sich mit extremer Vieldeutigkeit. So viele wissenschaftliche Teildisziplinen wie Anthropologie, Ethnologie, Phi- losophie, Psychologie, Semiotik, Geschiehts-, Religions- und Literaturwis- senschaft sich des Begriffs bedient haben, so viele verschiedene .Mythos'- Begriffe mit Referenz auf noch mehr Gegenstände lassen sich ausmachen.1 Anscheinend gibt es „nichts, was heute nicht ,Mythos' genannt werden könnte. ,Mythos' ist zu einer Bezeichnung schlechthin für alles und jedes ge- worden"2. Diese Vieldeutigkeit führt zugleich zur völligen Entleerung der Inhaltsseite des Ausdrucks, so daß sich der Benutzer die Frage gefallen lassen muß, ob es überhaupt „eine wohlabgegrenzte menschliche Realität" gibt, die ihm ent- spricht. Manche neigen ganz einfach zu der Antwort: Es gibt gar keinen Mythos. Mythos ist ein Begriff, den die Anthropologen [,..] der intellektuellen Tradition des Abendlandes entlehnt haben; er hat keine universelle Reichweite, seine Bedeutung ist nicht einheit- lich, er entspricht keiner bestimmten Realität. Genaugenommen bezeichnet das Wort Mythos gar nichts.3 Aus solchen Erfahrungen resultieren Versuche, dieses ausufernden Signifi- kanten Herr zu werden: durch Abhandlungen zur Geschichte des Begriffs4, 1 Vgl. Robert Weimann (Literaturgeschichte und Mythologie. Methodologische und historische Studien. Frankfurt/M. 1977), der feststellt, daß „das Wortzeichen Mythos heute ganz unverein- baren Bedeutungen zugeordnet wird", wodurch es zugleich unmöglich geworden sei, ,richtige' von .falschen' Mythenbegriffen zu trennen (S. 308); vgl. auch Gerhard Plumpe: Das Interesse am Mythos. Zur gegenwärtigen Konjunktur eines Begriffs. In: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XX (1976), S. 236-253. -Auch Claude L6vi-Strauss (Das Ende desTotemismus. Frankfurt/ M. 1965) problematisiert Mythos als „eine Kategorie unseres Denkens, die wir willkürlich ver- wenden, um unter dem nämlichen Wort Versuche der Erklärung von Naturerscheinungen, von Werken mündlicher literarischer Überlieferung, von philosophischen Spekulationen und von linguistischen Prozessen im Bewußtsein des Subjekts zusammenzufassen" (S. 19). 2 Gerburg Treusch-Dieter: Sieben Fragen zum Begriff .Mythos'. In: Ästhetik und Kommunika- tion, 15. Jg. (1984), H. 56, S. 99f., hier: 99. -Vgl. auch Harry Nutt: Der Mythos vom Mythos vom ... Neue Bücher zu einem ambivalenten Begriff. In: die tageszeitung (18.4.1985), S. 10, so- wie Claude L6vi-Strauss/Didier Eribon: Das Nahe und das Ferne. Eine Autobiographie in Ge- sprächen. Frankfurt/M. 1989, S. 201. 3 Jean-Pierre Veraant: Der reflektierte Mythos. In: Mythos ohne Illusion. Mit Beiträgen v. J.-P. Vernant u.a. Frankfurt/M. 1984, S. 7-11, hier: 7f. 4 Vgl. zum Überblick: Axel Horstmann: Der Mythosbegriff vom frühen Christentum bis zur Ge- genwart. In: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XXIII (1979), H. 1, S. 7-54; H. 2, S. 197-245; Kurt Hübner: Die Wahrheit des Mythos. München 1985, bes. S. 48-90. - Gerhart v. Graevenitz (Mythos. Zur Geschichte einer Denkgewohnheit. Stuttgart 1987) faßt .Mythos' als das Pro- 12

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.