DK 669.11 FORSCH U NGSBE RICHTE DES WIRTSCHAFTS- UND VERKEHRSMINISTERIUMS NORDRH EI N-WESTFALE N Herausgegeben von Staatssekretăr Prof. Dr. h. c. Leo Brandt Nr.492 Prof. Dr. phil. Josef Meixner Dr. rer. not. Bruno Monz Institut fur theoretische Physik der Technischen Hochschule Aachen Zur Theorie der irreversiblen Prozesse in a-Eisen Ais Manuskript gedruckt Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1958 ISBN 978-3-663-04172-6 ISBN 978-3-663-05618-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-05618-8 Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen Zur Theorie der irreversiblen Prozesse in Ol-Eisen 1. Unter o(.-Eisen versteht man kubisch-raumzentriertes Eisen,. das geringe Verunreinigungen an Kohlenstoff oder Stickstoff enthält. Wir werden im folgenden nur von Kohlenstoffatomen sprechen; die Überlegungen für ande re eingelagerte Fremdatome sind analog. Abbildung 1 stellt eine Elementarzelle des Eisengitters dar. Zur Genau eren Kennzeichnung der möglichen Lagen der Kohlenstoffatome sind drei Koordinatenacshen x, y, z eingeführt; sie sind parallel zu den Kanten der würfelförmigen Elementarzelle. Die Kohlenstoffatome setzen sich auf Zwischengitterplätze, die jeweils in der Mitte zwischen zwei benachbar ten Eisenatomen auf einer zur x-, y- oder z-Achse parallelen Verbin dungslinie liegen. Sie seien x-, y- und z-Plätze genannt. Dieses ist nicht nur wegen seine magnetischen Eigenschaften, ~-Eisen die hier nicht zur Diskussion stehen, interessant, sondern auch wegen der Dämpfung, die es bei periodischen mechanischen Schwingungen zeigt. Sie hängt vom Kohlenstoffgehalt ab und kann dazu benutzt werden, die in Betracht kommenden äußerst geringen Mengen (größenordnungsmäßig ein Kohlenstoffatom auf 2000 Eisenatome) quantitativ zu bestimmen. 2. Diese Dämpfung beruht auf folgendem Vorgang. Im unverformten Zustand sind x-, y-, z-Plätze gleichwertig und daher gleich häufig mit Kohlen stoffatomen besetzt. Wird nun etwa das Eisengitter in der x-Richtung ge drückt, so werden die Kohlenstoffatome von x-Plätzen auf y- und z-Plätze gequetscht, und zwar in um so größerem Maße, je größer der Druck ist. Der Vorgang erfolgt nicht augenblicklich, sondern im wesentlichen im Lauf eines Zeitintervalls (Relaxationszeit genannt). Hebt man den Druck wieder auf, so geht der Vorgang in umgekehrter Richtung vor sich. Die ses Hin- und Herwandern des Kohlenstoffs ist ein irreversibler Vorgang, der, wie die Thermodynamik lehrt, mit Verlust mechanischer Energie, oder wie man besser sagt, mit Entropieproduktion verknüpft ist. Tatsächlich bleiben die Kohlenstoffatome auch dann nicht auf ihren Plä tzen wenn der Eisenkristall unverformt bleibt oder wenn eine zeitlich konstante Verformung besteht. Wegen der thermischen Bewegung können sie VOn einem Platz einer Art (etwa x-Platz) auf einen benachbarten Platz anderer Art (etwa z-Platz) springen. Jedes einzelne Kohlenstoff führt solche Sprünge in unregelmäßigen Zeitabschnitten von der Größenordnung Seite 3 Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen der bereits erwähnten Relaxtionszeit aus. Im Gleichgewicht ändern sich aber die Konzentrationen der Kohlenstoffatome auf den verschiedenen Ar ten von Plätzen nicht; es springen in jedem Zeitraum eben so viele Koh lenstoffstoffe von x-Plätzen weg, als von y- und z-Plätzen nach x-Plätzen gelangen. 