Gerda Henkel Vorlesung herausgegeben von der gemeinsamen Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Gerda Henkel Stiftung Zu Neufunden klassisch-griechischer Skulptur Werner Fuchs Westdeutscher Verlag Der Vortrag wurde am 6. Juni 1986 in Düsseldorf gehalten. CIP~Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fuchs, Werner: Zu Neufunden klassisch~griechischer Skulptur /Werner Fuchs. - Opladen: West deutscher Verlag, 1987. (Gerda Henkel Vorlesung) ISBN 978-3-531-11961-8 ISBN 978-3-322-86460-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-86460-4 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann. © 1987 by Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Herstellung: Westdeutscher Verlag ISBN 978-3-531-11961-8 Unter allen historischen Altertumswissenschaften ist die klassische Archäologie diejenige, die durch Ausgrabungen, Zufallsfunde und wissenschaftlich-theoretische Beobachtungen ständig neue Einsichten durch neue, bisher unbekannte oder noch nicht wirklich verstandene Kunstwerke gewinnt, welche gewohnte Vorstellungen wesentlich verändern und erweitern. Der alte Spruch dies diem docet trifft in beson derem Maße auf die archäologischen Disziplinen zu. Auf wichtige Werke der grie chischen Plastik aus der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. ehr., zumeist Funde der letzten Jahrzehnte, zielt diese Betrachtung, wobei als bedeutendste Werke die Großbronzen von Riace (Taf. 6; 11) im Mittelpunkt stehen werden. In den Jahren um 500 v. ehr. erfolgte in der Kunst Griechenlands und ganz besonders der Athens ein wesentlicher Wandel, geradezu eine Revolution, die von der gebundenen archaischen Welt hinführte zur frühklassischen Kunst.! Man erkennt dies sofort, wenn man einen archaischen Kouros der Zeit um 530/520 v.ehr., nach dem Epigramm auf der Basis Kroisos2 genannt (Taf.1,1), mit der ganz andersartigen Statue des Kritios-Knaben3 (Taf. 1,3) vergleicht, die im Perserschutt der Akropolis gefunden wurde. Die Perser haben 480 v. ehr. Athen erobert, diese Statue ist also älter und wird ins Jahrzehnt 490 auf 480 v. ehr. gehören. Während der Kouros in charakteristischer Weise starr und steif steht, das linke Bein vor gesetzt hat und die Arme an beiden Körperseiten herabhängen läßt, bringt der Kritios-Knabe etwas ganz Neues: die Ponderation, die Gewichtung in der Wieder gabe des menschlichen Körpers. Stand-und Spielbein sind jetzt unterschieden. Sein linkes Bein ist das Standbein, sein rechtes Spielbein ist nach vorn gesetzt. Der Kopf wird leicht im Hals bewegt, und es ist tatsächlich so, daß jetzt die Figuren zu leben und zu atmen beginnen und von sich aus handeln können. Man kann diesen Die Abkürzungen folgen der Bibliographie des Deutschen Archäologischen Instituts. Jahresangaben zu den Kunstwerken beziehen sich immer auf die Zeit v. ehr. 1 W. Fuchs, Die Eroberung der Freiheit in der griechischen Kunst, in: W. Knopp (Hrsg.), Spiegelungen (Festschrift H.}. Abs), (1986), 1-20 Abb. 1-10. 2 W. Fuchs, Die Skulptur der Griechen 3(1983) 34f. Abb. 20-21. W. Fuchs/J. Floren, Die griechische Plastik I (Handbuch der Archäologie, 1987) 255, 21. 3 W. Fuchs a. O. 47-50 Abb. 34-35. 6 Werner Fuchs großen, revolutionären Schritt in der griechischen Kunst als die Eroberung der Freiheit4 in der Wiedergabe der menschlichen Gestalt bezeichnen. Dies ist ein ähn lich bedeutendes Phänomen wie später in der Frührenaissance die Entdeckung der Zentralperspektive im Bildraum oder wie am Ende des vorigen und zu Beginn unseres Jahrhunderts die Zerstörung der Zentralperspektive, die auf den Menschen hin, auf den Betrachter abgestimmt war und an deren Stelle in der modernen Kunst ganz neue Bildräume und Bildflächen gefunden werden. Diese Entdeckung der Freiheit in der Skulptur ist sicherlich nur möglich gewesen - und daher zusammen zu sehen - mit der Ausbildung der Demokratie in Athen, die ja bekanntlich unter Kleisthenes in den Jahren nach 508 v. ehr. durch eine völlige Neuordnung der politischen Verhältnisse eingeführt wurde. Das neue Selbstbewußtsein der Bürger Athens dokumentiert sich jetzt in den Statuen, ebenso wie in den Gestalten des attischen Dramas. Damit sei angedeutet, daß die Eroberung der Freiheit in der Wiedergabe der menschlichen Figuren nicht ohne Einwirkung des eben damals geschaffenen attischen Dramas hat geschehen können. Aus der archaischen Epoche erwächst in den Jahren um und nach 500 v. ehr. die neue frühklassische Kunst, die auch den bezeichnenden Namen der "Strenge Stil" trägt und bis zum Beginn der Hochklassik um 450 v. ehr. reicht. Natürlich gibt es auch in der Kunst keine Regel ohne irgendwelche Ausnahmen. Die spätarchaische, überlebensgroße Bronzestatue eines KourosS (Taf. 1,2), im Piräus gefunden und nach langen Jahren im Athener Nationalmuseum heute im Piräus-Museum ausgestellt, ist noch ganz und gar archaisch in der Auffassung, besitzt aber ein anderes Aussehen als alle anderen archaischen Statuen: das rechte Bein ist nach vorn gestellt, nicht wie sonst bei jedem Kouros das linke, und zugleich wird der rechte Arm nach vorn bewegt. Aber das Problem der Ponderation, der Gewichtung im Körper, stellt sich dem Künstler noch nicht; auch der Kopf ver harrt noch ganz in archaischer Auffassung. Man kann die Statue genau benennen: es ist Apollon, denn in seiner linken Hand haben sich die Reste eines Bogens erhal ten, und in der rechten befindet sich der Rand einer Phiale. Die Statue ist wahr scheinlich am Ende des 6. Jahrhunderts v. ehr. in Böotien geschaffen worden. Ein Statuettenkopf6 aus Bronze von der Akropolis in Athen (Taf. 5,3), möglicherweise ebenfalls Apollon darstellend, zeigt dagegen deutlich die neue Formauffassung der 4 D. Haynes, Greek Art and the Idea ofFreedom (1981) 33-70; Ders., Griechische Kunst und die Ent deckung der Freiheit (1982) 45-94. 5 W. Fuchs a. 0.42 Abb. 25-26. LIMC 11 239 Nr. 432 Taf. 217. Dontas, in: Archaische und klassische griechische Plastik - Akten des internationalen Kolloquiums vom 22.-25. April 1985 in Athen I (1986) 181-192 Taf. 77-79. Fuchs/Floren a. 0.316,44. 6 W. Fuchs a.O. 550 Abb. 654. Bei diesem Kopf sind die Augenbrauen und das Mundstück in rötlichem Kupfer eingelegt, eine Technik, die den Kopf mit dem des .Gottes aus dem Meer" verbindet. Die Datierung des Akropolis-Kopfes (Athen, Akropolis-Mus. 6590) von J. Boardman, Greek Sculpture. The Classical Period (1985) 26 Abb.l0 mit .about 460" scheint mir etwas zu spät angesetzt. Zu Neufunden klassisch-griechischer Skulptur 7 Jahre um 480 v_ Chr-Man sieht nicht mehr archaisches Lächeln um die Mundzüge, sondern ein schwer gefügtes Kinn, feste Lippen und ernst blickende Augen mit schweren, betonten Lidern. Der Kopf von der Akropolis muß von einer ganz her vorragenden Bronzestatuette stammen, die wahrscheinlich einer nordostpelopon nesischen oder attischen (?) Bronzeschule aus der Zeit kurz vor 480 v. Chr. an gehört. Im Oktober 1979 wurde auf der Insel Mozia, die an der Westküste Siziliens gegenüber von Marsala liegt und in der Antike durch einen Damm mit dem Fest land verbunden war, eine großartige Marmorstatue7 (Taf. 2; 3) gefunden. Motye oder Motya, wie die Stadt alt-griechisch heißt, war eine phönikische Kolonie, die schon im späten 8. oder frühen 7. Jahrhundert v. Chr. gegründet wurde, bis zum 5. Jahrhundert v. Chr. in großer Blüte stand und vor allem Karthago als Flotten basis diente. 