Jiirgen Beyer (Hrsg.) Vom Zukunfts- zum Auslaufmodell? Jiirgen Beyer (Hrsg.) Zukunfts VOOl AuslaufDlodell? ZUOl Die deutsche WirtschaJtsordnung im Wandel Westdeutscher Verlag Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber <http://dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage August 2003 Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2003 Lektorat: Frank Engelhardt Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der F achverlagsgruppe BerteismannSpringer. www.westdeutscher-verlag.de Das Werk einschlieBIich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schutzt. Jede Verwenung auBerhaib der engen Grenzen des Urhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere rur Vervielfiiltigungen, Dbersetzun gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burlde, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN-13: 978-3-531-14003-2 e-ISBN-13: 978-3-322-87348-4 DOl: 10.1007/978-3-322-87348-4 Inhalt Einleitung: Unkoordinierte Modellpflege am koordinierten deutschen Modell............................................................................... 7 Jiirgen Beyer Vielfalt im Umbruch. Auflosungserscheinungen, Anpassungsprozesse und neue Interessenvertretungsmodelle in den Arbeitsbeziehungen ... 36 Klaus Schmierl Konversion durch Uberlagerung. Der Beitrag betrieblicher Biindnisse zum Wandel der Arbeitsbeziehungen ..... ..... ..... ........ .... 61 Britta Rehder Korporatistische Konzertierung von Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik: Zukunfts-oder Auslaufmodell? ............................. 78 Christine Trampusch Zwischen Stabilitiit und Wandel. Empirische Befunde zur institutionellen Dynamik im System der Corporate Governance ....... 108 Thomas Heinze Verhandelter Shareholder Value. Die deutsche Variante einer angloamerikanischen Praxis ....... ................... ..................... ..... 133 Sigurt Vito Is Die Folgen der Konvergenz. Der Einfluss der Internationalisierung auf die Wertschopfungsverteilung in gro8en Unternehmen ........... ... 155 Jiirgen Beyer und Anke Hassel Die Internationalisierung industrieller Forschung und der Standort Deutschland. Eine unternehmensbezogene Analyse von Inward-und Outward-Aktivitiiten ............................................................. 185 Jakob Edler Flucht aus dem deutschen Modell? Arbeitsbeziehungen in polnischen und tschechischen Tochtergesellschaften ..... ............................... 214 Katharina Bluhm Einleitung: Unkoordinierte Modellpflege am koordinierten deutschen Modell Jiirgen Beyer 1 Einleitung Das einst als vorbildhaft gepriesene ,,Modell Deutschland" gilt mittlerweile weithin als wenig zukunftstauglich. Dabei schien die auf Konsens, Koordination und langfristige Entwicklungen setzende deutsche Wirtschaftsordnung f1ir den internationalen Wettbewerb gut vorbereitet zu sein. Die Beteiligung der Be schaftigten an den Geschieken des Untemehmens, aber auch die Verbreiterung des Mittelstandes durch eine relativ egalitare Lohnpolitik sowie ein gut ausge bautes System der sozialen Sicherung wurden nieht als Hindemis, sondem als Voraussetzung fUr eine hohe Leistungsfahigkeit der deutschen Wirtschaft ange sehen. Die moglich gewordene Gewahrleistung des sozialen Friedens wurde als bedeutsamer Wettbewerbsvorteil anerkannt. Hinsichtlich der Untemehmens kontrolle und -finanzierung wurde die Chance zur Verfolgung langfristiger Ziele von auslandischen Kommentatoren bewundernd hervorgehoben (Porter 1992). Die institutionelle Struktur der deutschen Wirtschaftsordnung galt zwar als hin derlich f1ir die Entwicklung von Grundlageninnovationen und fUr kurzfristig orientierte Produktmarkt-Strategien, doch dies schien durch komparative Vortei Ie im Bereich von inkrementellen Innovationen und bezUglich einer "diversifi zierten Qualitatsproduktion" (Streeck 1991) mehr als kompensierbar zu sein. Aus heutiger Perspektive ist allerdings fraglich, ob diese Wettbewerbsvortei Ie in spezifischen Bereichen noch hinreiehend sind, urn eine