3. Die Theorie der Dämpfung mechanischer Schwingungen von ~-Eisen ist im wesentlichen schon von POLDER 1) gegeben worden. Es schien jedoch er wünscht, einige weitere theoretisch interessante Punkte zu untersuchen. Dies ist in einer Arbeit von MANZ 2) geschehen, über die hier kurz be richtet werden soll. Der erste Punkt betrifft eine genauere Behandlung der Diffusion des Koh lenstoffs in Eisen, die dann eintritt, wenn der Kohlenstoff nicht stati stisch gleichmäßig auf den Kristall verteilt ist, d.h., wenn die Konzen tration des Kohlenstoffs über den ganzen Kristall nicht dieselbe ist. Es 1iegt hier, atomtheoretisch gesehen, ein sogenanntes Irrfahrtproblem vor. Verfolgt man ein einzelnes Kohlenstoffatom, so wird es infolge sei ner ständigen Platzwechsels im Lauf der Zeit über den ganzen Kristall wandern. Das hat zur Folge, daß die Kohlenstoffatome, wenn sie etwa zu Beginn sich in einer Hälfte des Eisenkristalls befanden, im Lauf der Zeit sich über den ganzen Kristall statistisch gleichmäßig verteilen. Der in dieser Weise atomtheoretisch gedeutete Diffusionsprozeß führt zu sehr be merkenswerten Diffusionsgleichungen. Ein anderer Punkt besteht darin, daß das aC-Eisen ein ausgezeichnetes Beispiel für die Anwendung der Thermodynamik der irreversiblen Prozesse 3). ist Sein Wert besteht insbesondere darin, das einmal das atomare Bild der hier auftretenden irreversiblen Prozesse wie Relaxation, Diffu sion und Wärmeleitung klar überschaubar ist, daß zum anderen ein und der selbe atomare Mechanismus, nämlich der Platzwechsel der Kohlenstoffato me, sich in einem tensoriellen Effekt, der Relaxation, und in einem vek toriellen Effekt, der Diffusion, äußert und schließlich darin, daß hier ein Fall vorliegt, in dem die Thermodynamik der irreversiblen Prozesse überbeansprucht erscheint, indem sie drei Diffusionsflüsse für Kohlen stoffatome auf x-, y- und z-Plätzen einzuführen hat, obgleich jedes Koh lenstoff bereits nach einem einzigen Platzwechsel aus seinem Diffusions fluß ausscheidet. Gerade die Bewährung der Thermodynamik der irreversib len Prozesse an diesem Beispiel zeigt erneut die Kraft ihrer Methode Seite 4 Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen y x A b b i 1 dun g 1 Elementarzelle des kubisch-raumzentrierten Gitters des ~-Eisens • Eisenatome CJy-Plätze o x-Plätze ~ z-Plätze und sichert damit ihre Zuverlässigkeit und Zuverlässigkeit bei vielen anderen Problemen verwandter Art. Ein letzter Punkt betrifft die Untersuchung der im maglichen ~-Eisen ebenen elastischen Wellen und ihre räumliche Dämpfung für verschiedene Fortschreitungs- und Polarisierungsrichtungen gegenüber den ausgezeich neten Richtungen des Gitters. 4. Der Platzwechsel der Kohlenstoffatome erfolgt nach statistischen Ge setzen. Man wird daher die Bewegung der Kohlenstoffatome durch Wahr scheinlichkeiten zu beschreiben haben. Wir bezeichnen mit W (x, y, z, x t) die Wahrscheinlichkeit, daß der x-Platz x, y, z zur Zeit t = 0 besetzt ist. Analog werden Wund W definiert. Vom Punkt x, y, z aus können in y z f, einem Pla t zwe chse 1 nur die vier Nachbarplätze x, y, z ~ (und x, y ~ z erreicht werden; und nur von diesen Plätzen aus kann der Punkt x, y, z in einem Platzwechsel erreicht werden (größere direkte Sprünge magen vor kommen; sie können jedoch wegen ihrer Seltenheit unberücksichtigt bleiben). f Mi t ist die Würfelkante der Abbildung 1 bezeichnet. Sei te 5 Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen f Die Wahrscheinlichkeit eines Überganges etwa vom y-Platz x, y, z, nach x, y, z kann proportional zur Wahrscheinlichkeit, daß der erste Platz besetzt ist, angenommen werden. Den Proportionalitätsfaktor, der die Übergangswahrscheinlichkeit angibt, nennen wir P. Wir haben dabei hier angenommen, daß die drei Koordinatenrichtungen im Gitter gleich wertig sind, d.h., daß etwa in keiner Richtung eine Dehnung vorliegen soll. Die sekundliehe Änderung der Besetzungswahrscheinlichkeit des Punk tes x, y, z erhalten wir durch Zusammenfassung der Wahrscheinlichkeiten für einen Übergang nach x, y, z und Subtraktion der Wahrscheinlichkei ten für einen Übergang von x, y, z nach Nachbarplätzen. Dies wird in folgender