Stephan Bröchler · Hans-Joachim Lauth (Hrsg.) Von Government zu Governance Informales Regieren im Vergleich COMPARATIVE GOVERNANCE AND POLITICS SPECIAL ISSUE 4 | 2014 Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft Comparative Governance and Politics Supplement 1 | 2014 Special Issue 4 | 2014 Stephan Bröchler • Hans-Joachim Lauth (Hrsg.) Von Government zu Governance Informales Regieren im Vergleich Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft . Comparative Governance and Politics (ZfVP) www.zfvp.de 2007 gegründet von Hans-Joachim Lauth 8. Jahrgang · Special Issue 4 · September 2014 Herausgeber: Arbeitskreis „Demokratieforschung“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), vertreten durch Prof. Dr. Hans-Joachim Lauth, Prof. Dr. Marianne Kneuer, PD Dr. Gero Erdmann† (GIGA Hamburg), Prof. Dr. Gert Pickel und Dr. Brigitte Weiff en. Beirat: Heidrun Abromeit (Darmstadt), Arthur Benz (Darmstadt), Dirk Berg-Schlosser (Marburg), Klaus von Beyme (Heidelberg), Hans Blomkvist (Uppsala), Peter Burnell (Warwick), Consuelo Cruz (Tuft s University, Medford, MA), Jan W. van Deth (Mannheim), Danica Fink-Hafner (Ljubljana), Adrienne Héritier (EUI Florenz), Kenji Hirashima (Tokio), Hans Keman (Amsterdam), Todd Landman (Essex), Steven Levitsky (Harvard University, Cambridge, MA), Zdenka Mansfeldova (Prag), Renate Mayntz (MPIfG Köln), Wolfgang Merkel (WZB Berlin), Ferdinand Müller-Rommel (Lüneburg), Guillermo O’Donnell†, Yannis Papadopoulos (Lausanne), Anton Pelinka (CEU Budapest), Andreas Schedler (CIDE, Mexiko-Stadt), Suzanne S. Schüttemeyer (Halle/Saale), Lars Svåsand (Bergen), Máté Szabó (Budapest). Redaktion: Prof. Dr. Hans-Joachim Lauth (Universität Würzburg), Prof. Dr. Matthijs Bogaards (Jacobs University Bremen), PD Dr. Stephan Bröchler (TU-Darmstadt/ FernUniversität in Hagen), PD Dr. Gero Erdmann† (GIGA Hamburg), Prof. Dr. Marianne Kneuer (Universität Hildesheim), Prof. Dr. Gert Pickel (Universität Leipzig), Prof. Dr. Susanne Pickel (Universität Duisburg-Essen). Kontaktadresse der Redaktion: Christoph Mohamad-Klotzbach M.A., Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft , Universität Würzburg, Institut für Politikwissenschaft und Soziologie, Wittelsbacherplatz 1, 97074 Würzburg. E-Mail: [email protected]; Tel.: (0931) 31-80095, Fax: (0931) 31-84893. Springer VS | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Abraham-Lincoln-Straße 46 | 65189 Wiesbaden www.zfvp.de Amtsgericht Wiesbaden, HRB 9754, USt-IdNr. 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Jahrgang Supplement 1 Special Issue 4 September 2014 Einleitung Stephan Bröchler/Hans-Joachim Lauth Die Lokalisierung von Schneisen im Dickicht – Konzeptionelle Grundlegungen und empirische Befunde informaler Governance . . . . . . . . 1 Komparatistik informellen Regierens im internationalen Vergleich Ulrike Klinger Media Governance im interregionalen Vergleich – Informelle Regulierung in Italien und Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Sabine Kropp/Johannes Schuhmann Hierarchie und Netzwerk-Governance in russischen Regionen. Beziehungen zwischen Staat und privaten Akteuren im Policy-Vergleich der Umweltpolitik und ethnischen Kon(cid:192) iktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Vergleich informellen Regierens in Europa Hans-Jürgen Bieling Europäische Finanzmarktpolitik in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Roland Czada Informalität und Öffentlichkeit in politischen Aushandlungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Anna Christmann Von Government zu Governance? Acht europäische Metropolregionen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Claudia Engelmann Informelles Regieren in der europäischen Asylpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Sabine Kuhlmann Multi-level Governance in Kontinentaleuropa: Mehrebenenver(cid:192) echtung und institutionelle Reformfähigkeit im deutsch-französischen Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Manuela Glaab Regierungsführung zwischen Formalität und Informalität. Deutschland und Großbritannien im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Vergleich informellen Regierens im Blick auf das politische System Deutschlands Barbara Laubenthal Politik ohne Mandat? Gesellschaftliche Akteure und neue Formen informellen Regierens im Politikfeld Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Frieder Wolf/Thomas Pfohl Protecting the population in a multilevel system: horizontal and vertical informal governance patterns in Germany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Stefan