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Vom Ursprung und Ende der Metaphysik: Eine Studie zur Weltanschauungskritik PDF

326 Pages·1958·21.637 MB·German
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Vom Ursprung und Ende der Metaphysik Eine Studie zur Weltansmauungskritik Von Ernst To pitsm Professor an der Universität Wien Springer-Verlag Wien GmbH 1958 Alle Rechte, insbesondere das der übersetl'iung in fremdc Sprachen, vorbehalten Ohne ausdrüokliohe Genebmigung de~ Verlages ist es auch nioht gestattet, dieses Buoh oder Teile daraus auf photomeohanisohem Wege (Photokopie, ~nkrokopie) zu vervielfältigen © by Spirnger-Verlag Wien 1958 Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlog in Vienna 1958 Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1958 ISBN 978-3-662-22810-4 ISBN 978-3-662-24743-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-24743-3 Vorwort Die vorliegende Arbeit ist aus Studien übel' das Problem des Natur rechtes entstanden, in deren Verlauf sich immer deutlicher hera~sgestellt hat, daß dieses Problem nur einen Teilaspekt universell verbreiteter und das vor- und außerphilosophische Denken ebenso wie die sogenannte traditionelle Philosophie zumindest maßgeblich mitbestimmender Formen der Weltauffassung darstellt. Der Fortgang _~ieser Untersuchungen hat in einer Reihe von Aufsätzen seinen Niederschlag gefUhden, die seit 1950 erschienen sind und auf die hier fallweise zurückgegriffen wird. Während eines Studienaufenthaltes an der Harvard-University (1953/54) ist der Plan des Buches endgültig ausgereift, doch verzögerte sich der Abschluß des Manuskriptes infolge anderweitiger beruflicher Inanspruchnahme bis zum Beginn dieses Jahres. Dem Verfasser ist bewußt, daß der Ausdruck "Metaphysik" äußerst vieldeutig ist, so daß vielleicht mancher Leser hier nicht das behandelt finden wird, was er unter Metaphysik versteht. Doch beziehen sich die folgenden Untersuchungen zweifellos auf Doktrinen, die nach einem sehr verbreiteten Sprachgebrauch als metaphysisch bezeichnet werden wld die in der traditionellen Philosophie eine hervorragende Rolle gespielt haben bzw. heute noch spielen. Schließlich möchte ich allen jenen danken, die mir durch Rat und Hilfe die Arbeit erleichtert haben: der Rockefeller-Foundation für die Gewährung eines Stipendiums, das mir die Benützung der reichen For schungsmittel in Harvard ermöglicht hat; dem Institute for the Unity of Science bzw. dessen Leiter Prof. Dr. PR. FRANK für das freundliche Interesse an meinem Vorhaben; Prof. Dr. V. KRAFT und Dr. H. NEIDER für die Lektüre des Manuskriptes und wertvolle Ergänzungen oder kriti sche Hinweise; Prof. Dr. J. MEWALDT für das Mitlesen der Korrektur fahnen; nicht zuletzt aber dem Angestellten der Wiener Universitäts bibliothek Herrn K. KRAUS, der mir bei der Beschaffung der umfang reichen Literatur stets behilflich war. Wien, im Herbst 1957. Ernst Topitsch Inhaltsverzeichnis Seito Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . 1 Grundformen des Denkens im Mythos. . . 5 Entfaltung und Verfall der Hoohmythologie 33 Der Kosmos der Philosophie . . . . 95 Tradition, Ideologie und Wissensohaft 221 Ergehnisse und Folgerungen 280 Literaturverzeichnis 314 Namenverzeichnis .... 