Gleichung ausgedrückt +P WZ(X,y'" r.Zjt) "'PWZ(x,Y-t;zjt) -", P Wx (x, y, z, t) Dies ist eine Gleichung vom Typ der Smoluchowski-Gleichung, wie sie von anderen Irrfahrtproblemen her vertraut ist.Sie kann erheblich verein facht werden, wenn die Wahrscheinlichkeiten sich erst über viel Gitter punkte hinweg wesentlich ändern. Dann ist es auch sinnvoll. diese Wahr scheinlichkeiten proportional zu den nur makroskopisch zu definierenden Konzentrationen der Kohlenstoffatome C , C , C auf x, y, z-Plätzen zu x y z setzen. Man erhält so die "Diffusionsgleichung" .z. l. .z." a~ ~ aCx/at=lP C) CylC)z+tP Cz/ay+2PCy +2PCz- ",PCX und zwei weitere Diffusionsgleichungen für C und C • y z 5. Wir diskutieren kurz zwei Spezialfälle a) Sind keine räumlichen Unterschiede der drei Konzentrationen vorhan den, so gehen diese Gleichungen bei anfänglicher Verschiedenheit der C , C , C eine Einstellung auf gleiche Werte nach einer Exponential- x y z ~unktion mit der Zeitkonstanten oder Relaxationszeit c = 1/6 P. Seite 6 Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen b) Sind an jeder Stelle C , C ,C einander gleich, und ändern sie sich x y z nur in Richtung der Körperdiagonale des Elementarwürfels der Abbildung 1, so ergibt sich die klassische Diffusionsgleichung mit dem Diffusionskoef fizienten D = 2 ~P/3. Es ist somit der Diffusionskoeffizient mit der t Relaxationszeit in Zusammenhang gebracht, D = 2/9"t • Bemerkenswert ist das Ergebnis für die Diffusionsflüsse der drei Kompo nenten. Seien Dx1 ' Dx2' Dx3 die drei kartesischen Komponenten des Diffu sionsflusses der Kohlenstoffatome auf x-Plätzen. Dann gilt Dx..~ = 0; D ~~ = - t .a.P a Cy /f)Z 6. Die Thermodynamik der irreversiblen Prozesse erlaubt sich die irre versiblen Prozesse der Relaxation, der Diffusion und der Wärmeleitung im ol-Eisen in allgemeiner und systematischer Weise zu behandeln. Die Behandlung erscheint zunächst kompliziert, weil bereits ein thermody namischer Gleichgewichtszustand durch 10 unabhängige Variable beschrie ben werden muß. Diese sind etwa die Temperatur, die sechs Komponenten des Dehnungstensors und die drei Konzentrationen C , C , C • Die Mate- x y z rialeigenschaften werden dann erst durch die Angabe von 100 Koeffizien- ten erfaßt. Unter Berücksichtigung der Kristallsymmetrien des kubischen Gitters lassen sie sich jedoch auf 10 Koeffizienten reduzieren. Für die Behandlung des mechanischen, thermischen, Relaxations- und Dif fusionsverhaltens des ist die Methode durch die Thermodynamik ~-Eisens der irreversiblen Prozesse eindeutig vorgeschrieben. Es sind zunächst die Erhaltungssätze der Masse des Eisens und des Kohlenstoffs, des Im pulses und der Energie anzusetzen. Sie finden ihren zweckmäßigen Aus druck in Gestalt von sogenannten Kontinuitätsgleichungen. Mit ihrer Hil fe gewinnt man aus der GIBBschen thermodynamischen Fundamentalrelation einen Ausdruck für die Entropieproduktion. Aus ihm lassen sich dann die linearen Relationen zwischen den thermodynamischen Kräften, welche die irreversiblen Prozesse hervorrufen (Temperaturgradient, Affinitäten, Gradienten der Affinitäten) und der Intensität der irreversiblen Pro zesse (WärmefluB, Übergangshäufigkeit zwischen verschiedenartigen Plätzen, Diffusionsflüsse) ablesen. Hier treten zunächst sogar 153 Koeffizienten auf, die irgendwie, theoretisch oder experimentell, der Bestimmung bedür fen. Eine erhebliche Reduktion auf zunächst 84 Koeffizienten bringen die Seite 7 Forsohungsberiohte des Wirtsohafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen Onsagerschen Reziprozitätsrelationen. Die Kristallsymmetrie und die Er haltung der Kohlenstoffmenge erlauben eine nochmalige Reduktion auf nur 12 Koeffizienten. Eine weitere Reduktion läßt sich auf Grund rein makroskopischer Betrach tungsweise nicht mehr erzielen; doch führt die Berücksichtigung des oben angenommenen und geschilderten atomaren Mechanismus der Diffusion zu ei ner endgültigen Reduktion auf nur vier unabhängige Koeffizienten. Von diesen ist wiederum einer, der die Thermodiffusion bestimmt, wahrschein lich recht klein und daher meist vernachlässigbar. 