397 v. Chr. wurde sie von Dionysios von Syrakus belagert und zer stört. In Motye ist nahe dem Heiligtum von Cappidazzu in einem Stratum inner halb der Befestigung der Stadt, wo sich ein freier Platz befand, in einer Art Versteck die Statue gefunden worden, die von ungewöhnlicher Aussagekraft und hervor ragender Arbeit ist. Die Fundumstände machen deutlich, daß die Statue auf jeden Fall vor der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. in den Boden gekommen ist, wahr scheinlich im Zusammenhang mit der Belagerung von 397 v. Chr. Die Statue muß aber älter sein und gehört sicherlich ins 5. Jahrhundert v. Chr. Die Meinungen der Gelehrten über dieses Werk gehen jedoch weit auseinander. Bei einer Fachdiskus sion in Marsala im Frühjahr 1986 konnte man Datierungsvorschläge von 480/470 v.Chr. bis ans Ende des 5.Jahrhunderts hören, und über die Deutung war man sich auch völlig im Unklaren. Einig ist man sich darüber, daß die Statue, wenn auch in punischem Kontext gefunden, eine ausgezeichnete griechische Arbeit ist. Die Statue ist überlebensgroß. Die erhaltene Höhe ist 1,81 m; wenn man die verlorenen Füße ergänzt, wird die Figur etwa 2 m groß. Der Mann trägt einen überaus stoff reichen und in fein rieselnden Falten wiedergegebenen Chiton. Über der Brust trägt er ein sehr merkwürdiges, kompliziertes Band. Es ist ein schwerer Gurt, mög licherweise aus Leder, der vorne von einer bronzenen Schließe gehalten war, von der sich noch die Befestigungsspuren erkennen lassen. Er hat einen stilistisch relativ altertümlich gebildeten Kopf mit einer dreifachen Reihe von Buckellocken über der Stirn und einer doppelten Reihe im Nacken. Die Kopfkalotte ist nicht aus gearbeitet, sondern nur grob gepickt. Wahrscheinlich lag dort ein Helm oder eine sonstige Kopfbedeckung, wohl aus Bronze oder Edelmetall auf, von der sich eben falls Befestigungsspuren erhalten haben. Wichtig scheint, daß die Statue schon voll- 7 Tusa, pp 38, 1983,445-455 Abb. 1-8. Ders., in: Arch. und klass. griech. Plastik 11, 1-11 Taf. 82-85. Zancani Montuoro, PP 39,1984,221-229 Abb.l. Spano Giammellaro, AW 16, 1985 (4) 16-22 mit Abb. 8 Werner Fuchs ständig die Ponderation in der Art des antistrophischen Parallelrhythmus aufweist. Mit voller Sicherheit ist das linke Bein das Standbein. Es trägt das Hauptgewicht des Körpers; die rechte Seite ist geöffnet durch das weit vorgesetzte Spielbein; auch der rechte Arm zeigt am Oberarmansatz und in der Achselhöhle starke, kraftvolle Bewegung nach oben und nach vorn. Die linke Hand ist nicht nur in die Hüfte gelegt, sondern tief in die Weiche hineingepreßt: die Finger drücken tief ins Fleisch. Der Mann ist voller Bewegung, voller Aktion. Er muß einen Gegenstand, eine Angriffswaffe, möglicherweise eine Schleuder, hoch erhoben gehalten haben. Für eine Bekränzung, wie man auch gemeint hat, ist die Bewegung seiner Rechten nach der erhaltenen Bruchstelle in der Armbeuge zu heftig und zu gewaltsam. Für die von einigen Archäologen vertretene Deutung der Statue als Wagenlenker sehe ich keinerlei Anhaltspunkte. Es dürfte sich eher um die Arbeit eines griechischen Meisters handeln, der den Auftrag hatte, einen punischen Gott oder Heros wie Melkart darzustellen, der in späterer Zeit mit Herakles verglichen wurde. Die Deutungen gingen bei dem erwähnten Kongreß in Marsala von David bis zu Daidalos. Es war auch umstritten, ob die Statue Beutegut der Punier aus einer grie chischen Stadt wie Selinunt sei oder ob sie von einem bedeutenden griechischen Meister für die Punier gearbeitet wurde. Ich neige zu letzterer Ansicht. Die Arbeit ist von größter Qualität. In der Tat habe ich kaum je eine Marmorarbeit gesehen, die den Marmor derart lebendig und überzeugend gestaltet. Man erkennt dies besonders an der Art, wie sich das nach vorn drängende Spielbein, vor allem die Formen des einheitlich gebildeten Knies, durch den dünnen Stoff abzeichnen. Die feine, kreppartige Wiedergabe des dünnen Chitonstoffes ist von allergrößter Vir tuosität in der Meißelführung. In der Körperwiedergabe sind sogar die geschwol lenen Venen des Mannes zu erkennen. Man muß diese Statue nach den jüngsten Zügen datieren und diese sind offensichtlich in der Art und Weise zu beobachten, wie das rechte Bein, und vor allem das Knie, wie nackt durch den dünnen, feinen, überreichen Stoff scheint. Diese Züge lassen sich erst an den Metopen und Giebel figuren des Parthenon erkennen. Die Statue dürfte deshalb erst nach der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. gearbeitet worden sein, wahrscheinlich im Jahrzehnt 440-430 v. Chr. Der Kopf ist recht altertümlich, eher auf der Stufe von 480-470 v. Chr. verharrend, stilistisch fast noch vor dem Kopf des Harmodios aus der Tyrannenmördergruppe (Taf. 4) geschaffen. Der Körper dagegen ist voll entfaltet; ebenso ist die Gewandwiedergabe nicht vor 450 v. Chr. verständlich. Der Meister dieses Werkes steht in der Tradition des bekannten "Ludovisi-Thrones"8 und der lokrischen Reliefs.9 8 W. Fuchs a. O. 509f. Abb. 594-596. 9 W. Fuchs a. 0.510-514 Abb.597-601. Zu Neufunden klassisch-griechischer Skulptur 9 Eine andere großartige Entdeckung der letzten Jahre, diesmal nur in römischen Marmornachbildungen erhalten, liegt in der richtigen Deutung eines Porträt kopfes, 10 von dem sich eine ausgezeichnete Kopie in Oslo befindet (Taf. 5,2). Er ist eindringlich charakterisiert und trägt eine eigentümliche Barttracht: am unteren Bartende ist das Haar in einer Art Knebel zusammengebunden. Man hat das für eine persische, medische Tracht gehalten und diesen Kopf daher auf den spartani schen Regenten und General Pausanias gedeutet, den Sieger der Schlacht von Platäa 479 v. Chr., der dann 468 v. Chr. in Sparta im Tempel der Athena Chalkioikos auf grausame Weise zu Tode kam. Es ist jetzt gesichert, daß dieses eindrucksvolle Altersbildnis eines eher konservativ gestimmten Mannes niemand anderes sein kann als Pindar, der große Dichter der griechischen Frühklassik. Das beweist ein Tondo,11 der im karischen Aphrodisias vor wenigen Jahren gefunden wurde und auf dem der Name Pindaros unten auf dem Rand eingeschrieben steht. Dieses Porträt des Pindar ist wahrscheinlich auf eine Bronzestatue zurückzuführen, die die Athener nach der Mitte des 5.Ja hrhunderts v. Chr., vielleicht noch zu Lebzeiten Pindars, als Ehrenstatue auf der Agora, auf dem Marktplatz von Athen, aufgestellt haben, und zwar an der Stelle, wo vor kurzem die Ecke der Stoa Poikile, der bunten Halle, aufgefunden wurde und wo sich die Königsstoa, die Stoa Basileios, die älteste der attischen Hallenanlagen aus archaischer Zeit, befindet. Die sichere Identifizie rung des Pindar-Porträts (Taf. 5,2) ist eine ganz großartige Entdeckung, die uns wesentliche Einsichten in die Porträtgestaltung und ihre Möglichkeiten in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. gibt und in ihrer Bedeutung etwa zu vergleichen ist mit dem jetzt zu besprechenden Bronzekopf eines Philosophen. Im Museum von Reggio Calabria befindet sich ein großartiger Bronzekopfl2 (Taf. 5,4), sicherlich ein Porträt, ursprünglich zu einer Mantelstatue gehörig, der bei dem kleinen Ort Porticello in der Straße von Messina 1969 in einem Schiffs wrack gefunden worden sein soll. Die Zusammengehörigkeit der Funde, Frag mente der Bronzestatue und der Keramik, ist aber nicht über jeden Zweifel er haben, weil der Bronzekopf nicht bei der Unterwasserausgrabung im Wrack selbst gefunden, sondern von der italienischen Polizei bei Kunsthändlern beschlagnahmt wurde. Falls der Philosoph zu dem Wrack gehörte, ergäbe sich durch die mitgefun- 10 ABr681-686. L'Orange, RA 29-32,1949 (Melanges Ch. Picard) 668-681 Abb.1-7. G.M.A. Richter, The Portraits of the Greeks I (1965) 99-101 Abb. 413-425. Helbig Il4 (1966) Nr. 1354-1356 (H.V.Heintze). Gauer,JdI83, 1968, 150-155 Abb.17-18. D.Metzler, Porträt und Gesellschaft (1971) 34-37; 231-242. E. Voutiras, Studien zu Interpretation und Stil griechischer Porträts des 5. und frühen 4.Jh. (Diss. 1980) 62-72 Abb. 25. Sande, ActaAArtHist Series altera2, 1982,55-75 Abb.l-4. 11 The Anatolian Civilisations Il (1983) 118 B 317 mit Abb. G. M. A. Richter, The Portraits of the Greeks. Abridged and revised by R.R.R. Smith (1984) 177 Abb.139. 12 Paribeni, BdA 24, 1984, 1-14. Ridgway, in: Arch. und klass. griech. Plastik Il, 59-69 Taf. 100-101. Boardman a. O. 53 Abb. 37. Die Datierung dieses Werkes ist noch umstritten. 10 Werner Fuchs dene Keramik ein Datum für den Untergang des Schiffes im frühen 4. Jahrhundert v. Chr. Wenn man den Stil dieses Kopfes analysiert, zeigt sich eine packende, realistische Erfassung der Züge eines alten Mannes, wahrscheinlich eines Philo sophen, wie wir sie gerade aus dem späten Strengen Stil kennen, wo zwischen 460 und 450 v. Chr. ganz erstaunliche, die Individualität des Menschen erstmalig erfas sende Porträts geschaffen wurden. Der Philosoph von Porticello stellt sich dem berühmten Porträt des Themistokles13 aus Ostia (Taf. 5,1) würdig an die Seite. Es sind auch noch Faltenfragmente von dieser Statue erhalten, die demnach eine stehende Gewandstatue war. Ebenfalls gefunden wurde ein Fußfragment, das eine Besonderheit in der Anfügungstechnik zeigt. Diese findet sich auch bei den Bron zen von Riace und macht deutlich, daß wir uns mit dem Philosophen von Porti cello ungefähr in derselben Zeit befinden, d. h. in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Im August 1972 wurden die beiden überlebensgroßen Bronzestatuenl4 (Taf. 6j 11) im Meer bei Riace in Kalabrien, etwa 300 m von der Küste entfernt und in etwa 8 m Tiefe, von einem Hobbyt aucher gefunden. Beide Statuen sind im Rang und der Qualität nach das höchste, was uns bisher an griechischen Originalwerken über haupt aus der Erde oder dem Wasser wiedergeschenkt wurde. An der überwältigen den Wirkung, welche die Statuen besitzen, hat die hervorragende Restaurierung durch die italienischen Kollegen großen Anteil. Bis 1975 wurden die Statuen in Reggio Calabria behandelt und dann in das Istituto di Ristauro von Florenz gebracht, wo sie 1980 nach der Restaurierung erstmals ausgestellt wurden. Seit 1981 befinden sie sich wieder im Museo Nazionale di Reggio Calabria. Beide Statuen haben ungefähr ein Gewicht von je 250 kg. Die Höhe beträgt nach den ver läßlichsten Angaben 1,98 m für Statue A und 1,97 m für Statue B. Der jeweils vorge setzte linke Fuß hat bei beiden Statuen eine Länge von 29,5 cm, ein Fußrnaß, das attisch ist und auch der Konstruktion des Parthenon zugrunde liegt. Beide Statuen sind aus ähnlichen Bronzemischungen wohl in ein- und demselben Atelier ge arbeitet worden. Beide zeigen so gut wie keinen Bleigehaltj denn Blei hat man erst in hellenistischer und römischer Zeit dem Bronzeguß zugesetzt. Beide Statuen sind in ganz ähnlicher Technik gearbeitet worden, im sogenannten indirekten Wachs ausschmelzverfahren, das erlaubte, von Modellen Teilformen abzunehmen und 13 W. Fuchs a. 0.551 Abb. 657. Richter a. 0.97-99 Nr. 1 Abb. 405-408. A. Linfert, AntPI VII (1967) 87-94 Taf. 39-46 (mit vollständiger Literatur). Helbig N4 (1972) Nr. 3019 (H. v. Heintze). Voutiras a. O. 46-53 Abb. 12-13. 14 W. Fuchs, Boreas 4, 1981,25-28 Taf. 1. Ders., in: Praestant Interna (Festschr. U. Hausmann 1982) 34-40. Ders., Gymnasium 92, 1985, 465-469 Abb. 1 Taf.7-10. Ders. Skulptur 78-78 d Abb. 71a-b. Ders., Scultura Greca (1982) 511-515 Abb. 705-707. A. Busignani, Gli Eroi di Riace, Daimon e Techne (1981). Ders., Die Heroen von Riace, Statuen aus dem Meer (1982). Due Bronzi di Riace. Rinvenimento, Restauro, Analisi ed Ipotesi di Interpretazione I-II (BdA Serie speciale 3, 1984).