317 Einleitung Weltanschauungskritik ist heute unpopulär. Doch die Entwicklung wissenschaftlicher Sachprobleme folgt anderen Gesetzen als der Wechsel der Zeitstimmungen und gerade dort, wo sich diese Stimmungen zur geistigen Uniformität verdichten wollen, ist es am notwendigsten, ihnen entgegenzutreten. Das im deutschen Geistesleben seit dem Beginn unseres Jahrhunderts fühlbare und seit dem ersten Weltkrieg mächtig gewordene Begehren nach weltanschaulicher Verkündigung hat nicht nur allgemein den Willen zur kritischen Verantwortlichkeit des Denkens geschwächt, sondern auch speziell die wissenschaftliche Analyse der Herkunft, Struktur und Wirk samkeit sogenannter Weltanschauungen zurückgedrängt. Daran haben die ideologiekritischen Bemühungen der zwanziger und frühen dreißiger Jahre im Ergebnis nichts geändert. Dem totalen Staat waren alle der artigen Studien verdächtig und nach dem Fortfall der äußeren Behinderung scheint heute das innere Bedürfnis nach Auseinandersetzung mit solchen Fragen zu fehlen. Man zieht es vor, in gefühlsgesättigten Betrachtungen die Geworfenheit oder Gebrochenheit des Menschen zu bereden oder die Rückkehr in die rettende Geborgenheit altbewährter Traditionen zu empfehlen. So macht sich eine eigenartige Stagnation bemerkbar. Während sonst die Jugend gegen das_ Alter den Vorwurf intellektuellen Stillstandes erhebt, vermißt heute ein greiser Denker an der unter den Jüngeren vor herrschenden "Katastrophenphilosophie" und "Restaurationsphilosophie" die Originalität und den geistigen Wagemut. Doch diese Atmosphäre der Vergrämlichung, des ängstlichen "Bewahrens" und "Rettens", ist ~in Anzeichen dafür, daß sich die Lebenskraft eines Philosophierens, welches keine neuen Impulse mehr zu geben vermag, ihrem Ende nähert. Andererseits herrschen im angelsächsischen und skandinavischen Raum philosophische Richtungen vor, die sich durch ein hohes Maß kritischer Rationalität auszeichnen, aber die deutliche Tendenz zeigen, sich auf die reine Logik und die Erkenntnistheorie zumal der Naturwissenschaften zu konzentrieren, wodurch sie in eine gewisse Lebensferne geraten. Sie sind - wenn auch in verschiedenem Grade - dem seinerzeitigen "Wiener Kreis" verwandt oder direkt verpflichtet, dessen bedeutendste Mitglieder gleichfalls vor allem an den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern geschult waren und daher zur Kulturwissenschaft und Geistes geschichte kein so unmittelbares Verhältnis hatten wie zu den exakten Topitsch, Metaphysik. 1 2 Einleitung Disziplinen. So sind diese Richtungen in der Regel geneigt, die tradi tionellen metaphysischen Lehren als sinnlos oder als Pseudo-Rationali sierungen irgendwelcher Gefühlsmomente beiseite zu schieben, ohne sich eingehender mit deren Struktur und Entwicklung zu beschäftigen. Darum lassen sie die Möglichkeiten einer genetisch-historischen Analyse und Kritik des metaphysischen Denkens fast immer ungenutzt. Gerade dieser bisher vernachlässigten Aufgabe ist die vorliegende Arbeit gewidmet. Die sachlichen Voraussetzungen für ein solches Unternehmen sind heute günstig. Denn unbeeinflußt von der Unrast einer aufgewühlten Zeit hat die Entwicklung der Weltanschauungs analyse - wenn auch hinter den Kulissen des philosophischen Theatrums - ruhig ihren Fort gang genommen. Sie zeigt im Gegensatz zu dem ergebnislosen Streit und der ewig ungelösten Problematik der philosophischen Standpunkte den stetigen Fortschritt und den inneren Zusammenhalt echter Wahrheits findung. Forscher der verschiedensten Wissensgebiete und Geisteshal tungen haben zu ihr beigetragen. Oft unabhängig voneinander und zumeist ohne Einsicht in die ganze Tragweite und die weitverzweigten Zusammen hänge ihrer Erkenntnisse sind sie zu weitgehend übereinstimmenden, einander gegenseitig stützenden und ergänzenden Ergebnissen gelangt. Neben der Weltanschauungskritik im engeren Sinne haben philosophische Disziplinen, wie die Wissenschaftstheorie und die Wissenssoziologie, an dieser Entwicklung ebenso Anteil wie verschiedene Einzelfächer, beispiels weise Völkerkunde, Altertumsforschung, Kunstgeschichte und Jugend