7. Damit ist ein Satz von Gleichungen gewonnen, der die Behandlung aller dynamisch-elastischen und irreversiblen Vorgänge wenigstens grundsätzlich möglich macht. Eines der einfacheren Probleme dieser Art ist die Ausbrei tung von ebenen Schallwellen im ct-Eisen. Unter dem Einfluß einer Schallwelle treten im Temperaturgradien ~-Eisen ten und periodische Gitterverzerrungen und mit ihnen verbunden im allge meinen Platzwechsel der Kohlenstoffatome auf. Dadurch wird Entropie pro duziert und somit die Schallwelle gedämpft. Es erhebt sich nun die Frage, wie die verschiedenen möglichen irreversib len Prozesse zum Schallabsorptionskoeffizienten beitragen. Diese Frage wurde früher für ein ganz andres Beispiel, die Schallabsorption in einem Gas mit inneren Freiheitsgraden behandelt 4) 5); es konnte dort gezeigt werden, daß die Beiträge der Wärmeleitung, der inneren Reibung, der Dif fusion und der molekularen Relaxation zum Schallabsorptionskoeffizienten zwar nicht in Strenge, aber doch in guter und für praktische Zwecke auS reichender Näherung im ganzen interessierenden Frequenzgebiet additiv sind. Dieses Ergebnis ist für die Auswertung von Messungen der Schallab sorption sehr nützlich. Im vorliegenden Fall der Schallabsorption in dl-Eisen sind die Verhält nisse für verschiedene Ausbreitungsrichtungen untersucht, und ganz ent sprechende Ergebnisse gefunden worden. Ein nicht ganz uninteressantes Nebenergebnis ist, daß die Schallabsorp tion als Funktion der Frequenz - außer bei sehr speziellen Ausbreitungs richtungen - im allgemeinen zwei Maxima (die in ein einziges, aber ge genüber dem normalen Fall verbreitertes Maximum zusammenfließen können) besitzt. In solchen Fällen pflegt man auf zwei verschiedene molekulare Seite 8 Forsohungsberiohte des Wirtsohafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen oder atomare Relaxationsmechanismen zu schließen. Daß diese Schlußweise nicht ohne weiteres erlaubt ist, zeigt gerade das vorliegende Beispiel, bei dem bereits ein einziger Mechanismus diese Erscheinung liefert. 8. Heute sind bereits viele Relaxationserscheinungen in Kristallen be kannt. Für ihre theoretische Behandlung kann der vorliegende Fall des ot -Eisens gewissermaßen als Musterbeispiel angesehen werden. Die Ther modynamik der irreversiblen Prozesse wird in allen diesen Fällen einen wertvollen Zugang Formelierung der die Vorgänge be zurmakrosko~ischen schreibenden Gesetze liefern, aus den Symmetrieeigepschaften des Kri stalls kann man bereits wertvolle Schlüsse auf den Symmetriecharakter der atomaren oder molekularen Vorgänge bei der Relaxation ziehen 6) und ihr Verständnis erleichtern und damit den durch die makroskopische Ther modynamik der irreversiblen Prozesse gegebenen Rahmen ausfüllen und in vielen Fällen auch vereinfachen. Prof. Dr. phil. Josef MEIXNER Dr. rer. nato Bruna MANZ Institut für theoretische Physik der Technischen Hochschule Aachen Seite 9 Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen Literaturverzeichnis 1) POLDER, D., Philips Res. Rep. 1J5, (1945) 2) MANZ, B., Zur Theorie der irreversiblen Pro zesse in kubischen Kristallen mit einer Anwendung auf die Schallab sorption. Dissertation, Aachen 1956 3) MEIXNER, J., Thermodynamik der irreversiblen Pro zesse. Aachen 1954 4) MEIXNER, J., Ann. Physik (5), 43, 470, (1943) 5) MEIXNER, J., Acustica ~ 101, (1952) 6) FALK, G. und J. MEIXNER Z. Naturforschung ~ 782, (1956) Seite 10