Erosion institutio neller Besonderheiten der deutschen Wirtschaftsordnung zu verhindern. Vor dem Hintergrund einer gestiegenen Mobilitat des Kapitals, der zunehmenden Intemationalisierung von Untemehmen und eines intensivierten globalen Wett bewerbs deutet vieles darauf hin, dass sich die fUr das Modell Deutschland spre chenden Vorzeiehen umgekehrt haben. Inzwischen ist weit eher von der deut schen Krankbeit und nicht langer bewundemd yom deutschen Modell die Rede. Die europaischen Stabilitatsziele konnen derzeit bei weitem nieht erflillt werden und das Wirtschaftswachstum des Landes ist das schwachste in Europa. Von daher Uberrascht es nieht, dass der Status Quo von vielen Seiten beklagt wird und Forderungen nach umfassenden Reformen zur Wiedererlangung der Wettbewerbsfahigkeit Hochkonjunktur haben. In der offentlichen Diskussion steht nahezu alles auf dem PrUfstand, was das deutsche Modell in der Vergan genheit ausgezeichnet hat. Gefordert wird unter anderem die Ausweitung eines 8 Jiirgen Beyer Niedriglohnbereichs und die Abkehr von der egalitiiren Lohnpolitik der Vergan genheit, die Flexibilisierung der FHichentarifvertrage und die Aufwertung von betrieblichen Btindnissen, die Reduzierung der Sozialversicherungsleistungen zur Begrenzung der Lohnnebenkosten, und selbst der einst so gelobte soziale Frieden ist bei deutlich mehr als vier Millionen Arbeitslosen schon manchem eher suspekt. Angezweifelt wird zudem, ob sich die betriebliche Mitbestimmung mit der auf den Kapitalmarkten geforderten Shareholder-Value-Orientierung von Untemehmen in Einklang bringen lasst. Und auch die viel beschworene Sllir kung des Finanz- und Innovationsstandortes scheint einigen nur dann moglich, wenn die Strukturen und Mechanismen der alten Deutschland AG beseitigt wer den. Die Rufe nach Veranderung sind zwar untiberhorbar, eine Umsetzung von Reformvorschlagen garantieren diese dennoch nicht. Daran hat sich, trotz des durch die wirtschaftliche Situation erhohten Problemdrucks, nichts geandert (Franz und Immerfall 2003: 7). Das Wort ,.Reformstau" wurde in den Neunzi gem, aufgrund der haufigen Verwendung im politischen Diskurs, zum Wort des Jahres gektirt. Heute ist ebenso haufig von ,.Reformblockaden" die Rede, weil jedes Reforrnkonzept mit dem Widerstand der Betroffenen und ihrer Interessen vertreter rechnen kann. Der einstige Glanz des deutschen Modells gibt diesem Widerstand auch heute noch Kraft. In den anhaltenden Diskussionen urn Reformdruck und Blockaden wird al lerdings haufig vergessen, dass sich die deutsche Wirtschaftsordnung in den letzten Jahren bereits verandert hat. Hier lohnt ein analytischer Blick auf die aktuelle Situation, damit die Debatte urn die Zukunft der deutschen Wirtschafts ordnung nicht auf der Grundlage falscher Pramissen geftihrt wird. Dieser Band strebt genau diese Bestandsaufnahme an. Die Autorinnen und Autoren haben einzelne Aspekte, die im Zusammenhang mit dem deutschen Wirtschaftsmodell bedeutsam sind, untersucht. Sie kommen aufgrund ihrer Analysen, z.B. zu be trieblichen Pakten, Standortstrategien, Untemehmensverflechtungen, korpora tistischen Arrangements und Shareholder-Value-Orientierungen, zu differenzier ten Einschatzungen, die in der Gesamtschau allerdings nicht in das Bild der institutionellen Erstarrung passen, das die offentliche Diskussion derzeit be stimmt. Vielmehr scheint sich ein Zustand eingestellt zu haben, bei dem in einigen Bereichen die institutionelle Stabilitat tiberwiegt, in anderen Bereichen Verande rungen zu beobachten sind, die eine gewisse Kontinuitat mit dem deutschen Modell erkennen lassen, wahrend in wieder anderen eine tiberraschend deutliche Abkehr von Bekanntem vorherrscht. Vieles wirkt ,,hybrid", aus Bekanntem und Neuem re-kombiniert, so dass sich ursprtinglich vermeintlich Unvereinbares nun zusammenfiigt. Die institutionellen Veranderungen haben zudem kein Zentrum oder nur einen Ausgangspunkt. Wahrend bestimmte Entwicklungen vor allem Unkoordinierte Modellpflege am koordinierten deutschen