Schieren TAG und KiföG im Vergleich. Über die Leistungen und Grenzen informellen Regierens im Dickicht des sozialen Bundesstaats in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 . Z Vgl Polit Wiss (2014) (Suppl) 8:1–33 DOI 10.1007/s12286-014-0186-9 AUFSÄTZE Die Lokalisierung von Schneisen im Dickicht – Konzeptionelle Grundlegungen und empirische Befunde informaler Governance Stephan Bröchler · Hans-Joachim Lauth Zusammenfassung : Der Beitrag leitet begrif(cid:192) ich und forschungsstrategisch in die Themenstel- lung des Sonderheftes ein. Im begrif(cid:192) ich-konzeptionell angelegten Teil arbeiten die Autoren das zu Grunde liegende Verständnis von Governance heraus. Im Anschluss wird das Konzept ‚infor- male Governance‘ eingeführt und in die Forschung über formale und informale politische Ins- titutionen, besonders mit Blick auf Regieren system- und handlungstheoretisch kontextualisiert. Es wird argumentiert, dass sich formales und informelles Regieren im Rahmen eines Wechsel- wirkungsprozesses vollzieht, das den Funktions- und Handlungsraum der Institution Regierung (um-)gestaltet. Der zweite empirisch-analytisch orientierte Teil arbeitet wichtige empirische Befunde der ein- zelnen Beiträge des Sonderhefts heraus. Im Rahmen einer tentativen komparativen Auswertung der Beiträge wird für folgende Bereiche die Vielfalt und die Bedeutung informaler Governance aufgezeigt: 1) Erkenntnisse über die Ausprägung spezieller informeller Praktiken und Regeln im politischen Entscheidungsprozess; 2) Hinweise auf Angleichung der Formen im internationalen Vergleich oder Herausbildung spezi(cid:191) scher differenter Muster; 3) Einschätzung zur Vereinbarkeit der Praktiken und Regeln informellen Regierens mit den Grundwerten der Demokratie; 4) Bewer- tung und strategischer Einsatz informellen Regierens durch die politischen Akteure; 5) Einsichten zur Bedeutung der zunehmenden Medialisierung der Politik für informelles Regieren. Abschließend wird betont, dass sich trotz der hohen Diversität der Befunde Reziprozität als gemeinsames Prinzip informaler Governance erweist. Der Befund verdeutlicht die zentrale Be- deutung von erfahrungsgesättigtem Vertrauen für das Funktionieren oder die Entwicklung infor- meller Praktiken bis hin zu Institutionen. Schlüsselwörter : Government · Governance · Informale Governance · Informale politische Institutionen · Informelles Regieren · Reziprozität · Demokratie Online publiziert: 07.08.2014 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 PD Dr. S. Bröchler ( (cid:13) ) FernUniversität in Hagen, Turmstraße 5, 35578 Wetzlar , Deutschland E-Mail: [email protected] P rof. Dr. H .-J. L auth Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft und Systemlehre, Institut für Politikwissenschaft und Sozialforschung , Universität Würzburg , Wittelsbacherplatz 1 , 97074 Würzburg , Deutschland E-Mail: [email protected] S. Bröchler, Hans-Joachim Lauth (Hrsg.), Von Government zu Governance, DOI 10.1007/978-3-658-06145-6_1, © Springer VS | Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 2 S. Bröchler und H.-J. Lauth Clearing the thicket of informal governance: conceptional foundations and empirical results Abstract : The article introduces the concepts and research strategies related to the topic of the special issue. In the conceptional part of the article the authors elaborate the underlying notion of governance. They then introduce the concept of ‘informal governance’ and relate it to research on formal and informal political institutions—with a particular focus on governing processes—from the perspective of system theory and action theory. The authors argue that formal and informal governing processes take place in an interactive process which (re)shapes the functional scope and scope of action of the institution of government. I n the second, empirical part the authors describe important empirical results of the contribu- tions to the special issue. In their tentative comparative evaluation of the articles, they point out the diversity and relevance of informal governance in the following (cid:191) elds: (1) insights regarding the characteristics and extents of particular informal practices and rules in political decision- making processes; (2) indications of an adaptation of these practices and rules observed in inter- national comparison or evidence of the development of speci(cid:191) c different patterns; (3) evaluation of the compatibility of these practices and rules of informal governance with basic democratic principles; (4) assessment and strategic