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Widerstand und Konformismus: Positionen des Subjekts im Faschismus bei Andersch, Kluge, Enzensberger und Peter Weiss PDF

235 Pages·1995·5.848 MB·German
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Friedemann J. Weidauer Widerstand und Konformismus Friedemann J. Weidauer Widerstand und Konformismus Positionen des Subiekts im Faschismus bei Andersch, Kluge, Enzensberger und Peter Weiss r[)'fl r:\n DeutscherUniversitätsVerlag ~ GABLER ·VIEWEG ·WESTDEUTSCHER VERLAG Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaulnahme Weidauer, Friedemann J.: Widerstand und Konlormismus : Positionen des Subjekts im Faschismus bei Anderseh, Kluge, Enzensberger und Peter Weiss I Friedemann J. Weidauer. - Wiesbaden : DUV, DI. Univ. Veri., 1995 (DUV: Literaturwissenschaft) Zugl.: Modison, Univ. ol Wisconsin, Diss., 1994 ISBN 978-3-663-01634-2 ISBN 978-3-663-01633-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-01633-5 Der Deutsche Universitöts-Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinlormation. © Deutscher Universitöts-Verlag GmbH, Wiesbaden 1995 Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzu I?ssig und stralbar. Das gilt insbesondere lür Vervielföltigungen, Ubersetzungen, Mikroverlilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt aul chlorarm gebleichtem und söurelreiem Papier ISBN 978-3-663-01634-2 Besonderen Dank sagen möchte ich Professor Klaus Berghahn für freund scbaftlichen und wissenschaftlichen Beistand. Die Wisconsin Alumni Research Foundation bat diese Arbeit zu einem kritischen Zeitpunkt durch ein gro6zügiges Stipendium unterstützt. Troy. NY. im September 1994 5 Inhalt 1. Zum Verhältnis von Literator und Geschichtsschreibung 9 1.1 Geschichtsschreibung: Darstellung oder Konstruktion? 9 1.2 Die Rolle der Literatur bei der Verarbeitung von Geschichte und die Diskussion der Dokumentarliteratur in den 60er und 70er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15 1.3 Literarische Geschichtsverarbeitung als Sprachkritik ... 22 1.4 Literarische Geschichtsverarbeitung als Versuch der Sinngebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 27 1.5 Das Subjekt des Autors und das Subjekt der Geschichte 33 1.6 Schrei ben als ideologische Praxis und Widerstand . . . .. 40 2. Alfred Andersehs Winters pelt: Erzählen als Erkenntnis 52 2.1 Dokument und Fiktion ..................... 52 2.2 Werk und Literaturgeschichte, Geschichte und Handlung 63 2.3 Kunst und Schreiben als Methode der Erfahrung ..... 67 2.4 Realismus bei Andersch .................... 74 2.5 Das Subjekt als Widerstandszentrum ............. 79 3. Alexander Kluges Schlachtbeschreibung: Zeichen lesen lemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 3.1 Dokument und Fiktion ..................... 99 3.2 Produktion von Dokumenten ................. 105 3.3 Montage .............................. 108 3.4 Das geschichtliche Subjekt als Leser von Texten ..... 115 3.5 Gegen die Dramatisierung von Geschichte ......... 119 3.6 Der Krieg als Produktionsverhältnis ............. 124 3.7 Der Hunger nach Sinn ..................... 129 3.8 Subjektivität und Widerstand ................. 134 7 4. Hans Magnus Enzensbergers Der kune Sommer der Anarchie: Autor und kollektive FIktion ........... 142 4.1 Der Autor als Funktion und Subjekt ............. 142 4.2 Anarchistisches Subjekt und Kollektiv: Kritik an der ,deutschen Misere' 1933 und 1972 .............. 155 4.3 Eigensinn und Randgruppen: Das Subjekt als Motor des Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4.4 Der Anarchismus als apokalyptische Utopie ........ 165 4.5 Der Ort der Utopie: Die (Dokumentar-)Literatur ..... 169 4.6 Das Subjekt als Quelle der utopischen Phantasie: Kritik an der neuen Linken und Theorien der Postmoderne ... 172 4.7 Der Feind 1936 und 1972: Die 3. Internationale ..... 175 4.8 (Dokumentar-)Literatur und Geschichtsschreibung ..... 