Modell 9 die hochinternationalisierten GroBunternehmen betreffen, gibt es andere, die fUr eine sich yom Rande aus vollziehende Verlinderung des deutschen Modells sprechen. Der Wandel ist somit widerspruchlich und unsystematisch, was angesichts der Ausgangslage eines integrierten Modells, das auf einer starken Koordination der Wirtschaftsakteure basierte, durchaus bemerkenswert ist. Dies wirft die Frage auf, wie dieser Wandel zustande kommt und welche Erkllirungen fUr die ses Entwicklungsmuster gegeben werden konnen. In dieser Einleitung wird ausgehend yom Konzept des koordinierten Kapita lismus und einem einfachen ,,Modellpflege"-Ansatz argumentiert (Teil 2), dass eine unkoordinierte Modellpflege zum prligenden Einfluss fUr die institutionel len Verlinderungen der deutschen Wirtschaftsordnung geworden ist. Die nicht vorhandene Koordinierung in der Modellpflege zeigt sich an der Gleichzeitigkeit von verschiedenen Reaktionsweisen, die stellvertretend an dem Strategiewechsel der Deutschen Bank, der BUndnis- und Kommissionspolitik der Schroder Regierung und der Traditionswlichterrolle der Gewerkschaften illustriert werden (Teil 3). 1m abschlieBenden zusammenfassenden Uberblick der Buchbeitrlige (Teil 4) werden die unterschiedlichen Facetten des sich vollziehenden institutio nellen Wandels hervorgehoben. 2 InstitutioneUer Wandel aIs koordinierte ModeUpftege Dass Modelle ihre einstige Attraktivitat einbUBen, ist keineswegs ungewohnlich. Ware das Modell Deutschland ein Markenartikel, wiirden die verantwortlichen Personen wohl eine Produkt- oder Modellpflege fliT notwendig halten. Produkte unterliegen in der Regel einem Nachfragezyklus, der durch Modellpflege ver llingert werden kann (Koppelmann 2001). Es gibt unterschiedlich weitreichende Varianten. Am einen Ende des Handlungsspektrums stehen marginale Anderun gen, bei denen aIle wesentlichen Bestandteile des Produkts unangetastet bleiben, und die Anderungen vor allem von symbolischer Bedeutung sind. Diese margi nalen Anderungen werden, wenn sie das Aussehen des Markenartikels betreffen, auch als "facelift" bezeichnet. Die "groBe" Modellpflege bildet das andere Ende des Spektrums, bei der sich das Verhliltnis von kontinuitatssichernden Elemen ten und Neuerungen im Vergleich zum "facelift" genau umkehren kann. Wird die Verllingerung des Produktzyklus als wenig aussichtsreich bewertet, dann wird die Modellpflege zugunsten eines Modellwechsels unterlassen. Anderungen konnen in manchem Produktionsprozess auch begleitend vorgenommen werden (LindemannIReichwald 1998), die Grundsatzentscheidung, ob ein "facelift", eine "grofie Modellpflege" oder ein Modellwechsel vorzunehmen ist, wird jedoch von einer Planungs-und Entscheidungsinstanz eindeutig gefallt. Letzteres ist eine bedeutsame Abweichung zwischen der Modellpflege in der Produktentwicklung und dem Wandel des deutschen Modells. Eine zentrale 10 liirgen Beyer Steuerung kann fliT institutionelle Veranderungsprozesse nieht angenommen werden. Dem beriihmten Diktum Andrew Shonfields (1968: 312) folgend, der das deutsche Wirtschaftsmodell als Kapitalismusform bezeichnet hat, der zur Verbindung der "Iosen Teile eines Planungsexerzitiums" aus Banken, GroBun ternehmen, Wirtschaftsverbanden und der Regierung nichts als ein iibergeordne ter Plan fehlen wUrde, sind die Voraussetzungen fur koordinierte Wandlungs prozesse in Deutschland dennoch vergleichsweise giinstig. Mnlich wurde dies auch spater beurteilt, so flihrt beispielsweise George T. Edwards (1987: 99) aus: "Germany's economy is ( ... ) a largely integrated financial-industrial-government system". In der aktuellen "Varieties-of-Capitalism"-Diskussion (vgl. Berger und Dore 1996, Crouch und Streeck 1997, Kitschelt et al. 1999, Hall und Soskice 2001) wird Deutschland, dieser Tradition entsprechend, denn auch als paradigmati scher Fall einer ,,koordinierten" Wirtschaftsordnung benannt, in der die Unter nehmen einen GroBteil ihrer Beziehungen nicht iiber Markte organisieren, der Staat ordnungspolitische