implementation of informal governance by political ac- tors; (5) insights regarding the relevance of an increasing promulgation of politics by the media for informal governance. In conclusion, the authors emphasize that reciprocity appears to be the common principle of informal governance despite the extensive diversity of the research results. This (cid:191) nding indicates the key role of experience-based trust in order for informal practices and institutions to develop and function. Keywords : Government · Governance · Informal governance · Informal political institutions · Informal governing · Reciprocity · Democracy 1 G rundverständnis Governance I nformelle Regulierung im vorparlamentarischen Bereich hat eine längere Tradition, wenn wir die Überlegungen von Lehmbruch ( 1967 ) zur „Proporz- bzw. Konkordanzde- mokratie“, von Lijphart ( 1968 ) zu „Politics of Accommodation“ oder von Czada ( 2010 ) zur Verhandlungsdemokratie aufgreifen. Doch die Governance-Debatte der letzten Jahre hat deutlich gemacht, dass sich sowohl die Praxis des Regierens als auch die Re(cid:192) exion über Regieren strukturell verändert haben (Benz und Dose 2010 ; Benz et al. 2007 ; Blu- menthal und Bröchler 2 006; Bröchler 2 014a; Bröchler und Grunden 2 014; Lauth 2 012; Mayntz 2 010) . Zum einen sind im Prozess des Regierens weitaus mehr Akteure einbe- zogen als dies traditionell mit Blick auf Regierung, Verwaltung und Parlament sowie den Spitzenverbänden der Fall war. Neben politischen Akteuren auf anderen Ebenen (Mehrebenenkoordination) sind auch sehr unterschiedliche private und gesellschaftliche Akteure verstärkt und zuweilen maßgeblich in den politischen Willensbildungs- und Ent- scheidungsprozess einbezogen. Zum anderen und damit eng verbunden hat sich das Ver- halten der politischen Entscheidungsträger verändert. Um den veränderten Bedingungen zu entsprechen, reicht eine Orientierung an den verfassungsgemäßen Kompetenzregeln nicht aus. Informelle Praktiken und Regeln werden noch stärker als früher strategisch eingesetzt, um die Erweiterung der eigenen Handlungsspielräume zu erreichen. Die ver- Die Lokalisierung von Schneisen im Dickicht 3 änderte Praxis erfordert von der Politikwissenschaft eine veränderte Herangehensweise der Analyse des Regierens. Im Rahmen der systematischen Erforschung des politischen Systems gilt es, mit Blick auf das Regieren, Konstitutionsbedingungen und Interak- tionsverhältnisse politisch-administrativer Akteure des Regierungssystems und (zivil) gesellschaftlicher Akteure, bei der Bearbeitung öffentlicher Probleme systematisch in die Analyse mit einzubeziehen. D as Sonderheft „Von Government zu Governance: Informales Regieren im Vergleich“ greift die Veränderungen der Praxis und die veränderten Anforderungen des Verständ- nisses des Regierens mit der Fokussierung auf den informalen Aspekt von Governance auf. Im Blick auf die Art und Weise wie sich informales Regieren bzw. informale Gover- nance begrif(cid:192) ich fassen lässt, werden im Folgenden zwei akzentuierte Verständnisse unterschieden. 1 . E rstens, so wie es häu(cid:191) g geschieht, werden unter informaler Governance Handlungen oder Praktiken verstanden, die nicht durch formale Regeln erfasst werden (Alemann 1994 ; Lauth 2012 ; Wewer 1991 , S. 25). Das heißt nicht, dass formale Regeln (oder Institutionen) obsolet sind oder nicht funktionieren, sie lassen jedoch Handlungen neben ihnen zu. Dabei kann es sein, dass die formalen Regeln nicht vollständig be- folgt werden oder nur begrenzt zur Anwendung kommen. Meist sind sie jedoch von den informellen Handlungen kaum tangiert; genutzt wird oftmals der von den forma- len Regeln nicht erfasste und somit unbestimmte Handlungsraum. 2. Das zweite Verständnis von informaler Governance basiert auf der Annahme, dass Governance sowohl auf formalen als auch informalen institutionellen Regeln beruht (Christiansen und Neuhold 2012 ). Beide Regelsysteme konstituieren den gemeinsa- men Funktions- und Handlungsraum R egieren . Diese Interpretation stellt gewisser- maßen eine Variante des ersten Verständnisses von informaler Governance dar. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Handlungen, die neben den formalen Regeln statt(cid:191) nden, nicht unverbindlich oder weitgehend unbestimmt sind, sondern gleichfalls signi(cid:191) kant auf Regeln beruhen, die nun informal gegeben sind. Aus dieser zweiten Perspektive lässt sich informale Governance als Form der Steuerung und Koordina- tion durch staatliche und private Akteure verstehen, die auf formalen und informalen Institutionen basiert. Informale Governance umschließt hierbei auch die formalen In- stitutionen, da deren Wirkung im Zusammenspiel mit informellen Institutionen kons- titutiv geprägt wird.1 Für das präzisere Verständnis dieser Unterscheidung sollen die zentralen Begriffe, auf denen informale Governance basiert, de(cid:191) niert werden. Betrachten wir hierzu zunächst den Begriff Governance. Für hiesige moderne komplex ausdifferenzierte westliche Sys- teme erfolgt Regieren als Governance nicht mehr nur durch autoritative Regulierung des hierarchischen Staates, sondern verstärkt durch das Zusammenwirken der Akteure des politisch-administrativen Systems mit wirtschaftlichen Interessen, Verbänden und der Zivilgesellschaft (Benz und Dose 2010 ). Die Governance-Forschung verfolgt das Ziel, die Veränderung der Bearbeitung öffentlicher Probleme unter Bedingungen veränderter Staatlichkeit zu re(cid:192) ektieren und zu analysieren. 1 Die Begriffe ‚informal‘ und ‚informell‘ werden im Folgenden synonym verwendet. 4 S. Bröchler und H.-J. Lauth In die ausdifferenzierte vielstimmige Debatte schlagen folgende Unterscheidungen bedeutsame Schneisen: 1. Zum einen besteht eine n ormative Interpretation des Governance-Begriffs . Die normative Perspektive bringt ein Verständnis von Governance als ein Leitbild mit gewichtigen Implikationen zum Ausdruck. Ausgangspunkt für Analysen ist insbe- sondere die Setzung, dass ein grundlegender Wandel von Staatlichkeit bereits statt- gefunden hat, der wie beispielsweise „New Public Management“ oder „Corporate Governance“ grundsätzlich positiv beurteilt wird. Eine zweite normative Variante formuliert anzustrebende politische Ziele oder Programme („Good Governance“) die in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen. 2. Zum anderen lässt sich eine a nalytische Governance-Perspektive bestimmen. Im Unterschied zum normativen Verständnis strebt die analytische Perspektive an, das Arsenal normativer Implikationen möglichst gering zu halten (Benz et al. 2007 ; Blu- menthal 2 005; Blumenthal und Bröchler 2 006; Lauth 2 012) . Dies wird bei der Frage des grundständigen Wandels von Staatlichkeit deutlich. Die analytische Perspektive teilt die Aussage, dass sich Regieren verändert. Die Frage jedoch, ob sich ein grund- legender Wandel vollzogen hat, wird nicht a priori gesetzt, sondern zu einer wichti- gen Fragestellung, die es erst im Rahmen von theoretisch-konzeptionell gehaltvoller und empirisch gesättigter Forschung (a posteriori) differenziert zu beantworten gilt. Zudem thematisiert diese Perspektive die Effektivität der Koordinationsleitungen. Aus dieser Perspektive ist die normative Beurteilung offen. Neben einer prinzipiell möglich positiven Bewertung – beispielsweise hinsichtlich damit gewonnener Pro- blemlösungskompetenzen – können auch kritische Urteile getroffen werden; diese betreffen beispielsweise problematische Entwicklungen hinsichtlich der demokrati- schen Legitimation und intransparenter A ccountability -Strukturen. 3. Eine weitere Unterscheidung resultiert aus der B andbreite des Governance-Begriffs , die unterschiedlich vermessen wird. Das w eite begrif(cid:192) iche Verständnis von Gover- nance subsumiert unter Steuerung das Kontinuum von rein staatlich-hierarchischen bis zu rein zivilgesellschaftlichen Bearbeitungsformen kollektiver Belange (Benz et al. 2007 ; Mayntz 2010 ). Demgegenüber umfasst die engere Begriffsverwendung von Governance nur diejenigen Interaktionsformen aus Akteuren und Regelungssyste- men, die anstelle unilateraler staatlich-hierarchischer Steuerung für die Bearbeitung öffentlicher Probleme zur Anwendung kommen (Rosenau und Czempiel 1992 ; Peters und Pierre 1 998) . Während im weiten Verständnis Government eine Steuerungsform im Kontinuum von Governance darstellt, werden in der engeren Begriffsauslegung beide Begriffe als unterschiedliche Steuerungsformen voneinander getrennt. W ir folgen dem weiteren Verständnis von Governance. Als Leitlinie für die Analyse komplexer Strukturen kollektiven Handelns im Rahmen von Governance ist folgende Auffassung grundlegend: Governance erfolgt als Management von Interdependenzen in institutionalisierten Regelsystemen und umfasst darüber hinaus auch Interaktionsmuster und Modi kollektiven Handelns (wie Netzwerke). Governance-Prozesse überschreiten dabei in aller Regel Grenzen von Organisationen (Benz und Dose 2010 ). Um ein angemessene Verständnis von informaler Governance zu gewinnen, werden wir im Folgenden die weiteren damit verbundenen Begriffe präzisieren und von ähn-
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