177 5. Peter Weiss' Die Ästhetik des Widerstands: Schrei ben als Selbstvergewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5.1 Die Funktion der Noti$ücher ................. 187 5.2 Montage .............................. 194 5.3 Filmisches Erzählen ....................... 195 5.4 Konjunktiv Futur I ........................ 199 5.5 Das Wir, das leh und die proletarische Identität ...... 200 5.6 Diskursivität ........................... 206 5.7 Faschismus als Metonymie ................... 212 5.8 Identifikation mit den Opfern ................. 215 6. Schlu6bemerkungen ........................ 221 Literator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 8 1. Zum Verhältnis VOD Literatur UDd Geschichtsschreibung Ja ein bedeutendes Ereignis wird man, in derselben Stadt, abends anders als des Morgens erzählen hören. 1 1.1 Geschichtsschreibung: Darstellung oder Konstruktion? Der qualitative Unterschied zwischen Geschichtsschreibung und Fiktion, so heillt es, sei folgender: "Historisches Erzählen behandelt res factae; nicht historisches Erzählen bezieht sich auf res fictae. 112 An dieser Aussage werden einige der zentralen Streitpunkte der Diskussion urn die Rolle des Erzählens in der Historiographie deutlich. Zunächst ist auf die zwei Ebenen hinzuweisen, die der zitierte Satz impliziert: Das Erzählen und der Inhalt des Erzählens, der im einen Fall aus ,gemachten' Dingen besteht, im anderen Falle aus ,erfundenen' . Daraus wäre also zu folgern, daB es sich in beiden Fällen urn eine Frage der Darstellung eines Inhalts handelt. Da eine Unterscheidung der darstellerischen Mittel in der fiktiven und historischen Erzählung schwerfällt, muJ3 man sich auf einen qualitativen Unterschied in der ,Substanz', also dem Inhalt der Erzählung beziehen, urn ein Zusantmenfallen der Kategorien Geschichtsschreibung und Fiktion zu verhindern. Im einen Fall wird ein BewuJ3tseinsinhalt, das Erfundene, dargestellt. Im anderen Fall handelt es sich urn die Darstellung von ,Tat Sachen'. DaB das Erzählen im oben zitierten Satz ,behandelt' oder ,sich bezieht', kann deshalb nicht anders interpretiert werden, als daB eine auJ3ersprachliche Wirklichkeit mit sprachlichen Mitteln dargestellt wird, in beiden Fällen kommen somit Mimesis-Auffassungen zurn Vorschein. I Johann Wolfg ang von Goethe, "Schreiben an Ludwig I. von Bayem vom 17. Dezember 1829", Goethes Briefe, hg. Kar! Robert Mandelkow mit einem Gesamtregister von Klaus F. Gilles (Hamburg: Christian Wegner, 1967) IV: 363. 2 Paul Michael Lützeler, "Geschichtsschreibung und Roman: Aspekte ihrer Interdependenzen" , Zeitschrift.für Ästhetik und allgemeine KunslWissenschaft 30.1 (1985): 146. 9 Zuzugeben daB beide Arten der Erzählung sich ähnlicher Mittel der Darstellung bedienen, bedeutet solange kein Zugeständnis an Subjektivismus und Relativismus, solange man sich mit solcher Sicherheit auf den ,qualitativen Unterschied' auf der Ebene eines transzendenten Signifikats verlassen kano. Transzendent ist das Signifikat deshalb, da es in dieser Vorstellung als Substanz immer in gleicher Form unterhalb des Signifikanten existiert. Der Vorwurf, Dichtung und Wahrheit seien nicht zu unterscheiden, da sie sich derselben sprachlichen Mittel bedienten, scheint abgewehrt, das zugrundeliegende Problem ist aber nicht gelöst, sondern bleibt auf einer anderen Ebene virulent. Ohne zunächst auf die Probleme der hier implizierten Vorstellung eines Signifikanten, der sicher auf seinem Signifikat robt, einzugehen, kano schon durch ein harmloses etymologisches Spielchen Verwirrung geschaffen und die obige klare Trenoung in Unordnung gebracht werden. Factum heiSt ,gemacht' ,fictum heiSt zunächst ,geformt, geordnet' und z.B. bei Ovid als Substantiv auch ,Lüge'. Aber selbst in der oben zur Sprache gekommenen Vorstellung besteht kein Zwei fel , daB die Darstellung der Geschichte eine Formung des wie auch immer konzeptualisierten ,Inhalts' der Geschichte ist: " ... das deutsche Homonym ,Geschichte', das sowohl die Form