Vorgaben setzt und die Arbeitnehmer in ein System des wirtschaftlichen Interessenausgleiehs inkorporiert sind (Soskice 1999). Anders als im starker wettbewerbsorientierten "liberalen" Wirtschaftsmodell, wie es z.B. in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in GroBbritannien vorherrschend ist, sind in koordinierten Wirtschaftsordnungen demnach ,,reine" Marktbezie hungen, in denen der Austausch von Giitern allein dem Spiel von Angebot und Nachfrage folgt, eher seiten. Das Verhaltnis zwischen den am Wirtschaftspro zess beteiligten Akteuren ist weniger durch Wettbewerbsbeziehungen als durch netzwerkartige Verflechtungsstrukturen (WindolfIBeyer 1995) und langfristige, haufig implizite Kontrakte gepragt. Diese kontraktuelle Basis (Albert 1992) erleiehtert es den Wirtschaftsakteuren, auf die Unsieherheiten der Absatzmarkte koordiniert zu reagieren. Bei der Entscheidungsfindung hat sich das koordinierte deutsche Modell in der Vergangenheit stets durch einen breit angelegten Interessenausgleich ausge zeichnet.1 Ein so1cher schrankt die Maglichkeiten zur ,,Modellpflege" allerdings wesentlich ein. Weitreichende Reformen, die von einer zentralen Planungs- und Entscheidungsinstanz noch vergleichsweise einfach eingeleitet werden kannen, sind unter den Bedingungen eines notwendigen Interessenausgleichs deutlich Wahrend beispielsweise in liberalen Wirtsehaftsordnungen das Interesse der Eigentiimer an Aktiengesellsehaften als dominant angesehen und aile anderen Interessen als naehrangig be handelt werden. haben nieht nur die Arbeitnehmer im deutschen Modell ein explizites Recht zur mitbestimmenden Beeinflussung der Unternehmensfilhrung. sondem aueh andere "Stake holder" (Vgl. Vitols. in diesem Band). da die Gemeinwohlorientierung als MaSstab der Unter nehmensfilhrung im Wirtsehaftsrecht fest verankert ist. Ein hohes MaS der Beriieksiehtigung vielfaltiger Interessen zeigt sieh aueh auf anderen Verhandlungs-und Entseheidungsebenen. Unkoordinierte Modellpflege am koordinierten deutschen Modell 11 schwieriger zu implementieren.2 Eine gleichzeitige Umorientierung aller zu beriicksichtigender Interessen ist eine eher unwahrscheinliche Alternative, so dass unter Wahrung des Interessenausgleiehs jeweils nur kleine Schritte verein bart werden konnen und abgestimmte Reformen demzufolge mit hoher Wahr scheinlichkeit im Fahrwasser des Bestehenden bleiben. In der Varieties-of-Capitalism-Forschung wird denn auch, gerade mit Blick auf koordinierte Wirtschaftsordnungen, mit der historischen Gebundenheit des Wandels und der Resistenz gegeniiber externem Anpassungsdruck argumentiert. Es wird erwartet, dass die jeweiligen Reformanstrengungen institutionalisierten Entscheidungsregeln folgen, die dafiir sorgen, dass vor allem routinisierte Prob lemIosungen zur Anwendung kommen (Zysman 1994). Historisch gewachsene "institutionelle Filter" (North 1998) bewirken demnach, dass jeweils landertypi sche Losungen gefunden werden, wenn Probleme auftreten. 1m Ergebnis spricht, diesen Uberlegungen zufolge, vieles fiir einen kontinuierlichen "pfadabhangi gen" Verlauf und eine standige Reproduktion des koordinierten Modells, da der Weg der Anpassung an neue Rahmenbedingungen maBgeblich durch die Ver gangenheit vorbestimmt ist. Ais weiterer stabilitatsfordernder Faktor wird in diesem Diskussionskontext zudem die Komplementaritat von Institutionensystemen hervorgehoben (Hall und Soskice 2001, Hall und Gingerich 2001). Die Komplementaritatsbegriin dung geht davon aus, dass sich verschiedene charakteristische Institutionen einer Wirtschaftsordnung erganzen, indem die Effizienz eines institutionellen Merk mals durch das Vorhandensein von anderen institutionellen Merkmalen in posi tiver Weise beeinflusst wird. Die Koharenz ergibt sich durch die Wechselbeziig lichkeit der institutionellen Elemente.3 Wei! davon ausgegangen wird, dass jedes Element des institutionellen Rahmens die iibrigen bedingt, folgt daraus, dass auch keines einseitig herausgelost werden kann. Aus