psychologie. So vermögen wir heute bereits die Umrisse von Denkformen zu erkennen, die in der ganzen Breite der Kultur - in Mythos, Philosophie, Politik und Kunst - gleicherweise wirksam sind und die im phylogene tischen Werden der Menschheit ebenso aufgezeigt werden können wie im ontogenetischen des Individuums. Dadurch gewinnt die neue Welt anschauungskritik gegenüber den älteren Ansätzen, etwa dem Wilhelm Diltheys, eine breitere Basis. Sie beschränkt sich nicht auf eine Analyse der traditionellen philosophischen Systeme, sondern sucht zu ursprüng licheren Denkstrukturen vorzudringen, die das vor- und außerphilo sophische Weltbild bestimmen und deren Kenntnis nicht selten erst ein echtes Verständnis der sich aus ihnen entwickelnden philosophischen Fragestellungen ermöglicht. Hier soll nun der Versuch gemacht werden, die bisherigen Ergebnisse jener Forschungen zusammenzufassen und auf ihnen aufbauend zu neuen Einsichten vorzudringen. Die Eigenarten und Schwierigkeiten dieses Vor gehens entsprechen weitgehend denen des einzelwissenschaftlichen Ver fahrens. Wohl vermag man planmäßig auf dem schon Erreichten weiter zubauen, aber angesichts der unübersehbaren Tatsachenflut ist an Voll ständigkeit nicht zu denken. Ferner bleibt das Streben nach umfassender Zusammenschau stets auf Vorarbeiten angewiesen, die mancherorts zahl reich und verläßlich, auf anderen Gebieten jedoch mangelhaft sind. Wenn sich auch der Verfasser bemüht hat, an den entscheidenden Punkten direkt auf die Quellen zurückzugreifen, so mußte er sich doch öfter als Einleitung 3 ihm lieb war, auf fremde Arbeiten verlassen. Aus allen diesen Gründen darf er für seine Behauptungen nur den Rang von - allerdings nach seiner Überzeugung wohlfundierten - Hypothesen in Anspruch nehmen, die den Oharakter der Vorläufigkeit tragen und dazu bestimmt sind, dem weiteren Fortschritt der Erkenntnis als Stufen zu dienen. Dennoch scheint die Entwicklung der Forschung schon in ihrem gegenwärtigen Stadium einen Versuch der Zusammenfassung zu rechtfertigen, ja zu fordern. Aus der Tatsachenfülle tretennämlich klare und einfache Linien hervor; es werden Formen der Weltauffassung sichtbar, die unmittelbar in eIe· mentaren Gegebenheiten unseres Daseins wurzeln. Der Mensch - und zwar das Kind ebenso wie der Primitive und der zivilisierte Erwachsene in seinem Alltagsleben - will zunächst wissen, was die Dinge für ihn bedeuten, was er von ihnen zu erwarten hat und wie er sich gegen sie verhalten soll. Er fühlt sich von ihnen angemutet oder abgestoßen, geschützt oder bedroht, sie sind ihm heimatlich vertraut oder unheimlich fremd. Eng verbunden mit dieser wertenden Grundhaltung sind die Denk· formen, deren man sich zur Welterklärung bedient. Dem Fernerliegenden und Unbekannten wird der Oharakter des Fremden und Befremdlichen genommen, indem man es nach Analogie des Naheliegenden und alltäglich Vertrauten auffaßt. So dienen die Dinge und Vorgänge der täglichen Lehenswirklichkeit als Modellvorstellungen für das Weltverständnis. Grundsätzlich kann zwar alles, was in jenem unmittelbaren Lebenskreis vorhanden ist, als Modellvorstellung gebraucht werden, doch die be· herrschende Rolle spielen jene Analogien, die den direkt erfahrenen, praktisch bedeutsamen und gefühlsgesättigten Fakten der gesellschaft. lichen Erzeugung und Erhaltung des Lebens entlehnt sind. Es sind dies besonders die biologischen Prozesse von Zeugung und Geburt, Wachstum, Altern und Tod und das planmäßige, absichtsgeleitete Wollen und Handeln - das intentionale Verhalten - mit seinen Normen, Objekten und Pro· dukten. Man kann also von biomorphen und intentionalen Modellvor. stellungen sprechen. Die letztere Gruppe entstammt vor allem entweder den sozialen Beziehungen und Ordnungen von der Familie bis zum Staat oder der künstlerisch·handwerklichen Tätigkeit, der Techne, und ist daher in die Untergruppen der soziomorphen und technomorphen Analogien einzuteilen. Mit Hilfe dieser Analogien werden Einzelvorgänge oder die Gesamtheit des Universums als soziale Phänomene oder Kunsterzeugnisse gedeutet. So entsteht oft eine scheinbar geschlossene "intentionale" Welt· auffassung, die nach dem Leitbild unseres Wollens und Handelns ge. staltet ist und auf dieses rückbezogen wird - denn unser Wille und unser Tun soll sich in die "Harmonie" des kosmischen Gesellschaftsverbandes oder Kunstwerkes einfügen. Die verschiedenen Funktionen dieses Welt. bildes, seine innere Problematik sowie seine schließliehe Auflösung durch die moderne Wissenschaft und durch die faktische Entwicklung der modernen Gesellschaft will die vorliegende Arbeit untersuchen. Sie wird zu zeigen bestrebt sein, daß zumindest ein wesentlicher Teil des tradi· tionellen metaphysisch.moralischen Philosophierens in jener Weltauf· fassung verwurzelt oder - von anderen Wertvoraussetzungen ausgehend - 4 Einleitung zu ihr in Gegensatz getreten und nur aus diesem Gegensatz erklär bar ist. Es sind also im Grunde ganz naheliegende Gesichtspunkte, von denen sich unsere Untersuchung leiten läßt. Sie sind so naheliegend, daß sie von den Philosophen in der Regel übersehen wurden. Man mag sie vielleicht als primitiv empfinden, aber sie sind dann von eben jener Primitivität, die den schlichten und ursprünglichen Verhältnissen des Menschenlebens nun einmal eigentümlich ist; daß sie sehr ursprüngliche Sachverhalte erschließen, geht auch aus der außerordentlichen heuristischen Frucht barkeit ihrer wissenschaftlichen Anwendung hervor. Etwas Elementares ist es auch, was die Deutung der Welt vermittels der intentionalen Modell vorstellungen dem Menschen verspricht: Orientierung über die Zusammen hänge lebensbedeutsamer Ereignisse, Richtlinien für das Verhalten und tröstende Erhebung über Schicksalsschläge. Im Laufe der Entwicklung des Mythos wurde jene Deutung zu einem umfassenden Weltbild aus gebaut, als dessen verblassende Spätformen viele der philosophischen Systeme gelten müssen. Die Philosophie wird sich nämlich der inneren Schwierigkeiten der intentionalen Weltauffassung bewußt, will diese aber meist nicht aufgeben, sondern mittels der verschiedensten Hilfsannahmen und Zusatzhypothesen retten. Sie ist in der Regel nicht bereit, die Inter pretation des Universums als moralisch oder ästhetisch befriedigende Ordnung, welche durch jene Analogien ermöglicht wird, entschlossen fallen zu lassen und der harten Tatsache ins Auge zu sehen, daß das Weltgeschehen sich nicht nach unseren Wertpostulaten richtet. Diese Angst vor der Wertirrationalität des Weltlaufes hat - neben anderen Gründen - die Philosophen wohl auch daran gehindert, die Grundlagen und die Eigenart des intentionalen Weltbildes folgerichtig aufzudecken, denn eine solche Aufdeckung führt notwendig zur Einsicht in die Unhalt barkeit seines Wahrheitsanspruches. Die außerordentliche Lebenskraft jener Weltauffassung beruht also nicht auf ihrer Richtigkeit, sondern auf ihrer psychologischen Wirksam keit. Sie vermochte aber nicht nur angeblich unabweisbare Gemüts bedürfnisse zu befriedigen, sondern war, wie die Untersuchung zeigen wird, auch als Mittel praktisch-politischer Menschenführung fast unbe schränkt brauchbar. Nur so ist es erklärlich, daß sie das menschliche Denken durch Jahrtausende tief beeinflußt und zeitweise nahezu aus schließlich beherrscht hat. Noch heute - oder vielleicht heute wieder - muß die folgerichtige Analyse jener .Denkformen mit starken gefühlsmäßigen Widerständen rechnen. Die Stabilität der äußeren Verhältnisse vor der gegenwärtigen Periode weltweiter Erschütterungen hatte die innere Distanzierung von ihnen begünstigt. Die Umwälzungen der Gegenwart haben dagegen - ähnlich wie die Krise der Polis zu Platons Zeit - in vielen Menschen die Sehnsucht nach etwas Beständigem erweckt, das als ein Unbedingtes oder Absolutes allem Wandel entzogen ist. Diesem Begehren nach innerer Sicherheit und Geborgenheit bieten sich die altehrwürdigen Vorstellungen des intentionalen Weltbildes auch heute noch verlockend an. Grundformen des Denkens im Mythos 5 Allein die gleichen Erschütterungen sind imstande, eine völlig ent gegengesetzte Haltung zu erzeugen, die nüchtern und tapfer die harte Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt und jede Nachgiebigkeit gegen das Sentiment als unwürdig von sich abweist. Doch liegt selbst in einem solchen "heroischen Positivismus", als dessen Verkörperung Max Weber gelten darf, noch zu viel Pathos. Gewiß erfordert die innere Loslösung von jenen Vorstellungen oft eine intellektuelle Askese, wie sie Weber geübt hat. Ist aber diese Anpassungskrise überwunden, dann mag der Welt anschauungskritiker die Denkgebilde der intentionalen Weltauffassung mit verstehendem Interesse, aber zuinnerst unbeteiligt betrachten, ähnlich wie ein Kunsthistoriker die Reichskleinodien eines versunkenen Imperiums betrachtet, deren magisches Charisma für ihn nicht mehr wirklich ist. Grundformen des Denkens im Mythos Rein theoretische Weltbetrachtung, methodisch bewußtes Absehen von allen Beziehungen objektiver Erkenntnis zu menschlichem Fühlen und Handeln, ist eine sehr späte Erscheinung in der Geistesgeschichte. Wer will, darf sie auch in gewissem Sinne als abstrakt, künstlich oder ursprungs fern betrachten. Denn für das unreflektierte Bewußtsein nicht etwa bloß des sogenannten Primitiven, sondern auch des modernen Menschen in den Lebensbezügen des Alltages gilt das Wort Cassirers, daß "die ,Dinge' für das Ich nur dadurch ,sind', daß sie in ihm affektiv wirksam werden, daß sie in ihm eine bestimmte Regung der Hoffnung oder Furcht, der Begierde oder des Schreckens, der Befriedigung. oder Enttäuschung aus lösen"l. Die gefühlsmäßige Wirksamkeit bedeutet fernerhin oft das Signal für die Auslösung eines bestimmten Verhaltens. Das Unwetter, die Nahrung, das Raubtier, der Feind verursachen nicht nur starke Mfekte, sondern sie rufen auch verschiedene Handlungen hervor, etwa das Schutz suchen, Sich-Bemächtigen, Angreifen, Abwehren oder Fliehen. Durch diese Grundtatsachen des Verhältnisses von Mensch und Umwelt ist auch das mächtigste Mittel unserer Orientierung geprägt: die Sprache. In jedem Wort, in jeder Wendung ist mit der Nennung eines Gegenstandes oder einer Situation auch ein Gefühlston und womöglich eine Handlungs anweisung verbunden2• So konstituiert sich die Welt für den Menschen zunächst als eine Gesamtheit von Lebenssituationen, in denen er zu Objekten oder Mit menschen seiner Umgebung wertend und tätig in Beziehung tritt. Dieser verhältnismäßig enge Kreis des unmittelbar Bekannten, Lebenswichtigen und durch die Alltagserfahrung Vertrauten bildet jedoch nur den Kern der gesamten Weltauffassung. VOll ihm ausgehend erschließt sich das Denken die Bereiche des Fernen und Unbekannten, Rätselhaften und "Un-heimlichen". Diese Erweiterung des Gesichtsfeldes bleibt aber in E. CASSIRER: Philosophie der symbolischen Formen, 2. Teil, Berlin 1925, 1 S.247. TORGNY T. SEGERSTEDT: Die lVIacht des "Wortes. Eine Sprachsoziologie, 2 Zürich 1947, S.38.

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