eines fiktiven wie eines wirklichen Geschehens bezeichnet." (Meine Hervorhebung; F.W.)3 Zurückübersetzt heiSt das also: Geschichtsschreibung ist eine historia ficta rerum factarum. Das vertrackte Wort mit der Nebenbedeutung ,Lüge' schleicht sich also trotz der säuberlichen Trenoung auf der Inhaltsebene wieder auf der Ebene der Darstellung ein. Als Formung eines Inhalts ist die Darstellung im Wortsino eben eine Fiktion. Zusätzlich kompliziert wird die Angelegenheit dadurch, daB das Gegenstück zu res factae, also die res fictae, nicht als für sich selbst existierender Inhalt gedacht werden kano. Der Beweis der Existenz aul3ersprachlicher BewuBtseinsinhalte ist meines Wissens nicht erbracht worden. Die gegenteilige Argumentation, daB nämlich diese Inhalte mit ihrem Ausdruck in sprachlicher Form identisch sind, steht nicht unter der selben Beweisnot. Solange das Gegenteil nicht bewiesen werden kano, reicht es aus, darauf hinzuweisen, daB diese Inhalte nur in sprachlich geäul3erter Form auftreten. DaB es die res fictae in irgendeiner Form gibt, bevor sie mündlich oder schriftlich geäul3ert werden, läl3t sich höchstens behaupten. Man kano die Trenoung zwischen Fiktion und Geschichtsschreibung allein schon deshalb 3 Lützeler 138. 10 nicht mit der Differenz im Inhalt, auf den sie sich beziehen, begründen, da der Inhalt der einen Form als Gegenstück der anderen gar nicht gedacht werden kano. Wir werden weiter unten darauf zurückkommen, daB es zudem auch im Bereich der Geschichtsschreibung keine Wirklichkeit gibt, die nur dargestellt zu werden braucht. Der Text der Geschichtsschreibung bezieht sich immer nur auf die ihr zeitlich vorhergehenden Texte der Geschichte. Die Vergangenheit kano als Referent in der Gegenwart nicht faBbar gemacht werden. Der Unterschied wäre also darauf zu beschränken, daB Fiktion ein autoreferentielIer Text ist, während sich Geschichtsschreibung auf andere Texte bezieht. Damit müBte also der zweite Term der obigen Gegenüberstellung ersetzt werden. Geschichte formt res factae, ist somit eine Fiktion von Tatsachen, Fiktion ist eine Erzeugung qua Darstellung, kurz gesagt also eine poiesis. Dies ist die substantivierte Form des griechischen Verbs poiéo, auf lateinisch alsofacere, die Infinitivform des Partizipsfactum. Genau in diesem Sinoe benutzt beispielsweise auch Cicero das Wortfacere in dem Ausdruck "litteras ad aliquemfacere", ,anjemanden Briefe schreiben'. Diefacta, als das Geschriebene der Nicht-Geschichtsschreibung, stehen somit nun neben der ficta historia, der geformten Darstellung der Geschichte. Der vorangegangene Absatz mag sophistische Züge haben. Deutlich gemacht werden solI te jedoch dadurch lediglich, daB Sprache niemals das Instrument zur Darstellung sein kano, das es dem anfanglichen Zitat zufolge sein solI, wo es sich als Form einem Inhalt anschmiegt. Mein Gedankengang sollte veranschaulichen, daB die angeführte Gegenüberstellung selbst durch den Umgang mit Sprache erzeugt wurde und auf demselben Wege widerlegt werden kano. Meine Überlegungen werden deshalb darauf abzielen, von der Vorstellung, bei Geschichtsschreibung handele es sich urn die Abspiegelung eines Gegenstands, wegzukommen, und dagegen die textuelle Konstruktion oder Produktion von Geschichte durch erzählerische Entscheidungen untersuchen. Die Debatte urn die erzählerischen Mittel der Darstellung von Geschichte läBt sich nun auf einen anderen Nenoer bringen. Die eine Extremposition in dieser Debatte wäre die Vorstellung von der sprachlichen Nachahmung von Ereignissen, die Vorstellung der mimesis, wo die Sprache unschuldiges Instrument der Darstellung ist. Der Gegenpol dazu wäre die Auffassung von einer ubiquitären poiesis: Jede sprachliche Äu13erung erzeugt simultan das, was geäu13ert wird. Die (bereits defensiv formulierte) erste Position wurde so formuliert: Die Geschichtsschreibung gebraucht Erzählweisen der Fiktion, naber von 11

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