ureigenstem Interesse am Erhalt von komparativen Vorteilslagen werden, dieser Sieht zufolge, aile Akteu re letztlich dafiir Sorge tragen, dass sieh der nationale institutionelle Kontext nicht radikal verandert. Abweichende Strategien soli ten dem gemaB nur begrenzt durchfiihrbar sein, denn die nationale institutionelle Ordnung miisste bei vor handener Komplementaritat als "adverse environment" (JUrgens et al. 2000) negativ auf diese einwirken. In der vergleichenden Staatstatigkeitsforschung gilt Deutschland als ein semisouveraner Staat (Kat2enstein 1987). in dem es besonders schwierig ist. weitreichende Reformen durchzusetzen. Aufgrund der Vielzahl an institutionellen Hemmnissen und .. Vetospielem" (Tsebelis 2002) sei fast immer eine informelle groBe Koalition am Werke (Schmidt 2002). mit der Foige. dass al lenfalls inkrementelle Reformen moglich werden. In Bezug auf Deutschland werden z.B. die deutschen Arbeitsbeziehungen. das berufliche Bildungs- und Weiterbildungssystem. die Untemehmensfinanzierung und die untemehmens iibergreifende Koordination iiber Net2werke als komplementlire Elemente diskutiert (Hall und Soskice 2001). 12 liirgen Beyer 3 Unkoordinierte statt koordinierte Modellpflege Geht man von diesen theoretischen tIberlegungen aus, so besteht die Hauptlimi tation fUr den Wandel der deutschen Wirtschaftsordnung darin, dass die Durch flihrung einer weitreichenden ,,Modellpflege" institutionell weitgehend ausge schlossen ist. Der Wandel der Wirtschaftsordnung sollte demnach in aller Regel in festen Bahnen und hoch koordiniert verlaufen. 1m Gegensatz zu dieser Ausgangserwartung wird hier argumentiert, dass der derzeitige institutionelle Wandel eine andere Interpretation nahe legt. Das we sentliche Kennzeichen des Wandels scheint zu sein, dass die Modellpflege un koordiniert und mit deutlich variierender Reichweite betrieben wird, weil sich verschiedene Kollektivakteure in ihren Reformbemtihungen bzw. in ihrem stra tegischen VerhaIten gerade nicht am Interaktionsmuster des in vorhandenen Koordinationsstrukturen ablaufenden, kooperativen Interessenausgleichs orien tieren. Die institutionellen Strukturen, auf denen die Koordination in der Ver gangenheit beruhte, werden - durchaus im Interesse an einer mehr oder minder "pfleglichen" Erneuerung des deutschen Modells - aufgegeben, umgangen oder blockiert. Dies lasst sieh beispielhaft am Unternehmensstrategiewechsel der Deutschen Bank, der Btindnis- und Kommissionspolitik der SchrOder-Regierung und der neuen Traditionswachterrolle der Gewerkschaften illustrieren. 3. J Modellpflege durch Strategiewechsel Viele deutsche Unternehmen haben in den letzten lahren ihre Unternehmensstra tegien, z.B. durch die Fokussierung der Geschaftstatigkeit oder durch eine gra Bere Shareholder-Value-Orientierung, geandert (Streeck und Hapner 2003). Zu diesen Unternehmen gehOrt auch die Deutsche Bank, die ihre Strategie in den letzten lahren verstarkt auf den Bereich des Investmentbankings ausgerichtet und sich von ihrer ursprunglich dominanten Kreditbankorientierung gelast hat. Die Anderung einer Unternehmensstrategie ist an sich nichts ungewahnliches, doch einige Orientierungswechsel haben nicht nur eine einzelwirtschaftliche Relevanz, sondern sie beeinflussen in nicht unerheblicher Weise auch die Wirt schaftsordnung als Ganzes. Der Strategiewechsel der Deutschen Bank kann als solcher angesehen werden. Die Deutsche Bank geharte seit lahrzehnten zu jenen Unternehmen, die am stiirksten in das deutsche Unternehmensverflechtungsnetzwerk eingebunden waren. Aufgrund der vielfaItigen Personen- und Kapitalverflechtungen wurde die Deutsche Bank nieht seIten als das Kemuntemehmen der ,,Deutschland AG" angesehen. Ursprunglich waren die Unternehmensverflechtungen der Deutschen Bank vor allem Mittel zur Reduzierung von Kreditvergaberisiken (Beyer 2003). tIber Aufsiehtsratsmandate konnten Informationen tiber den Zustand von Unter nehmen gewonnen werden, die weit tiber gesetzlich geforderte Publikations-
Description: